TE OGH 1962/7/19 7Ob228/62

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Veröffentlicht am 19.07.1962
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Norm

ABGB §1295
ABGB §1319

Kopf

SZ 35/79

Spruch

Der Gründeigentümer ist nicht verpflichtet, Vorkehrungen zum Schutze von Straßenbenützern zu treffen, soweit Gesetze dies nicht ausdrücklich vorschreiben.

Entscheidung vom 19. Juli 1962, 7 Ob 228/62.

I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Grundstück des Beklagten grenzt an den sogenannten Kellerweg in W. Dieser an der Unfallstelle über 4 m breite Weg ist unbeleuchtet und bei nassem Wetter morastig. Auf der einen Seite des Weges befinden sich Weinkeller, auf der anderen Seite wird er an der Unfallstelle von einer 35 cm hohen Böschung begrenzt. Auf dem Scheitel dieser Böschung befindet sich der aus an Bachställen genagelten Schwartlingen bestehende, 65 cm vom Wegrand entfernte Gartenzaun des Beklagten. Dahinter kommt eine 6.90 m lange, etwa 24 Grad abfallende Böschung und dann ein 2.70 m hoher senkrechter Mauerabbruch.

Der Kläger ging am 2. Jänner 1960 auf dem Kellerweg nach einem längeren Aufenthalt in einem Weinkeller um etwa 20.30 Uhr nach Hause. Um dem Morast auf dem Weg auszuweichen, stieg er mit dem linken Fuß auf die obengeschilderte 35 cm hohe Böschung, glitt dabei ab und fiel an den dort befindlichen Holzzaun des Beklagten. Weil der Zaun vermorscht war, brach er um, der Kläger kollerte über die anschließende Böschung und fiel den 2.70 m hohen gemauerten Abbruch hinab, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog, die eine Lähmung des Körpers unterhalb des elften Rückenwirbels und eine dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers zur Folge hatten. Hiefür verlangt er vom Beklagten Schadenersatz. Der Beklagte bestritt, zur Instandhaltung des Zaunes verpflichtet gewesen zu sein, er habe die Vermorschung nicht erkennen können, den Kläger treffe jedenfalls das überwiegende Verschulden an dem Unfall.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil zu Recht, daß die Ansprüche des Klägers dem Gründe nach nicht zu Recht bestunden, und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht wiederholte die Beweisaufnahme teilweise, hob das Urteil des Erstgerichts unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurück. Es führte aus, eine Haftung nach § 1319 ABGB. komme auch dann in Betracht, wenn Teile eines Werkes, als welches auch ein Gartenzaun anzusehen sei, durch Einwirkung des Verletzten abgelöst würden. Die Belassung des schadhaften Zaunes sei für den Schaden des Klägers kausal gewesen. Ein ordnungsgemäß instand gehaltener Zaun hätte den Sturz des Klägers verhindert. Die Vermorschung des Zaunes sei für den Beklagten erkennbar gewesen, es habe für ihn auch die Verpflichtung bestanden, sich von Zeit zu Zeit vom ordnungsgemäßen Erhaltungszustand zu überzeugen, da der Beklagte im Hinblick auf das Alter des Zaunes damit habe rechnen müssen, daß der Zaun nicht mehr vollkommen in Ordnung sei. Wenn auch nach der Bauordnung für Niederösterreich keine Verpflichtung bestehe, das Grundstück durch einen Zaun abzugrenzen, so sei doch derjenige, der einen tatsächlichen Zustand geschaffen habe, durch den für einen Dritten eine Gefahr entstehen könne, verpflichtet, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um Beschädigungen hintanzuhalten. Da die Gemeinde nicht für die nötigen Sicherheitsmaßnahmen gesorgt habe, sei es Pflicht des Beklagten gewesen, Besucher der Weinkeller gegen einen Absturz in die schachtartige Vertiefung, die auf seinem Grundstück geschaffen worden sei, zu sichern. Das Berufungsgericht bejahte daher die Haftung des Beklagten. Aber auch den Kläger treffe ein Verschulden, weil er, der das Gelände nicht gekannt habe, entsprechend vorsichtig hätte sein müssen, wenn er sich vom Weg weg auf die Böschung begeben habe. Da nicht erkennbar sei, daß das Verschulden eines Teiles überwiege, sei gleichteiliges Verschulden im Sinne des § 1304 ABGB. anzunehmen. Da das Erstgericht es unterlassen habe, zu den vom Kläger behaupteten Beschädigungen Stellung zu nehmen, und nicht geprüft habe, ob der Kläger infolge der Unfallsrente, die er erhalte, keinen Verdienstentgang erlitten habe, sei die Aufhebung des Ersturteils notwendig gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit Recht führt der Beklagte aus, er sei nicht verpflichtet, sein Grundstück gegen das Betreten unbefugter Personen in deren Interesse abzusichern, die Einfriedung habe nur dazu gedient, die Grenze seines Grundstückes in seinem eigenen Eigentumsinteresse ersichtlich zu machen. Nach dem niederösterreichischen Straßengesetz müssen nur Teiche, Sand- und Schottergruben, zur Vermeidung einer Gefahr für die Straßenbenützer, entsprechend eingefriedet werden, wenn sie an einer öffentlichen Straße liegen. Andernfalls ist es nicht Aufgabe des Gründeigentümers oder des Nutzungsberechtigten, Vorkehrungen zum Schutze der Straßenbenützer zu treffen. Der abgemauerte senkrechte Abbruch am Grundstücke des Beklagten ist von der Straße rund 7 m entfernt. Zur Grenze des Grundstückes des Beklagten steigt eine 65 cm breite Böschung etwa 35 cm hoch an, dann fällt die Böschung in einem nicht als gefährlich zu bezeichnenden Winkel ab, der nach den festgestellten Maßen kleiner ist als der Winkel der vom Kläger betretenen Böschung gegen die Straße zu (35 : 65 ist größer als 2.85 : 6.9 oder 2.85 : 6.27). Der Beklagte brauchte nicht damit zu rechnen, daß Straßenbenützer sein Grundstück betreten und dadurch einer von ihm geschaffenen Gefahr ausgesetzt werden könnten, gegen die er Sicherungen zu treffen hätte. Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde der Kläger nicht etwa dadurch verletzt, daß der Zaun abgemorscht war. Er hätte sich die Verletzung ebenso, ja noch leichter zuziehen können, wenn kein Zaun vorhanden gewesen wäre. Der Kläger hat nicht damit gerechnet und konnte auch nicht damit rechnen, an dem Zaun eine Stütze zu finden, denn einen solchen Zweck hatte der Zaun nicht und konnte ihn nach seinem Aussehen auch nicht vermuten lassen. Es würde den Auffassungen des Verkehrs - besonders in ländlichen Gegenden - widersprechen, wollte man dem Gründeigentümer eine so weitreichende Sicherungspflicht auferlegen. Gerade in Gebirgsgegenden würde das zu untragbaren Folgerungen führen, wo vielfach an weitaus gefährlicheren Stellen Straßen und Wege ohne jedes Geländer (und die angrenzenden Grundstücke - wenn überhaupt - nur durch einfache Weidezäune abgegrenzt) sind. Es kann vom Gründeigentümer gewiß nicht verlangt werden, etwa an solchen Stellen Steilhänge oder Felsabbrüche derart zu sichern, daß für Personen, die die Straße oder den Weg entlang des Grundstückes benützen, noch dazu selbst beim Verlassen des Weges (Betreten einer Böschung) keine Gefahr besteht. Es muß vielmehr von den Wegbenützern verlangt werden, die den Umständen angemessene Aufmerksamkeit anzuwenden - insbesondere dann, wenn sie über den Wegrand hinaustreten. Auch im vorliegenden Fall wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, eine solche Aufmerksamkeit - zumal bei der herrschenden Dunkelheit - anzuwenden. Ein Verschulden des Beklagten liegt daher nicht vor, weshalb das Klagebegehren vom Erstrichter mit Recht abgewiesen wurde.

Da im Rekursverfahren eine Wiederherstellung des Ersturteiles nicht möglich ist, war wie im Spruche zu entscheiden.

Anmerkung

Z35079

Schlagworte

Verkehrssicherungspflicht, keine - für Gründeigentümer neben der Straße, Zaun, keine Haftung des Gründeigentümers für morschen -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0070OB00228.62.0719.000

Dokumentnummer

JJT_19620719_OGH0002_0070OB00228_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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