TE OGH 1953/11/11 2Ob454/53

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Veröffentlicht am 11.11.1953
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Norm

Kraftfahrverordnung 1947 §99
Straßenpolizeigesetz §19 P. 6a

Kopf

SZ 26/269

Spruch

Wenn an einem Traktor eine besondere Sperrvorrichtung nicht angebracht ist, hat der Halter seiner Verpflichtung nach § 99 Abs. 4 KFV. durch Anziehen der Handbremse Genüge geleistet.

Entscheidung vom 11. November 1953, 2 Ob 454/53.

I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Zweitbeklagte beförderte den Kläger in einem Traktor von R. bis K., wo er das Fahrzeug vor dem Hause des Schmiedemeisters F., des Vaters derErstbeklagten, abstellte. Während sich der Zweitbeklagte in das Haus des Schmiedemeisters begab, wartete der Kläger neben dem Traktor, in der Hoffnung, daß ihn der Zweitbeklagte auf der weiteren Fahrt mitnehme. Durch den Traktor war der Eingang des Hauses so verstellt, daß ein Zwischenraum von weniger als 2 m frei blieb. Als die 17jährige Erstbeklagte vom Feld mit einem einspännigen Pferdefuhrwerk heimkehrte, konnte sie wegen des abgestellten Traktors in den Hof nicht einfahren. Da ihre Erkündigungen nach dem Lenker des Traktors ohne Erfolg waren, beschloß sie, den Traktor selbst etwas weiterzuführen, um die Zufahrt für ihr Fahrzeug frei zu machen. Der Kläger, den sie zunächst als eine mit der Beaufsichtigung des Traktors betraute Person ansah, konnte ihr keine Auskunft über die Art der Inbetriebsetzung eines Traktors geben. Auf Anleitung eines 12jährigen Knaben setzte sie den Traktor in Bewegung und führte ihn eine Strecke von 6 m vor. Der Kläger hatte sich auf die Bordwand des mit dem Traktor verbundenen Anhängers gestützt, als der Traktor in Bewegung gesetzt wurde. Er wurde von dem rechten Vorderrad des Anhängers an einem Fuß gestreift, stürzte mit dem Kopf an die Hausmauer und zog sich Verletzungen am linken Bein zu. Die Erstbeklagte wurde mit Urteil des Strafgerichtes schuldig erkannt, daß sie durch das Inbetriebsetzen des Traktors ohne Fahrkenntnis das Vergehen gegen die Sicherheit des Lebens gemäß § 335 StG. begangen habe. Der Drittbeklagte ist der Halter des Traktors. Der Kläger begehrt von den Beklagten die Bezahlung des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens und eines angemessenen Schmerzengeldes im Betrage von zusammen 10.250 S. Das Erstgericht erkannte, daß das Klagebegehren gegen alle drei Beklagten dem Gründe nach zu einem Viertel zu Recht bestehe. Der Kläger habe aus den Gesprächen der Erstbeklagten, ihren Handgriffen an den Schaltern des Traktors und den Erschütterungen des laufenden Motors erkennen müssen, daß der Traktor im nächsten Augenblick in Bewegung gesetzt werde. Unter diesen Umständen hätte er nicht in der unmittelbaren Nähe des Anhängers verweilen dürfen. Ihn treffe das überwiegende Verschulden an dem Unfall. Der Erstbeklagten falle nur zur Last, daß sie sich vor dem Inbetriebsetzen des Traktors nicht umgesehen habe, ob sich nicht in der nächsten Nähe des Fahrzeuges jemand aufhalte. Ihr Verschulden verhalte sich zu dem des Klägers wie 1 : 3. Der Zweitbeklagte habe durch die Abstellung des Traktors vor der Einfahrt gegen die Bestimmungen des § 19 Punkt 6 a des Straßenpolizeigesetzes verstoßen. Da am Traktor keine Sperrvorrichtungenvorhanden seien, habe er sich auf längere Zeit von dem Fahrzeug nicht entfernen dürfen, ohne eine Aufsichtsperson bei dem Fahrzeug zurückzulassen. Der Drittbeklagte hafte für das Verschulden des Zweitbeklagten nach Art. IV der Verordnung zur Einführung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Das Verhalten des Zweitbeklagten sei als eine typische Bedingung des schädigenden Ereignisses anzusehen. Der Zweitbeklagte hätte das Fahrzeug nicht ohne genügende Sicherung auf der Straße unbeaufsichtigt stehenlassen dürfen. Der Kläger könne sich nicht auf seine Schwerhörigkeit berufen, weil er die Erschütterung des Fahrzeuges durch die Inbetriebsetzung des Motors habe wahrnehmen müssen. Das Verhalten des Klägers sei derart leichtsinnig und unüberlegt gewesen, daß die vom Erstgericht vorgenommene Aufteilung des Verschuldens der Sach- und Rechtslage entspreche.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei hinsichtlich des die Erstbeklagte betreffenden Ausspruches des Berufungsgerichtes nicht Folge, wohl aber der Revision der zweit- und drittbeklagten Partei.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision des Klägers ist unbegrundet. Der Beschädigte kann neben demBeschädiger auch seinerseits eine Bedingung zu seinem Schaden gesetzt haben. Aus § 1304 ABGB. ergibt sich, daß der Beschädigte, wenn er die Beschädigung oder ihre Vergrößerung, obwohl er es konnte, nicht verhindert hat, allenfalls einen Teil seines Ersatzanspruches einbüßt. Bei drohender Schädigung trifft auch den Beschädigten eine Sorgfaltspflicht (Wolff in Klangs Kommentar zum ABGB., 2. Aufl., 6. Band, S. 58 ff.). Die Untergerichte waren an das verurteilende Erkenntnis des Strafgerichtes gebunden. Nach den Feststellungen des Strafgerichtes liegt das Verschulden der Erstbeklagten darin, daß sie den Traktor durch plötzliches Anfahren (plötzliches Loslassen des Kupplungspedals) ruckartig in Bewegung setzte. Nach dem Gutachten des Sachverständigen kann ein derartiges ruckartiges Anfahren jedoch auch bei geübten Traktorfahrern vorkommen. Die Untergerichte legen ihr auch zur Last, daß sie sich vor Inbetriebsetzung des Kraftfahrzeuges nicht umgeblickt habe. Ob diese Unterlassung überhaupt ein Verschulden darstellt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist das Verschulden der Erstbeklagten mit Rücksicht auf das Verhalten des Klägers, der sich in grobfahrlässiger Weise selbst gefährdet hat, ein ganz geringfügiges, sodaß die Annahme eines größeren Verschuldensanteiles der Erstbeklagten, als die Untergerichte angenommen haben, überhaupt nicht in Betracht kommt.

Das Revisionsgericht vermag die Rechtsansicht der Untergerichte, daß denZweitbeklagten ein Verschulden treffe, weil er den Traktor unbeaufsichtigt zurückgelassen habe, nicht zu teilen. Der gegenständliche Traktor besitzt typenmäßig keinen abziehbaren Schlüssel für Vorglühen und Starten. Nach § 99 Abs. 4 der Kraftfahrverordnung hat der Führer, bevor er sich von seinem Fahrzeug entfernt, zur Verhinderung der unbefugten Inbetriebsetzung des Fahrzeuges die üblicherweise hiefür bestimmten Vorrichtungen am Fahrzeug in Wirksamkeit zu setzen. An dem Traktor ist eine besondere Sperrvorrichtung nicht angebracht. Da das Fahrzeug ohne abziehbaren Schlüssel für Vorglühen und Starten zum Betrieb zugelassen ist, hat der Zweitbeklagte seiner Verpflichtung gemäß § 99 KVO. durch Anziehen der Handbremse Genüge geleistet. Derartige Fahrzeuge haben eine verhältnismäßig geringe Höchstgeschwindigkeit, weisen eine große Lärmentwicklung auf und eignen sich zur Personenbeförderung kaum. Die Gefahr einer unbefugten Inbetriebsetzung ist bei diesen Fahrzeugen weit geringer als bei anderen Kraftfahrzeugen. Würde man bei der Abstellung eines derartigen Fahrzeuges eine Bewachung zur Verhinderung einer unbefugten Benützung für erforderlich halten, so wäre eine Verwendung imlandwirtschaftlichen Betrieb schwer möglich. Eine das Ziel einer unbefugten Benützung wirklich erreichende Vorrichtung gab und gibt es nicht (Müller, Straßenverkehrsordnung, 16. Aufl. S. 793). Auch ein abziehbarer Schlüssel für Vorglühen und Starten würde eine unbefugte Benützung nicht mit Sicherheit verhindern können.

Zuzugeben ist den Untergerichten, daß der Zweitbeklagte die Vorschrift des § 19 Punkt 6 a StPolG. verletzt hat. Wer ein Schutzgesetz übertritt, haftet nicht für beliebige, sondern nur für jene zufälligen Beschädigungen, denen das Gesetz vorbeugen will. Die Vorschrift des § 19 Punkt 6 a bezieht sich auf Fahrzeuge aller Art im Sinne des § 1 Z. 15 StPolG. einschließlich der Fahrräder und insbesondere auch auf solche, die mehr oder weniger gegen unbefugte Benützung durch Vorrichtungen gesichert werden können. Der Zweck dieser gesetzlichen Bestimmung besteht nicht darin, die unbefugte Benützung zu verhindern. Die unbegrenzte Haftung für alle Folgen einer widerrechtlichen Handlung würde über die Aufgaben der Schadenersatzpflicht hinausgreifen. Eine Haftung der Zweit- und Drittbeklagten für das Verhalten des Erstbeklagten ist abzulehnen.

Bei dieser Rechtslage erübrigte sich eine Erörterung, ob eine Haftung des Drittbeklagten mit Rücksicht auf die Bestimmungen des § 7 Abs. 3 desKraftfahrzeuggesetzes ausgeschlossen ist (vgl. hiezu Müller, Straßenverkehrsordnung, 16. Aufl., S. 228).

Anmerkung

Z26269

Schlagworte

Absperren des Fahrzeuges, Fahrzeug, Absperren des -, Traktor, Handbremse, Sperrvorrichtung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0020OB00454.53.1111.000

Dokumentnummer

JJT_19531111_OGH0002_0020OB00454_5300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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