TE OGH 1960/12/16 2Ob489/60

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Veröffentlicht am 16.12.1960
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Norm

ABGB §1315

Kopf

SZ 33/141

Spruch

Haftung des Dienstherrn für die Folgen eines Unfalls zufolge Verwendung eines unzulänglichen Pferdegeschirres durch den Knecht bei Kenntnis und Duldung der wiederholten Verwendung dieses Geschirrs.

Entscheidung vom 16. Dezember 1960, 2 Ob 489/60.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte transportierte der Erstbeklagte am 16. März 1958 mit einem dem Zweitbeklagten gehörigen Pferdeschlitten und Nachschlitten (Schlarpfe) zirka 1 Festmeter Schleifholz auf dem zirka 2 m breiten Güterweg, der an den Häusern K. Nr. 14 und 102 vorbei zur Gemeindestraße nach S. führt. Als sich das Gespann 3 bis 10 m vor dem Haus Nr. 14 befand, bemerkte der Erstbeklagte die vierjährige Klägerin, die mit einem Schlitten auf den Güterweg heraustrat. Es war ihm nicht mehr möglich, das im leichten Trab gehende Pferd anzuhalten. Die Klägerin wurde vom Schlitten erfaßt und so schwer verletzt, daß ihr der linke Arm amputiert werden mußte.

Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin Schadenersatzansprüche von 45.166 S 40 g, darunter 45.000 S an Schmerzengeld, gegen beide Beklagte geltend. Bezüglich des Erstbeklagten stützte sie ihr Begehren darauf, daß dieser vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden sei. Zur Begründung ihres Anspruches gegenüber dem Zweitbeklagten verwies sie auf § 1315 ABGB. und behauptete, daß der Erstbeklagte eine zur Lenkung des Gespannes untüchtige Person gewesen sei.

Die Beklagten wendeten alleiniges Verschulden der Klägerin ein. Der Zweitbeklagte bestritt seine Haftung auch mit der Behauptung, daß er für eine ordentliche Ausstattung des Gespannes, nämlich für ein Pferdegeschirr mit Hinterzeug und Schelle, Sorge getragen habe und daß der Erstbeklagte keine untüchtige Person gewesen sei.

Das Erstgericht verurteilte beide Beklagte, der Klägerin 30.166 S 40 g, und zwar 30.000 S an Schmerzengeld und 166 S 40 g an Heilungskosten, zu zahlen. Es traf weiter die begehrte Feststellung, daß die Klägerin noch nicht feststellbare Schadenersatzansprüche gegenüber beiden Beklagten aus dem Titel der 50%igen Erwerbsminderung, der verminderten Heiratsaussichten sowie der anzuschaffenden Prothesen habe. Dieser Ausspruch wurde durch das Erstgericht dahin berichtigt, daß statt 50% richtig 60% der Erwerbsminderung angenommen wurden. Das Mehrbegehren von 15.000 S an Schmerzengeld wurde abgewiesen.

Die Klägerin erhob wegen der Teilabweisung ihres Begehrens, der Zweitbeklagte wegen der Annahme seiner Haftung gegen dieses Urteil Berufung. Gegenüber dem Erstbeklagten ist das Urteil rechtskräftig geworden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht, der Berufung des Zweitbeklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich des Feststellungsbegehrens in der Richtung ab, daß der dort angeführte Prozentsatz zu entfallen habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Zweitbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit der Rechtsrüge wendet sich der Zweitbeklagte gegen die Annahme, der Erstbeklagte sei als eine untüchtige Person anzusehen, für die er gemäß § 1315 ABGB. hafte. Er meint, daß aus dem Verhalten des Erstbeklagten beim Holztransport mit Schlitten allein kein Schluß auf seine Tüchtigkeit für den Holztransport mit der Schlarpfe gezogen werden dürfte, weil beide Transporte unter anderen Voraussetzungen vor sich gingen. Der Schlitten habe eine wesentlich größere Gleitfähigkeit als die Schlarpfe, bei der das Holz hinten nachgezogen werde. Damit könne dieses Gefährt abgebremst werden. Bei der Fahrt sei daher ein Schellengeläute und ein Hinterzeug am Pferdegeschirr überflüssig und das Anhalten jederzeit möglich gewesen. Beim Anhalten des Pferdes komme auch die Schlarpfe sofort zum Stehen.

Diese Ausführungen sind nicht überzeugend, wie gerade der Unfall erkennen läßt. Dem Erstbeklagten ist es trotz des Umstandes, daß der Transport auch mit einer Schlarpfe vorgenommen wurde, nicht gelungen, das Pferd und damit das ganze Gespann sofort anzuhalten und noch vor der Klägerin zum Stillstand zu bringen. Er hat vielmehr 15 bis 16 m gebraucht, um das Gespann anzuhalten. Das Erstgericht und auch das Berufungsgericht haben bei dieser Sachlage, dem Sachverständigengutachten folgend, mit Recht angenommen, daß der Erstbeklagte sein Gespann auf eine Entfernung von 5 bis 6 m vor der Klägerin anhalten und damit den Unfall hätte vermeiden können, wenn das Pferdegeschirr mit einem Hinterzeug ausgestattet gewesen wäre. Auch durch das Schellengeläute wäre die Klägerin auf das Gespann aufmerksam gemacht worden, und es ist anzunehmen, daß sie es dann unterlassen hätte, auf den Güterweg herauszutreten. Es ist daher davon auszugehen, daß der Erstbeklagte nicht nur bei der Fahrt mit dem Schlitten allein, sondern auch bei der Fahrt mit der Schlarpfe ein Pferdegeschirr mit Schellen und einem Hinterzeug hätte verwenden müssen. Im übrigen ist bei der Beurteilung der Handlungsweise des Erstbeklagten die strafgerichtliche Verurteilung zugrunde zu legen, die ihm zum Vorwurf macht, daß er durch die Herausnahme der Bremssperre und durch die Verwendung eines Pferdegeschirres ohne Schellen und Hinterzeug den Unfall verschuldet habe. Soweit daher der Zweitbeklagte darzutun versucht, daß der Erstbeklagte gezwungen gewesen sei, die Bremssperre abzunehmen, weil ansonsten die Weiterfahrt für das Pferd zu anstrengend gewesen wäre, kann darauf keine Rücksicht genommen werden.

Schließlich gibt der Zweitbeklagte aber selbst zu, daß das Pferd in Trab gekommen ist. Dies wäre bei Belassung der Bremssperre nicht der Fall gewesen. Daraus ergibt sich wieder, daß der Erstbeklagte beim Transport mit einer Schlarpfe nicht damit rechnen konnte, sein Gespann jederzeit und sofort anzuhalten, so daß ähnliche Verhältnisse vorgelegen sind wie beim Transport mit Schlitten und Bremssperren. Im § 56 Abs. 2 StPolO. ist ausdrücklich vorgeschrieben, daß an den Geschirren der Zugtiere von Schlitten gut hörbare Schellen oder Glocken anzubringen seien. Es sind zwar im Gesetz bestimmte Ausnahmen von diesem Gebot angeführt, auf diese kann sich aber der Zweitbeklagte zur Dartuung seines Haftungsausschlusses nicht berufen, weil hier ein solcher Ausnahmefall nicht vorliegt.

Der Unfall hat sich auch nicht auf einem unbedeutenden Feld- oder Waldweg ereignet, sondern auf einem 2 m breiten Güterweg, der insbesondere im Winter für den Holztransport vorgesehen ist, außerdem an zwei bewohnten Häusern vorbeiführt und eine Verbindung zum Straßennetz herstellt. Der Erstbeklagte hat daher beim Befahren des Güterweges am öffentlichen Verkehr teilgenommen und wäre verpflichtet gewesen, die Verkehrsvorschriften einzuhalten.

Das Berufungsgericht hat aber auch seine Annahme, daß der Erstbeklagte als eine untüchtige Person im Sinne des § 1315 ABGB. zu beurteilen sei, überzeugend und gestützt auf die einschlägige Rechtsprechung begrundet, so daß es ausreicht, darauf zu verweisen. Die Ausführungen in der Revision sind nicht geeignet, eine andere Auffassung zu rechtfertigen. Es steht fest, daß der Erstbeklagte nicht nur am Unfallstag, sondern schon bei vielen ähnlichen Fahrten vorher mit einer den Vorschriften nicht entsprechenden Ausstattung des Gespannes gefahren ist. Daraus läßt sich ohne Zwang ein gewisser Hang zur Nachlässigkeit ableiten, die als eine Untüchtigkeit zu werten ist.

Soweit der Zweitbeklagte bei Ausführung dieses Teiles der Rechtsrüge davon ausgeht, daß dem Erstbeklagten nur am Unfallstag ein Fehler unterlaufen sei, legt er andere Feststellungen zugrunde als die Untergerichte, so daß die Rechtsrüge in diesem Umfang nicht gesetzmäßig ausgeführt ist. Es kann auch nicht von einer Überspannung der Haftung des Zweitbeklagten die Rede sein. Es muß vielmehr als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden, daß er als Eigentümer des Schlittengespannes haftbar gemacht wird, wenn dieses ohne entsprechende, im Gesetz vorgesehene Ausstattung im öffentlichen Verkehr von einem untüchtigen Kutscher verwendet wird.

Das Berufungsgericht hat auch das Schmerzengeld richtig bemessen. Der Hinweis des Zweitbeklagten, daß nach dem Sachverständigengutachten ein gesunder Mensch seelische Beeinträchtigungen, wie sie die Klägerin erlitten hat, nach verhältnismäßig kurzer Zeit überwinden werde und daß sich die Klägerin mit Rücksicht auf ihr geringes Alter auf den Verlust des Armes einstellen werde, schlägt nicht durch. Vielmehr war bei Bemessung des Schmerzengeldes außer der Schwere der Verletzungen, der Art und Intensität der Schmerzen auch der Umstand zu berücksichtigen, daß die Klägerin erst mit zunehmendem Alter die Benachteiligung infolge der Verletzung empfinden wird, weil sie gegenüber ihren Altersgenossen bei Spiel, Sport und Beruf immer benachteiligt sein wird. Auch diese schon jetzt voraussehbaren seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin waren daher zu berücksichtigen.

Anmerkung

Z33141

Schlagworte

Besorgungsgehilfe, Haftung nach § 1315 ABGB., Haftung für den untüchtigen Besorgungsgehilfen, Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen, Haftung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00489.6.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19601216_OGH0002_0020OB00489_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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