TE OGH 1955/12/7 7Ob345/55

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.1955
beobachten
merken

Norm

ABGB §365
Fristengesetz §1 Abs1 Z3

Kopf

SZ 28/258

Spruch

Unter den Tatsachen, die außerhalb der österreichischen Rechtsordnung liegen (§ 1 Abs. 1 Z. 3 FristenG.), sind vor allem Maßnahmen der Besatzungsmächte zu verstehen, durch die eine Rechtsverfolgung erschwert oder behindert wurde. Die Tatsache der Enteignung und Ausweisung aus einem osteuropäischen Staat bildet kein Hindernis für die Geltendmachung eines Anspruches gegen einen Österreicher vor einem österreichischen Gericht.

Entscheidung vom 7. Dezember 1955, 7 Ob 345/55.

I. Instanz: Kreisgericht Steyr; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Nach dem Inhalt der Klage hat die Nordböhmische Wasserbau-Gesellschaft W. & Co. im Kriege für die beklagte Stadtgemeinde Kanalbauarbeiten projektiert und ausgeführt, wofür noch ein Teil des Werklohnes aushaftet. Öffentlicher Gesellschafter sei der Erstkläger gewesen, Kommanditist der Zweitkläger. Da die Gesellschaft im Jahre 1948 nationalisiert worden ist und die beiden Kläger aus der Tschechoslowakei ausgewiesen worden sind, machen die Genannten den Anspruch auf Zahlung des restlichen Werklohnes und eines Schadenersatzes im eigenen Namen geltend.

Das Gericht erster Instanz wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß der Anspruch gemäß § 1486 ABGB. verjährt sei. Auf § 1 Abs. 1 Z. 6 des Fristengesetzes könnten sich die Kläger nicht berufen, weil die am 30. September 1952 zur Post gegebene Klage erst am 1. Oktober 1952 bei Gericht eingelangt sei. Auch der Hinweis der Kläger auf § 1 Abs. 1 Z. 3 des Fristengesetzes führe zu keinem anderen Ergebnisse. Aus dem Vorbringen der Kläger, sie seien in der Tschechoslowakei entschädigungslos enteignet und fristlos ausgewiesen worden, wodurch ihnen die zur Geltendmachung ihres Anspruches erforderlichen Schriftstücke entzogen worden seien, ergebe sich nicht, daß die Anwendung der österreichischen Rechtsvorschriften von einer Tatsache abhänge, die außerhalb der österreichischen Rechtsordnung liege. Es sei nicht ersichtlich, welche außerhalb der österreichischen Rechtsordnung liegende Tatsache die Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechtes behindern sollte oder inwiefern der Rechtsanspruch der Kläger von einer solchen Tatsache betroffen sein sollte.

Vom Berufungsgericht wurde das Urteil unter Rechtskraftvorbehalt mit der Weisung aufgehoben, gemäß § 1 Abs. 1 Z. 3 des Fristengesetzes eine Äußerung des Bundesministeriums für Finanzen einzuholen. Das Berufungsgericht pflichtete dem Erstrichter bei, daß die im § 1 Abs. 1 Z. 6 des Fristengesetzes vorgesehene Frist versäumt sei, da die Klage am 30. September 1952 bei Gericht hätte einlangen müssen. Es sprach auch aus, daß in der Enteignung und Ausweisung der Kläger kein Hindernis für die Geltendmachung der Klagsansprüche im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 3 des Fristengesetzes zu erblicken sei. Eben deshalb müsse aber die erwähnte Äußerung eingeholt werden.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und beauftragte dieses, über die Berufung der Kläger zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Beide Rekurse sind insoweit begrundet, als sie geltend machen, daß die Sache spruchreif ist. Auf die im § 1 Abs. 1 Z. 6 des Fristengesetzes vorgesehene Verlängerung der Klagsfrist können sich die Kläger nicht berufen, da die Klage erst am 1. Oktober 1952 bei Gericht eingelangt ist. Die Entscheidung GlUNF. 1209 sprach zwar die Ansicht aus, daß § 89 GOG. auch auf materiellrechtliche Fristen anzuwenden sei, daher die vor Ablauf der Verjährungsfrist zur Post gegebene Klage die Verjährung unterbreche; durch den Plenissimarbeschluß GlUNF. 1858 wurde aber die Streitfrage dahin gelöst, daß § 89 GOG. lediglich auf die Fristen anzuwenden sei, die im Laufe eines bereits anhängigen Rechtsstreites einzuhalten sind (SZ. XIX 336).

Das Berufungsgericht hat auch mit Recht die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Z. 3 des Fristengesetzes abgelehnt. Die Kläger begrunden ihre Aktivlegitimation mit dem Vorgehen des tschechoslowakischen Staates. Daraus folgt aber nicht, daß zwischen diesem Vorgehen und der Anwendung der österreichischen Rechtsvorschriften als solcher ein Zusammenhang bestunde. Der Anspruch auf Zahlung eines Werklohnes wird auch durch die der Klagserhebung vorausgegangenen Ereignisse in der Tschechoslowakei nicht betroffen; sein Bestand ist von ihnen unabhängig und seiner Geltendmachung beim österreichischen Gerichte stand kein Hindernis im Wege. Daß den Klägern infolge der Ausweisung Schriftstücke entzogen worden seien, deren sie zur Geltendmachung ihres Anspruches bedurften, fällt in das Gebiet des Verfahrensrechtes, berührt aber den Klagsanspruch nicht. Wie die Untergerichte zutreffend ausgeführt haben, sind unter den Tatsachen, die außerhalb der österreichischen Rechtsordnung liegen, vor allem Maßnahmen der Besatzungsmächte zu verstehen, durch die eine Rechtsverfolgung erschwert oder behindert wurde.

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung ist daher davon auszugehen, daß die Kläger überhaupt keine Tatsachen angeführt haben, die eine Anwendung des § 1 Abs. 1 Z. 3 des Fristengesetzes rechtfertigen konnten.

Die Einholung einer Äußerung des Bundesministeriums für Finanzen wäre nur dann erforderlich, wenn die Kläger eine solche Tatsache behauptet hätten und das Gericht das Vorliegen der Tatsache, also die Richtigkeit des tatsächlichen Vorbringens, in Zweifel zöge; die Rechtsfrage aber, ob das Klagsvorbringen schlüssig ist, hat allein das Gericht zu beurteilen.

Da somit der vom Berufungsgerichte ins Treffen geführte Aufhebungsgrund nicht vorliegt, war den Rekursen Folge zu geben.

Anmerkung

Z28258

Schlagworte

Ausweisung aus einem osteuropäischen Staat, Fristengesetz, Besatzungsmächte, Behinderung der Rechtsverfolgung, Fristengesetz, Enteignung in einem osteuropäischen Staat, Fristengesetz, Fristengesetz, Tatsachen außerhalb der österreichischen Rechtsordnung, Konfiskation in einem osteuropäischen Staat, Fristengesetz, Rechtsverfolgung, Behinderung durch Besatzungsmächte, Fristengesetz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0070OB00345.55.1207.000

Dokumentnummer

JJT_19551207_OGH0002_0070OB00345_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten