Norm
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §1Kopf
SZ 32/152
Spruch
Kein Eisenbahnbetriebsunfall, wenn eine Bahnschwelle in der Nähe der Bahntrasse liegen bleibt und bei der Schneeschmelze auf die tiefergelegene Straße herabstürzt.
Entscheidung vom 25. November 1959, 2 Ob 360/59.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Im Mai 1956 wurden auf der hochgelegenen Trasse der Karwendelbahn Schwellen ausgewechselt. Eine der ausgewechselten Schwellen blieb auf dem Steilabhang, einige Meter unterhalb der Bahntrasse, aus ungeklärten Gründen zurück. Ende Jänner 1957 wurde diese Schwelle, bis dahin verschneit, ausgeapert; sie geriet ohne menschliches Zutun ins Gleiten und stürzte, einer Holzriese folgend, den Steilabhang herab auf die Bundesstraße Nr. 1. So wurde der LKW des Klägers, der am 29. Jänner 1959 diese Straße befuhr, beschädigt.
Der Kläger begehrte von der Republik Österreich (Bundesbahnverwaltung) Ersatz, und zwar einerseits den Ersatz seines Sachschadens, andererseits ein Schmerzengeld für die erlittene Schockwirkung.
Das Erstgericht gab der Klage vollinhaltlich statt. Es war der Meinung, daß die Beklagte bei dem festgestellten Sachverhalt sowohl nach dem Sachschadenhaftpflichtgesetz als auch nach den Grundsätzen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes für eine mangelhafte Verwahrung der schadenstiftenden Schwelle einzustehen habe.
Die Berufung der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht lehnte eine Haftung der Beklagten nach allgemeinen Verschuldensgrundsätzen ab, weil irgendein auf ein Verschulden der Beklagten hinweisender Sachverhalt weder vom Erstgericht festgestellt worden noch feststellbar sei; es bejahte aber das Einstehenmüssen der Beklagten nach Haftpflichtrecht.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und änderte die untergerichtlichen Urteile dahin ab, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Vorauszuschicken ist, daß eine allfällige Verschuldenshaftung der Beklagten nicht mehr zur Debatte steht; denn abgesehen davon, daß es - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - an jeder Tatsachenfeststellung oder auch nur Feststellungsmöglichkeit in dieser Richtung fehlt, identifiziert sich der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung mit dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichtes und läßt damit den in seiner Klage angedeuteten Haftungsgrund der Beklagten nach den Regeln des ABGB. endgültig fallen. Das für den umstritten gebliebenen Ersatzanspruch allein in Betracht kommende Sachschadenhaftpflichtgesetz setzt voraus, daß die Sachbeschädigung "bei dem Betrieb einer Eisenbahn" erfolgt sei (§ 1 dieses Gesetzes). Es muß demnach ein Betriebsunfall vorliegen, anders ausgedrückt, ein Unfall, der mit dem Eisenbahnbetrieb unmittelbar, örtlich wie zeitlich, zusammenhängt, wobei auf die dem Eisenbahnbetrieb eigentümlichen Gefahren (Masse des Beförderungsmittels, Schienengebundenheit, Gedränge, Hast der Reisenden usw.) abzustellen ist (vgl. auch SZ. XXIV 9). Unfälle etwa, die nicht gerade einer Eisenbahnbaustelle eigentümlich sind, sondern auf jeder anderen Baustelle ebenso vorkommen können, scheiden aus (vgl. Wussow, Das Unfall-Haftpflichtrecht, 6. Aufl. S. 245 Anm. 512), nicht minder Unfälle, die nicht beim Betrieb der Eisenbahn, sondern nur durch deren Anlage entstanden sind (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 9. Aufl. S. 283 Anm. 21). Der Unfall nun, aus dem der Kläger seinen Ersatzanspruch abzuleiten sucht, kann mit dem Eisenbahnbetrieb weder zeitlich noch örtlich in Zusammenhang gebracht werden. Die Arbeiten am Unterbau der Karwendelbahn lagen schon über ein halbes Jahr zurück, als der Unfall geschah. Die den Steilhang herabstürzende Bahnschwelle war auch in Wahrheit keine Bahnschwelle mehr, sondern ein von der Bahnanlage entferntes Holzstück, das, außerhalb der Bahnanlage liegengeblieben, viele Monate nach seiner Entfernung von der Bahnanlage einen Weg nahm, wie ihn jedes andere Holzstück, etwa ein gefällter Baumstamm, den Steilhang herab hätte nehmen können. Der Unfall ist beklagenswert, er hängt aber mit dem Eisenbahnbetrieb nicht zusammen. Der Kläger muß daher den ihm erwachsenen, rein zufällig entstandenen Schaden selbst tragen (§ 1311, 1. Satz ABGB.).
Anmerkung
Z32152Schlagworte
Bahn, Begriff des Betriebsunfalles, Betriebsunfall der Eisenbahn, Begriff, Eisenbahnbetriebsunfall, BegriffEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1959:0020OB00360.59.1125.000Dokumentnummer
JJT_19591125_OGH0002_0020OB00360_5900000_000