TE OGH 1960/4/22 2Ob139/60

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Veröffentlicht am 22.04.1960
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Berger und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria V*****, vertreten durch Dr. Karl Weber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt K*****, vertreten durch Dr. Oskar Mayr, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zahlung einer monatlichen Rente von 430 S infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. Jänner 1960, GZ 5 R 11/60-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Oktober 1959, GZ 10 Cg 162/59-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 28. 2. 1957 eine monatliche Rente von 430 S auf 5 Jahre, d.i. bis 28. 2. 1962, zu bezahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft des Urteiles bereits fällig gewordenen Rentenbeträge binnen 14 Tagen, die in Zukunft fällig werdenden Rentenbeträge je am Ersten eines jeden Monates im Vorhinein bei Exekution.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden

gegeneinander aufgehoben".

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Nach den Feststellungen der Untergerichte ist der Sohn der Klägerin bei einer Operation im Krankenhaus der beklagten Partei im Jänner 1957 infolge einer Medikamentenverwechslung gestorben. Die an der Operation beteiligten Ärzte und die Operationsschwester sind vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden. Wie sich aus dem strafgerichtlichen Urteil und dem Strafakt ergibt, ist der Sohn der Klägerin am 9. 10. 1936 geboren.

In der vorliegenden Klage hat die Klägerin behauptet, dass sie im Zeitpunkt des Todes ihres Sohnes in dürftigen Verhältnissen gelebt habe. Ihr Mann habe als Forstarbeiter nur 1.658 S monatlich verdient, davon hätten sie auch noch eine minderjährige Tochter zu versorgen gehabt. Ihr notdürftiger Unterhalt sei nicht gedeckt gewesen. Ihr Sohn habe in Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht von seinem Verdienst monatlich 430 S zu ihrer Unterstützung geleistet. Sie hat die Verurteilung des Beklagten zur Leistung einer monatlichen Rente von 430 S ab 28. 2. 1957 auf Lebensdauer begehrt.

Die beklagte Partei hat die Haftung dem Grunde nach nicht bestritten, jedoch eingewendet, dass der Gatte der Klägerin ein regelmäßiges Einkommen hatte, in erster Linie für die Klägerin unterhaltspflichtig gewesen und die Klägerin nicht in Dürftigkeit verfallen sei. Das Erstgericht hat das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, dass das Einkommen des Gatten der Klägerin ausgereicht habe, ihr den anständigen Unterhalt zu gewähren, sie nicht in Dürftigkeit verfallen sei und die Zuwendungen des verstorbenen Sohnes freiwillig und nicht in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht erfolgt seien. Das Berufungsgericht hat der Berufung der Klägerin Folge gegeben und den Beklagten im Sinne des Klagebegehrens verurteilt. Es ist davon ausgegangen, dass die Klägerin selbst in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sei, so dass sie sich kein eigenes Einkommen verschaffen könne und daher auf den Unterhalt ihres Gatten angewiesen sei. Von einem Einkommen von 1.650 S monatlich könnten drei Personen nur dürftig leben. Die Leistungen des verstorbenen Sohnes seien daher in Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 154 ABGB erfolgt.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei. Sie macht den Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur zum Teil gerechtfertigt.

Soweit sich die beklagte Partei gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes wendet, dass bei der Klägerin Dürftigkeit anzunehmen sei, weil das Einkommen ihres Gatten nicht ausgereicht habe, ihr den anständigen Unterhalt zu gewähren, kann ihren Ausführungen nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht hat bereits die grundsätzlichen Erwägungen angeführt, von denen die Rechtsprechung (siehe ZVR 1958, Nr 121 und ZVR 1956, Nr 33 ua) bei Entscheidung der Frage, wann Eltern oder auch nur ein Elternteil in Dürftigkeit verfallen und die Kinder verpflichtet seien, sie anständig zu erhalten, ausgeht. Die Unterhaltsverpflichtung der Kinder tritt nicht erst dann ein, wenn die Eltern in Dürftigkeit verfallen, sondern schon dann, wenn dies auch nur bei einem Elternteil der Fall ist (SZ XXVI 190). Die Eltern sind in Dürftigkeit verfallen, wenn sie sich den anständigen Unterhalt aus eigener Kraft nicht zu verschaffen vermögen (siehe ZVR 1958, Nr 121). Die Dürftigkeit eines Elternteiles setzt voraus, dass die Deckung des anständigen Unterhaltes durch den vorleistungspflichtigen Gatten nicht möglich ist (SZ IX 295, ZBl 1935, Nr 427). Die Frage nach der Dürftigkeit der Eltern ist somit immer nach den Umständen des einzelnen Falles zu prüfen und nicht, wie die beklagte Partei meint, nach rein objektiven Gesichtspunkten. Der Hinweis der beklagten Partei, dass ein Großteil der Arbeiter in Österreich nicht in der Lage sei, ein höheres Einkommen zu erzielen als der Gatte der Klägerin, reicht nicht aus, um in diesem Fall die Annahme der Dürftigkeit der Klägerin für nicht gerechtfertigt anzusehen. Es darf nicht übersehen werden, dass der Gatte der Klägerin als Forstarbeiter schwere Arbeit im Freien zu verrichten hat und die damals 11-jährige Tochter in der Entwicklung begriffen ist, so dass sie einen größeren Bedarf nach ausreichender Verpflegung haben. Dazu kommt noch, dass die Klägerin zufolge ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht in der Lage ist, einem eigenen Erwerb nachzugehen. Daraus geht hervor, dass der Großteil des Einkommens des Gatten der Klägerin für seine und des Kindes Verpflegung aufgeht und für die Klägerin nur ein geringer Teil zur Deckung ihrer sämtlichen Bedürfnisse übrig bleibt. Bei dieser Sachlage ist die Auffassung des Berufungsgerichtes, dass die Klägerin in Dürftigkeit verfallen sei, gerechtfertigt. Der Hinweis der beklagten Partei, dass sich der Gatte der Klägerin monatlich 200 S für sich behalten habe, ändert an der Richtigkeit dieser Auffassung nichts, weil das Erstgericht eine solche Feststellung nicht getroffen hat und der Gatte der Klägerin als Zeuge angegeben hat, dass er sich einen solchen Betrag nur behalten habe, wenn sein Einkommen ein gewisses Ausmaß (1.000 S) überschritten habe. Es ist daher auch die Auffassung des Berufungsgerichtes richtig, dass die monatlichen Leistungen des Sohnes der Klägerin nicht als freiwillige Zuwendungen, sondern als Leistungen zufolge seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 154 ABGB zu werten sind. Es steht weiter fest, dass der Sohn der Klägerin monatlich 430 S geleistet hat. Diese tatsächlichen Unterhaltsleistungen stehen durchaus im Einklang mit den Verhältnissen der Klägerin und seinem eigenen Einkommen und sind keineswegs überhöht. Die Leistungen, die der Klägerin durch den Tod ihres Sohnes entgangen sind, stellen daher Unterhaltsleistungen auf Grund des Gesetzes dar (§§ 154, 1327 ABGB). Das Rentenbegehren der Klägerin ist kein Unterhaltsbegehren, sondern die Geltendmachung eines Schadenersatzes gegenüber der beklagten Partei, weshalb der Zuspruch der Rente schon vom Zeitpunkt des Todes des Sohnes zulässig war. Dabei war von den Verhältnissen auszugehen, wie sie im Zeitpunkt des Todes des unterhaltspflichtigen Sohnes bestanden haben.

Die beklagte Partei wendet sich aber mit Recht gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der Rente auf Lebensdauer der Klägerin. Sie weist in zutreffender Weise darauf hin, dass sich in Zukunft wesentliche Änderungen in der Familie und im Einkommen des Gatten der Klägerin ergeben können. Dadurch könnte die Dürftigkeit der Klägerin behoben werden. In einem solchen Fall wäre er aber nicht mehr leistungspflichtig, weil auch der Sohn der Klägerin dann nicht mehr verpflichtet wäre, der Klägerin auf Grund des Gesetzes Unterhalt zu gewähren. Bei Bemessung der Rente für die Zukunft hatte das Gericht auf die voraussehbare Entwicklung der Einkommens- und Familienverhältnisse der Klägerin - überhaupt aber auf den gewöhnlichen Verlauf der Dinge - Bedacht zu nehmen. Es entspricht nun der Lebenserfahrung, dass die Söhne aus den Bevölkerungskreisen, denen die Klägerin und ihr Gatte angehören und die, wie der Sohn der Klägerin, ein Handwerk erlernt haben und bereits berufstätig sind, innerhalb eines bestimmten Alters zu heiraten pflegen. Der Zeitraum bis zur angenommenen Verehelichung kann naturgemäß nur ein fiktiver sein. Der Oberste Gerichtshof erachtete es für angemessen, die der Klägerin zuzuerkennende Rente auf 5 Jahre zu beschränken, so dass die fiktive Verehelichung des Sohnes der Klägerin zwischen das 25. und 26. Lebensjahr fiele. Es ist anzunehmen, dass der Sohn nach seiner Verehelichung sein Einkommen für den eigenen Haushalt verbraucht hätte und daher der Klägerin, seiner Mutter, keine weiteren Unterhaltsleistungen zukommen hätte lassen können. Die Tochter der Klägerin war im Zeitpunkt des Eintrittes des Schadensfalles elf Jahre und ist jetzt 14 Jahre alt. Sie wird, wenn sie sich nicht sofort nach der Schulentlassung als Arbeiterin verdingt und einen eigenen Verdienst hat, nach Beendigung einer Lehrzeit ihren Unterhalt selbst verdienen können. Durch die Entlastung des Gatten der Klägerin von seiner Sorgepflicht für die Tochter wäre der Sohn der Klägerin auch nicht mehr zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen, weil dessen Einkommen ausgereicht hätte, der Klägerin von da ab den anständigen Unterhalt zu gewähren. Auch die Erwägungen sprechen für Begrenzung der begehrten Rente in der erwähnten Dauer. Dass die Klägerin über den 28. 2. 1962 hinaus oder gar auf Lebenszeit von ihrem Sohn unterstützt worden wäre, kann nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht angenommen werden.

Die Klägerin ist in allen drei Instanzen mit ihrem Begehren nur zu einem Teil durchgedrungen, da sie die Rente auf Lebensdauer ohne zeitliche Begrenzung begehrt hat. Die Rente ist aber nur auf fünf Jahre zugesprochen worden. Im Revisionsverfahren ist die beklagte Partei nur teilweise durchgedrungen. Dieser Umstand rechtfertigt die Aufteilung der Kosten aller drei Instanzen nach § 43 Abs 1 ZPO in der Weise, dass die Kosten gegeneinander aufgehoben werden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO und bezüglich der Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.

Anmerkung

E75295 2Ob139.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00139.6.0422.000

Dokumentnummer

JJT_19600422_OGH0002_0020OB00139_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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