TE OGH 1956/2/14 4Ob182/55

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Veröffentlicht am 14.02.1956
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Norm

Arbeitsgerichtsgesetz §25
ZPO §488
ZPO §498

Kopf

SZ 29/12

Spruch

Der Hinweis des Berichterstatters des arbeitsgerichtlichen Berufungssenates auf den Inhalt der Akten kann die zu Beweiszwecken erforderliche Verlesung des Protokolls über die in erster Instanz durchgeführte Parteienvernehmung nicht ersetzen.

Entscheidung vom 14. Februar 1956, 4 Ob 182/55.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Kreisgericht Wiener Neustadt.

Text

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung des Hausbesorgerdienstpostens und der Hausbesorgerwohnung der Beklagten in dem der Klägerin gehörigen Haus für rechtswirksam. Die Klägerin habe den ernstlichen Willen, den Hausbesorgerposten aufzulassen und die Arbeiten im Hause selbst zu verrichten. Sie befinde sich in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen, und der Hausbesorgerposten sei nach der Größe des Hauses (zwei Mietparteien und die Klägerin) nicht unbedingt erforderlich. Der Kündigungsgrund des § 10 HausbO. liege daher vor.

Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die Kündigung aufgehoben wurde. Ein wichtiger Grund, den Hausbesorgerposten aufzulassen, liege nicht vor. Der Posten habe viele Jahre bestanden, und die Hausbesorgerin habe außer dem Haus auch den dazu gehörigen Garten zu betreuen gehabt. Den Mietern könne die Verrichtung der Hausbesorgertätigkeit nicht zugemutet werden. Der Klägerin fehle die ernstliche Absicht, die Arbeiten selbst zu verrichten. Dies ergebe sich schon daraus, daß sie im Jahre 1952, als sie weit weniger Einkommen als jetzt gehabt habe, den Vertrag mit der Beklagten eingegangen sei. Die Rechtfertigung der Klägerin, sie habe für ihren länger dauernden Aufenthalt in Amerika vorsorgen wollen, sei nicht glaubwürdig, weil sie damals ebensogut einen Hausverwalter mit der Aufsicht über das Haus hätte betrauen können, was sie schließlich auch getan habe. Die in erster Instanz aufgenommenen Beweise hätten nicht wiederholt werden müssen, weil gegen die Verlesung der Protokolle ein Widerspruch nicht erhoben worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht die Klägerin geltend, daß das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichtes nicht hätte abgehen dürfen, wenn es die in erster Instanz aufgenommenen Beweise nicht wiederholte. Die Bestimmung des § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerG., nach der die Protokolle über die in der ersten Instanz aufgenommenen Beweise verlesen werden können, soweit das Berufungsgericht nicht eine Beweiswiederholung für erforderlich erachte oder eine der Parteien Einsprache erhebe, müsse so ausgelegt werden, daß die Verlesung nur dann zulässig sei, wenn die Beweise ebenso wie von der ersten Instanz gewürdigt würden. Das Gegenteil würde den Absichten des Gesetzgebers und dem zivilprozessualen Grundsatz widersprechen, Feststellungen nur auf Grund von Beweisaufnahmen und nicht nach dem bloßen Inhalt der Akten zu treffen (§§ 488, 498 ZPO.). Es sei auch zu beachten, daß das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren, in dem die Verhandlung in zweiter Instanz neu durchzuführen sei, eine größere Genauigkeit und Rechtssicherheit als im gewöhnlichen Berufungsverfahren erreichen solle, und daß es vom Willen der Parteien nicht abhängig gemacht werden könne, ob der erwähnte zivilprozessuale Grundsatz angewendet werde.

Der Revisionswerberin ist beizustimmen, daß das Berufungsverfahren im vorliegenden Fall Mängel aufweist, wenn sie auch etwas anderer Art sind als die Revisionswerberin annimmt. Die Bestimmung des § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerG. schreibt dem Berufungsgericht vor, die Streitsache von neuem zu verhandeln. Dem Protokoll über die Berufungsverhandlung vom 29. September 1955 ist zu entnehmen, daß das Berufungsgericht der Vorschrift nicht entsprochen hat. Es wurde nämlich weder ein Beweisbeschluß gefaßt noch das Protokoll über die in erster Instanz durchgeführte Parteienvernehmung verlesen. Der Berichterstatter mag bei der Erstattung seines Referats auf den Inhalt der Akten hingewiesen haben. Dies konnte jedoch die zu Beweiszwecken erforderliche Verlesung des Protokolls nicht ersetzen. Aus diesem Grund konnte das Berufungsgericht aus dem Unterbleiben eines Einspruches der Klägerin gegen die Verlesung nicht den Schluß ziehen, sie sei mit der Verlesung einverstanden. Denn die Zustimmung hätte vorausgesetzt, daß ein entsprechender Verlesungsbeschluß verkundet worden wäre.

Die angegebenen Mängel des Berufungsverfahrens mußten zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichtes und zur Zurückverweisung der Rechtssache an dieses Gericht führen, damit die Berufungsverhandlung in gesetzentsprechender Weise wiederholt werde. Bei dieser Sachlage kann auf die Frage, ob der von der Klägerin geltend gemachte Kündigungsgrund des § 10 Abs. 3 Z. 4 HausbO. vorliegt, noch nicht eingegangen werden.

Die von der Revisionswerberin in langen Ausführungen besprochene Frage, ob das Berufungsgericht im arbeitsgerichtlichen Verfahren berechtigt sei, ohne Wiederholung der Beweise, bloß auf Grund der Protokollsverlesung, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen, tritt mit Rücksicht auf die Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichtes in den Hintergrund. Denn bei der neuerlichen Berufungsverhandlung kann die Klägerin gegen die Verlesung des erstgerichtlichen Beweisprotokolls Einsprache erheben und so die Wiederholung der Beweise durch Vernehmung der Parteien erzwingen.

Anmerkung

Z29012

Schlagworte

Arbeitsgerichtliches Berufungsverfahren, Verlesung von Protokollen, Berufungsverfahren arbeitsgerichtliches, Verlesung von Protokollen, Protokoll, Verlesung im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren, Verlesung von Protokollen im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1956:0040OB00182.55.0214.000

Dokumentnummer

JJT_19560214_OGH0002_0040OB00182_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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