TE OGH 1962/9/27 5Ob152/62

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Veröffentlicht am 27.09.1962
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Norm

Ehegesetz §69 (2)
Ehegesetz §111 (1) 4. Satz

Kopf

SZ 35/102

Spruch

Die Vorschrift des § 111 (1) 4. Satz EheG. gilt auch für Judenehen, die nach § 134 ABGB. einverständlich getrennt wurden.

Entscheidung vom 27. September 1962, 5 Ob 152/62.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Ehe der Streitteile wurde nach § 134 ABGB. getrennt. Nun beantragt die Klägerin Verurteilung des Beklagten zur Unterhaltsleistung. Bei der Streitverhandlung vom 8. August 1961 stellte der Beklagte den Zwischenantrag auf Feststellung, daß der Unterhaltsanspruch der Klägerin an den Beklagten nicht zu Recht bestehe.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil vom 12. Oktober 1961 über den Zwischenantrag auf Feststellung in der Form, daß es aussprach, der Unterhaltsanspruch der Klägerin an den Beklagten bestehe dem Gründe nach zu Recht. Ohne die Rechtskraft dieses Urteils abzuwarten, setzte es die Verhandlung fort und erkannte sodann mit Endurteil vom 7. November 1961 über den Unterhaltsanspruch ziffernmäßig.

Dem Berufungsgericht lagen Berufungen des Beklagten sowohl gegen das Zwischenurteil wie auch gegen das Endurteil vor. Es erkannte über die Berufung gegen das Zwischenurteil, indem es in Abänderung dieses Urteils aussprach, der Unterhaltsanspruch der klagenden Partei gegenüber der beklagten Partei bestehe dem Gründe nach nicht zu Recht, und das Klagebegehren auf Unterhaltsleistung abwies. Die Berufung gegen das Endurteil verwies das Berufungsgericht auf diese Entscheidung. Das Berufungsgericht nahm den Rechtsstandpunkt ein, daß die Bestimmung des § 111 EheG. auf einverständlich getrennte Judenehen nicht angewendet werden könnte und daß es daher für diese Ehen bei der vor Einführung des Ehegesetzes in Österreich geltenden Regelung zu bleiben habe, daß ein Unterhaltsanspruch der getrennten Gattin nicht besteht. Das Berufungsgericht hat insbesondere darauf verwiesen, daß die Sätze 4 und 5 des § 111 (1) EheG. nur für jene Ehegatten gelten, deren Ehe nach § 115 ABGB. auf ihr einverständliches Ansuchen wegen unüberwindlicher Abneigung durch Urteil, das beide Ehegatten für schuldlos erklärte, getrennt wurde. An die einverständliche Trennung nach § 134 ABGB. habe der Gesetzgeber bei dieser Regelung niemals gedacht. Eine analoge Anwendung der erwähnten Bestimmung des § 111 EheG. könne nicht Platz greifen. Denn eine Analogie nach § 7 ABGB. habe immer die Gleichheit des Rechtsgrundsatzes und des Schutzbedürfnisses zur Voraussetzung (SZ. XXV 84). Die Trennung nach § 115 ABGB. (Nichtkatholiken) habe sich aber nicht unwesentlich von der Trennung nach §§ 133 ff. ABGB. unterschieden. Von wesentlicher Bedeutung erscheine der Umstand, daß das Urteil nach § 115 ABGB. immer aussprechen mußte - auch wenn der Trennungsgrund unüberwindliche Abneigung war und ein einverständlicher Antrag gestellt wurde -, wer von den Ehegatten die Schuld trug, also etwa auch, daß diese beiden oder keinem beigemessen werden konnte (Klang[1] I/1, S. 771). Es liege daher bei kritischer Prüfung eine Gleichheit des Rechtsgrundsatzes nicht vor. Auch das Schutzbedürfnis könne mit Rücksicht auf die konfessionellen Eigenheiten bei getrennten Judenehen nicht mit gleicher Entschiedenheit bejaht werden wie allenfalls bei Trennung nach § 115

ABGB.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Volkmar - Antoni - Komm. zum EheG. S. 346 bejaht die Anwendbarkeit des § 111 EheG. auch auf einverständlich getrennte Judenehen. Dies mit Recht. Der 4. Satz des § 111 (1) EheG. führte eine Änderung der bisher bestandenen Rechtslage insofern herbei, als für den Fall, daß das Trennungsbegehren auf gemeinsamen Antrag eingeleitet und keiner der Teile für schuldig erklärt wurde, dieselbe Regelung getroffen wurde wie im § 69 (2) EheG., also die Möglichkeit der Zuerkennung eines Unterhaltsanspruches aus Billigkeit (Schwind, Komm. zum Eherecht, S. 257). Seinem Wortlaut nach betrifft allerdings der 4. Satz des § 111 (1) EheG. nur die durch Urteil getrennten Ehen, also die Ehen der Akatholiken. Es muß aber wegen Gleichheit des Rechtsgrundes der Grundsatz, daß bei Ehen, die auf Antrag beider Ehegatten ohne Ausspruch eines Verschuldens getrennt wurden, auch auf Judenehen Anwendung finden.

Das Argument des Berufungsgerichtes, es könne doch ein durch die Trennung der Ehe erloschener Unterhaltsanspruch nach § 111 EheG. nicht neu zum Entstehen gebracht werden, schlägt nicht durch. Auch bei der Trennung der Ehe akatholischer Christen war der Unterhaltsanspruch durch die Trennung erloschen; auch hier wurde durch die Bestimmung des § 111 4. Satz der Unterhaltsanspruch neu zum Entstehen gebracht. Es konnte jeder Ehegatte, ohne daß andere Voraussetzungen vorlagen, schon allein der geänderten Gesetzeslage wegen die Neubemessung des Unterhaltes nach Maßgabe des neuen Gesetzes verlangen (Volkmar - Antoni a. a. O., S. 345).

Auch der Umstand, daß bei der Trennung von Ehen nichtjüdischer Ehegatten wegen unüberwindlicher Abneigung auch die Verschuldensfrage im Urteil zu lösen war, was bei der Trennung von Judenehen nicht zu erfolgen hatte, kann die analoge Anwendung der im § 111 Satz 4 getroffenen Regelung nicht hindern, weil ungeachtet der Verschiedenheit der Regelung der Trennung bei Ehen von Juden und Nichtjuden der Rechtsgrund, warum ein Unterhaltszuspruch nicht erfolgen konnte, bei beiden Ehen derselbe war: Durch die Auflösung des Ehebandes entfiel der Rechtsgrund für den Unterhaltsanspruch der Gattin, und nur im Falle der Trennung der Ehe wegen Verschuldens gewährte die Rechtsprechung auf Grund des § 1266 ABGB. einen Unterhaltsanspruch aus dem Titel des Schadenersatzes (der vollen Genugtuung, SZ. X 176). Eine dem 2. Satz des § 1266 ABGB. entsprechende Regelung bei Judenehen kam nur deshalb nicht in Betracht, weil das Gesetz eine Trennung von Judenehen aus dem Verschulden des Mannes überhaupt nicht kannte. Bei einverständlich getrennten Judenehen hingegen kam eine Zuerkennung von Unterhaltsansprüchen an die Ehegattin aus demselben Gründe nicht in Betracht wie bei einverständlich getrennten Ehen akatholischer Christen: Dem Unterhaltsanspruch war durch die Lösung des Ehebandes die Grundlage entzogen, für die Zuerkennung eines Schadenersatzanspruches aber fehlt es an dem hiefür notwendigen Ausspruch des Verschuldens.

Auch das vom Berufungsgericht herangezogene Argument, es fehle bei Judenehen für die analoge Anwendung des § 111 Satz 4 EheG. das Schutzbedürfnis, ist nicht stichhältig. Das Schutzbedürfnis der Ehegattin aus einer jüdischen Ehe kann sogar unter Umständen wesentlich größer sein als das Schutzbedürfnis ihrer akatholischen Geschlechtsgenossin, weil die jüdische Ehegattin nach dem Rechte des ABGB. zum Unterschied von dieser nicht einmal bei Ehebruch des Mannes oder bei Vorliegen anderer schwerster Eheverfehlungen des Mannes in der Lage war, die Trennung der Ehe wegen Verschuldens des Mannes zu begehren, sondern, wenn sie die Trennung durchsetzen wollte, immer auf den Weg des einverständlichen Trennungsansuchens angewiesen war.

Der Oberste Gerichtshof hat ferner erwogen, ob der Unterhaltsanspruch der getrennten Jüdin nicht auf Grund eines Analogieschlusses aus § 115 EheG. verneint werden müßte, weil § 115 EheG. bei nach altem Recht einverständlich geschiedenen Ehen einen Unterhalt nicht gewährt, was daher um so mehr für einverständlich getrennte Ehen gelten müßte. Ein solcher Analogieschluß ist aber aus zwei Gründen nicht möglich. Erstens regelt § 111 EheG. die Unterhaltsfrage bei getrennten Ehen abweichend von der Regelung des § 115 ABGB., der den Unterhalt geschiedener Ehen betrifft. Das gilt namentlich auch für die akatholische Ehegattin, der, wenn ihre Ehe einverständlich von Tisch und Bett geschieden war, durch das neue Recht kein von der bisherigen Rechtslage abweichender Unterhaltsanspruch zuerkannt wurde, während sie dann, wenn ihre Ehe auf Grund einverständlichen Antrages getrennt wurde und keiner der Ehegatten für schuldig erklärt wurde, gemäß § 111 4. Satz einen ihr bisher nicht zustehenden Unterhaltsanspruch haben sollte. Überdies ist eine analoge Anwendung der im § 115 EheG. für die einverständliche Scheidung getroffenen Unterhaltsregelung deshalb ausgeschlossen, weil diese Regelung auf Grund des nur für die einverständliche Scheidung von Tisch und Bett geltenden § 105 ABGB. getroffen wurde, demzufolge eine einverständliche Scheidung nur dann bewilligt werden konnte, wenn die Ehegatten bestätigten, daß sie sowohl über ihre Scheidung als über die Bedingungen in Absicht auf Vermögen und Unterhalt miteinander einverstanden sind. Es sollte daher nach § 115 (3) Satz 1 EheG. auch nach der Umwandlung der Scheidung von Tisch und Bett in eine Scheidung nach dem Ehegesetz stets bei der getroffenen Regelung, insbesondere auch bei der Regelung des Unterhaltes, bleiben (Volkmar - Antoni a. a. O., S. 352).

Sind demnach alle Erwägungen, die gegen eine analoge Anwendung des 4. Satzes des § 111 auf Judenehen ins Treffen geführt werden könnten, nicht stichhältig, sprechen andererseits folgende Erwägungen zwingend für die analoge Anwendung dieser Gesetzesstelle auf Judenehen:

Es kann dem Berufungsgericht zugebilligt werden, daß bei Schaffung des § 111 4. Satz EheG. an Judenehen möglicherweise gar nicht gedacht wurde. Die Fassung dieser Gesetzesstelle, welche zwar die Anwendung auf Judenehen nicht ausdrücklich ausschließt, aber doch auf eine nur bei Akatholiken mögliche Trennung durch Urteil abgestellt ist, deutet ja darauf hin, daß man bei ihrer Schaffung entweder an Judenehen nicht gedacht hat oder entsprechend der Einstellung des damaligen Regimes Judenehen nicht für wichtig genug hielt, um sie bei der Fassung dieser Gesetzesstelle zu berücksichtigen. Es wurde ja bei Schaffung des Ehegesetzes sicherlich überhaupt in erster Linie an die Ehen von Nichtjuden gedacht. Trotzdem kann nicht bezweifelt werden, daß das Ehegesetz als Ganzes auch für Judenehen gilt. Dies trifft insbesondere auch hinsichtlich der Bestimmung des § 109 EheG. zu (vgl. Pfundtner - Neubert, Anm. 1 zu § 109 EheG.). Galt die Trennung der Ehe nach dem ABGB. nunmehr als Scheidung nach dem EheG. und waren demgemäß dessen Vorschriften auch für den Unterhalt anzuwenden (§ 111 1. Satz EheG.), so ergab sich für die Judenehen, die auf Antrag beider Ehegatten getrennt wurden die gleiche Schwierigkeit bei der Anwendung des hier in Betracht kommenden § 69 (2) EheG. wie bei Ehen von Akatholiken, die auf Antrag beider Gatten getrennt worden waren:

Für die Unterhaltsverpflichtung des § 69 (2) EheG. war die Klägerrolle entscheidend, die es bei Trennungen auf Ansuchen beider Ehegatten nicht gab. Das Ehegesetz traf daher im 4. Satz des § 111 EheG. eine dem § 69 (2) EheG. nachgebildete Regelung (Pfundtner - Neubert, Anm. 6 zu § 111 EheG.). Der Umstand, daß diese Regelung, da sie ihrem Wortlaut nach auf urteilsmäßig getrennte Ehen abgestellt war, nicht unmittelbar Judenehen betraf, bedeutet, daß hinsichtlich der Judenehen eine Gesetzeslücke vorliegt, die durch Analogie geschlossen werden muß. Der hier zu ziehende Analogieschluß ergibt sich zwingend daraus, daß einerseits für Judenehen ebenso wie für die Ehen von Akatholiken gemäß § 111 (1) Satz 1 des EheG. in Zukunft die Vorschriften des Ehegesetzes über den Unterhalt geschiedener Ehegatten gelten sollen, während andererseits die hier in Betracht kommende Bestimmung des § 69 (2) EheG. mangels Vorhandenseins eines Klägers ebensowenig unmittelbar anwendbar ist wie bei auf einverständlichen Antrag getrennten Ehen von Akatholiken. Auch für Judenehen bedarf es daher der Bestimmung des § 111 Satz 4, welche den im § 69 (2) EheG. ausgesprochenen Grundsatz auch für nach altem Recht ohne Schuldausspruch getrennte Ehen anwendbar macht.

Zu dieser analogen Anwendung zwingt auch der Grundsatz der Gleichheit, von dem nunmehr unser Eherecht beherrscht ist. Das Recht des ABGB. regelte die ehelichen Verhältnisse der Juden unter der Überschrift "Ausnahmen der Judenschaft". Das entsprach dem Grundsatz, daß die staatlichen Normen des Eherechtes unter Berücksichtigung der religiösen Vorschriften der Religion, welcher die Ehegatten angehören, zu erstellen seien. Dieser Grundsatz wurde durch das Ehegesetz beseitigt und nunmehr das Eherecht für die Ehen aller Konfessionen gleichgestaltet. Die unter der Herrschaft des alten Rechtes durchgeführten Ehetrennungen sollten aufrecht bleiben, aber wie Scheidungen nach dem neuen Ehegesetz behandelt werden. Wurde man nun die Anwendbarkeit des § 111 Satz 4 EheG. auf Judenehen ablehnen, käme man zu dem Ergebnis, daß, obwohl doch alle Trennungen als Scheidungen im Sinne des Ehegesetzes gelten sollen, doch bei einem kleinen Teil dieser Scheidungen, nämlich bei Scheidungen von Judenehen, die früher Trennungen auf Grund einverständlichen Antrages ohne Schuldausspruch waren, etwas anderes gelten sollte als bei gleichartigen Scheidungen anderer Konfessionen, daß also Ausnahmen der Judenschaft hier erhalten bleiben sollten.

Der Ausspruch, der Unterhaltsanspruch der klagenden Partei gegenüber der beklagten Partei bestehe dem Gründe nach nicht zu Recht, läßt sich daher aus dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gründe jedenfalls nicht rechtfertigen. Die Frage, ob dieser Ausspruch aus anderen Gründen gerechtfertigt wäre, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu beurteilen, weil das Berufungsgericht auf diese Frage und insbesondere auch auf den Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht eingegangen ist. Über die Berufung gegen das Endurteil, in welcher unter anderem Nichtigkeit geltend gemacht wurde, hat das Berufungsgericht überhaupt nicht entschieden.

Anmerkung

Z35102

Schlagworte

Einverständlich getrennte Judenehe, Unterhaltsanspruch, Judenehe, einverständlich getrennte, Unterhaltsanspruch, Unterhaltsanspruch, einverständlich getrennte Judenehe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0050OB00152.62.0927.000

Dokumentnummer

JJT_19620927_OGH0002_0050OB00152_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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