TE OGH 1952/12/3 1Ob784/52

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.12.1952
beobachten
merken

Norm

ABGB §36
ABGB §37
ABGB §983
Handelsgesetzbuch §128

Kopf

SZ 25/316

Spruch

Gilt für ein Rechtsverhältnis die Anwendung eines bestimmten Rechtes als vereinbart, so ändert ein nachträglicher Wechsel des Statutes infolge staatsrechtlicher Veränderung an der Anwendbarkeit dieses Rechtes nichts.

§ 128 HGB. anwendbar, wenn ein Gesellschafter der oHG. dieser ein Darlehen gewährt; der Gesellschafter ist so zu behandeln, wie ein außenstehender Darlehensgeber.

Entscheidung vom 3. Dezember 1952, 1 Ob 784/52.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht wies die auf Bezahlung der Darlehensbeträge von

92.936.82 sfr. und 30.978.94 sfr. gerichteten Klagen ab. In O. (Bukowina) habe die dort protokollierte Firma Holzindustrie Brüder A. als offene Handelsgesellschaft bestanden und der Zedent der Klägerin Marc Aurel (Max) A. und Dr. Siegfried A., Richard A. und Anna S. seien zu je 25% öffentliche Gesellschafter gewesen. Wenn es richtig sei, daß Marc Aurel (Max) A. der offenen Handelsgesellschaft im Jahre 1930 die von der Klägerin angeführten Beträge darlehensweise zur Verfügung gestellt habe, könne die Darlehensforderung weder gegen den Gesellschafter Dr. Siegfried A. noch gegen den Erben des Gesellschafters Richard A., den Zweitbeklagten, geltend gemacht werden.

Denn ein Gesellschafter, der der offenen Handelsgesellschaft ein Darlehen gewährt habe, könne nicht wie ein außenstehender dritter Darlehensgeber nach § 128 HGB. angesehen werden. Es ergreife vielmehr auch ihn das den Vermögenswert der Gesellschaft vernichtende Schicksal und er könne nicht etwas in Anspruch nehmen, wofür er selbst in vollem Betrag haftbar sei. Es sei nicht bestritten, daß das gesamte Vermögen der Gesellschaft infolge der politischen Veränderungen zu existieren aufgehört habe. Wenn den Klagen stattgegeben würde, würde dies nach Ansicht des Erstgerichtes bedeuten, daß der Klägerin die Gesellschafter für einen durch höhere Gewalt hervorgerufenen Zufall hafteten. Bei dieser Rechtslage sei es überflüssig zu erörtern, ob rumänisches Recht anzuwenden wäre. Denn die Klägerin habe sich nur auf § 128 HGB. gestützt.

Infolge Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Das Gericht habe von Amts wegen schlüssig zu werden, ob nach den Bestimmungen des internationalen Privatrechtes inländisches oder auswärtiges Recht angewendet werden müsse, ohne an die Behauptungen der Parteien gebunden zu sein.

Es habe das Vorbringen der Parteien in jeder möglichen rechtlichen Hinsicht zu prüfen. Das Erstgericht müsse daher zuerst klären, ob österreichisches der etwa rumänisches Recht anzuwenden sei (§ § 36, 37 ABGB.). Wenn sich herausstellen sollte, daß inländisches Recht in Frage komme, werde die Darlehensgewährung des öffentlichen Gesellschafters Marc Aurel (Max) A. nicht anders behandelt werden können, als wenn es sich um einen außenstehenden Darlehensgeber handeln würde. Nach der herrschenden Rechtsansicht fielen Ansprüche von Gesellschaftern gegen die Gesellschaft, soweit sie rein schuldrechtlich und daher vom Gesellschaftsverhältnis rechtlich unabhängig seien, unter die Bestimmung des § 128 HGB. Der Gesellschaftsgläubiger könne in solchen Fällen die Mitgesellschafter als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen, müsse sich aber den Betrag der eigenen Haftung abziehen. Der zufällige Untergang des Gesellschaftsvermögens bedeute noch nicht den zufälligen Untergang des Privatvermögens der Gesellschafter. Die Frage der Unmöglichkeit der Leistung könne nach österreichischem Recht jedenfalls nur im Rahmen des § 1447 ABGB. erörtert und gelöst werden. Von Unsittlichkeit der Klage könne bei der derzeitigen Sachlage nach österreichischem Recht keine Rede sein.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der beklagten Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit Recht hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß von Amts wegen zu prüfen ist, welches Recht nach den inländischen Bestimmungen des internationalen Privatrechtes auf den vorliegenden Rechtsfall anzuwenden ist. Wenn danach das österreichische Gericht ausländische Rechtsnormen zu benützen hat, geschieht auch dies von Amts wegen, ohne daß bestimmte Behauptungen der klagenden Partei notwendig wären. Die Ansicht des Erstgerichtes, die Klägerin habe sich nur auf § 128 HGB., also auf das österreichische Recht, berufen und einen Rechtsgrund nach rumänischem Recht nicht erhoben, sodaß darauf nicht Bedacht genommen werden könne, ist deshalb verfehlt. Das Erstgericht hätte vielmehr in erster Linie klären müssen, welche Kollisionsnormen des internationalen Privatrechtes in Frage kommen und nach welchem Landesrecht zu entscheiden ist.

Bei dem gegenwärtigen Stande des Verfahrens kann noch nicht beurteilt werden, welche Grundsätze einzuhalten sein werden.

Denn es stehen verschiedenen Behauptungen der Klägerin, die die Anwendbarkeit des österreichischen Rechtes zum Ziele haben, Behauptungen der Beklagten gegenüber, aus denen sich die Notwendigkeit, ausländisches Recht heranzuziehen, ergeben könnte.

Jedenfalls wird das Erstgericht auf die §§ 36, 37 ABGB. und die anerkannten Kollisionsnormen, besonders das Ursprungs- und Personalstatut der Gesellschaft, und darauf Rücksicht zu nehmen haben, ob nach dem ausdrücklichen oder konkludent geäußerten Willen der Parteien die Anwendung eines bestimmten Rechtes als vereinbart zu gelten hätte (vgl. Wahle, Klang, Kommentar, 2. Aufl. zu § 1175 ABGB., S. 558 ff., bes. 567, 569, Verdroß - Klang, 2. Aufl. zu §§ 33-37 ABGB., S. 236 ff.). Falls ein bestimmtes Statut der Gesellschaft in Frage käme, wäre anzunehmen, daß der Wechsel dieses Statutes infolge staatsrechtlicher Veränderung auf die rechtliche Beurteilung eines vorher geschlossenen Rechtsgeschäftes keinen Einfluß hätte. Denn sonst könnte der eine oder der andere Vertragsteil, der beim Vertragsabschluß mit der Anwendbarkeit bestimmter Normen rechnete, durch die Änderung des Statutes, die bei Sitzverlegungen auch willkürlich herbeigeführt werden könnte, ungerechtfertigten Schaden leiden. Es müßte in einem solchen Fall vielmehr die Weitergeltung des ursprünglichen Statutes normalerweise angenommen werden.

Falls sich im neuerlichen Verfahren des Erstgerichtes herausstellen sollte, daß österreichisches Recht anzuwenden sei, könnte die Heranziehung des § 128 HGB. nicht ausgeschlossen werden.

Das Rekursgericht billigt die in dieser Richtung vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, und es genügt, auf die Begründung des Urteiles zweiter Instanz hinzuweisen. Wenn die Rekurswerber der Meinung sind, ein öffentlicher Gesellschafter als Darlehensgeber müsse mit Rücksicht auf die seinem Ermessen anheimgestellte Verwendung der Darlehensvaluta anders als ein dritter Darlehensgeber behandelt werden, übersieht es den Zweck und die wirtschaftlichen Voraussetzungen eines solchen Darlehensgeschäftes. Für die offene Handelsgesellschaft und die übrigen Gesellschafter wird es zumeist vorteilhaft sein, verfügbare private Mittel des Mitgesellschafters darlehensweise zu erhalten. Denn ein Gesellschafter, der am Gedeihen der Gesellschaft interessiert ist, wird günstigere Darlehensbedingungen einzuräumen und die Rückforderung zu ungelegener Zeit eher unterlassen als ein unbeteiligter Dritter. Wenn die Gesellschafter demgegenüber beim Abschluß des Darlehensvertrages mit dem Mitgesellschafter damit rechnen müssen, daß dieser im Umfang seiner Geschäftsführungsbefugnis über die Verwendung des Darlehensbetrages mitentscheiden könne, handelt es sich um eine auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhende Entschließung der Gesellschafter, die je nach der aktuellen Lage der Dinge zu treffen sein wird. Es geht aber nicht an, dem als Darlehensgeber auftretenden Mitgesellschafter die Rückforderung des Darlehensbetrages von den anderen Gesellschaftern aus Gründen zu verwehren, die zwar mit den gesellschaftlichen Beziehungen, nicht aber mit dem davon unabhängigen Darlehensvertrag etwas zu tun haben (so schon für Art. 112 AHGB:

Oberster Gerichtshof E. v. 27. März 1913, A. Cl. 3144; Staub - Pisko, Kommentar zum AHGB. I, S. 484; für § 128 HGB.: DRG. E. v. 5. Jänner 1937, RGZ. 153/46, Schlegelberger[2] I, S. 679, Weipert[2] II, S. 260, Baumbach - Duden[8], S. 363, u. a.). Die gegenteilige Meinung würde zu dem volkswirtschaftlich sicher nicht günstigen Ergebnis führen, daß offene Handelsgesellschaften ihren Geldbedarf stets nur bei außenstehenden Dritten decken könnten.

Es erweist sich, daß das erstgerichtliche Verfahren mangelhaft geblieben ist und daß das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil mit Recht aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen hat.

Anmerkung

Z25316

Schlagworte

Ausland Vereinbarung der Anwendung fremden Rechtes, Darlehen eines Gesellschafters an die OHG., Internationales Privatrecht, Statutenänderung durch Gebietsabtretungen, Offene Handelsgesellschaft Gesellschafter als Darlehensgeber

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0010OB00784.52.1203.000

Dokumentnummer

JJT_19521203_OGH0002_0010OB00784_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten