TE OGH 1955/5/11 3Ob217/55

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Veröffentlicht am 11.05.1955
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Norm

EO §300 Abs2
Gerichtliches Einbringungsgesetz 1948 §5
Gerichtliches Einbringungsgesetz 1948 §10
Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz §631

Kopf

SZ 28/129

Spruch

Zeitpunkt des Entstehens des Zurückbehaltungsrechtes des Bundes nach § 5 GEG. 1948.

Entscheidung vom 11. Mai 1955, 3 Ob 217/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Sava F. wurde am 23. September 1953 wegen Verdachtes eines Verbrechens durch Organe der Sicherheitspolizei verhaftet. Bei einer Personsdurchsuchung wurden bei ihm u. a. 10.000 S Bargeld gefunden und in amtliche Verwahrung genommen. Am 26. September 1953 wurde gegen ihn die gerichtliche Untersuchungshaft verhängt. Er blieb jedoch bei der Sicherheitspolizei in Haft. Ebenso blieben dort die in Verwahrung genommenen Gegenstände. Am 18. Oktober 1953 erwirkte die Klägerin auf Grund eines Wechselzahlungsauftrages die Exekution zur Sicherstellung durch Pfändung der dem Verpflichteten Sava F. gegen die Drittschuldner Bundespolizeidirektion Wien und Landesgericht für Strafsachen Wien zustehenden Forderung von 20.000 S mehr oder weniger. Der Bewilligungsbeschluß wurde dem Landesgericht für Strafsachen Wien am 20. Oktober 1953, der Bundespolizeidirektion Wien am 21. Oktober 1953 zugestellt. Am 26. Oktober 1953 wurde der Betrag unter Hinweis auf die zugestellte Exekutionsbewilligung dem Landesgericht für Strafsachen übergeben. Nach Rechtskraft des Wechselzahlungsauftrages wurde der Klägerin die Überweisung der Forderung bewilligt, welcher Beschluß dem Landesgericht für Strafsachen Wien am 9. November 1953 zugestellt wurde.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin diese Forderung als Überweisungsgläubigerin geltend.

Die Beklagte wendete Unzulässigkeit des Rechtsweges ein und machte das Zurückbehaltungsrecht des Bundes nach §§ 5 und 10 GEG. 1948 zugunsten der Strafkosten geltend. Es wurde auch die Fälligkeit bestritten.

Das Erstgericht wies die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück und gab dem Klagebegehren statt. Es handle sich um keine Beschlagnahme der 10.000 S nach §§ 98, 143 StPO., sondern um die bloße Verwahrung in Erfüllung der jedem Depositar obliegenden Obsorgepflicht. Der Rückforderungsanspruch des Beschuldigten fließe aus seinem Eigentumsrecht. Dieses Recht werde hier geltend gemacht. Hiefür sei der Zivilrechtsweg gegeben. Nach § 300 Abs. 2 EO. richte sich die Rangordnung der Pfandrechte bei Forderungen an das Ärar nach dem Zeitpunkte, in welchem die zugunsten der einzelnen Gläubiger erlassenen Zahlungsverbote an die Behörde gelangt sind, welche zur Anweisung der betreffenden Zahlung berufen ist. Am 21. Oktober 1953 habe sich der Geldbetrag noch in Verwahrung der Bundespolizeidirektion Wien befunden. Damals sei dem Bund noch kein Zurückbehaltungsrecht nach § 5 GEG. 1948 zugestanden. Erst am 26. Oktober 1953 sei dieser Betrag in gerichtliche Verwahrung genommen worden. Die Beklagte habe weder die Anzeige wegen Unzulässigkeit der Exekution an das Gericht erstattet noch das Zahlungsverbot mit Rekurs angefochten. Die Klägerin sei daher berechtigt, ihren Anspruch gerichtlich geltend zu machen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Zurückweisung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, änderte jedoch das Urteil dahin ab, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde. Der Barbetrag sei nicht beschlagnahmt, sondern in amtliche Verwahrung genommen worden. Der Herausgabeanspruch könne daher im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden. Da am 26. September 1953 bereits die Untersuchungshaft über Sava F. verhängt worden war, habe von diesem Tage an das Gericht bereits das alleinige Verfügungsrecht über die in amtliche Verwahrung genommenen Sachen des Häftlings gehabt und damit auch die Obsorgepflicht. Daß es sich hiezu der Sicherheitspolizei bedient habe, ändere hieran nichts. Das Zurückbehaltungsrecht des Bundes gehe daher dem Pfandrechte der Klägerin voraus.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Entscheidend ist, in welchem Zeitpunkt das Zurückbehaltungsrecht des Bundes nach § 5 GEG. 1948 entstanden ist. Diese Gesetzesstelle gibt dem Bunde ein Zurückbehaltungsrecht an den in gerichtliche Verwahrung genommenen Gegenständen. Das Gericht muß also die Sachen in Verwahrung nehmen. Das setzt eine positive Tätigkeit des Gerichtes voraus. Schon daraus folgt, daß die bloße Änderung der Verfügungsmacht über den Häftling allein noch nicht die Herstellung der gerichtlichen Verwahrung der Sachen des Häftlings bewirken kann. Dazu kommt, daß die Annahme des Berufungsgerichtes, über die Verwahrnisse des Häftlings könnten nur mit Zustimmung des Untersuchungsrichters Verfügungen getroffen werden, unrichtig ist. Gemäß § 631 Geo. kann der Untersuchungsrichter lediglich die Verfügung treffen, daß einzelne Gegenstände, wie Beweisgegenstände, in gerichtliche Verwahrung zu nehmen sind, oder er kann bei Wertsachen und Bargeld verfügen, daß sie ohne Bewilligung des Gerichtes nicht ausgefolgt werden dürfen. Soweit eine derartige Verfügung des Untersuchungsrichters nicht vorliegt, kann der Häftling auch über seine Depositen (im Rahmen der Hausordnung) verfügen. Nach § 632 Geo. ist der Häftling z. B. bei verderblichen Sachen sogar zu einer Verfügung aufzufordern.

Das Gericht nimmt die Sachen des Häftlings nach der Vorschrift des § 631 Geo. in Verwahrung. Es wird nicht zu bestreiten sein, daß auch auf andere Art Sachen in gerichtliche Verwahrung genommen werden können. So wird der Untersuchungsrichter berechtigt sein, bereits der Sicherheitsbehörde den Auftrag zu erteilen, Sachen, deren Wert eine besondere Vorsicht nötig macht, auf Kosten und Gefahr des Gefangenen bei einem Unternehmen, das sich mit der Verwahrung fremder Wertgegenstände befaßt, zu hinterlegen (§ 632 Abs. 4 Geo.). Aber auch in einem solchen Falle wäre die gerichtliche Verwahrung nicht bereits durch die Verfügung des Untersuchungsrichters hergestellt, sondern erst bei Einlangen der Sachen beim bestellten Verwahrer. Solange aber die Sachen nicht in unmittelbare oder mittelbare Gewahrsame des Gerichtes gelangt sind, sind sie auch nicht in gerichtliche Verwahrung genommen worden.

Würde z. B. ein Häftling rechtzeitig von der Polizei an das Gericht überstellt und über diesen dort unter Verbleib im gerichtlichen Gefängnis die Untersuchungshaft verhängt, seine Depositen aber durch ein Versehen der Behörde bei der Polizei zurückgeblieben sein, so wären auch diese Depositen noch nicht in gerichtliche Verwahrung genommen worden. Dies wäre erst dann der Fall, wenn sie tatsächlich dem Gerichte übergeben worden wären. Im vorliegenden Falle wurde der Pfändungsbeschluß der Polizeidirektion Wien am 21. Oktober 1953 zugestellt. An diesem Tage befand sich der Barbetrag von 10.000 S nach obigen Ausführungen noch nicht in gerichtlicher Verwahrung, sondern in Verwahrung der Polizei. Ein Zurückbehaltungsrecht des Bundes nach § 5 GEG. war in diesem Zeitpunkte noch nicht entstanden, weshalb der Herausgabeanspruch des Häftlings wirksam gepfändet werden konnte, ohne daß dem Pfandrecht ein Zurückbehaltungsrecht des Bundes voranginge. Die Beklagte ist daher als Drittschuldnerin zur Zahlung verpflichtet, unbeschadet des Umstandes, daß der Betrag unter Hinweis auf die erfolgte Pfändung späterhin in gerichtliche Verwahrung gegeben wurde (§ 5 der V. vom 24. Oktober 1897, RGBl. Nr. 250).

Dies stimmt auch mit der vom Erstgerichte zitierten Vorschrift des § 300 Abs. 2 EO. überein, wonach sich der Rang des Pfandrechtes nach dem Tage der Zustellung des Zahlungsverbotes an die Behörde richtet, welche zur Anweisung der betreffenden Zahlung berufen ist. Da eine Verfügung des Untersuchungsrichters, daß der Betrag nicht ohne besondere Anordnung ausbezahlt werden darf, nicht vorlag, war die Polizei jedenfalls jene Behörde, welche zur Anweisung der betreffenden Zahlung berufen war. Es richtet sich daher entsprechend dieser gesetzlichen Bestimmung der Rang des Pfandrechtes der Klägerin nach dem Tage der Zustellung des Zahlungsverbotes an die Bundespolizeidirektion Wien.

Aus diesen Gründen war das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Anmerkung

Z28129

Schlagworte

Entstehung des Zurückbehaltungsrechtes nach § 5 GEG., Retentionsrecht nach § 5 GEG., Entstehen, Zeitpunkt des Entstehens des Zurückbehaltungsrechtes nach § 5 GEG., Zurückbehaltungsrecht nach § 5 GEG., Entstehen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0030OB00217.55.0511.000

Dokumentnummer

JJT_19550511_OGH0002_0030OB00217_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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