TE OGH 1954/10/27 2Ob737/54

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Veröffentlicht am 27.10.1954
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Norm

ABGB §1320

Kopf

SZ 27/267

Spruch

Sturz eines Motorradfahrers durch einen über den Weg laufenden Hund. Haftung des Tierhalters für den Hund, der neben seinem Traktor mitläuft, auch bei Gutmütigkeit.

Entscheidung vom 27. Oktober 1954, 2 Ob 737/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Enns; II. Instanz: Kreisgericht Steyr.

Text

Nach den Behauptungen der Klage ist dem Kläger, als er am 8. Dezember 1952 mit seinem Motorrad einem Traktor vorfuhr, der dem Gatten der Beklagten gehörige und in deren Verwahrung befindliche Hund plötzlich vor sein Motorrad gelaufen, so daß er zum Sturz kam.

Das Erstgericht hat dem auf Schadenersatz gerichteten Klagebegehren stattgegeben. Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Haftung nach § 1320 ABGB. ist grundsätzlich Verschuldens- und nicht Erfolgshaftung (vgl. SZ. XII/268, SZ. XXIII/325, E. v. 25. Oktober 1950, 1 Ob 543/50, vom 13. Jänner 1954, 3 Ob 806/53 u. a.).

Die Haftung tritt dann ein, wenn der Tierhalter (§ 1320 zweiter Satz) oder derjenige, dem zur Zeit des schädigenden Ereignisses die Verwahrungspflicht trifft (§ 1320 erster Satz) die nach den ihm bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrsauffassung von ihm vernünftigerweise zu erwartende Verwahrungspflicht vernachlässigt hat und infolgedessen durch das Tier unmittelbar oder mittelbar ein Schaden angerichtet wurde (vgl. E. vom 13. Jänner 1954, 3 Ob 806/53). Die Umkehrung der Beweislast gilt allerdings gemäß § 1320 zweiter Satz nur für den Tierhalter selbst.

Die Unterlassung der nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen ergibt also ein Verschulden der für die Verwahrung und Beaufsichtigung verantwortlichen Person (vgl. die in der Manzschen Ausgabe des ABGB. von Kapfer 1951 zu § 1320 unter Nr. 2 b zitierte Entscheidung).

Wenn der Hund der Beklagten tagsüber von ihrem Gatten zur Verwahrung und Betreuung anvertraut war (siehe Feststellung Nr. 3 des Erstrichters), so ist die Haftung der Beklagten gemäß § 1320 erster Satz ABGB. gegeben. Denn jedem, der tatsächlich die Aufsicht über das Tier hat, obliegt die Verwahrungspflicht (vgl. SZ. XI/36 und Klangs Kommentar zum ABGB. 2. Auflage, S. 110/111 zu § 1320).

Nun hat das Berufungsgericht auf Grund des Gutachtens des von ihm vernommenen Sachverständigen festgestellt (Punkt d seiner angeführten Feststellungen), daß es auf der freien Straße, auf der sich der Unfall ereignet hat, keinerlei besondere Vorschriften für Hunde, insbesondere keinen Leinenzwang gibt, so daß sich ein Kraftfahrer selbst vor einem auf der Straße befindlichen Hunde hüten müsse.

Hier handelt es sich aber um keine tatsächliche Feststellung, sondern um eine Rechtsfrage, deren Lösung auch nicht einem Sachverständigen überlassen werden kann, sondern die vom Gerichte selbst zu lösen ist.

Wenn das Berufungsgericht daraus, daß es auf freier Straße keinerlei besondere Vorschriften für Hunde, insbesondere keinen Leinenzwang gibt, die rechtliche Schlußfolgerung zieht, daß sich ein Kraftfahrer daher selbst vor einem auf der Straße befindlichen Hunde hüten müsse, so kann dieser Rechtsmeinung vom Obersten Gerichtshof nicht beigetreten werden.

Sicherlich hat der Kraftfahrer selbst so wie auf jedes andere auf der Straße auftauchende Hindernis auch auf einen Hund zu achten. Wenn er dies nicht tut, kann darin allenfalls ein Mitverschulden seinerseits am Unfall liegen.

Aber deshalb, weil es auf freier Straße keine besonderen Vorschriften für Hunde und insbesondere keinen Leinenzwang gibt, ist derjenige, dem die Verwahrung oder Beaufsichtigung des Hundes anvertraut ist, noch keineswegs berechtigt, sich um den Hund überhaupt nicht zu kümmern.

Welche Verwahrung bzw. Beaufsichtigung im einzelnen Falle erforderlich ist, hängt von den Umständen ab; keineswegs ist aber Voraussetzung der Haftung, daß eine behördliche Vorschrift über die Verwahrung des betreffenden Tieres besteht (vgl. Klangs Kommentar zum ABGB. 2. Auflage zu § 1320, S. 113/114 und die dort zitierte Entscheidung vom 15. Dezember 1909, GlUNF. 4835).

Die Beklagte mußte nach den jedermann und daher auch ihr erkennbaren Eigenschaften eines Hundes damit rechnen, daß dieser Hund, zumal er an einem Ohrwurm leidet, einen von rückwärts kommenden Motorradfahrer nicht bemerken und ihm daher in die Quere kommen könnte. Schon die Möglichkeit des Zusammenstoßes des Tieres mit einem Verkehrsteilnehmer verpflichtet zu entsprechender Beaufsichtigung (SZ. XX/198).

Es wäre daher, wie das Erstgericht zutreffend unter Hinweis auf die bereits genannte Entscheidung SZ. XX/198 ausführt, Sache der Beklagten gewesen, angesichts des herannahenden Motorradfahrers auf den Hund rechtzeitig entsprechend aufzupassen. Wenn die Beklagte hiezu anführt, es wäre zwecklos gewesen, den Hund anzurufen oder anzupfeifen, weil er dadurch noch eher vorgelaufen wäre und erst recht eine Gefahrensituation geschaffen worden wäre, so schlägt dies nicht durch. Denn wenn die Beklagte den Hund entsprechend in der Hand hat, so hätte sie ihn durch rechtzeitigen Anruf oder Pfiff so dirigieren können müssen, daß eine Gefährdung des Motorradfahrers vermieden worden wäre. Wenn sie den Hund aber nicht entsprechend in der Hand hatte, so war sie überhaupt nicht geeignet, ihn zu beaufsichtigen, was aber von ihr zu verantworten ist.

Wenn der Tierhalter bzw. derjenige, dem die Verwahrungspflicht obliegt, als Fußgänger für den mitlaufenden Hund nach § 1320 ABGB. haftet, so haftet er auch, wenn er sich auf einem Fahrzeug befindet und sich in eine solche Situation begibt, daß er die Möglichkeit verliert, die Beaufsichtigung des Tieres auszuüben. Es ist Sache der für den Hund verantwortlichen Person, die Schnelligkeit und die anderen Umstände, unter denen sich das Fahrzeug bewegt, auf dem er sich befindet, so einzurichten, daß er die Aufsicht über das Tier nicht aufzugeben braucht. Das Fahren muß dann so durchgeführt werden, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Eine Bösartigkeit des Tieres ist nicht Voraussetzung der Haftung nach § 1320 ABGB., weil diese Gesetzesstelle auf die Eigenschaften des Tieres nicht Bedacht nimmt (SZ. VII/27).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann also aus den angeführten Gründen eine Haftung der beklagten Partei gemäß § 1320 erster Satz ABGB. nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen werden, weil der Hund gutmütig war, weil der Kläger ihn beim Überholen des Traktors sehen konnte und weil keine besonderen Vorschriften für die Beaufsichtigung des Hundes auf freier Straße bestehen.

Anmerkung

Z27267

Schlagworte

Hund verursacht Verkehrsunfall, Straßenverkehr, freilaufende Hunde, Tierschaden Verkehrsunfall, Unfall durch Hund, Verkehrsunfall Tierschaden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1954:0020OB00737.54.1027.000

Dokumentnummer

JJT_19541027_OGH0002_0020OB00737_5400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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