TE OGH 1959/9/3 1Ob248/59

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Veröffentlicht am 03.09.1959
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Norm

ABGB §246
Wechselgesetz 1955 Art1

Kopf

SZ 32/101

Spruch

Minderjährige sind im Rahmen des § 246 ABGB. beschränkt wechselgeschäftsfähig. Wechselunterschriften Minderjähriger sind in diesem Rahmen gültig.

Entscheidung vom 3. September 1959, 1 Ob 248/59.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht hat auf Grund des vom Kläger an eigene Order ausgestellten Wechsels vom 1. September 1958 gegen Peter P. und August M. als Akzeptanten einen Wechselzahlungsauftrag wegen 1100 S s. A. erlassen. An Peter P. konnte der Wechselzahlungsauftrag nicht zugestellt werden. August M. (im folgenden Beklagter genannt) erhob rechtzeitig Einwendungen. In diesen machte er geltend, es sei ihm versprochen worden, daß er nur herangezogen werde, wenn Peter P. nicht zahle. Dieser sei bisher nicht in Anspruch genommen worden. Er (M.) sei überdies erst zwanzig Jahre alt und seine Wechselunterschrift daher unverbindlich. Dem setzte der Kläger entgegen, der Beklagte sei im Rahmen des § 246 ABGB. verpflichtet.

Das Erstgericht hielt im ersten Absatz seines Spruchs den Wechselzahlungsauftrag hinsichtlich 1020 S aufrecht und hob ihn wegen 80 S auf. Der zweite Absatz enthält den Kostenspruch. Im dritten Absatz spricht es aus, daß, solange der Beklagte minderjährig sei, die Exekution gegen ihn nur im Rahmen des § 246 ABGB. zulässig sei. Es stellte fest:

Am 1. September 1958 kaufte Peter P. von der klagenden Partei einen gebrauchten Personenkraftwagen Opel-Olympia um den Betrag von 2000 S, wovon er sogleich 1000 S bar bezahlte. Der Restbetrag von 1000 S wurde von Erwin F., der namens der klagenden Partei die Kaufverhandlungen führte, bis zum 15. September kreditiert, nachdem der mitanwesende Beklagte sich bereit erklärt hatte, für P. zu bürgen, und beide eine Selbstauskunft ausgefüllt hatten. Der Beklagte, der minderjährig ist (geboren am 25. Oktober 1939), gab in der von ihm unterfertigten Selbstauskunft sein Alter mit zwanzig Jahren, und seinen monatlichen Verdienst als Vertreter der Firma Sch. in Wien XIX., B.-Straße 13, mit 4000 S an. P. und der Beklagte, die bei den Verhandlungen mit dem Zeugen F. stets die "Wir"-Form gebrauchten, indem sie erklärten "Wir werden pünktlich zahlen; wir werden die Differenz von 1000 S bezahlen", usw., unterfertigten den gegenständlichen Wechsel als Akzeptanten, wobei der Wechsel lediglich das Fälligkeitsdatum 15. September 1958 und das Ausstellungsdatum 1. September 1958 enthielt. Ferner unterfertigte der Beklagte mit P. die Wechseleinklagsermächtigungserklärung vom 1. September 1958, worin P. erklärte, daß er am heutigen Tage ein Blankoakzept unterfertigt habe und die klägerische Firma ermächtige, für den Fall, als er in Zahlungsverzug gerate und den Betrag von 1000 S zuzüglich Ausfertigungsgebühr von 20 S, zahlbar bis 15. September 1958, nicht zahle, das übergebene Blankoakzept mit der aushaftenden Forderung zur Einklagung zu bringen. Der Beklagte hat tatsächlich zum Zeitpunkt der Wechselausstellung (1. September 1958) als Vertreter 4000 S monatlich bezogen. Seit Anfang Jänner 1959 steht er als Automechaniker bei einem Wochenverdienst von zirka 360 S bis 380 S in Arbeit. Der Beklagte hat bei Abgabe seiner Wechselerklärung oder später eine Vereinbarung, wonach er erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des Peter P. herangezogen werden sollte, nicht getroffen. Der Wechsel ist nur vom Beklagten, nicht aber von seinem gesetzlichen Vertreter unterschrieben.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Beklagte aus seiner Wechselunterschrift im Rahmen des § 246 ABGB. verpflichtet sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es den Wechselzahlungsauftrag zur Gänze aufhob und das Klagebegehren demgemäß abwies. Rechtlich meinte es, daß die beschränkte Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen nach § 246 ABGB. ihn noch nicht passiv wechselgeschäftsfähig mache und seine Unterschrift überhaupt keine Wechselverbindlichkeit begrunde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das erstgerichtliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Daß sich die Wechselfähigkeit mangels einer Bestimmung im Wechselgesetz nach dem bürgerlichen Recht beurteilt, also mit der zivilrechtlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit zusammenfällt, ist allgemein anerkannt (Grünberg, Grundzüge des neuen Wechsel- und des Scheckrechtes, 4. Aufl. S. 18 ff; Stranz, Wechselgesetz, 14. Aufl. Anm. 3 ff. zu Art. 7; Jacobi, Wechsel- und Scheckrecht, S. 208 f.; Stanzl, Wechsel-, Scheck- und sonstiges Wertpapierrecht, S. 38). Auch unter dem Recht der WO., deren Art. 1 bestimmte, daß wechselfähig jeder sei, welcher sich durch Verträge verpflichten könne, galt das gleiche.

Die hier zu lösende Frage ist, ob diese allgemeinen Sätze auch für den Fall der beschränkten Handlungsfähigkeit des § 246 zweiter Satz ABGB. gelten, wonach der Minderjährige über das, was er durch seinen Fleiß erwirbt, sowie über die Sachen, die ihm nach erreichter Mundigkeit zu seinem Gebrauch eingehändigt werden, frei verfügen und sich verpflichten kann, oder ob in diesem Sonderfall im Sinn der allgemeinen Wechselunfähigkeit entschieden werden muß. Eine einheitliche Auffassung hat sich hierüber bisher nicht gebildet.

In der Entscheidung Czel. 82 meinte der Oberste Gerichtshof, der § 246 ABGB. habe keine Anwendung, weil aus der Akzeptation nicht zu entnehmen sei, daß der Beklagte mittels derselben über das, was er als Journalist erwarb, verfüge, und lehnte demgemäß eine Wechselverpflichtung überhaupt ab. Im Fall der Entscheidung Czel. 488 wurde eine wechselrechtliche Verpflichtung in der Erwägung abgelehnt, "daß die durch das Accept übernommene Verpflichtung in keiner Weise beschränkt erscheint, daß dieselbe nach der Natur des Acceptes vorbehaltlos das ganze Vermögen des Minderjährigen ergreift, daher nicht gesagt werden kann, es habe der Minderjährige, der den Klagewechsel akzeptierte, sich hiedurch nur rücksichtlich dessen verpflichten wollen und können, was er durch seinen Fleiß erwirbt". Nach der auch in JMVBl. 1889 Nr. 442 veröffentlichten Entscheidung Czel. 534 macht die in § 246 ABGB. einem Minderjährigen eingeräumte beschränkte Vertragsfähigkeit denselben noch nicht wechselfähig im Sinne des Art. 1 WO. Mit der Entscheidung Krall 175 war dagegen die Zahlungsauflage aufrechterhalten worden in Hinblick auf die Allgemeinheit der Bestimmung des § 247 ABGB. und weil Art. 9 (richtig Art. 1) WO. lautet, daß jeder wechselfähig ist, der sich durch Verträge verpflichten kann, und weil ferner der vorliegende Vertrag nicht außer Verhältnis zu den jährlichen, dem Beklagten zur freien Verfügung überlassenen Einkünften steht. Dazu ist des Verständnisses wegen darauf hinzuweisen, daß § 247 ABGB. vorsieht, einem Minderjährigen, der das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt habe, könne die Obervormundschaft den reinen Überschuß seiner Einkünfte zur eigenen freien Verwaltung überlassen und er sei dann über diesen seiner Verwaltung anvertrauten Betrag berechtigt, eigenmächtig sich zu verbinden. Sowohl durch § 246 wie durch § 247 ABGB. ist also dem Minderjährigen ein Vermögen - ein sogenanntes peculium - zur freien Verfügung überlassen. Nach dem auch vom Berufungsgericht - allerdings ohne Fundstelle - angeführten, zum Entwurf des Wechselgesetzes 1932 abgegebenen Gutachten des Obersten Gerichtshofes (Nr. 352 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats, IV. GP., S. 29) setzt die Wechselgeschäftsfähigkeit volle Handlungsfähigkeit voraus und steht daher Pflegebefohlenen überhaupt nicht - auch nicht im Rahmen der §§ 151, 152, 246 und 247 ABGB., § 4 EntmO. - zu. Denn die Frage, ob ein Pflegebefohlener sich selbständig verpflichten kann, kann in der Regel nur in bezug auf das einzelne Geschäft ermittelt werden. Einwendungen aus diesem Geschäft sind aber gegen den Inhaber des Wechsels nur nach Maßgabe des Art. 17 des Entwurfes (früher Art. 82 WO.) zulässig. Es kann daher wechselgeschäftsfähig nur jemand sein, dessen Fähigkeit, sich zu verpflichten, unbeschränkt ist.

Im Schrifttum nehmen weder Grünhut, Wechselrecht, noch Grünhut, Lehrbuch, noch Grünberg a. a. O. S. 19 - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - deutlich Stellung. Bettelheim, Bürgerliches Gesetzbuch und Wechselgesetz, JBl. 1934 S. 485, führt aus, keinesfalls werde man die Eingehung von Wechselverpflichtungen durch nicht eigenberechtigte Personen den Ausnahmen der §§ 151, 152, 246, 247 ABGB. unterstellen dürfen, nach welchen auch minderjährige Personen sich selbständig verpflichten können. Kapfer, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 4. Aufl. Anm. 14 zu Art. 1. meint, die Wechselgeschäftsfähigkeit setze Handlungsfähigkeit voraus und stehe daher Pflegebefohlenen nur im Rahmen der §§ 151, 152, 246, 247 ABGB., § 4 EntmO. zu.

Nach deutschem Recht ist der Minderjährige, der zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes oder zur Eingehung eines Dienstverhältnisses ordnungsgemäß ermächtigt ist, für die mit dem Geschäftsbetrieb bzw. mit dem Dienstverhältnis zusammenhängenden Geschäfte geschäftsfähig; ausgenommen sind aber Verträge, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes bedarf (§§ 112, 113 BGB.). Die Ausstellung der Verbindlichkeit aus einem Wechsel gehört gemäß § 1822 Nr. 9 BGB. zu den letztgenannten Geschäften, so daß eine der hier zu lösenden ähnliche Frage im deutschen Recht nicht entsteht.

Für die Schweiz berichtet Guhl, Das schweizerische Obligationenrecht, 5. Aufl. S. 704, daß unmundige oder bevormundete Personen dann wechselfähig sind, wenn ihnen vom Inhaber der elterlichen Gewalt oder von der Vormundschaftsbehörde der selbständige Betrieb eines Berufs oder Geschäfts überlassen worden ist und Wechselziehungen zum regelmäßigen Betrieb gehören.

Im belgischen Recht sind Wechselunterschriften beschränkt Handlungsfähiger zunächst allgemein für ungültig gehalten worden, werden aber nunmehr im Rahmen der beschränkten Handlungsfähigkeit für gültig erachtet (Fredericq, Traite de Droit Commercial Belge, Band X Nr. 54).

Soweit die oben wiedergegebene österreichische Rechtsprechung und Lehre überhaupt Begründungen für die Meinung, daß die Wechselunterschrift im Falle des § 246 ABGB. ungültig sei, zu geben versuchen, vermögen sie nicht zu überzeugen. Dafür, daß deswegen, weil dem Akzept nicht zu entnehmen sei, daß der Akzeptant bloß im Rahmen des § 246 ABGB. haften solle, dieses überhaupt ungültig sein soll (Czel. 82), ist ein Grund nicht aufzufinden. Daß nach der Natur des Akzeptes die Verbindlichkeit das ganze Vermögen des Minderjährigen ergreifen solle (Czel. 488), ist eine ebenfalls durch nichts gestützte petitio principii. Der Gedanke, daß die beschränkte Vertragsfähigkeit noch nicht die Wechselfähigkeit einräume (Czel. 534), scheint auf ältere Vorstellungen zurückzugehen, wonach die Wechselfähigkeit nicht allgemein, sondern zunächst nur Kaufleuten zustand und erst besonders verliehen und ausgedehnt werden mußte. Daß die Frage, ob ein Pflegebefohlener sich selbständig verpflichten könne, in der Regel nur in bezug auf das einzelne Geschäft beantwortet werden kann, ist sicher richtig. Der Hinweis auf den Einredenschutz des Art. 17 (Gutachten des Obersten Gerichtshofes zur Einführung des Wechselgesetzes 1932) enthält aber einen Gedankensprung. Die Frage, ob eine Unterschrift eine Verbindlichkeit begrunde, hat mit dem Einredenschutz nichts zu tun. Hat etwa ein Geschäftsunfähiger unterschrieben, so bleibt seine Unterschrift unverbindlich, mag auch der Wechsel in die Hand eines Dritten gekommen sein, der von der Geschäftsunfähigkeit weder wußte noch wissen mußte.

Es ergibt sich daher, daß bisher kein stichhaltiger rechtlicher Grund aufgezeigt werden konnte, der es zuließe, die passive Wechselgeschäftsfähigkeit anders zu behandeln, als die beschränkte Handlungsfähigkeit in § 246 ABGB. umschrieben ist. Es entspricht auch durchaus folgerichtiger Auffassung, dann, wenn die passive Wechselgeschäftsfähigkeit der passiven Handlungsfähigkeit gleichsteht, dies in allen Fällen, und zwar auch dann anzunehmen, wenn der Minderjährige nur in einem bestimmten Umfang, eben in jenem des § 246 ABGB., verpflichtungsfähig ist. Ein Widerspruch mit dem Wesen des Wechsels besteht nicht. Genau so wie eine Wechselunterschrift wegen Geschäftsunfähigkeit überhaupt gegenüber allen künftigen Wechselnehmern unverbindlich sein kann, steht nichts entgegen, auch bloß eine beschränkte Verpflichtung im Rahmen des § 246 ABGB. anzunehmen. Der Gläubiger schneidet bei einer solchen Lösung noch immer besser ab, als wenn allgemein die Ungültigkeit der Unterschrift angenommen wird. Dem Minderjährigen um seiner Schutzbedürftigkeit willen die passive Wechselgeschäftsfähigkeit auch in diesem Fall überhaupt abzuerkennen, fehlt eine gesetzliche Norm. Ist die Regelung der Wechselgeschäftsfähigkeit dem Zivilrecht zu entnehmen und der allgemeinen Regelung der Geschäftsfähigkeit gleichgestellt, so muß es eben eine auch im Rahmen des § 246 ABGB. beschränkte Wechselgeschäftsfähigkeit geben. Hätte man den Minderjährigen auch in diesem Rahmen davor bewahren wollen, Wechselverpflichteter werden zu können, so hätte es einer besonderen Vorschrift bedurft, wie sie sich etwa im deutschen Recht findet.

Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß im Falle einer beschränkten Geschäftsfähigkeit im Rahmen des § 246 ABGB. in eben demselben Maße eine beschränkte Wechselgeschäftsfähigkeit besteht und daß Wechselunterschriften Minderjähriger in diesem Rahmen gültig sind. Diese Lösung steht auch im Einklang mit den Lösungen, wie sie für ähnliche Fälle in der Schweiz und in der neueren Zeit auch in Belgien gefunden worden sind.

Anmerkung

Z32101

Schlagworte

Beschränkte Wechselgeschäftsfähigkeit Minderjähriger, Minderjährige, beschränkte Wechselgeschäftsfähigkeit, Wechselgeschäftsfähigkeit, beschränkte - Minderjähriger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1959:0010OB00248.59.0903.000

Dokumentnummer

JJT_19590903_OGH0002_0010OB00248_5900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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