TE OGH 1954/4/23 2Ob247/54

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.1954
beobachten
merken

Norm

ABGB §1295
Kraftfahrverordnung §98 Abs1
Kraftfahrverordnung §99 Abs4
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §14

Kopf

SZ 27/109

Spruch

Keine Verpflichtung des Fahrers eines parkenden Kraftfahrzeuges, alle in Betracht kommenden Einrichtungen des Wagens daraufhin zu prüfen, ob nicht während seiner Abwesenheit boshafte Beschädigungen, die erst nach grundlicher Untersuchung zu entdecken sind, vorgenommen wurden.

Entscheidung vom 23. April 1954, 2 Ob 247/54.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 17. August 1951 unternahmen Gendarmerieschüler mit mehreren Mannschaftskraftwagen einen Lehrausflug in die X-Molkerei. Während der Besichtigung der Molkerei wurden die Kraftwagen im Hofe der X-Molkerei abgestellt. Der Erstbeklagte begab sich in die Kantine der X-Molkerei und ließ das seiner Aufsicht und Lenkung anvertraute Fahrzeug durch zwei Stunden unbeaufsichtigt stehen. Auf der Rückfahrt löste sich von dem vom Erstbeklagten gelenkten Kraftwagen das linke hintere Zwillingsrad, rollte über die Fahrbahn und den Gehsteig und traf die dort befindliche Klägerin. Die Klägerin wurde durch den Anprall des Rades zu Boden geworfen und schwer verletzt. Sie begehrt von dem Erstbeklagten und der Republik Österreich die Bezahlung eines Schmerzensgeldes im Betrage von 6000 S. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der gegenständliche Kraftwagen sei beim Fahrzeugappell am Tage des Unfalls eingehend besichtigt worden, wobei auch die Radmuttern überprüft worden seien. Es sei mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß die Radmuttern im Hofe der X-Molkerei während der Abwesenheit des Erstbeklagten von dem Kraftwagen von dritter Seite bis auf eine entfernt worden seien. Eine allgemeine Weisung, wonach Gendarmeriefahrer außerhalb des Kasernenbereiches abgestellte Fahrzeuge nicht verlassen dürften, bestehe nicht. Es könne auch nicht festgestellt werden, ob dem Erstbeklagten eine Belehrung erteilt worden sei, Fahrzeuge an frei zugänglichen Stellen nicht zu verlassen. Dem Erstbeklagten könne nicht zur Last gelegt werden, daß er vor Antritt der Fahrt nicht überprüft habe, ob die Radmuttern gelockert worden seien. Er habe vor der Abfahrt aus dem Hofe der X-Molkerei die Reifen überprüft und es sei ihm nichts Besonderes an den Rädern aufgefallen. Auch während der Rückfahrt habe er das Fehlen der Radmuttern oder deren lockeren Sitz nicht bemerkt. Der Unfall sei von ihm nicht zu vermeiden gewesen.

Das Berufungsgericht stellte mit Zwischenurteil fest, daß das Begehren der klagenden Partei, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, ihr auf Grund des Unfalles vom 17. August 1951 Schmerzensgeld zu bezahlen, dem Gründe nach zu Recht bestehe. Nach den vom Erstgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen bleibe als Erklärung für den Unfall nur die Annahme eines Sabotageaktes übrig, der während der Abstellung des Wagens im Hofe der X-Molkerei verübt worden sei. Dem Erstbeklagten sei zum Verschulden anzurechnen, daß er sich während der Führung der Gendarmerieschüler durch die X-Molkerei von dem abgestellten Wagen entfernt habe, ohne daß wenigstens eine abwechselnde Beaufsichtigung des Gendarmeriewagens durch einen der Fahrer eingerichtet worden sei. Es sei davon auszugehen, daß Wagen der Exekutive stets einer gewissen Sabotagegefahr ausgesetzt seien. Damit stimme auch überein, daß Kraftfahrer der Gendarmerie gelegentlich von Belehrungen angewiesen würden, Fahrzeuge nicht unbeaufsichtigt an frei zugänglichen Stellen stehen zu lassen. Ob dem Erstbeklagten tatsächlich eine derartige Belehrung erteilt worden sei, sei unerheblich, ebenso, ob am Unfallstag von dem die Exkursion leitenden Offizier ein besonderer Befehl ergangen sei, daß die Kraftwagenlenker bei den Wagen zu bleiben hätten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien Folge und stellte in Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes das erstrichterliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsrüge ist begrundet. Aus dem Verlassen des Fahrzeuges allein erwachsen noch keine Gefahren, wohl aber kann dies der Fall sein, wenn die Trennung ein gewisses Maß überschreitet, sodaß der Führer Gefahren vorbeugend nicht mehr eingreifen kann. Ob das der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. Nach § 99 Abs. 4 KFV. in der Fassung der Kraftfahrrechtsüberleitungs-Verordnung vom 27. März 1947, BGBl. Nr. 61, hat der Führer, bevor er sich von seinem Fahrzeug entfernt, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Unfälle zu vermeiden. Er hat insbesondere zur Verhinderung der unbefugten Inbetriebsetzung des Fahrzeuges die üblicherweise hiefür bestimmten Vorrichtungen am Fahrzeug in Wirksamkeit zu setzen. Vor Antritt der Fahrt hat er gemäß § 98 Abs. 1 der genannten Kraftfahrverordnung zu sorgen, daß der Zustand des Fahrzeuges den Anforderungen der Kraftfahrverordnung entspricht. Eine ähnliche Vorschrift enthält § 14 Abs. 1 des Kraftfahrgesetzes. Diese Verpflichtungen gehen aber nicht so weit, daß der Führer verhalten wäre, sämtliche in Betracht kommenden Einrichtungen eines Kraftfahrzeuges daraufhin zu prüfen, ob nicht während seiner Abwesenheit boshafte Beschädigungen, die oft erst nach grundlicher Untersuchung zu entdecken sind, vorgenommen wurden. Da die Kraftwagen im Hofe der X-Molkerei abgestellt worden waren, brauchten die Kraftwagenlenker von vornherein nicht zu besorgen, daß boshafte Beschädigungen von dritter Seite erfolgen könnten. Eine derartige Sabotagegefahr mag bei militärischen Anlagen oder Fahrzeugen oder allgemein im Kriegsfalle zu besorgen sein, nicht aber unter den Umständen, unter denen die Besichtigung der Molkerei vorgenommen wurde. Die Urteile der Unterinstanzen enthalten keinerlei Feststellungen, daß Mannschaftswagen der Gendarmerie in den letzten Jahren in wiederholten Fällen boshaft beschädigt wurden. Der von dem Berufungsgericht als erwiesen angenommene Sabotageakt stellt einen Einzelfall dar, der von dem Erstbeklagten nicht vorauszusehen war. Da dem Erstbeklagten trotz vorschriftsmäßiger Prüfung vor Antritt die Entfernung der Radmuttern nicht aufgefallen ist, kann ihm ein Verschulden an dem Unfall nicht zur Last gelegt werden. Das auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützte Begehren auf Bezahlung des Schmerzensgeldes erweist sich daher gegen beide beklagte Parteien als unbegrundet.

Anmerkung

Z27109

Schlagworte

Auto Sabotageakt an parkendem -, Kraftfahrzeug parkendes -, Sorgfaltspflicht bei Inbetriebsetzung, Lenker, Sorgfaltspflicht, Parkendes Kraftfahrzeug, Sorgfaltspflicht bei Inbetriebsetzung, Prüfungspflicht des Lenkers, Sorgfaltspflicht, des Fahrers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1954:0020OB00247.54.0423.000

Dokumentnummer

JJT_19540423_OGH0002_0020OB00247_5400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten