TE OGH 1956/10/3 2Ob455/56

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Veröffentlicht am 03.10.1956
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Norm

ABGB §1295
Kraftfahrverordnung 1947 §68 Abs3
Kraftfahrverordnung 1947 §99 Abs4

Kopf

SZ 29/67

Spruch

Verschulden eines Fahrlehrers, der die Schülerin im abgestellten Fahrzeug für kurze Zeit allein läßt, ohne den Zundschlüssel abzuziehen, so daß die Fahrschülerin den Wagen in Bewegung setzen und einen Unfall herbeiführen kann.

Entscheidung vom 3. Oktober 1956, 2 Ob 455/56.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Den untergerichtlichen Feststellungen zufolge wurde der Kläger am 30. September 1954 beim Überqueren der B.-Gasse, kurz bevor er den gegenüberliegenden Gehsteig erreicht hatte, von einem auf der linken, also falschen, Fahrbahnseite ohne Hupensignal daherkommenden PKW. niedergestoßen und schwer verletzt. Er befand sich in Begleitung eines Bekannten, der ebenfalls von diesem Fahrzeug niedergestoßen wurde. Der PKW. gehörte dem Erstbeklagten, einem Fahrschullehrer, der damals mit der Zweitbeklagten, seiner Fahrschülerin, eine Übungsfahrt unternommen hatte. Im Unfallszeitpunkt befand sich allerdings nur die Zweitbeklagte im Wagen, weil sich der Erstbeklagte gerade auf kurze Zeit entfernt hatte, um eine Besorgung zu machen. Vorher hatte er den PKW. durch die Zweitbeklagte auf der dort ein Gefälle aufweisenden Fahrbahn knapp vor einem parkenden Auto abstellen lassen. Der Erstbeklagte selbst hatte vor dem Verlassen des Wagens den ersten Gang eingeschaltet, die Handbremse angezogen und den Motor durch Drehen des Zundschlüssels abgestellt, den Zundschlüssel jedoch stecken lassen. Eine Anweisung, am abgestellten PKW nicht zu hantieren, ihn insbesondere nicht in Gang zu setzen, hatte der Erstbeklagte wohl früher gelegentlich erteilt, am Unfallstage jedoch der Zweitbeklagten nur gesagt, daß er in ein paar Minuten wiederkommen werde. Während seiner Abwesenheit wurde nun die Zweitbeklagte von dem hinter ihr parkenden Kraftfahrzeug angehupt, da es sich in Bewegung setzen wollte, durch den PKW. des Erstbeklagten aber an der Ausfahrt gehindert war. Das bewog sie dazu, den Anlasser zu betätigen. Der PKW. setzte sich sofort in Bewegung, wodurch die Zweitbeklagte überrascht und verwirrt wurde. Sie vermochte das Fahrzeug nicht zu beherrschen und stieß den Kläger wie auch seinen Begleiter nieder. Der Kläger, ein mehr als 70jähriger Mann, mußte wegen seiner schweren Verletzungen ins Spital gebracht werden. Die Zweitbeklagte wurde wegen dieses Unfalls strafgerichtlich verurteilt (§ 335 StG.), das gegen den Erstbeklagten eingeleitete Strafverfahren gemäß § 90 StPO. eingestellt.

Der Kläger zieht beide Beklagten zur ungeteilten Hand zum Ersatz seiner Schäden heran (Verpflegungskosten im Spital, ärztliche Behandlungskosten, Sachschaden und Schmerzengeld).

Das Erstgericht hat ihm insgesamt einen Betrag von 14.975 S s. A. zugesprochen, das Mehrbegehren abgewiesen.

Die nur von den beiden Beklagten erhobenen Berufungen blieben erfolglos.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beiden Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Zur Revision des Erstbeklagten:

In seiner Rechtsrüge versucht der Erstbeklagte vergeblich, die Auffassung des Berufungsgerichtes zu entkräften, daß er gegen die Bestimmungen sowohl des § 99 Abs. 4 als auch des § 68 Abs. 3 der damals noch geltenden KfV. 1947 verstoßen habe. Beides trifft zu. § 99 Abs. 4 KfV. 1947 schreibt dem Lenker eines Fahrzeuges vor, die übliche Vorkehrung zur Verhinderung der unbefugten Inbetriebsetzung des Fahrzeuges zu treffen. Daß diese übliche Vorkehrung im Abziehen des Zundschlüssels besteht, hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung JBl. 1956 S. 53 ausgesprochen und hält an dieser Ansicht fest. Gerade dieser Verpflichtung ist der Erstbeklagte nicht nachgekommen; er hat den Zundschlüssel stecken lassen und dadurch die Zweitbeklagte, eine fahruntüchtige Fahrschülerin, in die Lage versetzt, den Wagen zustarten. Der Erstbeklagte vermag nicht mit Erfolg ins Treffen zu führen, er habe nicht damit rechnen können, daß die Zweitbeklagte, eine intelligente Prokuristin, trotz der ihr bekannten Gefährlichkeit eines solchen Unterfangens den Wagen in Betrieb setzen werde. Es kommt vor allem nicht auf die Lebensstellung, sondern auf die Fahrtüchtigkeit der Zweitbeklagten an, und diese hat ihr völlig gefehlt. Wie sich gezeigt hat, war die Zweitbeklagte auch einer einfachen Verkehrslage nicht im entferntesten gewachsen. Der Erstbeklagte durfte ihr daher ein jederzeit startbereites Fahrzeug nicht ohne weiteres anvertrauen, zumal sich ein am Volant sitzender Fahrschüler eher als irgend jemand anderer dazu veranlaßt sehen kann, sein vermeintliches Wissen zu erproben. Es steht auch fest, daß der PKW. des Erstbeklagten knapp vor einem bereits parkenden Wagen abgestellt wurde und diesen an der Ausfahrt gehindert hat. Darin liegt der Verstoß des Erstbeklagten gegen die Bestimmung des § 68 Abs. 3 KfV. 1947; denn er hat der Zweitbeklagten die Weisung erteilt, den PKW. in so ungünstiger Position zum Stehen zu bringen, und damit die während seiner Abwesenheit im Wagen zurückgebliebene Zweitbeklagte in eine Verkehrslage gebracht, der sie nicht gewachsen war. Sie wurde dann auch von einem parkenden Auto angehupt, um die Fahrbahn freizumachen, fuhr los und verursachte den Unfall. Die Haftung des Erstbeklagten steht daher unzweideutig fest.

II. Zur Revision der Zweitbeklagten:

Als Verfahrensmangel wird gerügt, daß das Berufungsgericht keinen Sachverständigenbeweis über das Mitverschulden des Klägers aufgenommen habe; es sei nicht bedacht worden, daß sich der Kläger im Gespräch mit einem Freund befunden und den Verkehr auf der Straße nicht ausreichend beobachtet habe.

Der Vorwurf ist ungerechtfertigt. Schon die erstgerichtlichen Feststellungen, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß den Kläger kein Verschulden am Unfall trifft. Beim Überqueren einer Straße mit allgemeinem Fahrverbot (nur die Zufahrt war gestattet) hatte er fast schon den gegenüberliegenden Gehsteig erreicht, als er von dem ohne Signal auf der falschen Fahrbahnseite fahrenden PKW. niedergestoßen wurde. Bei dieser Sachlage kann dem Kläger kein Mitverschulden angelastet werden, auch nicht "eine gewisse Unachtsamkeit", von der die Zweitbeklagte in der Revision spricht.

Andere Gesichtspunkte führt die Revision nicht ins Treffen; ihr mußte der Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

Z29067

Schlagworte

Fahrlehrer, Verschulden Unfall Verschulden eines Fahrlehrers Verkehrsunfall Verschulden eines Fahrlehrers Verschulden eines Fahrlehrers Zundschlüssel, Verschulden eines Fahrlehrers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1956:0020OB00455.56.1003.000

Dokumentnummer

JJT_19561003_OGH0002_0020OB00455_5600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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