TE OGH 1963/3/20 1Ob1/63

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Veröffentlicht am 20.03.1963
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Norm

Geschäftsordnung für die Gerichte §179
ZPO §522 (2)

Kopf

SZ 36/43

Spruch

Den Parteien steht kein Recht zu, daß ein Rechtsmittel erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist der höheren Instanz vorgelegt wird.

Entscheidung vom 20. März 1963, 1 Ob 1/63.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Im vorliegenden Rechtsstreite begehrte der Kläger aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz von der beklagte Republik Österreich. Er leitete seinen mit 463.572 S bezifferten Schaden daraus ab, daß die Räumung von ihm gepachteter Liegenschaften in gesetzwidriger Weise vorzeitig durchgeführt worden sei, wodurch er die Ernteerträgnisse des Jahres 1959 eingebüßt habe. Das gesetzwidrige schuldhafte Verhalten von Organen der beklagten Partei erblickt der Kläger darin, daß der Rekurs der betreibenden Partei gegen die Aufschiebung der Räumung in dem von ihm angestrengten Oppositionsprozeß entgegen dem § 179 GeO. zu früh vorgelegt und zu rasch erledigt worden ist.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Prozeßgerichtes.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Darin, daß der Rekurs der betreibenden Parteien gegen den Aufschiebungsbeschluß unverzüglich - vor Ablauf der für den Kläger noch offenen Rekursfrist - dem Rekursgericht vorgelegt wurde und daß dieses sofort entschieden hat, liegt kein rechtswidriges und schuldhaftes, einen Amtshaftungsanspruch begrundendes Verhalten der Gerichte. Richtig ist, daß gemäß § 179 GeO. Rechtsmittel "nach Einlangen sämtlicher Rechtsmittelschriften und Gegenausführungen ohne Aufschub" vorzulegen sind. Schon der Hinweis, daß die Rechtsmittel ohne Aufschub vorzulegen sind, macht es zumindest zweifelhaft, ob damit für alle Fälle den Gerichten geboten ist, die Rechtsmittel erst vorzulegen, wenn die Rekursfristen für alle Parteien abgelaufen sind; dazu kommt, daß nach dem Gesetz der Rekurs dem Rekursgericht schlechthin "ohne Aufschub" vorzulegen ist (§ 522

(2) ZPO.). Selbst wenn man aber der Auffassung des Klägers folgen wollte, daß die unverzügliche Rekursvorlage eine Normverletzung, nämlich einen Verstoß gegen § 179 GeO., darstellte, so könnte darauf doch ein Amtshaftungsanspruch nicht gestützt werden. Wie der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, genügt nämlich zur Begründung der Rechtswidrigkeit nicht eine einfache Normwidrigkeit. Sollte das Zuwiderhandeln gegen einen Rechtssatz einen Schadenersatzanspruch auslösen, so müssen jene Interessen verletzt werden, deren Schutz die Rechtsnorm bezweckt. Das Zuwiderhandeln ist rechtswidrig nur gegenüber den durch den Rechtssatz geschützten Interessen. Auch für das Gebiet des Amtshaftungsrechts muß daher untersucht werden, welche Interessen die verletzte Norm schützen soll, damit beurteilt werden kann, ob das schadenstiftende Verhalten des Organs gegenüber dem Beschädigten als rechtswidrig anzusehen ist. Es muß der sogenannte Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben sein (siehe etwa SZ. XXVII 129; 11. Mai 1955, 1 Ob 272/55, JBl. 1956, 101 = SZ. XXVIII 127; SZ. XXVIII 201).

Der eben umschriebene Rechtswidrigkeitszusammenhang liegt, selbst wenn man eine Verletzung des § 179 GeO. annehmen wollte, keineswegs vor. § 179 GeO. ist nämlich zur Regelung des inneren Dienstes der Gerichte erlassen und bezweckt eine reibungslose Geschäftsbehandlung - insbesondere Rechtsmittelvorlage - und die Vermeidung von Ergänzungen und Rückfragen. Davon, daß dadurch den Parteien ein Recht in der Richtung eingeräumt worden wäre, daß Rechtsmittel vor Ablauf der Rechtsmittelfristen nicht vorgelegt werden dürfen, sofern noch ein Rechtsmittel einer anderen Partei möglich ist, kann keine Rede sein. Eine solche Auslegung des § 179 GeO. widerspräche nicht nur dem Gesetz, wonach Rekurse "ohne Aufschub" vorzulegen sind (§ 522 (2) ZPO.), sondern würde der Verfahrensverschleppung geradezu Tür und Tor öffnen. Wollte man dieser Meinung des Klägers folgen, so wäre praktisch dem Verpflichteten durch die Geschäftsordnung eine Exekutionsstundung gewährt, was nie und nimmer der Zweck einer Geschäftsordnungsbestimmung sein kann.

Anmerkung

Z36043

Schlagworte

Amtshaftung Rechtswidrigkeitszusammenhang, Rechtsmittel, sofortige Vorlage, Rechtswidrigkeitszusammenhang bei Amtshaftungssachen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0010OB00001.63.0320.000

Dokumentnummer

JJT_19630320_OGH0002_0010OB00001_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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