TE OGH 1957/4/3 7Ob95/57

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Veröffentlicht am 03.04.1957
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Norm

ABGB §§825 ff
Außerstreitgesetz §9
Wohnungseigentumsgesetz §2

Kopf

SZ 30/21

Spruch

In einem nach § 2 WEG. vor dem Außerstreitrichter anhängigen Verfahren kommt allen Miteigentümern die Stellung von Beteiligten zu.

Jeder Miteigentümer allein ist zur Stellung von Anträgen nach § 2 WEG. auch hinsichtlich des Wohnungseigentums eines anderen Miteigentümers befugt.

Entscheidung vom 3. April 1957, 7 Ob 95/57.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die A.-Gesellschaft m. b. H., die zu 1567/2950 Anteilen Miteigentümerin der Liegenschaft EZ. 341 Katastralgemeinde W. ist, und Nadja M., die 63/649 der Liegenschaft mit dem unverbücherten Kaufvertrag vom 23. Mai 1955 erworben hat, begehren die Festsetzung der Jahresmietwerte 1914 der Objekte der zweiten Stiege des Hauses Wien 4., K.-Gasse 7, sowie des Gesamtjahresmietwertes des genannten Hauses gemäß § 2 WEG.

Das Erstgericht hat alle anderen Miteigentümer der Liegenschaft von Amts wegen dem Verfahren beigezogen, von denen mehrere die Festsetzung der Jahresmietwerte aller Objekte des Hauses, also auch der Stiege 1, begehrten, wobei sie allerdings behaupteten, daß Stiege 1 und Stiege 2 nicht existierten, sondern nur ein Vorder- und ein Hintertrakt des Hauses. Das Erstgericht hat den Antrag der A.- Gesellschaft m. b. H. abgewiesen und sie zum Kostenersatz gegenüber den anderen Miteigentümern verpflichtet. Es vertritt die Auffassung, daß sich eine Festsetzung der Jahresmietwerte 1914 nach § 2 WEG. nur auf alle Objekte des Hauses beziehen könne und daher die begehrte teilweise Festsetzung unzulässig sei. Den anderen Miteigentümern stehe aber ein Antragsrecht in diesem Verfahren nicht zu. Über den Antrag der Nadja M. hat das Erstgericht nicht entschieden.

Das Rekursgericht vertrat die Rechtsansicht, daß jedem Miteigentümer, daher auch dem Minderheitseigentümer, ein Antragsrecht zustehe und daß von Amts wegen Personen, die von der Entscheidung betroffen werden, das sind alle Miteigentümer, einem Verfahren nach § 2 WEG. beigezogen werden müßten. Es sei daher durch das Erstgericht nicht nur über den Antrag der A.-Gesellschaft m. b. H., sondern auch über den der anderen Miteigentümer eine meritorische Entscheidung zu fällen. Auch allfällige Mieter seien dem Verfahren beizuziehen, weil nicht nur der Jahresmietwert derjenigen Objekte, an denen Wohnungseigentum begrundet wurde, sondern auch der der Mietobjekte festzusetzen sei. Das Rekursgericht hob daher die Entscheidung des Erstrichters zwecks neuerlicher Entscheidung auf.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der A.-Gesellschaft m. b. H. nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach der Behauptung der A.-Gesellschaft m. b. H. sind alle anderen Miteigentümer auch Wohnungseigentümer. Die Beschränkung, die sich aus der zwischen den Miteigentümern über das Wohnungseigentum getroffenen Vereinbarung hinsichtlich der einzelnen Miteigentumsanteile ergibt, ist bisher noch nicht im Grundbuche einverleibt und ersichtlich gemacht. Die erwähnten grundbücherlichen Eintragungen bilden jedoch keine Voraussetzung für die Festsetzung des Jahresmietzinses oder Jahresmietwertes der einzelnen Objekte nach § 2 WEG. Wie sich aus § 5 Abs. 2 lit. b WEG. eindeutig entnehmen läßt, ist der Miteigentumsanteil des Wohnungseigentümers mit seinem Wohnungseigentum untrennbar verbunden (§ 3 WEG.). Um Spekulationen auf dem Gebiete des Wohnungseigentums hintanzuhalten (s. hiezu die Erläuterungen von Borotha, Das Wohnungseigentumsgesetz, S. 17), darf der Miteigentumsanteil des Wohnungseigentümers nicht kleiner sein, als es dem Verhältnis des Jahresmietzinses oder des Jahresmietwertes der im Wohnungseigentum stehenden Wohnung für 1914 zu der Gesamtsumme des Jahresmietzinses oder der Jahresmietwerte aller Wohnungen der Liegenschaft, also auch der nicht im Wohnungseigentum stehenden Wohnungen, für 1914 entspricht. Die Verbindung eines kleineren Miteigentumsanteiles mit dem Wohnungseigentum würde dazu führen, daß diesem Miteigentumsanteil ein höherer Wert zukäme, als seinem Verhältnis zu den anderen Miteigentumsanteilen entspräche. Das würde eine größere Entwertung der zuletzt angeführten Miteigentumsanteile bedeuten, als sie nach der Absicht des Gesetzgebers eintreten soll. Es ist daher, solange die Jahresmietzinse oder Jahresmietwerte der einzelnen Objekte einschließlich der nicht im Wohnungseigentum stehenden, also auch der bloß in Bestand gegebenen, Objekte (§ 2 WEG.) nicht feststehen, auch eine Bestimmung des Miteigentumsanteiles nicht möglich oder, sofern die Vereinbarung über die Begründung des Miteigentums von Personen vorgenommen wird, die bereits Miteigentümer der Liegenschaft sind, die Wirksamkeit dieser Vereinbarung nicht feststellbar. Mit anderen Worten, ein zwischen den Miteigentümern abgeschlossener Vertrag auf Begründung des Wohnungseigentums, in dem das Verhältnis der Jahresmietwerte der einzelnen Wohnungsobjekte zum Jahresmietwert des Objektes, an dem Wohnungseigentum begrundet werden soll, mit dem Verhältnis der einzelnen Miteigentumsanteile nicht im Sinne der Bestimmung des § 2 WEG. in Einklang zu bringen ist, müßte, um die Begründung des Wohnungseigentums überhaupt zu ermöglichen, durch Parteienvereinbarung abgeändert werden. Es zeigt sich also, daß durch eine Entscheidung über den Jahresmietzins oder Jahresmietwert 1914 auch nur hinsichtlich einer Wohnung, an der Wohnungseigentum begrundet werden soll, die vermögensrechtlichen Interessen aller Miteigentümer berührt werden können. Es kommt daher aus diesem Gründe allen Miteigentümern in einem nach § 2 WEG. vor dem Außerstreitrichter anhängigen Verfahren die Stellung von Beteiligten zu (§ 9 AußStrG.). Daraus ergibt sich die Antragsberechtigung aller Miteigentümer in diesem Verfahren. Ihre Verständigung von der Einleitung des Verfahrens widerspricht keineswegs dem Gesetze, ja ihre Nichtbeiziehung kann sogar wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs zur Nichtigkeit des Verfahrens führen.

Der Oberste Gerichtshof vermag aus den dargelegten Erwägungen die Ansicht der A.-Gesellschaft m. b. H. nicht zu teilen, daß nur die Mehrheit der Miteigentümer zu einem Antrage nach § 2 WEG. berechtigt sei. Diese Auffassung könnte dazu führen, daß der Miteigentümer, der ein mit seinem Miteigentum verbundenes Wohnungseigentum begrundet hat, die für die Verbücherung erforderliche Bestimmung des Jahresmietzinses oder Jahresmietwertes seines Objektes (§ 5 Abs. 2 lit. b WEG.) nicht erreichen könnte, weil sich die Mehrheit der Miteigentümer weigert, einen Antrag nach § 2 WEG. bezüglich dieses Objektes zu stellen. Die erwähnte Rechtsansicht ist aber auch noch aus dem Gründe unrichtig, weil die Festsetzung des Jahresmietzinses oder Jahresmietwertes der Eigentumswohnung mit der Verwaltung der in Eigentumsgemeinschaft stehenden Sache nichts zu tun hat. Sie liegt zunächst im Interesse desjenigen, dessen Objekt der Mietzins- oder Mietwertbestimmung unterzogen werden soll. Sie berührt aber darüber hinaus auch das vermögensrechtliche Interesse aller Miteigentümer.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, daß jeder Miteigentümer zur Stellung von Anträgen nach § 2 WEG. auch dann befugt ist, wenn sein Antrag ein Objekt betrifft, das Gegenstand des Wohnungseigentums eines anderen Miteigentümers ist. Daß ein solcher dann Beteiligter ist, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Liegen bereits bindende Entscheidungen nach § 2 WEG. vor, dann kann ein neuerlicher Antrag nach dieser Gesetzesstelle nur gestellt werden, wenn sich der Sachverhalt, der der ersten Entscheidung zugrunde gelegt wurde, geändert hat. Hiefür genügt es aber, wenn der Antragsteller eine diesbezügliche Behauptung aufstellt. Erweist sich die Behauptung als unrichtig, dann ist sein Antrag abzuweisen.

Wird ein Verfahren ohne Beiziehung eines der mehreren Miteigentümer durchgeführt, denen im Sinne der obigen Ausführungen die Stellung eines Beteiligten zukommt, dann kann, wie bereits oben erwähnt, wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs Nichtigkeit des Verfahrens gegeben sein. Wurde die Entscheidung dem nicht zugezogenen Miteigentümer nicht zugestellt, dann kann sie ihm gegenüber nicht in Rechtskraft erwachsen. Zu der Frage der Tatbestandswirkung, die vom Rekursgerichte in seiner Entscheidung aufgeworfen wurde, ist folgendes zu sagen: Die Tatbestandswirkung ist mit der Rechtskraft der Entscheidung nicht zu verwechseln. Während diese im Verfahrensrecht wurzelt, liegt die Bedeutung jener ausschließlich auf privatrechtlichem Gebiete (s. Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 829, und Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes, 2. Aufl. S. 547 ff.). Es wird daher auch von Reflexwirkungen oder von privatrechtlichen Nebenwirkungen der Entscheidung gesprochen (Sperl a. a. O.). Die Tatbestandswirkung kann nur bezüglich solcher Rechtsverhältnisse eintreten, die nicht Gegenstand der Entscheidung waren, also vor allem hinsichtlich der Rechtsverhältnisse von dritten Personen, die weder als Parteien im Prozeß noch als Beteiligte im Außerstreitverfahren in Betracht kommen.

Das Rekursgericht ist daher mit Recht zu einer Aufhebung der Entscheidung des Erstrichters gelangt. Dieser wird nunmehr zu prüfen haben, ob und welche die Wohnungsobjekte der Liegenschaft betreffenden Entscheidungen nach § 2 WEG. ergangen sind, allenfalls inwiefern diese Entscheidungen allen Miteigentümern gegenüber bereits in Rechtskraft erwachsen sind. Wenn nötig, werden den bereits durchgeführten Verfahren die bisher nicht beteiligten Miteigentümer beizuziehen sein, um ihnen Gelegenheit zur Erhebung eines Rechtsmittels zu geben. Kommt es zur Aufhebung einer dieser Entscheidungen im Rechtsmittelzuge, dann wird zu untersuchen sein, ob es zweckmäßig ist, die Verfahren über die einzelnen Anträge zu verbinden. Schließlich wird auch festzustellen sein, wie weit vorangegangene Entscheidungen rechtskräftig sind und daher der gestellte Antrag wegen Rechtskraft zurückzuweisen ist. Auch im außerstreitigen Verfahren ist auf die Rechtskraft von Amts wegen Bedacht zu nehmen. Freilich steht dann die Rechtskraft einer Entscheidung nicht im Wege, wenn der neue Antrag darauf gestützt wird, daß der Tatbestand, auf den sich die bereits ergangene Entscheidung grundet, nachträglich eine Änderung erfahren habe.

Anmerkung

Z30021

Schlagworte

Antragslegitimation von Miteigentümern nach § 2 WEG., Beteiligte, Verfahren nach § 2 WEG., Miteigentümer, Festsetzung der Jahresmietwerte, Parteistellung von Miteigentümern, Miteigentümer, Parteistellung und Antragslegitimation im Verfahren nach, § 2 WEG., Parifizierung, Parteistellung und Antragslegitimation von, Miteigentümern, Parteistellung von Miteigentümern im Verfahren nach § 2 WEG., Wohnungseigentum, Parteistellung und Antragslegitimation von, Miteigentümern

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1957:0070OB00095.57.0403.000

Dokumentnummer

JJT_19570403_OGH0002_0070OB00095_5700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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