Norm
ABGB §163Kopf
SZ 27/3
Spruch
Ein deutsches Urteil, das festgestellt hat, daß ein von der Ehegattin eines Reichsdeutschen geborenes Kind von diesem nicht erzeugt worden sei, hindert das österreichische Gericht im Vaterschaftsprozeß gegen den angeblichen außerehelichen Vater nicht, bei der Entscheidung über die exceptio plurium selbständig zu überprüfen, ob der Beweis gelungen sei, daß das Kind nicht vom Ehemann der Mutter erzeugt worden ist.
Entscheidung vom 7. Jänner 1954, 3 Ob 837/53.
I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die minderjährige Klägerin wurde am 22. September 1944 von der damals mit Johann Gottlieb K. verheirateten deutschen Staatsangehörigen Franziska K., geb. Sch., wiederverehelichte L., geboren, deren Ehe am 16. Juni 1948 rechtskräftig geschieden wurde. Durch Urteil des Landgerichtes Duisburg vom 13. April 1949 wurde die Klägerin für unehelich erklärt. Das Gericht nahm als erwiesen an, daß die Mutter der Klägerin zwar in der gesetzlichen Empfängniszeit mit ihrem Ehemann Johann Gottlieb K. Geschlechtsverkehr gehabt habe, damals aber bereits von einem anderen Manne geschwängert gewesen sei.
Nunmehr klagt die Klägerin den Beklagten auf Feststellung der Vaterschaft und auf Leistung des Unterhalts. Das Erstgericht stellte die Vaterschaft des Beklagten zur Klägerin fest und verurteilte ihn zur Bezahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 210 S ab Klagstag. Beklagter sei mit der Einrede des Mehrverkehrs, soweit diese auf Johann Gottlieb K. Bezug habe, nicht durchgedrungen. Dieser sei, wie durch Urteil des Landgerichtes Duisburg rechtskräftig festgestellt sei, nicht als Erzeuger der minderjährigen Klägerin anzusehen, eine Feststellung, die sich mit den Beweisergebnissen in diesem Prozeß insofern decke, als die Kindesmutter zu dem Zeitpunkt, da sie mit dem Ehemann während dessen Urlaubes im Dezember 1943 bis Jänner 1944 Geschlechtsverkehr hatte, keine Monatsregel mehr hatte. Andere Männer, mit denen die Kindesmutter in der gesetzlichen Vermutungsfrist verkehrt haben soll, habe der Beklagte nicht zu nennen vermocht.
Infolge Berufung des Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Das Berufungsgericht stellte auf Grund des von ihm zum Teil ergänzten, zum Teil wiederholten Beweisverfahrens folgendes fest:
Der Beklagte war ab 1943 als Häftling des KZ. Buchenwald im früheren Diakonissenkrankenhaus Duisburg untergebracht und verkehrte vorerst brieflich, dann auch mündlich mit der gegenüber wohnenden Kindesmutter. Auf Veranlassung und unter Mithilfe der Kindesmutter floh der Beklagte in der Nacht zum 5. Dezember 1943 aus der Haft. Noch in dieser Nacht kam es zwischen Beklagtem und der Kindesmutter zum ersten Geschlechtsverkehr. Er verkehrte mit ihr auch in der folgenden Zeit bis zum 17./18. Dezember 1943. An einem dieser Tage kam der eingerückte Ehemann der Kindesmutter Johann Gottlieb K. auf Urlaub. Von da ab bis zum 5. Jänner 1944 kam der Beklagte mit der Kindesmutter nicht zusammen, die Kindesmutter lebte mit ihrem Gatten bei ihren Eltern. Sie hat während dieser Zeit mit ihm geschlechtlich verkehrt. Nach dem 5. Jänner 1944 nahm sie die geschlechtlichen Beziehungen zu dem Beklagten wieder auf, die bis Ende Jänner 1944 andauerten. Ab Ende Jänner 1944 bis zu seiner neuerlichen Verhaftung am 1. März 1944 ist der Beklagte mit der Kindesmutter nur mehr einmal zusammengetroffen. Von der Geburt der Klägerin hat der Beklagte erst im Jahre 1945 gehört. Vorher hat ihm die Kindesmutter weder von ihrer Schwangerschaft noch von der Geburt des Kindes Mitteilung gemacht.
Diesen tatsächlichen Sachverhalt würdigte das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht wie folgt: Da die Kindesmutter im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin die deutsche Staatsbürgerschaft besaß, kommen nach § 12 der 4. DVzEheG. die Bestimmungen des § 1717 Abs. 2 DBGB. zur Anwendung, d. h. der Klage auf Feststellung der Vaterschaft könne dann kein Erfolg beschieden sein, wenn dem Beklagten der Nachweis gelingt, daß die Kindesmutter während der kritischen Zeit auch mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt habe, und die Klägerin nicht den Gegenbeweis dafür erbringt, daß ihre Zeugung durch den Mehrverkehr unmöglich oder doch mit einem an Unmöglichkeit grenzenden Grad unwahrscheinlich ist. Den Nachweis des Mehrverkehrs der Kindesmutter in der kritischen Zeit vor der Geburt der Klägerin habe der Beklagte erbracht. Den Gegenbeweis der Unmöglichkeit ihrer Zeugung anläßlich des Mehrverkehrs mit Johann Gottlieb K., insbesondere für die im Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs mit dem Ehegatten bereits bestandene Schwängerung der Kindesmutter habe die Klägerin nicht erbracht. Aus dem Ausbleiben der vor Weihnachten 1943 erwarteten Regel könne nicht mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit geschlossen werden, daß die Schwängerung vor dem 17/18. Dezember 1943 erfolgt sein müsse. Die allein auf das Ausbleiben der Regel "vor Weihnachten" ohne nähere Zeitangabe gestützte Vermutung der Kindesmutter über ihre Schwängerung durch den Beklagten im Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs mit ihrem Ehegatten sei keineswegs derart zwingend, daß sie mit einem jeden Zweifel ausschließenden Grad der Wahrscheinlichkeit die Zeugung des Kindes durch den Ehegatten ausschließe. Anderseits sei auch weder durch die Blutgruppenuntersuchung noch durch die anthropologischerbbiologische Untersuchung die Vaterschaft des Johann Gottlieb K. auszuschließen. Daran ändere der Umstand nichts, daß nach dem erbbiologisch-anthropologischen Gutachten die Vaterschaft des Beklagten "wesentlich wahrscheinlicher" sei als die des Johann Gottlieb K., da nach dem Gutachten immerhin 21% der Ähnlichkeitsmerkmale K.'s mit denen des Kindes übereinstimmen und bei diesem Verhältnis nicht von einer offenbaren Unmöglichkeit der Zeugung durch K. gesprochen werden könne. Eine offenbare Unmöglichkeit liege nur dann vor, wenn die Gründe, die gegen die Vaterschaft des Mitkonkubenten sprechen, derart zwingend sind, daß die Annahme des Gegenteils mit dem gesunden Menschenverstand unvereinbar ist. Von einem derartigen Grad der Unwahrscheinlichkeit könne aber auch nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten über die erbbiologisch-anthropologische Untersuchung nicht gesprochen werden.
Die Ansicht des Erstgerichtes, daß durch das oben angeführte Urteil des Landgerichtes Duisburg die Vaterschaft des damaligen Gatten der Kindesmutter ausgeschlossen und daher die Einrede des Mehrverkehrs durch den Gegenbeweis der Unmöglichkeit der Zeugung aus diesem Mehrverkehr widerlegt sei, lehnte das Berufungsgericht ab. Mit dem angeführten Urteil sei festgestellt worden, daß Johann Gottlieb K. nicht der Vater der Klägerin sei.
Diese Feststellung entkräfte aber die Einrede des Mehrverkehrs nicht. Das Gericht hat vielmehr selbst die Frage zu prüfen, ob die Zeugung aus dem Mehrverkehr offenbar unmöglich war. Wohl komme nach der Rechtsprechung einem Urteil in Familienstandsachen absolute Rechtskraft, demnach auch gegenüber den am Prozeß nicht beteiligten Personen zu (Slg. 1652, SZ. X/84). Da jedoch im gegenständlichen Fall die Unehelichkeit der minderjährigen Klägerin durch ein deutsches Urteil festgestellt wurde, wäre das inländische Gericht nur dann an dieses Urteil gebunden, wenn zwischen Österreich und der Deutschen Bundesrepublik Vollstreckungsrechtshilfe bestehen würde. Dieser in Lehre und Rechtsprechung (s. u. a. SZ. XXII/104 u. 198) anerkannte Grundsatz habe auch dann zur Anwendung zu gelangen, wenn im gegebenen Fall eine Vollstreckung des Urteils im Statusprozeß nicht in Betracht kommt. Die Gegenseitigkeit hinsichtlich der Zwangsvollstreckung der im Ausland errichteten Akten und Urkunden sei jedoch nach dem RHE.Ziv.JABl. 1951, Stück 5, mit der Deutschen Bundesrepublik nicht verbürgt.
Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:
Das Schwergewicht der Revision liegt in der Rechtsrüge. Ihre Ausführungen gipfeln darin, daß der Einrede des Mehrverkehrs das Illegitimitätsurteil des Landgerichtes Duisburg vom 13. April 1949 entgegenstehe, wodurch festgestellt worden sei, daß die Kindesmutter das Kind nicht aus einer Beiwohnung mit ihrem geschiedenen Ehemann empfangen habe.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Sie beruhen auf einer irrigen Auffassung hinsichtlich der Rechtskraftwirkung des mehrerwähnten Urteils des Landgerichtes Duisburg. Es mag dahingestellt bleiben, ob mangels eines Vollstreckungsrechtshilfeübereinkommens zwischen Österreich und der Deutschen Bundesrepublik das inländische Gericht an dieses Urteil gebunden ist. Auch wenn davon ausgegangen wird, daß das Urteil im Rechtsstreit über die Anfechtung der Ehelichkeit (§§ 1591 ff. DBGB., § 641 DZPO.) sofern es bei Lebzeiten der Parteien rechtskräftig wird, für und gegen alle wirkt (§ 643 DZPO.), äußert es mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 322 DZPO. Rechtskraft doch nur insoweit, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden ist (RG. 102, 366). Keinen Gegenstand der Rechtskraft hingegen bilden die dem Urteilsspruch zugrunde liegenden Tatsachen. Sie gehen ebensowenig in Rechtskraft über wie Folgerungen, die die im Urteil festgestellte Rechtsfolge zur Voraussetzung haben oder sich mit logischer Notwendigkeit aus ihr ergeben. Auch ein deutsches Gericht wäre demnach im Falle der Klage gegen den angeblich unehelichen Erzeuger berechtigt gewesen, die Frage neuerlich zu überprüfen, ob Beklagter das Kind gezeugt hat. Nach § 12 der 4. DVzEheG. können gegen den unehelichen Vater keine weiter gehenden Ansprüche geltend gemacht werden als nach dem Heimatrecht der Mutter. Daß muß sinngemäß dahin ausgelegt werden, daß dem unehelichen Vater alle Einwendungen offenstehen, die das maßgebliche Sachstatut gestattet, also auch die Einwendung, daß dem Urteil auf Aberkennung der ehelichen Geburt nicht die Wirkung zukomme, daß damit festgestellt sei, der Ehemann der Mutter könne das Kind nicht gezeugt haben und Beklagter sei daher von der Einwendung des Mehrverkehrs ausgeschlossen. Demgemäß erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils des Landgerichtes Duisburg vom 13. April 1949 nur auf die Feststellung der Unehelichkeit der Klägerin. Der Beklagte war daher im vorliegenden Rechtsstreit, der die Feststellung seiner Vaterschaft zum Gegenstande hat, berechtigt, den Beweis anzubieten, daß Johann Gottlieb K. der Kindesmutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt habe; das Berufungsgericht durfte diesen Beweis erheben und seine Folgerungen daraus ziehen. Insoweit das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Zeugung des klägerischen Kindes aus dem festgestellten Mehrverkehr nicht unmöglich war, begegnet seine rechtliche Beurteilung keinem Bedenken. Weder aus dem Ausbleiben der von der Kindesmutter vor Weihnachten 1943 erwarteten Regel noch aus den Ergebnissen der Blutgruppenuntersuchung und der anthropologisch-erbbiologischen Untersuchung lassen sich zwingende Schlüsse gegen die Annahme der Erzeugerschaft des Johann Gottlieb K. ableiten.
Daß § 12 der 4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz auch im Verhältnis zu Deutschland Anwendung findet, entspricht der herrschenden Rechtsprechung (vgl. SZ. XXI/77, 1 Ob 310/53).
Das Berufungsgericht hat daher, ausgehend von der Bestimmung des § 1717 DBGB., die Streitsache rechtlich richtig beurteilt.
Anmerkung
Z27003Schlagworte
Deutsches Vaterschaftsurteil, Mehrverkehrseinrede, exceptio plurium, Bindung an deutsches Urteil, Mehrverkehrseinrede, Bindung, Urteil, deutsches Vaterschaftsurteil, Vaterschaftsurteil, exceptio pluriumEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1954:0030OB00837.53.0107.000Dokumentnummer
JJT_19540107_OGH0002_0030OB00837_5300000_000