TE OGH 1955/9/21 7Ob363/55

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Veröffentlicht am 21.09.1955
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Norm

ABGB §89
ABGB §90
Ehegesetz §49

Kopf

SZ 28/206

Spruch

Zum wesentlichen Inhalte der bäuerlichen Lebensgemeinschaft gehört die gemeinsame Führung und Erhaltung des bäuerlichen Betriebes. Kommt einer der Ehegatten seiner Pflicht zur Mitwirkung im bäuerlichen Betrieb schuldhaft nicht oder nicht gehörig nach, so liegt darin eine schwere Eheverfehlung.

Entscheidung vom 21. September 1955, 7 Ob 363/55.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Das Erstgericht sprach gemäß § 49 EheG. die Scheidung der Ehe der Streitteile aus dem Verschulden des Beklagten aus.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Es übernahm sämtliche Feststellungen des Erstgerichtes. Nach diesen Feststellungen heiratete der Beklagte im Jahre 1939 in die der Klägerin gehörige Bauernwirtschaft ein. Der Beklagte konnte wegen der damals bestandenen erbhofrechtlichen Bestimmungen nicht Miteigentümer der Liegenschaft der Klägerin werden. Auch nach Aufhebung dieser Bestimmungen kam es nicht zur Einverleibung des Miteigentums des Beklagten, sei es, weil der Beklagte dem Wunsche der Klägerin, ihre Tochter aus erster Ehe zu adoptieren, nicht nachkam, sei es, weil er die mit der Anschreibung verbundenen Spesen und Gebühren ersparen wollte. Dem Beklagten stand jedoch bis zum Jahre 1947 auf Grund der erbhofrechtlichen Bestimmungen die bäuerliche Verwaltung und die Nutznießung und seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 85/1947 auf Grund der Bestimmungen des ABGB. die Verwaltung des Frauenvermögens und damit das Recht zur Wirtschaftsführung zu. Dieses Recht wurde von der Klägerin erst am 28. März 1952 widerrufen. Bei der Eheschließung wurden Ehepakte errichtet. Auf Grund dieser Ehepakte sollte der vom Beklagten der Klägerin übergebene Betrag von 3000 RM als Darlehen gelten, der bei Scheidung der Ehe sowie bei Beendigung der Verwaltung des Frauenvermögens rückzahlbar sein sollte. Im Jänner 1952 übergab die Klägerin ihre 48 Joch umfassende Landwirtschaft an ihre Tochter aus erster Ehe in deren Alleineigentum. Im März 1952 verließ die Klägerin das eheliche Schlafzimmer, im Dezember 1952 ging der Beklagte vom Hof. Solange der Beklagte die Wirtschaft führte, verhinderte er durch seinen Geiz die Einstellung von Dienstboten auf dem Hof, so daß die Klägerin und deren Tochter bis zur Erschöpfung arbeiten mußten. Dadurch konnten die Äcker und Wiesengrunde keiner intensiven Bewirtschaftung unterzogen weiden, was ein merkliches Nachlassen des Ertrages zur Folge hatte. Er lehnte es ab, Handwerker für notwendige Reparaturen in Haus und Stall heranzuziehen, und begnügte sich mit selbst durchgeführten Flickarbeiten, obwohl Mittel für die ordnungsgemäßen Reparaturen bereitgestanden wären. Da das Vieh im Hochsommer auf die Weide ging, fehlte es sowohl an Futter als auch an Dünger. Die Kühe waren überaltert, und "galt". Infolge seiner engherzigen Einstellung holte er auch keinen Tierarzt, als einmal eine Kuh so krank war, daß man sie schließlich notschlachten mußte. Die ersten ehelichen Auseinandersetzungen, die ihren Grund im Geiz des Beklagten hatten, fielen in die Jahre 1948/49. Sie wurden besonders heftig im Herbst 1951, als die Klägerin eine vom Beklagten begonnene Grenzstreitigkeit mit einem Nachbarn auf gütlichem Wege beigelegt hatte. Der Beklagte warf der Klägerin und deren Tochter wiederholt vor, sie seien nur zum Fressen und zum Schlafen da, aber nicht zum Arbeiten zu haben. Zu Anfang des Jahres 1952 kam es zwischen den Streitteilen zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Beklagte seine Gattin mit "Canaille" beschimpfte, als der Beklagte trotz Aufforderung der Klägerin keinen Tierarzt zu einer kranken Kuh holte. Auch bei anderen Gelegenheiten beleidigte der Beklagte die Klägerin mit dem gleichen Schimpfwort. Das Berufungsgericht kam abweichend vom Erstgericht zu der rechtlichen Beurteilung, daß in dem gesamten festgestellten Verhalten des Beklagten keine schweren, die Ehe zerrüttenden Eheverfehlungen erblickt werden könnten, und wies demgemäß die Klage ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es darf nicht übersehen werden, daß es sich im vorliegenden Falle um eine bäuerliche Ehe handelt. Zum wesentlichen Inhalte der bäuerlichen Lebensgemeinschaft gehört die gemeinsame Führung und Erhaltung des bäuerlichen Betriebes. Kommt einer der Ehegatten seiner Pflicht zur Mitwirkung im bäuerlichen Betriebe schuldhaft nicht oder nicht gehörig nach, so muß darin eine schwere Eheverfehlung erblickt werden. Im vorliegenden Falle nun führte der Beklagte trotz aller ihm von der Klägerin gemachten Vorhaltungen die Bauernwirtschaft in einer Weise, daß die Wirtschaft immer mehr herunterkam und auch die Arbeitskraft der Klägerin und ihrer Tochter bis zur Erschöpfung ausgebeutet wurde. Hierin hat das Erstgericht mit Recht ein nach § 49 EheG. zu qualifizieren des Verhalten des Beklagten erblickt. Die dadurch eingetretene Zerrüttung der Ehe findet ihren sichtbaren Ausdruck in der schließlich im Jahre 1952 erfolgten Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft.

Alles, was das Berufungsgericht zur Begründung dafür anführt, warum es dessenungeachtet schwere Eheverfehlungen des Beklagten nicht als gegeben annimmt, hält einer Überprüfung nicht stand.

Insofern das Berufungsgericht die Nichtaufnahme von Arbeitskräften damit zu rechtfertigen sucht, daß es infolge des Mangels an Landarbeitern nicht leicht gewesen sei, Arbeitskräfte zu bekommen, setzt es sich mit der Feststellung des Erstgerichtes in Widerspruch, daß es dem Beklagten gleich seinem Nachbarn möglich gewesen wäre, Arbeitskräfte zu bekommen. Soweit aber das Berufungsgericht die übermäßige Inanspruchnahme der Arbeitskraft der Klägerin und ihrer Tochter mit dem Hinweis auf die eigene fleißige Arbeit des Beklagten entschuldigt, übersieht es den Unterschied zwischen der normalen Inanspruchnahme und der unangemessenen Ausbeutung einer Arbeitskraft. Gewiß kann derjenige, der in einem Betrieb fleißig arbeitet, dies auch von den anderen in diesem Betriebe Arbeitenden verlangen. Das darf aber nicht so weit gehen, daß diese Arbeitskräfte bis zur Erschöpfung mißbraucht werden. Ein solches Verhalten bedeutet Raubbau an der Gesundheit anderer, der auch durch den Hinweis auf die eigene höchstmögliche Arbeitsleistung nicht gerechtfertigt werden kann.

Ebenso verfehlt ist der Hinweis des Berufungsgerichtes darauf, daß die Klägerin erst im Jahre 1952 von ihrem Rechte, dem Beklagten die Wirtschaftsführung zu entziehen, Gebrauch gemacht und daher offensichtlich die Wirtschaftsführung des Beklagten jahrelang gebilligt habe. Auch hier setzt sich das Berufungsgericht mit den von ihm übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes in Widerspruch, wonach es der Klägerin trotz aller ihrer Vorhalte nicht gelungen ist, den Beklagten zu einer Änderung der Wirtschaftsführung zu bewegen. Von einer Billigung dieser Wirtschaftsführung durch die Klägerin kann also keine Rede sein. Ebensowenig kann der Klägerin der Vorwurf gemacht werden, daß sie nicht sogleich zum Entzug des Rechtes der Wirtschaftsführung geschritten ist. Es darf nicht übersehen werden, daß diese Maßnahme praktisch das Ende der bäuerlichen Wirtschaftsgemeinschaft bedeuten und damit eine der Grundlagen der ehelichen Gemeinschaft überhaupt zerstören mußte. Tatsächlich erfolgte, als die Klägerin sich schließlich doch zu diesem Schritt entschloß, noch in demselben Jahre die vollkommene Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft.

Nicht stichhältig sind auch die Schlüsse, die das Berufungsgericht aus der Anschaffung einiger landwirtschaftlicher Maschinen und der Durchführung sonstiger Investitionen auf dem Hof durch den Beklagten zieht. Die Vornahme einiger für die Wirtschaft vorteilhafter Maßnahmen durch den Beklagten ist gegenüber der Tatsache, daß durch seine Wirtschaftsführung die Bauernwirtschaft als Ganzes heruntergewirtschaftet wurde, ohne Bedeutung.

Zu der schlechten Wirtschaftsführung kommen aber als wesentliche Eheverfehlungen auch noch die Beschimpfungen der Klägerin durch den Beklagten. Zu den Ausführungen des Berufungsgerichtes, die diese Beschimpfungen bagatellisieren und dartun wollen, daß der Beklagte nur einmal unter besonderen Umständen den Ausdruck "Canaille" gebraucht habe, ist zusagen, daß sich auch hier das Berufungsgericht in Widerspruch setzt zu den von ihm übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes, wonach der Beklagte die Klägerin bei verschiedenen Gelegenheiten mit dem, gleichem Schimpfwort belegt hat.

Aus all dem ergibt sich, daß, wenn man die Feststellungen der Untergerichte der Entscheidung zugrunde legt, sich das Scheidungsbegehren als vollkommen gerechtfertigt erweist.

Anmerkung

Z28206

Schlagworte

Bäuerlicher Betrieb, Vernachlässigung, schwere Eheverfehlung, Eheverfehlungen schwere, Vernachlässigung des bäuerlichen Betriebes, Scheidungsgrund, Vernachlässigung des bäuerlichen Betriebes, Schwere Eheverfehlungen, Vernachlässigung des bäuerlichen Betriebes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0070OB00363.55.0921.000

Dokumentnummer

JJT_19550921_OGH0002_0070OB00363_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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