TE OGH 1958/2/20 7Ob13/58

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Veröffentlicht am 20.02.1958
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Norm

ABGB §1295
Reichshaftpflichtgesetz §§1 ff

Kopf

SZ 31/26

Spruch

Zum Begriff des "gefährlichen Betriebes".

Entscheidung vom 20. Februar 1958, 7 Ob 13/58.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 1. Juli 1955, 6 Cg 228/54- 28, wurde die Schadenersatzklage der Klägerin gegen die V.-AG. abgewiesen, die sich auf die Behauptung grundete, durch die Rauchgase eines Werkes dieser Gesellschaft sei eine Zirkusplache der Klägerin vernichtet worden. Das Gericht nahm, indem es im wesentlichen den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Erich S. folgte, nicht als erwiesen an, daß durch die Einwirkung der Rauchgase während der nur 5 bis 6 Tage dauernden Aufstellung des Zeltes der Klägerin in B. die festgestellten Zerstörungen an den horizontal aufgespannten Teilen der Zeltplache verursacht worden sein könnten. Auch fehle es am Nachweis des Verschuldens. Dieses wäre aber notwendig zur Verurteilung der V.-Werke, weil die Anwendung der §§ 364 ff. ABGB. nicht in Betracht käme, da die Klägerin den Aufstellungsplatz für das Zelt nur gemietet habe. Der Betrieb der V.-Werke-AG. sei auch nicht als gefahrbringendes Unternehmen anzusehen.

Dieses Urteil wurde vom Beklagten als Armenvertreter der Klägerin nicht angefochten; er verständigte die Klägerin nicht einmal von der Fällung des Urteils. Ein später von ihm eingebrachter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte keinen Erfolg.

Auf diese Unterlassungen des Beklagten grundet sich die Schadenersatzklage der Klägerin; sie wurde vom Erstgericht mit der Begründung abgewiesen, daß eine Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben keinen Erfolg gehabt hätte.

Das Urteil des Erstgerichtes wurde vom Berufungsgericht unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben. Das Berufungsgericht trat zwar der Rechtsmeinung des Erstgerichtes bei, daß das Magnesitwerk B. nicht als gefahrbringendes (gefährliches) Unternehmen anzusprechen sei und daher eine erweiterte Haftung des Unternehmers aus diesem Grund nicht in Frage komme. Es hielt aber die Frage nach dem Verschulden ebensowenig für genügend geklärt wie die Frage nach dem Kausalzusammenhang. Auch trug es dem Erstgericht auf, über den von der Klägerin gestellten Zwischenantrag auf Feststellung zu entscheiden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit Recht hat das Berufungsgericht den Standpunkt eingenommen, daß das Kreisgericht Leoben eine Reihe von Fragen nicht oder nicht entsprechend geprüft habe und daß die Wahrnehmung dieses Mangels durch das Berufungsgericht auf Grund einer rechtzeitig eingebrachten Berufung möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Das Kreisgericht Leoben hat die Frage des Kausalzusammenhanges im wesentlichen auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Erich S. verneint, ohne sich mit der Frage zu beschäftigen, wie dieses Gutachten mit den Aussagen der sachverständigen Zeugen Dr. G. und Dr. St. und mit der Schilderung der vernommenen Zeugen über den Zustand des Zeltes vor und nach der Aufstellung in B. sowie mit den Aussagen der Schausteller Herta und Albert T. über die auch an ihrem Zelt aufgetretenen Schäden vereinbar ist. Das Kreisgericht Leoben hat nicht ausgesprochen, ob es den Aussagen der Zeugen über den Zustand des Zeltes der Klägerin vor der Aufstellung in B. Glauben schenkt und welche Feststellungen es auf Grund dieser Aussagen trifft. Hätte es festgestellt, daß der Zustand des Zeltes vor der Aufstellung in B. ein vollkommen unbeschädigter war, hätte dies in Verbindung mit den Aussagen der Zeugen G. und St. und im Hinblick auf das ähnliche Schicksal, welches das Zelt der Schausteller T. erlitten hat, für das Kreisgericht Leoben wohl der Anlaß sein müssen, zur Überprüfung der Angaben des Sachverständigen Dr. Erich S. einen zweiten Sachverständigen zu bestellen, der, falls er zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß die Beschädigung am Zelte der Klägerin während der kurzen Ausstellungszeit in B. erfolgt sein kann, auch zu fragen gewesen wäre, ob die Beschädigung nur infolge der außergewöhnlichen Beschaffenheit der Zeltplane der Klägerin erfolgt sein dürfte oder ob auch andere Textilien durchschnittlicher Beschaffenheit durch die Einwirkung der Rauchgase des Werkes B. von der Vernichtung bedroht sind. Schließlich hätte das Kreisgericht Leoben zu prüfen gehabt, ob die Behauptung der Klägerin richtig ist, daß durch die Rauchgase auch Tierschäden entstanden sind. Es wäre nun Aufgabe des Erstgerichtes gewesen, all das, was das Kreisgericht Leoben zu prüfen unterlassen hat, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, um feststellen zu können, ob eine rechtzeitig erhobene und entsprechend ausgeführte Berufung eine andere Entscheidung im Prozesse des Kreisgerichtes Leoben herbeigeführt hätte.

Nur durch diese eingehende Prüfung hätte sich verläßlich die Frage beantworten lassen, ob die Vernichtung der Zeltplane der Klägerin infolge Einwirkung der Rauchgase des Werkes B. erfolgt ist. Mit der Beantwortung dieser Frage wäre aber im wesentlichen der Prozeß des Kreisgerichtes Leoben über die Schadenersatzforderung der Klägerin dem Gründe nach entschieden gewesen. War diese Frage zu verneinen, dann war der geltend gemachte Schadenersatzanspruch schon wegen mangelnder Kausalität abzuweisen. Wäre sie dagegen zu bejahen gewesen und wäre weiters festgestellt worden, daß die Beschädigung nicht nur wegen der außergewöhnlichen Beschaffenheit der Plache der Klägerin eingetreten ist, sondern weil die Rauchgase des Werkes B. im allgemeinen geeignet sind, auf gewisse Sorten von Textilien durchschnittlicher Beschaffenheit in kurzer Zeit eine vernichtende Wirkung auszuüben, dann wäre der Schadenersatzanspruch der Klägerin dem Gründe nach zu bejahen gewesen. Denn damit wäre nicht nur der Kausalzusammenhang, sondern auch der Charakter des Werkes B. als eines gefahrenbringenden Unternehmens klargestellt, so daß es des Nachweises eines Verschuldens nicht bedurft hätte, weil nach der mit der Rechtslehre übereinstimmenden ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Grundsätze der Haftpflichtgesetze auch auf andere gefahrenbringende Unternehmungen analog anzuwenden sind. Wer ein solches Unternehmen betreibt, kann die Gefahr einer aus der Art des Betriebes entspringenden Verursachung von Schäden an Leib, Leben und Vermögen anderer nicht auf die Öffentlichkeit abwälzen, sondern muß für sie auch dann aufkommen, wenn ihm oder seinem Betriebsgehilfen ein Verschulden nicht nachgewiesen werden kann, insoweit nicht Selbstverschulden des Geschädigten, nicht zu vertretendes Verschulden Dritter oder höhere Gewalt vorliegen (SZ. XXI 46 u. v. a.).

Zu Unrecht haben die Untergerichte die Anwendung des Begriffes eines gefahrbringenden (gefährlichen) Unternehmens auf das Werk B. vorbehaltlos abgelehnt. Das Berufungsgericht hat sich insbesondere auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes RiZ. 1956 S. 125 berufen, die unter Hinweis auf Ehrenzweig als Grund für die erweiterte Haftung des Unternehmers bei gefährlichen Betrieben anführte, daß bei solchen Betrieben dem Unternehmer Handlungen gestattet würden, die verboten wären, wenn die Rechtsordnung nur die gefährdeten Interessen Dritter im Auge hätte. So dürfe der Unternehmer bei solchen gefährlichen Betrieben gewaltige Elementarkräfte entfesseln, schwere Massen mit ungeheurer Geschwindigkeit dahingleiten lassen, Zundstoffe erzeugen oder verwenden, den festen Boden untergraben oder den Luftraum unsicher machen. Es müsse sich also um Betriebe handeln, bei welchen nicht bloß infolge zufälliger konkreter Umstände, sondern infolge ihrer allgemeinen Beschaffenheit die Interessen Dritter schon dadurch in einer das normale Ausmaß der im modernen Leben stets bestehenden Gefährdung wesentlich übersteigenden Art gefährdet würden, daß der Betrieb zur Erreichung seines Zweckes überhaupt im Gang sei. Aber gerade bei Anwendung dieser Grundsätze müßte man zur Unterstellung des Werkes B. unter den Begriff eines gefährlichen Betriebes gelangen, wenn es richtig wäre, daß die Rauchgase dieses Werkes geeignet sind, außer den von der Werksleitung zugegebenen, schon durch viele Jahre verursachten Schäden an den Wäldern und Wiesen der Umgebung im weiten Umkreis bei nur kurzer Einwirkung auch vernichtende Schäden an Textilien durchschnittlicher Beschaffenheit, wenn diese sich in horizontaler Lage befinden, oder gar an Lebewesen zu verursachen. Das wäre eine Dauergefährdung fremden Gutes, die weit über das normale Ausmaß der im modernen Leben stets zu erwartenden Gefährdung hinausgeht. Gewiß spielen in den Diskussionen zu dem Begriff des gefährlichen Betriebes in Rechtsprechung und Literatur die größte Rolle Elektrizitätswerke, Gaswerke, Atomreaktoren, Wasserkraftwerksbauten und Betriebe, in denen Sprengstoff erzeugt oder verwendet wird, dies aber nur deshalb, weil bei diesen Betrieben ihre Gefährlichkeit ohne weiteres klar zutage tritt. Es besteht aber kein Grund, einen Betrieb anders zu behandeln, bei dem nur durch Rauchgase schon beim normalen Betrieb und bei normalerweise immer wiederkehrenden Witterungsverhältnissen schon bei kurzer Einwirkung der Gase im weiten Umkreis gleichartige Sachschäden einzutreten pflegen, wie sie durch Einwirkungen von Elektrizität oder Explosion von Gasen eintreten können, nur mit dem Unterschied, daß das schädigende Ereignis hier weniger augenfällig und der ursächliche Zusammenhang schwerer zu erweisen ist. Zu dem von den V.-Werken im Prozeß des Kreisgerichtes Leoben herangezogenen Argument, es müßte bei der Einstufung ihres Betriebes unter die gefährlichen Unternehmungen jeder Betrieb, der sich einer gleichartigen Kohlenfeuerung bedient, als gefährliches Unternehmen gewertet werden, ist nur zu sagen: Gewiß ist das so, wenn durch diese Kohlenfeuerung schon bei normalem Betrieb des Unternehmens dauernde Gefahren konkreter Art für die Allgemeinheit herbeigeführt werden. Die Rechtsordnung verbietet im Zeitalter der Maschinen die Errichtung von Betrieben, die Maschinen verwenden, auch dann nicht, wenn dadurch die körperliche Integrität oder das Vermögen betriebsfremder Personen in Gefahr geraten. Aber sie muß verlangen, daß der entstandene Schaden nach Möglichkeit nicht von diesen Personen, sondern von dem Unternehmen getragen wird, das die Maschinen betreibt, daraus Gewinn zieht und in dessen Hand es gelegen ist, durch entsprechende Vorkehrungen die Gefährdung möglichst zu vermindern. Dieser Grundsatz ist in den Haftpflichtgesetzen (RHG., SachschadenHG., KraftfVerkG., Luft-VerkG.) ausgesprochen, und er muß wegen Gleichheit des Rechtsgrundes auf andere gefährliche Betriebe gerade dann angewendet werden, wenn gefährliche Betriebe bestimmter Art im Wirtschaftsleben eine häufige Erscheinung sind.

Anmerkung

Z31026

Schlagworte

Betrieb, gefährlicher, Gefährlicher Betrieb, Begriff, Haftpflicht, gefährlicher Betrieb, Schadenersatz gefährlicher Betrieb

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1958:0070OB00013.58.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19580220_OGH0002_0070OB00013_5800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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