TE OGH 1955/9/7 2Ob398/55

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Veröffentlicht am 07.09.1955
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Norm

ABGB §1295
ABGB §1304

Kopf

SZ 28/197

Spruch

Zum Begriff des Selbstverschuldens. Erfordernis der Rechtswidrigkeit?

Entscheidung vom 7. September 1955, 2 Ob 398/55.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Am 24. Oktober 1953 wurde der Kläger auf dem Weg von N. nach A. auf der Salzachtal-Bundesstraße von dem ihn überholenden Personenkraftwagen des Beklagten gestreift und schwer verletzt. Nach den vorliegenden Feststellungen ging der Kläger damals auf dem äußersten rechten Rand der Fahrbahn neben seiner Gattin, die einen zirka 60 cm breiten Rasenstreifen neben der Fahrbahn zum Gehen benützte.

Das Erstgericht hat dem Kläger als Schadenersatz einen Betrag von 24.743 S 35 g zugesprochen, davon 20.000 S an Schmerzengeld.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und setzte das Schmerzengeld herab.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde von beiden Teilen mit Revision angefochten.

Der Oberste Gerichthof gab keiner der beiden Revisionen Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Beide Vorinstanzen haben es abgelehnt, dem Kläger ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. anzulasten. Das Erstgericht ging dabei von der Auffassung aus, daß auch zu einem Mitverschulden Widerrechtlichkeit erforderlich sei, diese aber hier mangle, weil Fußgängern nur bei Vorhandensein eines Gehweges (Banketts) die Benützung der Fahrbahn in ihrer Längsrichtung untersagt sei. Nach Ansicht des Erstgerichtes könne aber der neben der Fahrbahn der Salzachtal-Bundesstraße rechts und links verlaufende Grasstreifen nicht als Gehweg (Bankett) im Sinne des § 75 StPolO. gelten. Das Berufungsgericht hat, ohne zur Frage des Zusammenhanges von Mitverschulden und Widerrechtlichkeit Stellung zu nehmen, nur bemerkt, daß ein Mitverschulden nur darin erblickt werden könnte, daß etwa der Kläger und seine Frau auf der Fahrbahn nebeneinander gegangen wären, nicht aber darin, daß der Kläger allein den rechten Rand der Fahrbahn benützt hat.

Der Oberste Gerichtshof vermag die Auffassung des Erstgerichtes über das Erfordernis einer Rechtswidrigkeit für die Annahme eines Mitverschuldens nicht zu teilen. Der Begriff des Verschuldens des Geschädigten bereitet allerdings eine gewisse Denkschwierigkeit, denn Verschulden setzt einen Eingriff in eine fremde Rechtssphäre und damit Widerrechtlichkeit voraus. Von jemandem der sich selbst Schaden zufügt, kann aber nicht behauptet werden, daß er rechtswidrig handle. Gleichwohl spricht § 1304 ABGB. von einem Verschulden von Seiten des Geschädigten, das bei der Schädigung eintritt. Die Schädigung der eigenen Person und des eigenen Vermögens kann zwar an sich nicht schuldhaft sein, weil sie keine fremde Rechtssphäre berührt. Sobald aber der Geschädigte von einem Dritten Schadenersatz fordert, berührt die Schädigung der eigenen Person oder des eigenen Vermögens die Rechtssphäre des Dritten. Die Eigenschädigung hört dann auf, bloß eine Angelegenheit des Geschädigten selbst zu sein. Die an sich nicht schuldhafte, weil nicht widerrechtliche, Handlung gegen die eigenen Interessen wird dann, wenn Schadenersatz gefordert wird, vom Standpunkt des Dritten aus schuldhaft. Insofern kann das Verschulden gegen sich selbst Verschulden im Rechtssinne werden (vgl. Staudinger, Kommentar zum BGB., 9. Aufl. II/1 S. 158; Pfaff, Zur Lehre von Schadenersatz und Genugtuung, S. 35; Müller, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl. S. 286). Daß zu einem Mitverschulden nicht Rechtswidrigkeit im technischen Sinne erforderlich ist, entspricht auch der Praxis des Obersten Gerichtshofes (vgl. beispielsweise SZ. III 107). Für den Ausschluß eines Mitverschuldens würde es daher nicht genügen, daß der Kläger durch sein Verhalten gegen keine Rechtsnorm verstoßen hat. Es müßte vielmehr dazu kommen, daß der Kläger sich so verhalten hat, wie es von einem achtsamen Fußgänger erwartet werden kann.

Das Erstgericht hat hiezu die Auffassung vertreten, daß der neben der Fahrbahn der Salzachtal-Bundesstraße verlaufende Rasenstreifen nicht als Gehweg oder Bankett angesehen werden könne. Dabei handelt es sich aber nun nicht, wie die klagende Partei annimmt, um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine der Überprüfung zugängliche rechtliche Beurteilung. "Bankett" ist ein Fachausdruck des Straßenbaues für die neben der festen Straßendecke liegenden unbefestigten (auch grasbewachsenen) Streifen; verkehrsrechtlich ist das Bankett eine der Befestigung nach nicht für schwere Kraftfahrzeuge brauchbare, für Kraftfahrzeuge und Fuhrwerke im allgemeinen nicht, wohl aber für Fußgänger geeignete Erweiterung der durch die Fahrstraße gebildeten Bahn nach einer oder beiden Seiten, also ein dem Fußgängerverkehr zugänglicher Randstreifen. § 75 StPolO. stellt aber das weitere Erfordernis auf, daß das Bankett für den Fußgängerverkehr eingerichtet sei. Das Bankett muß also, damit der Fußgänger zu seiner Benützung verpflichtet sei, als Gehweg vorgesehen, eingerichtet und als solcher erkennnbar sein (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 7. Aufl. S. 321). Der Oberste Gerichtshof tritt daher der Ansicht des Erstgerichtes bei, daß der Rasenstreifen neben der Salzachtal- Bundesstraße nicht den Erfordernissen eines Bankettes entspricht, da sich über den Rasenstreifen alle 20 m Betonrandsteine neigen, die ein zügiges Gehen verhindern. Bei Dunkelheit und starkem Verkehr - und ein solcher hat nach der eigenen Angabe des Klägers am Unfallsort und zur Unfallszeit geherrscht - muß nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes von einem Fußgänger allerdings verlangt werden, daß er, um eine Selbstgefährdung auszuschließen, nach Möglichkeit die Fahrbahn überhaupt meidet und einen neben der Straße verlaufenden Rasenstreifen auch dann benützt, wenn dieser nicht gerade als ein Bankett im Sinne des § 75 StPolO. anzusehen ist. Im vorliegenden Fall konnte der Rasenstreifen für gewisse Strecken als Fußweg benutzt werden, was sich ja schon daraus ergibt, daß die Frau des Klägers nach den getroffenen und unüberprüfbaren Feststellungen darauf gegangen ist. Dieser Rasenstreifen war aber nicht so breit, um zwei Personen das Gehen nebeneinander zu gestatten. Der Kläger mußte, um seine hochschwangere Frau unterfassen und stützen zu können, neben ihr gehen. Daß er unter diesen Umständen den rechten Rand der Fahrbahn benützt hat, kann ihm daher auch in Anbetracht der Dunkelheit und des starken Verkehrs nicht zum Mitverschulden angerechnet werden. Unter diesen Umständen würde ein Mitverschulden nur dann vorliegen, wenn er, auf das ihn überholende Kraftfahrzeug aufmerksam geworden, es verabsäumt hätte, die Fahrbahn schnell zu verlassen und auf den Rasenstreifen beiseite zu treten. In dieser Beziehung ist aber durch die Vorinstanzen und damit unüberprüfbar festgestellt, daß der Beklagte infolge seines unachtsamen Fahrens so schnell herangekommen ist, daß dem Kläger das Verlassen der Fahrbahn nicht mehr möglich war.

Anmerkung

Z28197

Schlagworte

Eigenverschulden, Rechtswidrigkeit, Mitverschulden Rechtswidrigkeit, Rechtswidrigkeit Selbstverschulden, Selbstverschulden, Rechtswidrigkeit, Verschulden, eigenes, Rechtswidrigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0020OB00398.55.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19550907_OGH0002_0020OB00398_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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