TE OGH 1956/5/15 3Ob242/56

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Veröffentlicht am 15.05.1956
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Norm

ABGB §1002
ABGB §1009
ABGB §1012
ABGB §1017
ABGB §1151

Kopf

SZ 29/41

Spruch

Zur Rechtsstellung des sogenannten "verrechnenden Kellners".

Entscheidung vom 15. Mai 1956, 3 Ob 242/56.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Die Klägerin ist bei Hugo R., dem Inhaber des Espressocafes T. in Graz, als Kellnerin angestellt. Sie hat jeweils die von den Gästen bezogenen Getränke der Kassa zu bonieren und entsprechend diesen abgegebenen Bons das Geld abzuführen. Die Klägerin haftet grundsätzlich für die Abrechnung.

Hugo R. hat zu Beginn des Jahres 1955 vom Beklagten einen Teppich gekauft. Bei Bezahlung des Betrages von 5000 S wurde zwischen R. und dem Beklagten vereinbart, daß der Beklagte für den offenen Restbetrag von 250 S bei R. im Cafe T. eine Zeche machen könne.

Am 9. Juli 1955 erschien der Beklagte im Cafe T. und machte dort eine Zeche von 350 S. Bei Bestellung der Getränke sagte er der Klägerin nicht, daß er mit Hugo R. aus Anlaß eines Teppichkaufes vereinbart habe, daß er um einen offenen Restbetrag von 250 S bei R. im Cafe T. eine Zeche machen könne. Erst vor Verlassen des Lokals schrieb der Beklagte statt Bezahlung der Zeche auf den Rechnungszettel der Klägerin: "Auf Forderung von 500 S, Teppich 300 S, H." Die Klägerin, die für die vom Beklagten am 9. Juli 1955 bestellten und konsumierten Getränke bei der Kassa Bons abgegeben und auch dafür das Geld abgeführt hatte, war in der Folge beim Beklagten und mahnte die Schuld ein. Der Beklagte bezahlte ihr am 10. August 1955 lediglich 100 S und erklärte ihr immer wieder, daß er bei R. ein Guthaben von 250 S habe. Hugo R. sagte der Klägerin wiederholt, sie solle zum Beklagten gehen und zusehen, daß sie ihr Geld bekomme. Er hat ihr aber den Betrag von 250 S nicht zurückgegeben.

Das Erstgericht hat auf Grund dieses von ihm festgestellten Sachverhaltes den Beklagten zur Zahlung des von der Klägerin begehrten Betrages von 250 S samt Zinsen und Kosten verurteilt. Es vertrat die Auffassung, daß die Klägerin durch Abgabe der Bons bei der Bestellung, bzw. durch Entgegennahme der Getränke, diese vom Eigentümer gekauft habe, daß sie für die Abrechnung hafte, die Getränke an den Gast weiterverkaufe und daß dieser an sie den Kaufpreis zu bezahlen habe.

Das Berufungsgericht hat in Abänderung des erstgerichtlichen Urteils die Klage abgewiesen. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß die Klägerin als Dienstnehmerin und Beauftragte des Geschäftsinhabers gehandelt habe und daher nur dieser aus dem Geschäfte berechtigt worden sei. Der gegenständliche Fall sei unter Heranziehung der Bestimmungen über den Dienstvertrag und den Bevollmächtigungsvertrag zu lösen. Für die Annahme eines zwischen der Klägerin und dem Geschäftsinhaber einerseits und zwischen der Klägerin und dem Beklagten andererseits geschlossenen Kaufvertrages fehlten die entsprechenden Prozeßbehauptungen der Klägerin. Das Bonieren der Ware habe nur Kontrollfunktion. Die Klägerin sei dem Geschäftsinhaber gegenüber schon aus dem Arbeitsvertrag heraus zur Ablieferung der Einnahmen verpflichtet. Die Haftung der Klägerin gegenüber ihrem Arbeitgeber beruhe auf dem Dienst- und Bevollmächtigungsvertrag. Diese Haftung übe auf die Besucher des Lokals keine rechtliche Wirkung aus. Der Beklagte, der nicht gewußt habe und auch nicht habe wissen müssen, daß die Klägerin auf eigene Rechnung arbeite und im eigenen Namen abschließe, habe im guten Glauben angenommen, daß die Klägerin als Dienstnehmerin gehandelt habe und daß sie in dieser Eigenschaft die Geltendmachung der Forderung des Beklagten namens und auf Rechnung des Besitzers zur Kenntnis nehme. Zwischen dem Beklagten und der Klägerin bestunden keine Rechtsbeziehungen, die sie zur Erhebung eines Anspruches gegen den Beklagten legitimieren könnten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin hatte nach den tatsächlichen Feststellungen der Untergerichte im Betriebe des Hugo R. die Stellung einer sogenannten "verrechnenden" Kellnerin. Damit ist sie nicht selbständige Unternehmerin geworden, etwa in der vom Erstgericht skizzierten Form, daß sie die Waren beim Inhaber des Unternehmens im eigenen Namen und auf eigene Rechnung eingekauft und an die Gäste weiterverkauft hätte. Für einen solchen Schluß reichen die tatsächlichen Feststellungen nicht aus, es gehen aber auch die Behauptungen der Klägerin nicht in diese Richtung. Die Klägerin hat nur vorgebracht, daß sie die Waren an der Kassa zu bonieren, nach Maßgabe der Bons abzurechnen und für Fehlbeträge aufzukommen habe. Verrichtungen und Haftungen dieser Art fallen in den Pflichtenbereich der meisten im Verkaufe tätigen Dienstnehmer, insbesondere im Gast- und Schankgewerbe und im Kaffeehausbetriebe. Die Abgabe der Bons dient der Festhaltung des einzelnen Geschäftes, wie sonst in anderen Betrieben die Markierungen in der Registrierkasse. Die Haftung für Fehlbeträge ergibt sich aus der Überwachungs- und Inkassotätigkeit der Kellnerin, insbesondere daraus, daß die Kellnerin nicht nur die Waren zuzubringen, sondern auch darüber zu wachen hat, daß keiner der Gäste, ohne zu bezahlen, das Lokal verläßt, und daß sie richtig einzukassieren und entsprechend den abgegebenen Bons das Inkasso abzuführen hat. Es ist richtig, daß die Bonierung nur Kontrollfunktion hat und daß sich die Haftung der Klägerin aus dem Dienstvertrage und nicht etwa aus einer übernommenen Bürgschaft ergibt.

Das bedeutet aber, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, daß grundsätzlich aus den einzelnen, mit den Gästen abgeschlossenen Geschäften der Dienstgeber berechtigt und verpflichtet wird, daß ihm die Forderung auf Bezahlung einer Zechschuld zusteht, wenn einer der Gäste nicht bezahlt. Das bedeutet ferner, daß eine Haftung der Dienstnehmerin für Fehlbeträge grundsätzlich nur unter dem Gesichtspunkte der Verletzung der Vertragspflichten, also nach Schadenersatzrecht, in Anspruch genommen werden kann, demnach nur dann, wenn der Kellnerin der ihr nach § 1298 ABGB. obliegende Beweis gewissenhafter Vertragserfüllung nicht gelingt. Der Dienstgeber hat die Nichterfüllung der vertragsgemäßen Verpflichtung, die Dienstnehmerin ihre Schuldlosigkeit zu beweisen.

Die Klägerin könnte die klagsgegenständliche Forderung nur im eigenen Namen geltend machen, wenn sie in der Lage wäre, den Übergang der Forderung ihres Dienstgebers auf sie im Wege der §§ 1358 bzw. 1422 ABGB. zu beweisen. Es kann im Gegenstande dahingestellt bleiben, ob einer der beiden Fälle gegeben ist und welcher. Ein Übergang der Forderung ist im vorliegenden Falle schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte noch vor Bezahlung seiner Schuld durch die Klägerin, wie sich aus dem Rechnungszettel vom 9. Juli 1955 ergibt, die Forderung des Dienstgebers bis zur Höhe der erwiesenen Gegenforderung des Beklagten aufgerechnet und so getilgt hat. Im Zeitpunkte der Zahlung der früheren Schuld des Beklagten durch die Klägerin stand deren Dienstgeber eine Forderung gegen den Beklagten nicht mehr zu

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Klägerin aus eigenem Rechte Forderungen gegen den Beklagten nicht erheben kann, allerdings auch, daß sie - da der Schuldner bekannt und der Bestand einer bis zum Betrage von 250 S mit der Forderung des Dienstgebers aufrechenbaren Gegenforderung desselben erwiesen ist - ihre Schuldlosigkeit dargetan hat und niemals vom Dienstgeber hiefür hätte haftbar gemacht werden können.

Es ist im gegenständlichen Rechtsstreite nicht zu untersuchen, welche Rechtswirkungen es hat, daß der Dienstgeber der Klägerin, obwohl er den aufrechten Bestand der Gegenforderung des Beklagten kannte, von ihr Zahlung der Schuld auf Grund der abgegebenen Bons forderte und entgegennahm, deren Rückerstattung verweigerte und die Klägerin anwies, ihre Schuld beim Beklagten einzutreiben. Mit ihrer Klage gegen den Beklagten kann die Klägerin keineswegs durchdringen, da dieser den Betrag von 250 S infolge der Aufrechnung nicht mehr schuldet.

Der Revision war aus diesen Gründen der Erfolg zu versagen.

Anmerkung

Z29041

Schlagworte

Kellner, verrechnender, Rechtsstellung, Rechtsstellung des "verrechnenden" Kellners, Verrechnender Kellner, Rechtsstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1956:0030OB00242.56.0515.000

Dokumentnummer

JJT_19560515_OGH0002_0030OB00242_5600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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