TE OGH 1960/10/13 6Ob386/60

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Veröffentlicht am 13.10.1960
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Norm

Jugendwohlfahrtsgesetz §29

Kopf

SZ 33/110

Spruch

Das Gericht hat die Richtigkeit des Vorbringens der Landesregierung zur Begründung eines Antrages auf Fürsorgeerziehung zu prüfen.

Entscheidung vom 13. Oktober 1960, 6 Ob 386/60.

I. Instanz: Jugendgericht Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Mit Beschluß vom 15. Februar 1960 ordnete der Erstrichter in Ansehung der am 19. März 1945 geborenen Dorothea N. gemäß § 31 JWG. die vorläufige Fürsorgeerziehung an. Hinsichtlich der mj. Dorothea N. war glaubhaft gemacht worden, daß sie die Schule schwänzte, sich mit Buben herumtrieb, durch ihr Verhalten einen äußerst verderblichen Einfluß auf ihre Mitschülerinnen ausübte, verlogen war und durch ihr großes Geltungsbedürfnis sowie das Bestreben, überall den Ton anzugeben, eine Gefahr für ihre Mitschülerinnen bedeutete. Seit 23. Februar 1960 befindet sich die mj. Dorothea N. im Landesjugendheim B.

In einer am 5. Juli 1960 bei Gericht eingelangten Eingabe vom 30. Juni 1960 beantragte die Steiermärkische Landesregierung, die vorläufige Fürsorgeerziehung der mj. Dorothea N. in eine Fürsorgeerziehung gemäß § 29 JWG. umzuwandeln. Zur Begründung brachte sie vor, es sei durch die bisherige Beobachtung im Heim und durch eine heilpädagogische Untersuchung festgestellt worden, daß die mj. Dorothea N. körperlich, geistig und seelisch zurückgeblieben, distanzlos, haltlos, faul, streitsüchtig, trotzig, grob und aggressiv sei, vor allem jüngere Kinder gerne schlage, aber alles abstreite; da ihr für eine Lehrausbildung die nötigen Kenntnisse fehlten, werde ihr im Heim Gelegenheit zu einer hauswirtschaftlichen Ausbildung geboten werden; jedenfalls brauche sie auf Grund der geschilderten Charaktermängel und der im Beschluß auf Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung angeführten Tatsachen eine länger dauernde Heimerziehung. Beobachtungs- und Untersuchungsberichte lagen dem Antrag nicht bei.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt.

Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstrichters auf Rekurs des Vaters zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung mit der Begründung auf, das Vorbringen der Landesregierung sei lediglich als Parteibehauptung zu werten und müsse durch geeignete Erhebungen, insbesondere durch Einvernahme der mit der Erziehung der mj. Dorothea N. im Heim betrauten Person, überprüft werden; daß seinerzeit die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung glaubhaft gemacht worden seien, enthebe das Gericht nicht der Verpflichtung, vor Anordnung der endgültigen Fürsorgeerziehung den Sachverhalt genau zu erheben; es müsse auch geprüft werden, ob die Fürsorgeerziehung überhaupt Aussicht auf Erfolg verspreche.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Steiermärkischen Landesregierung nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem im Revisionsrekurs vertretenen Standpunkt, das Vorbringen im Antrag vom 30. Juni 1960 sei keineswegs nur als bloße Parteibehauptung zu werten, weil die Landesregierung gemäß § 11 JWG. auch Fürsorgeerziehungsbehörde sei und überdies auch die fachlich für die Erstellung von Erziehungsgutachten in Betracht kommende Stelle, kann nicht beigepflichtet werden. Er liefe letzten Endes darauf hinaus, daß das Gericht schlechtweg das anzuordnen hätte, was die Verwaltungsbehörde für richtig erachtet. Daß dies nicht Sinn und Zweck der Bestimmungen des JWG. über die Fürsorgeerziehung, bzw. mit der Stellung und der Aufgabe des Außerstreitrichters unvereinbar ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Der Beschluß des Erstrichters beruhte auf einer mangelhaften Grundlage; das ergibt sich ohne weiteres daraus, daß die Steiermärkische Landesregierung ihrem Antrag nicht einmal jene Beobachtungs- und Untersuchungsberichte angeschlossen hatte, aus denen sie selbst die Voraussetzungen für die Anordnung der Fürsorgeerziehung ableiten will. Sie versucht, das Versäumte nun nachzutragen, indem sie dem Revisionsrekurs einen Erziehungsbericht des Landesjugendheimes B. vom 7. Juni 1960 und einen heimpädagogischen Befund vom gleichen Tag beilegt. Das wäre gemäß § 10 AußStrG. zulässig, da es sich um Beweismittel handelt, die schon vor der Beschlußfassung des Erstrichters bestanden haben; zu bemerken ist hiezu allerdings, daß der in Abschrift vorgelegte Erziehungsbericht des Landesjugendheimes, weder bestimmte Vorfälle konkret schildert noch erkennen läßt, auf wessen Wahrnehmungen er beruht, und daß dem heilpädagogischen Befund mangels Aufdruckes einer Stampiglie bei unleserlicher Unterschrift nicht zu entnehmen ist, von wem er stammt. Da es sich nunmehr nicht mehr um die bloße Glaubhaftmachung, sondern um die zweifelsfreie Feststellung der Verwahrlosung handelt, können darin auch unter Berücksichtigung des sonstigen Akteninhaltes keine ausreichenden Entscheidungsunterlagen (§ 2 Abs. 2 Z. 5 AußStrG.) erblickt werden. Es kann dabei auch nicht außer acht gelassen werden, daß der Vater Alois N., dem diese Berichte naturgemäß nur auszugsweise, nämlich nur insoweit vorgehalten worden sein konnten, als sie in dem Antrag der Steiermärkischen Landesregierung vom 30. Juni 1960 verarbeitet worden waren, in seinem Rechtsmittel behauptet hatte, der Beobachtungsbericht der Heimleitung beruhe auf einer Antipathie, ja sogar auf einer gehässigen Einstellung des Personals und anderer Heiminsassen der Minderjährigen gegenüber. Der Erstrichter wird daher durch geeignete Erhebungen, wie das Rekursgericht zutreffend ausführte, das Verhalten der mj. Dorothea N. im Landesjugendheim, aber auch das Vorbringen des Vaters, soweit es konkretisierbar sein sollte, überprüfen müssen. Ob dann allenfalls auch noch ergänzende Erhebungen bezüglich früherer Vorfälle, die anläßlich der Beschlußfassung gemäß § 31 JWG. nur als bescheinigt galten, nötig sein werden, kann derzeit nicht beurteilt werden.

Der Oberste Gerichtshof vermag auch der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht, auf die Frage der Erfolgsaussicht der Fürsorgeerziehung sei in der Regel nur dann näher einzugehen, wenn eine Fürsorgeerziehung wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben werden solle, nicht beizupflichten. Da das Gesetz die Anordnung der Fürsorgeerziehung grundsätzlich verbietet, wenn sie offensichtlich keinen Erfolg verspricht, muß sich das Gericht in jedem Fall mit dieser Frage befassen. Es kommt dabei auf die bisherigen Erfahrungen mit den Möglichkeiten und Mitteln der Fürsorgeerziehung einerseits und auf die Umstände des einzelnen Falles andererseits an. Daß die Landesregierung mit Rücksicht auf die mit der Fürsorgeerziehung verbundenen Kosten einen Antrag auf Anordnung der Fürsorgeerziehung nur dann stellen wird, wenn sie Erfolgsaussichten dieser Maßnahme sieht, mag richtig sein; dies enthebt aber nicht das Gericht seiner auf dem Gesetz beruhenden Verpflichtung, sich selbst ein Bild von den Erfolgsaussichten der beantragten Maßnahme zu bilden (vgl. dazu auch Ourednik in "Das Wiener Jugendwohlfahrtsrecht" in dem auf das JWG. bezüglichen Abschnitt, S. 123).

Anmerkung

Z33110

Schlagworte

Fürsorgeerziehung, Prüfung der Voraussetzungen durch das Gericht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0060OB00386.6.1013.000

Dokumentnummer

JJT_19601013_OGH0002_0060OB00386_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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