TE OGH 1962/6/14 5Ob114/62

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Veröffentlicht am 14.06.1962
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Norm

Außerstreitgesetz §259

Kopf

SZ 35/65

Spruch

§ 259 AußstrG. Die Abgabe der Verzichtserklärung vor einem Bezirksjugendamt ersetzt nicht das Erfordernis der öffentlichen Beglaubigung der Unterschrift auf einer schriftlichen Verzichtserklärung.

Entscheidung vom 14. Juni 1962, 5 Ob 114/62.

I. Instanz: Bezirksgericht Kötschach; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.

Text

Am 24. Jänner 1961 berichtete das Bezirksjugendamt H. dem Erstgericht, daß die mj. Gertrude S., eheliche Tochter des Josef und der Josefine S., sich seit dem August 1960 bei den Eheleuten Eduard und Katharina L. in R. in Pflege und Erziehung befinde und daß diese die Absicht haben, das Kind zu adoptieren. Das Jugendamt legte eine vor der Außenstelle F. am 8. Juli 1960 abgegebene schriftliche Verzichtserklärung des Vaters vor, in der dieser erklärte, auf alle Rechte, die ihm als dem ehelichen Vater zustehen, zu verzichten, mit einer Adoption durch Wahleltern, die vom Bezirksjugendamt Villach vermittelt werden, einverstanden zu sein und auf die Zustellung eines Adoptivbeschlusses zu verzichten. Der Mitteilung wurde weiter eine gleichartige Erklärung der Mutter, die diese am 18. Juli 1960 vor dem Bezirksjugendamt Villach abgegeben hatte, angeschlossen. Das Bezirksjugendamt H. beantragte, es zum Sondersachwalter des Kindes zu bestellen, damit die Adoption durchgeführt werden könne. Im Antrag wurde darauf hingewiesen, daß die Mutter unbekannten Aufenthaltes sei. Ein Versuch des Erstgerichtes, den Vater durch sein Wohnsitzgericht in R. zum Antrag vernehmen zu lassen, scheiterte weil die an die angegebene Anschrift gerichtete Ladung mit Postfehlbericht zurücklangte. Am 9. März 1961 ersuchte das Bezirksjugendamt H. neuerlich um seine Bestellung zum Sondersachwalter und gab bekannt, daß die Eltern unbekannten Aufenthaltes seien. Das Erstgericht bestellte mit dem Beschluß vom 20. März 1961 das Bezirksjugendamt H. zum Sondersachwalter des Kindes. In dieser Eigenschaft schloß dieses am 24. März 1961 mit den Pflegeeltern einen Adoptionsvertrag.

Vom Erstgericht wurde auf Antrag des Sondersachwalters am 18. April 1961 die Bewilligung der Annahme an Kindes Statt erteilt. Die Zustellung der Beschlüsse an die ehelichen Eltern wurde unterlassen, obwohl im Antrag eine neue Anschrift des Vaters bekanntgegeben war. Die Originalausfertigung des Bewilligungsbeschlusses wurde nach Ablauf der Rechtsmittelfrist mit der Rechtskraftstampiglie versehen.

Am 27. November 1961 berichtete das Bezirksjugendamt H. dem Erstgericht, der Aufenthalt der ehelichen Eltern des Kindes sei bekannt, der Vater habe seinen Wohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichtes F. und der Adoptionsvertrag wolle diesem Gericht zur neuerlichen Bewilligung der Adoption mitgeteilt werden.

Am 5. Dezember 1961 brachte der Vater einen Rekurs gegen die Beschlüsse vom 20. März 1961 und 18. April 1961 ein.

Das Rekursgericht wies den Rekurs gegen den Beschluß vom 20. März 1961 als unzulässig und den gegen den Beschluß vom 18. April 1961 als verspätet zurück. Es war der Ansicht, die Bewilligung der Adoption sei den ehelichen Eltern infolge des Zustellverzichtes nicht zuzustellen gewesen und ohne diese Zustellung in Rechtskraft erwachsen. Der Rekurs gegen die Bewilligung der Annahme an Kindes Statt sei, selbst wenn der Zustellverzicht keinen Rechtsmittelverzicht in sich begreife, jedenfalls verspätet. Die Bestellung des Sondersachwalters sei nur eine Zwischenentscheidung, deren Beseitigung an der rechtskräftig bewilligten Adoption nichts ändern könnte. Der Rekurs gegen diese Entscheidung sei daher unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des ehelichen Vaters Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß die Beschlüsse des Erstgerichtes vom 20. März 1961 und 18. April 1961 aufgehoben werden und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen werde.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

§ 259 AußStrG. in der Fassung des BG. vom 17. Februar 1960, BGBl. Nr. 58, über die Neuordnung des Rechtes der Annahme an Kindes Statt, in Kraft getreten am 1. Juli 1960, bedeutet die Zulassung der sogenannten "Inkognito-Adoption", unter der man die Geheimhaltung des Namens der Wahleltern und des zukünftigen Aufenthaltes des Kindes versteht. Die Gesetzesstelle bestimmt, die Vertragsteile könnten durch übereinstimmenden Antrag die Bewilligung der Annahme davon abhängig machen, daß alle oder einzelne der Zustimmungs- oder Anhörungsberechtigten, mit Ausnahme der Bezirksverwaltungsbehörde, auf die Mitteilung des Namens und des Wohnortes des Annehmenden und auf die Zustellung des Bewilligungsbeschlusses verzichten. Damit aber ein derartiger Verzicht eines Zustimmungsberechtigten, zu denen die ehelichen Eltern des minderjährigen Wahlkindes gehören (§ 181 Z. 1 und 2 ABGB.), wirksam ist, ist notwendig, daß die Erklärung in der vom Gesetz bestimmten Form abgegeben wurde. Diesbezüglich bestimmt § 258 AußStrG., die Zustimmungsberechtigten haben ihre Erklärungen persönlich vor Gericht abzugeben. Davon gibt es nur zwei Ausnahmen, die hier nicht vorliegen. Die erste Ausnahme besteht darin, daß schriftliche Erklärungen genügen, wenn die Abgabe bei Gericht mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden wäre. Die Unterschrift uf einer solchen schriftlichen Erklärung muß öffentlich beglaubigt sein. Die dem Erstgericht vorgelegenen, vor einem Bezirksjugendamt abgegebenen schriftlichen Erklärungen entsprechen nicht dieser Formvorschrift, weil sie nur unbeglaubigte Unterschriften aufweisen. Die weitere Ausnahme der Abgabe der Erklärung durch den Machthaber bei Gericht kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Mangels Einhaltung der vom Gesetz geforderten Form ist der Zustellverzicht der ehelichen Eltern nicht wirksam. Der Rekurs des ehelichen Vaters gegen die Bewilligung der Adoption, von der er nie verständigt wurde, hätte daher als rechtzeitig angesehen werden müssen. Dadurch entfällt auch die Voraussetzung für die Zurückweisung des Rekurses gegen die Bestellung des Bezirksjugendamtes zum Sondersachverwalter, weil bei dieser Sachlage das Rechtsschutzinteresse des ehelichen Vaters nicht verneint werden kann.

Hat das Rekursgericht eine sachliche Entscheidung unterlassen, weil es den Rekurs als unzulässig oder als verspätet zurückgewiesen hat, obwohl es sachlich hätte entscheiden sollen, kann der Oberste Gerichtshof selbst in der Sache entscheiden, ohne vorher den Beschluß des Rekursgerichtes aufheben zu müssen (EvBl. 1956, Nr. 74 u. a.). Die Beschlüsse des Erstgerichtes waren schon aus dem Gründe aufzuheben, weil die Erklärungen der zustimmungsberechtigten ehelichen Eltern nicht in der gehörigen Form vorlagen. Damit fehlte auch die Voraussetzung, die väterliche Gewalt durch die Bestellung eines Sondersachwalters zum Zwecke der Erledigung der Adoptionssache einzuschränken. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren vor allem die Zuständigkeitsfrage zu klären haben (§ 113a JN. in der neuen Fassung). Es ist unmöglich, daß die Pflegschaftssache gleichzeitig bei zwei verschiedenen Gerichten behängt.

Anmerkung

Z35065

Schlagworte

Adoption, inkognito, Annahme an Kindes Statt, Inkognito-Adoption, Inkognito- Adoption

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0050OB00114.62.0614.000

Dokumentnummer

JJT_19620614_OGH0002_0050OB00114_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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