TE OGH 1958/6/25 5Ob170/58

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Veröffentlicht am 25.06.1958
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Norm

Genossenschaftsgesetz §15
Genossenschaftsgesetz §17

Kopf

SZ 31/90

Spruch

Wenn die Satzung oder eine besondere Geschäftsordnung für den Vorstand nichts anderes bestimmt, genügt eine schriftliche Einladung der Vorstandsmitglieder zu ihrer Sitzung ohne gleichzeitige Bekanntgabe der Gegenstände, über die Beschluß zu fassen sein wird.

Entscheidung vom 25. Juni 1958, 5 Ob 170/58.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Genossenschaft. Er wurde mit Beschluß des Vorstandes in der Sitzung vom 4. März 1955, an der von den zwölf Vorstandsmitgliedern sieben mitgewirkt haben, als Genossenschafter ausgeschlossen. Der Ausschließungsbeschluß wurde dem Kläger mit Schreiben vom 4. März 1955 mitgeteilt. Er begehrte hierauf mit Klage, die Unwirksamkeit dieser Ausschließung zu erklären und festzustellen, daß er zufolge Ungültigkeit des erwähnten Vorstandsbeschlusses nach wie vor Mitglied der Genossenschaft sei.

Das Erstgericht erklärte die Ausschließung, die den Bestimmungen des Statutes und der Geschäftsordnung entspreche, für begrundet und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht ließ sich auf eine materielle Prüfung der Ausschließung des Klägers nicht ein, weil es die Ansicht vertrat, daß mangels einer entsprechenden Bestimmung des Statutes § 17 GenG. anzuwenden sei, der die Gesamtvertretung, d. h. die Mitwirkung sämtlicher Vorstandsmitglieder bei der Willensbildung, vorsehe. Da der Beschluß aber nur von sieben bei der Vorstandssitzung anwesenden Mitgliedern gefaßt worden sei, liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesamtvertretung vor, woraus sich ergebe, daß der Vorstandsbeschluß nicht gültig sei.

Der Oberste Gerichtshof vermochte diese Ansicht nicht zu teilen. Er hob daher mit Beschluß vom 15. Mai 1957, 7 Ob 215/57, das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache an dieses zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Der Oberste Gerichtshof sprach in seinem Aufhebungsbeschluß die Ansicht aus, daß sich aus § 22 Abs. 3 des Statutes, nach dem der Obmannstellvertreter bei Verhinderung des Obmannes den Vorsitz führe, ergebe, daß die Anwesenheit aller Vorstandsmitglieder zur Beschlußfähigkeit des Vorstandes nicht erforderlich sei. Es müsse allerdings allen Vorstandsmitgliedern Gelegenheit gegeben worden sein, an der Sitzung teilzunehmen. Es sei daher vor allem notwendig festzustellen, ob alle Vorstandsmitglieder zur Sitzung vom 4. März 1955 durch den Obmann des Vorstandes einberufen worden seien.

Das stellte nunmehr das Berufungsgericht in seiner neuerlichen Entscheidung, mit der es gemäß dem Klagebegehren erkannte, fest. Das Berufungsgericht vertrat jedoch die Auffassung, daß die Vorstandssitzung nicht ordnungsgemäß einberufen worden sei, weil den geladenen Vorstandsmitgliedern der Zweck der Sitzung nicht bekanntgegeben wurde. Dies sei aber zu einer ordnungsmäßigen Einberufung der Vorstandssitzung notwendig gewesen, weil die Bestimmung des § 30 GenG. auch auf die Einberufung von Vorstandssitzungen analog anzuwenden sei. Der Grund dieser Gesetzesbestimmung sei darin gelegen, daß dort, wo eine größere Anzahl von Personen stimmberechtigt erscheine und eine Verständigung im kurzen Wege, insbesondere durch persönliche Fühlungnahme, nur schwer oder überhaupt nicht möglich sei, bereits in der an jeden Stimmberechtigten ergehenden Einberufung die Gegenstände der Beschlußfassung im voraus bekanntzugeben seien, damit sich die Genossenschafter ein Bild machen und sich entscheiden könnten, ob sie von ihrem Genossenschaftsrecht der Mitwirkung an der Beschlußfassung Gebrauch machen wollen. Dieser Grundgedanke müsse überall dort Platz greifen, wo von einem anderen Kollektivorgan die Genossenschaft oder die Genossenschafter betreffende Beschlüsse zu fassen seien. Da mangels ordnungsgemäßer Einberufung der Vorstandsmitglieder zur Sitzung vom 4. März 1955 ein formell gültiger Beschluß des Vorstandes über den Ausschluß des Klägers nicht gefaßt werden konnte, sei auf die Feststellungen und Schlußfolgerungen des Erstrichters zur Frage der materiellen Berechtigung des Ausschlusses des Klägers nicht einzugehen gewesen. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Klägers auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Vorstand ist der gesetzliche Vertreter der Genossenschaft (§ 15 GenG.). Er hat in der durch den Genossenschaftsvertrag bestimmten Form seine Willenserklärung kundzutun (§ 17 GenG.). Das Gesetz enthält nichts darüber, daß der Vorstand zu Sitzungen einzuberufen ist und daß er sich in diesen Sitzungen seine Willensmeinung zu bilden hat. Richtig ist, daß nach dem Gesetz, sofern das Statut nichts anderes bestimmt, zur Wirksamkeit von Willenserklärungen die Zustimmung sämtlicher Vorstandsmitglieder notwendig ist (§ 17 GenG.). Diese müssen aber ebensowenig wie bei Willenserklärungen des Vorstandes einer Aktiengesellschaft gleichzeitig abgegeben werden (siehe hiezu Schlegelberger - Quassowski, Aktiengesetz, 3. Aufl. S. 242). Die Mehrheitsvertretung ist nicht eine Abart der Gesamtvertretung, sondern eine Abart der Einzelvertretung (so richtig Godin - Wilhelmi, Aktiengesetz, 2. Aufl. S. 304). Sie wird geschaffen, um die Willensbildung zu erleichtern, um die Willensbildung von der Anwesenheit einzelner Vorstandsmitglieder, sofern ihre Anwesenheit nicht zur Erreichung der Mehrheit erforderlich ist, unabhängig zu gestalten. Bei der Gesamtvertretung erhält zwangsläufig jedes Vorstandsmitglied Kenntnis von der Willenserklärung, der es zustimmen muß, wenn ein gültiger Willensentschluß des Vorstandes zustandekommen soll. Eine solche Kenntnis des Verhandlungsgegenstandes einer Vorstandssitzung für die Mitglieder des Vorstandes bei im Statut festgelegter Mehrheitsvertretung zu verlangen, geht nicht an, wenn das Statut selbst eine solche Bestimmung nicht ausdrücklich enthält. Das würde dem Vorstand die durch das Mehrheitsprinzip verschaffte Beweglichkeit in der Willensbildung wieder weitgehend nehmen. Der Oberste Gerichtshof vermag daher die vom Berufungsgericht auf eine Belegstelle in der deutschen Literatur (Heinz Paulik, Das Recht der eingetragenen Genossenschaft, S. 220) gegrundete Auffassung nicht zu teilen, daß dann, wenn die Satzung oder eine besondere Geschäftsordnung für den Vorstand nichts anderes bestimmten, die Beschlußfassung des Vorstandes nach den für die Mitgliederversammlung geltenden Vorschriften zu erfolgen habe. Das Statut enthält für die Einberufung von Vorstandssitzungen nur die Bestimmung, daß der Obmann des Vorstandes Sitzungen nach Bedarf einzuberufen habe. Daß hiebei eine bestimmte Form einzuhalten und insbesondere den Vorstandsmitgliedern in der ihnen zugehenden Einladung der Gegenstand der Sitzung bekanntzugeben sei, sagt die Satzung nicht. Wer von den Vorstandsmitgliedern nicht zur Sitzung erscheint, muß damit rechnen, daß auch schwerwiegende Beschlüsse in bezug auf die Genossenschaft oder die Genossenschafter gefaßt werden. Enthält das Statut nichts über die Art der Verständigung der Vorstandsmitglieder zwecks Teilnahme an den Vorstandssitzungen, dann genügt jedenfalls eine schriftliche Einladung, wie sie der Obmann der Genossenschaft für die Sitzung vom 4. März 1955 hinausgegeben hat.

Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes die zwölf Vorstandsmitglieder zur Vorstandssitzung vom 4. März 1955 geladen wurden, konnten sieben Mitglieder, d. i. die Mehrheit, einen formell gültigen Beschluß fassen. Da sich jedoch das Berufungsgericht in eine materielle Prüfung der Ausschließung des Klägers nicht eingelassen und vor allem nicht zu den diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichtes Stellung genommen hat, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Anmerkung

Z31090

Schlagworte

Einberufung des Vorstandes einer Genossenschaft, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Form der Einberufung einer, Vorstandssitzung, Genossenschaft, Vorstandssitzung, Form ihrer Einberufung, Sitzung des Vorstandes einer Genossenschaft, Form ihrer Einberufung, Vorstandssitzung einer Genossenschaft, Form ihrer Einberufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1958:0050OB00170.58.0625.000

Dokumentnummer

JJT_19580625_OGH0002_0050OB00170_5800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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