TE OGH 1954/9/1 3Ob569/54

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Veröffentlicht am 01.09.1954
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Norm

ABGB §971
ABGB §974
ABGB §1090
ABGB §1120

Kopf

SZ 27/216

Spruch

§ 1120 ABGB. gilt nicht für den Erwerb eines Hauses, in dem jemand auf Grund einer Wohnungsleihe wohnt oder in dem jemand auf Grund eines Dienstverhältnisses eine Natural- oder eine Dienstwohnung benützt.

Entscheidung vom 1. September 1954, 3 Ob 569/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Scheibbs; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Die Kläger haben am 18. August 1952 das Haus Nr. 8 von Josef G., Besitzer der Papierfabrik N., gekauft. In diesem Hause bewohnen die Beklagten seit mehr als zehn Jahren eine aus Zimmer, Küche und Nebenräumen bestehende Wohnung; sie haben außerdem einen Schweine- und Ziegenstall und eine Holzhütte im Garten.

Die Kläger stellen das Begehren, die Beklagten zur Räumung der Wohnung zu verurteilen, da diese keinen Rechtstitel zur Benützung hätten. Die Beklagten bestreiten dieses Vorbringen, der Voreigentümer habe mit ihnen einen Mietvertrag geschlossen, sie hätten Miete und Rauchfangkehrergebühren bezahlt.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren Folge. Es nahm auf Grund der Aussagen von Zeugen als erwiesen an, daß die Beklagten die Wohnung unentgeltlich gegen jederzeitigen Widerruf zugebilligt erhalten hätten, daß also ein Prekarium vorläge.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien gegen das Ersturteil Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens. Das Berufungsgericht stellte in Übereinstimmung mit dem Erstgericht fest, daß von den Beklagten für die Wohnung kein Zins bezahlt worden sei; es vertrat zutreffend die Auffassung, daß die Bezahlung von Gebühren an der Unentgeltlichkeit der Wohnungsbenützung nichts ändere und daher, selbst wenn die Beklagten Rauchfangkehrergebühren bezahlt hätten oder für solche im Wege des Lohnabzuges aufgekommen wären, kein Mietvertrag vorliege. Auf Grund anderer Würdigung eines im Rechtshilfeweg vom Erstgericht vernommenen Zeugen kam das Berufungsgericht zu der rechtlichen Beurteilung, daß kein Mietvertrag abgeschlossen worden sei, aber auch kein Prekarium vorliege; das Berufungsgericht nahm an, daß die Beklagten die Wohnung auf Grund eines Leihvertrages innehätten. Die Leihe sei mindestens für so lange vereinbart worden, als das Dienstverhältnis des Erstbeklagten zur N. Papierfabrik bestehe. Da das Dienstverhältnis noch nicht beendet sei, sei auch die Wohnungsleihe noch nicht beendet.

Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile beider Vorinstanzen auf und wies an das Prozeßgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den vom Berufungsgericht vorgenommenen Feststellungen, die allerdings von der Revision wegen Aktenwidrigkeit, richtig wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, angefochten werden, ist die rechtliche Beurteilung der Rechtssache durch das Berufungsgericht insofern zu billigen, als das Berufungsgericht angenommen hat, daß kein Mietvertrag, aber auch kein Prekarium vorliege. Für die Miete fehlt es an der Entgeltlichkeit, für ein Prekarium an der jederzeitigen Widerruflichkeit. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 363/52 Heller - Radl, MietSlg. Band IV zweiter Teil Nr. 25 ausgesprochen hat, setzt ein Prekarium voraus, daß nach dem Willen beider Teile dem Benützer keinerlei Rechte zustehen sollen. Wenn die Dauer der Benützung von einem zukünftigen Ereignis abhängt (im vorliegenden Fall von der Beendigung des Dienstverhältnisses), kann nicht davon gesprochen werden, daß weder die Dauer noch die Absicht des Gebrauches der übergebenen Sache bestimmt war (§ 974 ABGB.).

Ob die Annahme einer Wohnungsleihe zutrifft, oder ob nicht vielmehr die unentgeltliche Überlassung einer Naturalwohnung in Frage kommt, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn eine Dienstwohnung anzunehmen wäre, bei der das Entgelt einen Teil der Entlohnung aus dem Dienstverhältnis bildet, läge jedenfalls keine dem Mietengesetz unterliegende Wohnungsbenützung vor (vgl. 1 Ob 818/28, JBl. 1929, S. 125).

Dem Berufungsgericht kann aber nicht zu den rechtlichen Schlüssen gefolgt werden, die es aus der Annahme einer Wohnungsleihe zieht. Ein Leihvertrag erzeugt rein obligatorische Beziehungen zwischen den Vertragsteilen und ihren Rechtsnachfolgern. Daraus, daß durch den Tod des Verleihers die Dauer der Leihe und das Gebrauchsrecht des Entlehners nicht berührt werden, können keine Folgerungen im Sinne des Berufungsgerichtes gezogen werden, weil obligatorische Verhältnisse eben auf den Universalsukzessor übergehen.

Die Vorschrift des § 1120 ABGB., daß bei einem Eigentumswechsel der Bestandnehmer nur nach gehöriger Aufkündigung dem neuen Eigentümer weichen muß, stellt sich als eine Abschwächung des das österreichische Mietrecht eigentlich beherrschenden Grundsatzes, "Kauf bricht Miete", dar. Dieser Grundsatz wird allerdings im österreichischen Recht nicht voll zur Geltung gebracht, es ist nicht einfach normiert, daß der Bestandnehmer das Bestandobjekt auf Verlangen des neuen Eigentümers zu räumen hat, sondern es tritt der neue Eigentümer doch insoweit in das Mietverhältnis ein, als er nur nach Kündigung, allerdings bloß bei Einhaltung der gesetzlichen - nicht der vertragsmäßigen - Kündigungsfrist das Bestandverhältnis auflösen kann. Um in das Bestandverhältnis aber im eigentlichen Sinn des Wortes einzutreten, ist eine Vereinbarung zwischen Veräußerer, Erwerber und Bestandnehmer erforderlich. Für den Erwerb eines Hauses, in dem jemand auf Grund einer Wohnungsleihe wohnt, oder in dem jemand auf Grund eines Dienstverhältnisses eine Natural- oder eine Dienstwohnung benutzt, besteht aber kein dem § 1120 ABGB. entsprechender Rechtssatz. Es ist übrigens auch in Rechtssystemen, die sich zu dem Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" bekennen, anerkannt, daß dieser Grundsatz auf die Wohnungsleihe keine Anwendung findet (vgl. Entscheidung des deutschen Reichsgerichtes, Leipziger Zeitung 21/413).

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß schon durch den bloßen Erwerb des Hauses die Kläger in die Verpflichtungen des Voreigentümers aus der vom Berufungsgericht angenommenen Wohnungsleihe eingetreten seien. Diese Auffassung ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes rechtsirrig. Es kommt vielmehr darauf an, ob beim Erwerb des Hauses Vereinbarungen über eine Übernahme der Verpflichtungen des Voreigentümers gegenüber den Beklagten, sei es aus einem Leihvertrag (Wohnungsleihe), sei es aus dem Dienstverhältnis (Natural- oder Dienstwohnung) getroffen worden sind.

Das Erstgericht hat sich, da es der Ansicht war, daß das Benützungsverhältnis nur prekaristisch wäre, mit dieser Frage nicht befaßt. Ebensowenig das Berufungsgericht, das sich damit begnügt hat, nebenbei zu erwähnen, daß die Kläger im Kaufvertrag ausdrücklich auf das Vorliegen von Mietrechten aufmerksam gemacht worden seien, ohne aber die entscheidende Feststellung aus dem Kaufvertrag zu treffen.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes haftet daher dem Berufungsurteil ein Feststellungsmangel an, der zur Aufhebung des Berufungsurteiles und gemäß § 510 Abs. 2 ZPO. auch zur Aufhebung des Ersturteiles führen mußte.

Anmerkung

Z27216

Schlagworte

Dienstwohnung, Hausverkauf, Erwerb, eines Hauses, Wohnungsleihe, Naturalwohnung, Hausverkauf, Wohnungsleihe, Übernahme einer -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1954:0030OB00569.54.0901.000

Dokumentnummer

JJT_19540901_OGH0002_0030OB00569_5400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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