TE OGH 1961/4/12 1Ob391/60

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Veröffentlicht am 12.04.1961
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Norm

ABGB §265
Amtshaftungsgesetz §1

Kopf

SZ 34/52

Spruch

Seit dem Inkrafttreten des Amtshaftungsgesetzes ist eine davon unabhängige Inanspruchnahme der Republik Österreich aus dem Haftungsgrund des § 265 ABGB. (Verschulden des Vormundschaftsgerichtes) ausgeschlossen.

Entscheidung vom 12. April 1961, 1 Ob 391/60.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger ist wegen Querulantenwahns beschränkt entmundigt worden. Er macht seinem vorläufigen Beistand Ernst T. und dem Bezirksgericht S. als Pflegschaftsgericht zum Vorwurf, daß sie die Zwangsversteigerung seiner Liegenschaft um einen Bruchteil des wahren Wertes nicht verhindert hätten, obwohl dies nach Ansicht des Klägers möglich gewesen wäre. Er hat den vorläufigen Beistand zu 4 Cg 41/58 des Landesgerichtes Klagenfurt gemäß § 264 ABGB. auf Zahlung eines Schadenersatzbetrages geklagt und begehrt gegen die hier beklagte Republik Österreich die Feststellung, daß diese dem Kläger (gemäß § 265 ABGB.) für jeden Schaden hafte, der ihm aus der Versteigerung seiner Liegenschaft entstanden sei, soweit dieser Schadenersatzanspruch beim vorläufigen Beistand Ernst T. nicht hereingebracht werden könne.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Kläger habe außer dem vorläufigen Beistand (zu 4 Cg 41/58) auch schon die Republik Österreich, und zwar auf Grund des Amtshaftungsgesetzes (zu 4 Cg 56/58), auf Zahlung von Schadenersatz geklagt. Die beiden gegen die Republik gerichteten Klagen beträfen aber nicht dieselbe Rechtssache, so daß die vorliegende Klage nicht wegen Streitanhängigkeit habe zurückgewiesen werden können. Das Klagebegehren sei aber in diesem Rechtsstreit nicht schlüssig. Neben der grundlegenden Vorschrift des Amtshaftungsgesetzes über die primäre Haftung der Rechtsträger für Rechtsverletzungen ihrer Organe habe die Bestimmung des § 265 ABGB. keine Daseinsberechtigung mehr. Es hätte keinen vernünftigen Sinn, eine Art Ausfallshaftung des Bundes für schuldhafte Rechtsverletzungen der Vormundschaftsgerichte neben der allgemeinen Haftung des Bundes auf Grund des Amtshaftungsgesetzes aufrechtzuerhalten.

Infolge Berufung des Klägers bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Es ging von der Ansicht aus, daß der Kläger nicht behauptet habe, ein Verschulden des Pflegschaftsgerichtes (im Sinne des § 265 ABGB.) liege vor. Da der Kläger vielmehr nur vom behaupteten Verschulden des vorläufigen Beistandes ausgegangen sei, müsse seine Klage als unschlüssig bezeichnet werden. Es erübrige sich so, auf die Frage der Weitergeltung des § 265 ABGB. einzugehen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Bestimmung des § 265 ABGB. über die "subsidiarische Haftung des vormundschaftlichen Gerichtes" erlegt diesem Gericht eine subsidiäre Pflicht zum Ersatz des Schadens eines Minderjährigen auf, den er durch nachlässige Amtsführung des Gerichtes erlitten hat. Bei dieser Vorschrift, die mit demselben Wortlaut schon in der ursprünglichen Fassung des ABGB. vorhanden war, handelt es sich um eine Amtshaftungsbestimmung für das obrigkeitliche Verhältnis zwischen Vormundschaftsgericht und Minderjährigem, die auf die Vernachlässigung von Amtspflichten, also auf schuldhaftes Verhalten abgestellt ist und Grade des Verschuldens nicht unterscheidet. Schon Zeiller, Kommentar zum ABGB., I S. 532, hat darauf hingewiesen, daß es sich nicht um eine Haftung des Gerichtes für das Verschulden des Vormundes, sondern darum handelt, daß das Gericht sein eigenes Verschulden bei der Ausübung der vormundschaftsbehördlichen Geschäfte zu vertreten hat. Darum kann das Gericht "oft gar nicht, oft allein, oft gemeinschaftlich mit dem Vormunde" zu haften haben. Die Mithaftung des Staatsfiskus für den von seinen Richtern verschuldeten Schaden (vgl. Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, S. 3 ff.) ist durch das Syndikatsgesetz vom 12. Juli 1872, RGBl. Nr. 112, ausgebaut und im Amtshaftungsgesetz vom 18. Dezember 1948, BGBl. Nr. 20/1949, dahin abgeändert worden, daß die Haftung des Amtsträgers nach außen vollständig ausgeschlossen worden ist (§ 1 Abs. 1 leg. cit.).

Beim Vergleich der Voraussetzungen für die Schadenersatzpflicht nach § 265 ABGB. mit den Voraussetzungen des § 1 AmtshaftungsG. ergibt sich, daß in beiden Fällen die Amtshandlung eines Organs in obrigkeitlichen Angelegenheiten vorliegen muß, und daß durch dessen rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten einem Dritten Schaden zugefügt worden ist. Die weitgehende Übereinstimmung der Gesetzesstellen wird nur dadurch beeinträchtigt, daß die Einschränkung der Haftung (nach § 265 ABGB. auf den Fall, daß andere Mittel zum Ersatz mangeln, und nach § 1 AmtshaftungsG. auf Schäden am Vermögen oder an der Person, und zwar nur in Geld) verschieden ist.

Die Frage, ob die Vorschrift des § 265 ABGB. als beseitigt anzusehen ist, hat sich schon nach der Erlassung des Syndikatsgesetzes vom 12. Juli 1872 erhoben; sie fand - wie Loebenstein - Kaniak a. a. O. S. 137 erwähnen - im damaligen Gesetz keine Aufklärung, und auch in der Schluß- und Übergangsbestimmung des § 15 AmtshaftungsG. ist unter den aufgehobenen früheren Vorschriften der § 265 ABGB. nicht erwähnt worden. In den Entscheidungen GlUNF. 6652 und SZ. XVIII 26 hat sich der Oberste Gerichtshof zur Zeit der Geltung des Syndikatsgesetzes auf den Standpunkt gestellt, daß der § 265 ABGB. neben diesem Gesetz weiterbestehe. Er hat darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber eine schon bestehende Syndikatshaftung nicht habe verschlechtern wollen. Einer solche Verschlechterung träte aber durch die Beseitigung des § 265 ABGB. dadurch ein, daß nach dieser Gesetzesstelle jeder Grad des Verschuldens des Gerichtes haftpflichtig gemacht habe, während später die Syndikatshaftung auf grobes Verschulden und Vorsatz eingeschränkt worden sei. Auch gelte für § 265 ABGB. nicht der Satz, daß ein Schaden nicht vorliege, wenn Rechtsmittel unterlassen worden seien. Zu dem Personenkreis schließlich, für den der Staat hafte, gehöre nach dem Syndikatsgesetz der Vormund nicht. Spätere Entscheidungen (etwa DREvBl. 1940 Nr. 164 und DREvBl. 1939 Nr. 228) sind der Entscheidung SZ. XVIII 26 gefolgt. Das Schrifttum hingegen hat überwiegend die Meinung vertreten, daß § 265 ABGB. durch das Syndikatsgesetz beseitigt worden ist (Bartsch in Klang 1. Aufl. I/1 S. 1094; Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 312; Mayr, Lehrbuch des bürgerlichen Rechtes, II/4 S. 144; Krasnopolski, Lehrbuch des österreichischen Privatrechts, IV S. 314; Stubenrauch, Kommentar zum ABGB., 8. Aufl. I S. 332).

Bei neuerlicher Prüfung der Rechtsfrage auf Grund einer neuen Rechtslage (Amtshaftungsgesetz) ergibt sich, daß das erste Argument der Entscheidung SZ. XVIII 26 nicht mehr zutrifft. So wie die Haftung nach § 265 ABGB. ist nämlich auch die nach § 1 AmtshaftungsG. bei leichtem Verschulden des Organs in gleicher Weise wie bei grobem Verschulden gegeben. Eine Verschlechterung der Rechtslage des geschädigten Minderjährigen könnte daher nicht eintreten. Die zweite Begründung jener Entscheidung kann nicht als besonders überzeugend angesehen werden. Denn wenn im § 265 ABGB. auch keine Verpflichtung des Geschädigten ausgesprochen wurde, Rechtsmittel zu ergreifen, um den drohenden Schaden abzuwenden, ergibt sich diese Verpflichtung doch aus der allgemeinen Schadenersatzbestimmung über die Rettungspflicht des Geschädigten (§ 1304 ABGB.; vgl. Wolff in Klang 2. Aufl. VI 58 f.). Was schließlich das dritte Argument betrifft, der Staat hafte nach dem Syndikatsgesetz nicht für das Verschulden von Vormundern, sondern nur für das schuldhafte Verhalten richterlicher Personen, so wird übersehen, daß der § 265 ABGB. - wie schon früher dargelegt worden ist - das schuldhafte Verhalten des Gerichtes und nicht das des Vormundes zum Gegenstand hat.

Wie das Erstgericht richtig erkannt hat, spricht die Gleichartigkeit der Voraussetzungen für die Amtshaftung nach § 265 ABGB. und nach § 1 AmtshaftungsG. dafür, daß der Gesetzgeber die Fälle des schuldhaften, rechtswidrigen Verhaltens des Vormundschaftsgerichtes nicht abgesondert regeln, sondern in den allgemeinen Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes aufgehen lassen wollte, wie ihm ohne besondere Gründe auch nicht die Absicht zugeschrieben werden kann, Vormundschaftsrichter zum Unterschied von anderen Organen für den von ihnen angerichteten Schaden primär haften zu lassen. Der Umstand, daß der Umfang der Schadenshaftung in den beiden Bestimmungen etwas abweichend geregelt worden ist, spricht nicht dagegen, weil es sich da nur um praktisch nicht besonders ins Gewicht fallende Einzelheiten der Haftungsdurchführung handelt, für die das spätere Gesetz (Amtshaftungsgesetz) maßgebend zu sein hat. Wenn am Schluß der Materialien zum Amtshaftungsgesetz, JABl. 1949 S. 16, davon die Rede ist, daß "alle übrigen Vorschriften, die im § 15 nicht genannt sind, unberührt" bleiben, so kann sich diese Bemerkung nur auf abgesonderte Regelungen besonderen Inhaltes, wie etwa die Gesetze über die Entschädigung für Untersuchungshaft oder ungerechtfertigt verurteilter Personen, beziehen. Es handelt sich um eine inhaltliche Derogation des § 265 ABGB., die die weitere Anwendung dieser Gesetzesstelle ausschließt.

Bei dieser Rechtslage war der Kläger nicht befugt, die Republik Österreich außer nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes 4 Cg 56/58) hier auch noch nach § 265 ABGB. in Anspruch zu nehmen. Die Klage mußte deshalb abgewiesen werden, gleichgültig, ob die Klageerzählung als unschlüssig anzusehen ist - wie das Berufungsgericht allerdings nicht mit Recht annimmt - oder nicht.

Anmerkung

Z34052

Schlagworte

Amtshaftung Derogation des § 265 ABGB., Derogation des § 265 ABGB., Amtshaftung, Haftung des Vormundschaftsgerichtes, Derogation des § 265 ABGB., Schadenersatzanspruch gegen das Vormundschaftsgericht, Derogation des, § 265 ABGB., Vormundschaftsgericht, Haftung, Derogation des § 265 ABGB.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0010OB00391.6.0412.000

Dokumentnummer

JJT_19610412_OGH0002_0010OB00391_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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