TE OGH 1959/1/21 2Ob261/58

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Veröffentlicht am 21.01.1959
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Norm

Kraftfahrzeugverkehrsgesetz §7 Abs2

Kopf

SZ 32/10

Spruch

Der Halter braucht nicht auch für Schäden einzustehen, die ein auf der befahrenen Straße gelegener, von seinem Fahrzeug zufällig weggeschleuderter Stein verursacht hat ("unabwendbares Ereignis").

Entscheidung vom 21. Jänner 1959, 2 Ob 261/58.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Im Februar 1957 fuhr der Beklagte mit seinem PKW. in Wien durch die asphaltierte B.-Straße. Der fahrende Wagen schleuderte einen auf der Straße liegenden Stein zur Seite. Der Stein flog in die Spiegelscheibe eines dem Kläger gehörigen Lokals und zerschlug sie. Der Kläger erlitt hiedurch einen Schaden in der Höhe von 950 S. Ein Verschulden des Beklagten liegt nicht vor.

Der Kläger verlangt vom Beklagten seinen Schaden ersetzt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren aus rechtlichen Erwägungen statt.

Das Berufungsgericht vertrat eine andere Rechtsansicht und wies die Klage ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt einzig und allein von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob der Fahrzeughalter auch für Schäden haftet, die ein Stein verursacht hat, der nur durch das Fahren des Wagens und ohne ein Verschulden des Lenkers von der Straße weggeschleudert wurde (genauer ausgedrückt, weil dem maßgeblichen Gesetzeswortlaut angepaßt: ob das Wegschleudern eines auf der Straße liegenden Steines als ein "unabwendbares Ereignis" angesehen werden kann, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges noch auf einem Versagen seiner Verrichtungen beruht). Mit diesen Worten umschreibt der § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. den Tatbestand, der die im § 7 Abs. 1 KraftfVerkG. dem Fahrzeughalter unter dem Gesichtspunkt einer Gefährdungshaftung auferlegte Ersatzpflicht ausschließt, und erläutert sodann beispielsweise, was der Gesetzgeber unter einem "unabwendbaren Ereignis" verstanden wissen will: verursachendes Verhalten des Verletzten, eines Dritten oder eines Tieres, immer jedoch unter der Voraussetzung, daß sowohl der Halter als auch der Lenker des Fahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Vorsicht beobachtet haben.

Demnach reicht der Begriff des "unabwendbaren Ereignisses" im Sinne des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. weiter als ein objektiv verstandener Begriff der "höheren Gewalt", vor allem auch weiter als der im § 1 RHG. gebrauchte Begriff der "höheren Gewalt". Das ist unbestritten (vgl. Müller, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. S. 232.; Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 9. Aufl. S. 306; Floegel - Hartung, Straßenverkehrsrecht, II. Aufl. S. 1123; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht, 6. Aufl. S. 273). Bartsch (Kraftfahrrecht 4. Aufl. S. 20 ff.) schlägt nur deshalb eine Gedankenbrücke vom Begriff des "unabwendbaren Ereignisses" zum Begriff der "höheren Gewalt", weil er auch den letztgenannten Begriff vorwiegend subjektiv auffaßt. Er definiert als "unabwendbar" jedes Ereignis, das trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht eingetreten ist; der Maßstab dafür sei kein absoluter, abstrakter, sondern es komme darauf an, ob die Abwendung des Unfalles bei den gegebenen Verhältnissen durch die äußerste Sorgfalt und durch Mittel, deren Anwendung dem Haftpflichtigen vernünftigerweise zugemutet werden konnte, möglich gewesen wäre. Damit kommt Bartsch im entscheidenden Belang zu den gleichen Ergebnissen wie die deutschen Autoren:

unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn es auch bei äußerster, nach den Umständen gebotener Sorgfalt weder vom Fahrzeughalter noch vom Fahrzeugführer abgewendet werden konnte (Müller a. a. O. S. 233; Geigel a. a. O. S. 306; Floegel - Hartung a. a. O. S. 1122; Wussow a. a. O. S. 273). Bartsch - Veit halten in der 1956 erschienenen Neuauflage des Werkes von Bartsch (Das Kraftfahrzeug-Haftpflichtrecht, 5. Aufl. S. 47 f.) an dem Versuch einer Einordnung des Begriffes "unabwendbares Ereignis" in den (subjektiv verstandenen) Begriff "höhere Gewalt" nicht mehr fest, sondern übernehmen wörtlich die Ausführungen Geigels. und schon vorher hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung SZ. XXIII 158 ein Ereignis dann als "unabwendbar" bezeichnet, wenn es trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden konnte.

Da nun der Kläger im vorliegenden Fall ausdrücklich erklärt hat, ein Verschulden des Beklagten gar nicht zu behaupten, und auch in seiner Revisionsschrift nur die Ansicht vertritt, daß der Beklagte als Fahrzeughalter "unter allen Umständen", also auch für ein zufälliges Wegschleudern eines Steines von der Straße, einzustehen habe, braucht die Möglichkeit irgendeiner dem Beklagten anlastbaren Sorgfaltsverletzung nicht in Betracht gezogen zu werden.

Zu untersuchen bleibt daher lediglich, ob das zur Begründung des Klageanspruches herangezogene, nach den vorangestellten Erwägungen jedoch unabwendbare Ereignis nicht etwa unter die Ausnahmsbestimmung des § 7 Abs. 2 erster Satz KraftfVerkG. fällt, das heißt, ob das Wegschleudern des Steines nicht etwa auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges oder auf einem Versagen seiner Verrichtungen beruht. Auch diese (vom Kläger nicht einmal angeschnittene) Frage ist zu verneinen, weil das Herumliegen eines Steines auf einer asphaltierten (!) Straße - der dann von einem die Straße befahrenden Fahrzeug zufällig weggeschleudert wird - möglicherweise als ein vom Fahrzeughalter nicht zu vertretender Mangel der Straße, nicht aber als ein Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges oder als ein Versagen seiner Verrichtungen aufgefaßt werden kann. Diese Ansicht stimmt mit jener der herrschenden deutschen Lehre überein, die bei der kasuistischen Darstellung der den Fahrzeughalter von seiner Haftpflicht befreienden Umstände gerade auch den Fall erwähnt, daß ein auf der Straße liegender Stein von den Rädern des Kraftfahrzeuges erfaßt und in eine Schaufensterscheibe geschleudert wurde (Müller a. a. O. S. 234; Geigel a. a. O. S. 3O7; Floegel - Hartung a. a. O. S. 1123 f.; a. M., allerdings ohne nähere Begründung, Wussow a. a. O. S. 274). Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Halter nicht auch für Schäden einzustehen hat, die ein auf der befahrenen Straße gelegener, von seinem Fahrzeug zufällig weggeschleuderter Stein verursacht hat.

Die Revisionsausführungen ergehen sich vorwiegend in rechtspolitischen Erwägungen und in Betrachtungen allgemeiner Natur, ohne den Wortlaut der maßgeblichen Gesetzesstelle (§ 7 Abs. 2 KraftfVerkG.) auch nur einigermaßen im Auge zu behalten. Der Revisionswerber begrüßt den Standpunkt des Erstgerichtes, das das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit in den Vordergrund gestellt habe, als "modern", versucht ihn aber doch durch einen Hinweis auf die Auffassung des historischen Gesetzgebers vom Jahre 1909 zu stützen, jenes Gesetzgebers, "der die eben erfundenen Kraftfahrzeuge mit dem größten Mißtrauen betrachtete und daher alles vorsehen wollte, um das Publikum vor Schäden zu bewahren" - ein Widerspruch in sich selbst, der auch dadurch nicht abgeschwächt wird, daß der Revisionswerber wohl konzediert, eine so negative Einstellung gegen den Kraftfahrzeugverkehr könne heute nicht mehr gerechtfertigt werden, trotzdem aber verlangt, daß der Kraftfahrzeughalter über die Grenzen des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. einstehen solle. Der Angriff des Revisionswerbers gegen den vom Berufungsgericht - ebenfalls nur auf rechtspolitischer Basis - herangezogenen Vergleich mit der Tierhalterhaftung, deren Beschränkung ja auch gewisse Härten mit sich bringe, kann unerörtert bleiben, weil es nicht rechtspolitische, sondern rechtsdogmatische Erwägungen sind, die den Klagsanspruch zu Fall bringen. Der polemische Hinweis des Revisionswerbers auf die Prämien kassierenden und Paläste bauenden Versicherungsanstalten wirkt unangebracht, weil die versicherungsmäßige Schadensdeckung keinen Ersatzpflicht-Tatbestand schafft. Dem letzten Argument des Revisionswerbers kann gleichfalls kein Gewicht beigemessen werden; es gibt zu bedenken, daß der weggeschleuderte Stein auch einen Menschen ins Auge hätte treffen können, und meint, daß dann der Fall denn wohl anders beurteilt würde. Dem ist nur entgegenzuhalten, daß die Bejahung der Ersatzpflicht nicht von der Schwere des eingetretenen Schadens abhängig gemacht werden kann. Und so wenig der § 1311, erster Satz, ABGB. auf die Größe oder Geringfügigkeit des Schadens abstellt, wenn er den Zufall grundsätzlich denjenigen treffen läßt, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet, ebensowenig läßt sich die gesetzlich beschränkte Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters durch Billigkeitserwägungen verschärfen.

Anmerkung

Z32010

Schlagworte

Ereignis, unabwendbares - nach § 7 Abs. 2 KraftfVerkG.„ weggeschleuderter Stein, Stein, weggeschleuderter, unabwendbares Ereignis nach § 7 Abs. 2, KraftfVerkG., Unabwendbares Ereignis nach § 7 Abs. 2 KraftfVerkG., weggeschleuderter, Stein, Weggeschleuderter Stein, unabwendbares Ereignis nach § 7 Abs. 2, KraftfVerkG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1959:0020OB00261.58.0121.000

Dokumentnummer

JJT_19590121_OGH0002_0020OB00261_5800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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