TE OGH 1954/1/13 2Ob805/53

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Veröffentlicht am 13.01.1954
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Norm

ABGB §1010
ABGB §1295
ABGB §1313a
ABGB §1315

Kopf

SZ 27/6

Spruch

Haftung des praktischen Arztes für den von ihm bestellten Urlaubsvertreter weder nach § 1313a noch nach § 1315 ABGB., sondern lediglich nach § 1010 ABGB.

Entscheidung vom 13. Jänner 1954, 2 Ob 805/53.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Erstgericht wies die auf Leistung eines Schadenersatzbetrages gerichtete Klage ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und erkannte, daß der Schadenersatzanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das erstrichterliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die im § 1313a ABGB. festgelegte Haftung des Schuldners für das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters sowie der Personen, deren er sich zur Erfüllung der Leistung bedient, setzt zunächst ein zwischen dem Haftungspflichtigen und dem Geschädigten bestehendes Schuldverhältnis voraus. Das angefochtene Urteil grundet die Annahme eines zwischen den Streitteilen bestandenen Schuldverhältnisses auf die Tatsache, daß die Klägerin der Beklagten den Krankenschein abgegeben hat und daß eine Überweisung auf einen anderen Kassenarzt weder beantragt noch durchgeführt wurde. Dies im Zusammenhang mit dem Umstand, daß die Klägerin die Hilfe der Beklagten als Arzt in Anspruch nehmen wollte und daß Dr. Karl D. als Vertreter der Beklagten die Klägerin behandelt hat, wobei die Vergütung an die Beklagte selbst geleistet wurde, schaffe unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Beklagten.

Der Oberste Gerichtshof vermag diesen Gedankengängen nicht zu folgen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hat die Klägerin durch Abgabe des Krankenscheines im August 1950 den Anspruch erworben, von der Beklagten für das laufende Quartal, das ist für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1950 auf Rechnung der Gebietskrankenkasse ärztlichen Beistand zu erhalten. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß die Beklagte in dieser Zeit ständig der Klägerin hätte zur Verfügung stehen müssen und daß sie von dem im § 9 des Einzelvertrages festgelegten Recht auf gelegentliche Vertretung durch einen anderen Arzt, insbesondere zu Urlaubszwecken, nicht hätte Gebrauch machen dürfen, zumal nach den Feststellungen des Erstgerichtes die Untersuchung der Klägerin im August ergeben hatte, daß die Lage des Embryo normal ist und kein Grund zur Annahme bestanden hat, daß sich bei der Geburt des Kindes Komplikationen ergeben könnten und ein Arzt überhaupt werde beigezogen werden müssen. Die ärztliche Behandlung der Klägerin durch die Beklagte war daher nach dem Ergebnis der Untersuchung im August beendet und der durch die Abgabe des Krankenscheines erworbene Anspruch auf ärztlichen Beistand für das laufende Quartal demnach bedingt durch auftretende Komplikationen oder eine anderweitige Erkrankung der Klägerin. Solange diese Bedingung nicht eingetreten war, kann von einem bestehenden Schuldverhältnis zwischen den Streitteilen nicht gesprochen werden, zumal der Kassenpatient - wie das Erstgericht festgestellt hat - sich grundsätzlich, auch wenn er schon einen Krankenschein für das Quartal abgegeben hat, an einen anderen Arzt wenden kann, ein Vorgang, der durch Ausstellung eines Überweisungsscheines oder in dringenden Fällen gegen nachträgliche Genehmigung und Bezahlung des tarifmäßigen Honorars vollzogen wird.

Auch aus einem zweiten Grund kann die Haftung der Beklagten nicht auf die Bestimmungen des § 1313a ABGB. gestützt werden. Mit dem Begriff eines Gehilfen und somit auch des Erfüllungsgehilfen ist die Übertragung des Geschäftes zu eigener selbstverantwortlicher Besorgung unvereinbar, so daß der Erfüllungsgehilfe immer in einer gewissen Abhängigkeit vom Schuldner steht und unter der Aufsicht des Schuldners handelt. Fehlt es an dieser Abhängigkeit und Aufsicht, dann liegt nicht Gehilfenschaft, sondern Substitution vor.

Nach § 7 Abs. 2 des Ärztegesetzes hat der Arzt seinen Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten auszuüben. Das gilt auch für den Arzt, der als Urlaubsvertreter die Patienten des auf Urlaub befindlichen Kollegen ärztlich betreut. Die Vertretung eines Arztes durch einen anderen Arzt ist daher nicht Gehilfenschaft, sondern als Substitution aufzufassen. Nur solche Personen, deren sich der Arzt zur Mithilfe bedient, wie Assistenten, Ordinationsgehilfen, Krankenschwestern usw. sind Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 1313 a ABGB; diese haben nach seinen genauen Anordnungen und unter seiner Aufsicht zu handeln, für sie haftet der Arzt.

Beim Urlaubsvertreter ist eine Beaufsichtigung durch den auf Urlaub befindlichen Arzt nach der Sachlage ausgeschlossen; der Urlaubsvertreter hat vielmehr persönlich und unmittelbar, wie jeder andere Arzt, seinen Beruf auszuüben und ist daher nicht Gehilfe, sondern - sofern man nicht einen unmittelbaren Auftrag des Patienten annimmt - Substitut des auf Urlaub weilenden Kollegen. Für den Substituten haftet nach einhelliger Auffassung der Schuldner nicht nach den Bestimmungen des § 1313a ABGB., sondern nur bei Verschulden in der Auswahl (Wilburg, Haftung für Gehilfen, ZBl. 1930, S. 641 ff.).

Daß die Beklagte nicht das ganze Jahr den bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse versicherten Patienten zur Verfügung stehen mußte, daß sie vielmehr Urlaub nehmen durfte, folgt aus § 9 Abs. 2 und 3 des Einzelvertrages, demzufolge die Beklagte im Falle der Verhinderung durch Krankheit oder Urlaub einen anderen Arzt zu ihrem Vertreter bestellen konnte, wobei sie nur die persönliche Haftung für die Einhaltung aller vertragsmäßigen Bestimmungen, nicht aber die Haftung für die ärztliche Tätigkeit des Vertreters zu tragen hatte. Selbst wenn man hierin eine allgemeine Übernahme aller in Behandlung stehender Kassenpatienten ohne Rücksicht darauf, ob sie mit dem Urlaubsvertreter einverstanden sind oder nicht, sehen wollte, könnte es sich doch nach den obigen Ausführungen nicht um die Rechtsform der Erfüllungsgehilfenschaft, sondern nur um eine Substitution handeln.

Der Hinweis des angefochtenen Urteils auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11. Juni 1952, 1 Ob 592/51 (JBl. 1953 S. 18), ist deshalb verfehlt, weil dieser Entscheidung ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde liegt. Abgesehen davon, daß der Schaden dort bei Behandlung in einem öffentlichen Krankenhaus eingetreten war, wird die Verpflichtung des Arztes zur persönlichen und unmittelbaren Behandlung der Patientin nur unter der Voraussetzung ausgesprochen, daß der Arzt die Patientin in seine Behandlung bereits übernommen hat. Im vorliegenden Fall ist diese Voraussetzung nicht gegeben, weil die Behandlung der Klägerin nach dem Ergebnis der Untersuchung im August 1950 beendet war und eine weitere Konsultierung der Beklagten durch die Klägerin während des Quartals nicht erfolgt ist. Überdies ist die Bestellung eines Urlaubsvertreters und die darin allenfalls zu erblickende Substitutierung eines anderen Arztes infolge Urlaubs des Vertragsarztes durch § 9 des Einzelvertrages gedeckt, weil sie mit der Gebietskrankenkasse ausdrücklich vereinbart wurde und daher selbst dann ohneweiters zulässig wäre, wenn die Beklagte die Behandlung der Klägerin bereits übernommen gehabt hätte.

Mit dem Hinweis des Berufungsgerichtes auf Ehrenzweig und den Aufsatz von Carl Hövelmann in der Österreichischen Juristenzeitung 1947, Heft 21/22, ist für den Standpunkt der klagenden Partei nichts gewonnen, weil es nicht darauf ankommt, ob auch selbständige Unternehmer zu Erfüllungsgehilfen bestellt werden können, sondern darauf, ob die bestellte Mittelsperson selbständig erfüllt oder unter Aufsicht des Schuldners für diesen. Gerade der Aufsatz von Hövelmann drückt klar aus, was bei zulässiger Substitution der Schuldner schon mit der Bestellung des Substituten seine Verbindlichkeit erfüllt hat und daß er demnach lediglich für eine sorgfältige Auswahl des Substituten haftet.

Nach dem Vorbringen der Klägerin in erster Instanz hatte die Klägerin zur Beklagten volles Vertrauen und wollte, daß die Beklagte sie persönlich behandelt; es wurde auch vorgebracht, die Beklagte habe nicht erwähnt, daß sie die Behandlung nicht persönlich werde durchführen können. Daß die Beklagte der Klägerin zugesichert hätte, daß sie ihr bei allfälligen Komplikationen helfen werde, wurde im Verfahren vor dem Erstgericht nicht behauptet; diese Behauptung wurde erst in der Berufungsschrift aufgestellt. Die von der Beklagten als möglich zugegebene Äußerung, "es werde nicht notwendig sein; daß die Klägerin bei der Entbindung einen Arzt beiziehe, wenn sich aber die Notwendigkeit ergeben sollte, möge sie mich jederzeit rufen lassen", könnte ihrem Inhalte nach der in der Berufung aufgestellten Behauptung kaum gleichgestellt werden und enthielte auf keinen Fall die Zusicherung der unbedingten persönlichen Behandlung durch die Beklagte. Der Umstand, daß die Klägerin auf die Betreuung durch die Beklagte besonderen Wert legte und deshalb einen Monat vor der Geburt die Krankenkassenanweisung der Beklagten überbrachte, konnte eine Verpflichtung der Beklagten, im Zeitpunkt der Entbindung zur Verfügung zu stehen, nicht begrunden.

Unter Zugrundelegung des tatsächlichen Vorbringens der Klägerin vor dem Erstgericht sind die Feststellungen des Erstgerichtes ausreichend und die in der Berufung gegen die Feststellungen des Erstgerichtes erhobenen Vorwürfe bedeutungslos, so daß die Sache ungeachtet der Ablehnung des Berufungsgerichtes, auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung einzugehen, zur Entscheidung reif ist.

Da eine Zusicherung der persönlichen Behandlung der Klägerin durch die Beklagte im Verfahren vor dem Erstgericht gar nicht behauptet wurde, war die Beklagte nicht nur nach dem Inhalt des Einzelvertrages, sondern auch nach ihren persönlichen Beziehungen zur Klägerin berechtigt, einen Urlaub anzutreten und konnte für die Zeit ihrer Verhinderung durch Urlaub einen anderen Arzt als ihren Urlaubsvertreter bestellen. Der Klägerin oder ihren Angehörigen wäre es freigestanden, trotz Abgabe des Krankenscheines für das laufende Quartal - falls sie mit dem Urlaubsvertreter Dr. Karl D. nicht einverstanden war - sich mit Hilfe eines Überweisungsscheines an einen anderen Kassenarzt zu wenden oder gegen nachträgliche Genehmigung und Ersatz des tarifmäßigen Honorars einen Privatarzt beizuziehen.

Die Tatsache, daß Dr. Karl D. auf Grund einer Abmachung mit der Beklagten ein Tagespauschale erhielt und außerdem Quartier und Verpflegung bezog sowie die Behauptung, daß ihm die Rezeptformulare der Beklagten, ihre ärztlichen Instrumente und der Ordinationsraum überlassen wurde und daß die Honorare der von Dr. Karl D. behandelten Privatpatienten und auch die Leistungen der Sozialversicherungsanstalten für die bei ihnen versicherten Mitglieder der Beklagten zugingen, fällt nicht in die Waagschale. Es liegt auf der Hand, daß diese rein administrativen Umstände, unter denen sich die Urlaubsvertretung bei einem Arzt abzuspielen pflegt, aus praktischen Erwägungen so gewählt werden, weil sie die Ausübung der ärztlichen Praxis in der Urlaubszeit und die Verrechnung wesentlich erleichtern. An dem Grundsatz, daß der Urlaubsvertreter des Arztes - wie jeder Arzt - seinen Beruf persönlich und unmittelbar und unter eigener Verantwortung auszuüben hat, können diese offenkundig den wirtschaftlichen Bedürfnissen entspringenden Nebenerscheinungen nichts ändern.

Man kann daher die Bestellung eines Urlaubsvertreters durch einen Arzt lediglich darin beurteilen, daß an der Ordinationsstätte des auf Urlaub weilenden Arztes sich ein anderer amtierender Arzt befindet, der bereit ist, die ärztliche Betreuung zu übernehmen. Die Bestellung eines Urlaubsvertreters unterscheidet sich daher in ihren Auswirkungen kaum von der Regelung des ärztlichen Sonntagsdienstes auf dem Lande.

Daß die Beklagte bei der Auswahl ihres Urlaubsvertreters die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, ist nach den Feststellungen, die das Erstgericht bei Erörterung der Haftung nach § 1315 ABGB. vorgenommen hat und die vom Berufungsgericht übernommen worden sind, außer jedem Zweifel.

Was schließlich den Haftungsgrund nach § 1315 ABGB. betrifft, hat das Erstgericht festgestellt, es sei im Zeitpunkte der Bestellung des Dr. Karl D. zum Urlaubsvertreter keinerlei Anhaltspunkt dafür vorhanden gewesen, daß die Beklagte an seiner Tüchtigkeit, Verläßlichkeit und an seinem ärztlichen Wissen und Können irgendeinen Zweifel hegen konnte. Das Berufungsgericht hat diese Feststellungen übernommen und die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes gebilligt, daß das Versagen des Dr. Karl D. bei der Behandlung der Klägerin einen Sonderfall, nämlich die erste in Erscheinung getretene Untüchtigkeit des Dr. Karl D. darstellt und daher den Tatbestand des § 1315 ABGB. nicht erfüllt.

Der Begründung des Erstgerichtes in diesem Punkt ist entgegenzuhalten, daß die Haftung für den Schaden, den ein untüchtiger Besorgungsgehilfe zufügt, nicht ein Verschulden des Haftenden zur Voraussetzung hat (vgl. Wolff in Klang, II. Aufl., zu § 1315 ABGB. S. 95 und die dort in Anmerkung 8 angeführten Entscheidungen). Es kann daher nicht darauf ankommen, ob die Klägerin an der Tüchtigkeit und Verläßlichkeit sowie an dem ärztlichen Wissen und Können des Dr. Karl D. irgendeinen Zweifel hegen konnte. Die Frage, ob Dr. Karl D. tatsächlich untüchtig ist, müßte - wenn die Bestimmungen des § 1315 ABGB. überhaupt zur Anwendung kämen - nach den Umständen des Falles entschieden werden und wäre bei grober Fahrlässigkeit grundsätzlich auch bei einem einmaligen Versehen zu bejahen, wenn aus diesem Versehen auf einen habituellen Zustand der Untüchtigkeit geschlossen werden könnte.

Im gegebenen Fall ist diese Untersuchung jedoch entbehrlich, weil, wie schon oben zur Frage der Haftung nach § 1313 a ABGB. dargelegt worden ist, der Urlaubsvertreter des Arztes in der ärztlichen Behandlung der Patienten nicht Gehilfe des auf Urlaub weilenden Kollegen ist. Bei Erledigung der administrativen Agenden möge der Urlaubsvertreter als Gehilfe des Arztes angesehen werden. Soweit es sich jedoch um die ärztliche Beratung oder Behandlung der Patienten handelt, hat auch der Urlaubsvertreter seinen Beruf persönlich und unmittelbar auszuüben, seine rein ärztliche Tätigkeit ist daher jener eines Substituten gleichzuhalten, so daß der Arzt in analoger Anwendung der Bestimmungen des § 1010 ABGB. nur dann für den Erfolg haftet, wenn er das Geschäft ohne Not einem Dritten aufträgt, im übrigen aber nur ein bei der Auswahl des Substituten begangenes Verschulden zu verantworten hat.

Von einem der unnötigen Substitution gleichzuhaltenden Sachverhalt kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn die Bestellung eines Urlaubsvertreters im Einzelvertrag mit der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse ausdrücklich vorgesehen ist. Daß ein Verschulden bei der Auswahl des Urlaubsvertreters nicht unterlaufen ist, wurde bereits oben bei Erörterung der Haftung nach § 1313a ABGB. dargestellt.

Anmerkung

Z27006

Schlagworte

Arzt, Haftung für Urlaubsvertreter, Auswahlverschulden Urlaubsvertreter, Haftung für Urlaubsvertreter, Arzt, Praktischer Arzt, Haftung für Urlaubsvertreter, Schadenersatz Haftung des Arztes für Urlaubsvertreter, Urlaubsvertreter, Haftung des Arztes für -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1954:0020OB00805.53.0113.000

Dokumentnummer

JJT_19540113_OGH0002_0020OB00805_5300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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