TE OGH 1963/3/28 2Ob338/62

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Veröffentlicht am 28.03.1963
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Norm

ZPO §391 (3)
ZPO §411 (1)

Kopf

SZ 36/52

Spruch

Eine trotz Verneinung der ganzen Klagsforderung ergehende Entscheidung über die Gegenforderung wird - als im § 411 Abs. 1 letzter Satz ZPO. nicht vorgesehen - nicht der Rechtskraft teilhaftig.

Entscheidung vom 28. März 1963, 2 Ob 338/62.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte ereignete sich am 14. Oktober 1958 in der Wiener Straße im Mariazell ein Verkehrsunfall, bei dem der Radfahrer Engelbert M. von dem mit einem Motorrad fahrenden Beklagten niedergestoßen und so schwer verletzt wurde, daß er an den Folgen starb. Der Beklagte wurde im Strafverfahren freigesprochen.

Die klagende Partei machte ihre Ansprüche auf Ersatz ihrer Leistungen aus der Sozialversicherung an A. M., die Witwe des E. M., gemäß § 332 ASVG. in der Höhe von 12.614 S 64 g geltend, wobei sie ein Mitverschulden des E. M. zur Hälfte zugrundelegte. Außerdem begehrte sie die Feststellung, daß der Beklagte auch zum Ersatz der zukünftigen Leistungen im Sinne der zitierten Gesetzesstelle und unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des E. M. zur Hälfte verpflichtet sei. Sie grundet ihre Ansprüche nur auf die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes und behauptete ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten in der Richtung, daß er unaufmerksam und zu schnell gefahren sei.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, daß ihn kein Verschulden treffe. Der Unfall sei durch das verkehrswidrige Verhalten des E. M. herbeigeführt worden, der plötzlich die Fahrbahn von links nach rechts schräg überquerte. Der Beklagte, der beim Unfall ebenfalls verletzt wurde, wendete eine Gegenforderung in der Höhe von 10.000 S Schmerzengeld ein. Die klagende Partei machte dagegen Verjährung geltend.

Das Erstgericht entschied dahin, daß 1. die Ansprüche der klagenden Partei dem Gründe nach nicht zu Recht bestehen, 2. die Gegenforderung des Beklagten dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe und 3. das Leistungs- und Feststellungsbegehren abgewiesen werde.

Nach Ansicht des Erstgerichtes ist der Unfall nicht mehr einwandfrei zu rekonstruieren. Die klagende Partei habe den Beweis für ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten nicht erbracht. Die Gegenforderung des Beklagten sei verjährt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil als Teil- und Zwischenurteil dahin ab, daß das Klagebegehren auf Leistung dem Gründe nach zu Recht bestehe. Weiter stellte es fest, daß der Beklagte verpflichtet sei, der klagenden Partei auch die zukünftigen Pflichtaufwendungen für die Witwe A. M. im Rahmen des § 332 ASVG. zu ersetzen. Das Berufungsgericht nahm auch den Ausspruch des Erstgerichtes über die Gegenforderung in sein Urteil auf und verwies darauf, daß dieser Ausspruch des Erstgerichtes unangefochten geblieben sei.

Das Berufungsgericht hatte die Beweisaufnahmen wiederholt und kam zu dem Ergebnis, die klagende Partei habe den Beweis für ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten in der Richtung erbracht, daß dieser unaufmerksam und zu schnell gefahren sei.

Gegen das Teil- und Zwischenurteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er macht die Revisionsgrunde nach § 503 Z. 1 bis 4 ZPO. geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das erstgerichtliche Urteil wieder hergestellt werde, allenfalls es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, jedenfalls aber festzustellen, daß die Gegenforderung dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision ist begrundet.

Der Beklagte meint, der Ausspruch des Berufungsgerichtes, die Gegenforderung von 10.000 S bestehe dem Gründe nach nicht zu Recht, sei nichtig im Sinne des § 477 Z. 9 ZPO., weil das Berufungsgericht diesen Ausspruch nicht begrundet habe. Es ist nun zwar richtig, daß in den Gründen der berufungsgerichtlichen Entscheidung zu diesem Ausspruch nicht Stellung genommen wurde. Aus dem Spruch der Entscheidung der zweiten Instanz ergibt sich aber, daß das Berufungsgericht davon ausging, die Entscheidung des Erstrichters über den Nichtbestand der Gegenforderung sei mangels Anfechtung durch den Beklagten in Rechtskraft erwachsen und daher ohne weiteres auch der Entscheidung des Berufungsgerichtes zugrundezulegen. Dies geht eindeutig aus der vom Berufungsgericht gewählten Formulierung hervor, das Urteil der ersten Instanz bleibe hinsichtlich des Ausspruches über den Nichtbestand der Gegenfonderung als unangefochten unberührt. Daß sich diese Begründung nicht in den Gründen, sondern im Spruch der Entscheidung findet, ist nicht von Belang. Von einem völligen Mangel einer Begründung im Sinn des § 477 Z. 9 ZPO. kann bei dieser Sachlage nicht gesprochen werden.

Zu prüfen ist daher nur, ob das Berufungsgericht mit Recht in diesem Belange von einer mangels Erhebung einer Berufung durch den Beklagten - in der Berufungsmitteilung hat der Beklagte zum Ausdruck gebracht, daß er sich durch die Entscheidung des Erstrichters über die Gegenforderung beschwert erachte - bereits in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung der ersten Instanz ausgehen konnte. Die Entscheidung über eine zur Aufrechnung eingewendete Gegenforderung ist gemäß § 411 ZPO. nicht schlechthin, wie etwa die Entscheidung über eine mit Widerklage geltend gemachte Gegenforderung, der Rechtskraft fähig. Eine solche Entscheidung ist vielmehr kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung nur im eingeschränkten Maße, nämlich bis zum Betrag, mit dem aufgerechnet werden soll, der Rechtskraft teilhaftig. Unter einer Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand eines Betrages, mit dem aufgerechnet werden soll, kann naturgemäß nur eine Entscheidung über einen solchen Betrag verstanden werden, der einer zu Recht bestehenden Klagsforderung zwecks Aufrechnung gegenübergestellt werden soll. Dies folgt schon daraus, daß im Falle der Erhebung der Kompensationseinrede nicht etwa wie im Falle der Erhebung einer Widerklage bedingungslos eine Entscheidung des Gerichtes über die Gegenforderung begehrt wird, sondern nur für den Fall, als die Klagsforderung ganz oder zum Teil als zu Recht bestehend erkannt werden sollte. Ist doch die Einrede dadurch bedingt, daß über die Klagsforderung ein bejahendes Sachurteil gefällt wird. Nur in diesem Falle besteht überhaupt die Möglichkeit der Aufrechnung (vgl. Pollak, Zivilprozeßrecht[2], S. 21, Schrutka, Zivilprozeßrecht, S. 300, Stein - Jonas, Komm. z. ZPO.[18] zu § 322 VI und zu § 300, S. 3 f.; RGZ. 161, 167 ff.). Damit im Einklang steht die Bestimmung des § 545 (3) Geo., wonach dann, wenn die ganze Klagsforderung als nicht zu Recht bestehend erkannt wird, die Feststellung der Gegenforderung zu entfallen hat. Daß kraft positiver gesetzlicher Bestimmung Rechtskraft nicht nur insoweit eintritt, als die Gegenforderung als zu Recht bestehend erkannt wird, sondern auch insoweit, als ihr Nichtbestand festgestellt wird, vermag nichts daran zu ändern, daß Voraussetzung für den Eintritt der Rechtskraft das Bestehen einer Klagsforderung in gleicher Höhe ist, gegen die aufgerechnet werden soll. Während im Falle der Feststellung des Bestandes der Gagenforderung bis zur Höhe der (zu Recht bestehenden) Klagsforderung die Gegenforderung durch prozessuale Aufrechnung verbraucht wird, wird im Falle der Feststellung des Nichtbestandes der Gegenforderung gesagt, daß die Aufrechnung abgelehnt wird, weil die Gegenforderung nicht besteht (vgl. bei im wesentlichen gleicher Rechtslage Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechtes[9], S. 753). Abgelehnt kann die Aufrechnung nur dann wenden, wenn eine Klagsforderung bejaht wird, mit der aufgerechnet werden könnte, wenn die Gegenforderung zu Recht bestunde. Eine trotz Verneinung der ganzen Klagsforderung dennoch erfolgende Entscheidung über die Gegenforderung wird - als in der die Rechtskraft der Entscheidung über die Gegenforderung regelnden Bestimmung des § 411 ZPO. nicht vorgesehen - auch nicht der Rechtskraft teilhaftig. Die Annahme einer durch nachträgliche - etwa im Rechtsmittelverfahren erfolgende - Feststellung des Bestandes einer Klagsforderung bedingten Rechtskraft wäre mit den die Rechtskraft regelnden Bestimmungen der ZPO. nicht vereinbar. Der allgemeine Grundsatz, daß eine gerichtliche Entscheidung in Rechtskraft erwächst, wenn sie nicht innerhalb der Anfechtungsfrist angefochten wird, kann auf Entscheidungen über Gegenforderungen nur mit der sich aus § 411 (1) letzter Satz ZPO. ergebenden Beschränkung angewendet werden.

Daraus folgt, daß die Entscheidung der ersten Instanz über die Gegenforderung nicht in Rechtskraft erwachsen und daher so zu behandeln ist, als wäre sie nicht ergangen. Einer Anfechtung der nicht der Rechtskraft fähigen Entscheidung durch den Beklagten bedurfte es nicht. Der Kompensationseinrede kam erst Bedeutung zu, als in zweiter Instanz über die Klagsforderung positiv entschieden wurde. Das Berufungsgericht hat dadurch, daß es die rechtlich unbeachtliche Entscheidung der ersten Instanz über die Gegenforderung wie eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung übernahm, die verfahrensrechtliche Bestimmung des § 411 (1) letzter Satz ZPO. darüber, inwieweit eine solche Entscheidung der Rechtskraft teilhaftig wird, unrichtig angewendet. Die Bekämpfung des berufungsgerichtlichen Urteiles durch den Beklagten stellt sich, soweit es sich um die Entscheidung über die Gegenforderung handelt, inhaltlich als Geltendmachung eines Verfahrensmangels dar, der tatsächlich vorliegt.

Wird von dieser Auffassung ausgegangen, dann muß das Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben werden, ohne daß auf die Ausführungen, mit denen die Entscheidung über die Klagsforderung bekämpft wird, eingegangen werden kann. Ein Teilurteil hinsichtlich der Klagsforderung kann nämlich wegen des rechtlichen Zusammenhanges zwischen der Klagsforderung und der Gegenforderung gemäß § 391 (3) ZPO. nicht gefällt werden. Dieser rechtliche Zusammenhang ist nicht nur bezüglich des Leistungsbegehrens, sondern auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens gegeben, weil der Deckungsfonds in bezug auf die künftigen Pflichtaufwendungen der klagenden Partei für die Witwe A. M. auch durch die Erledigung des Leistungsbegehrens einschließlich der Kompensationseinrede bestimmt wird.

Anmerkung

Z36052

Schlagworte

Gegenforderung, Entscheidung über -, Rechtskraftwirkung, Rechtskraftwirkung Entscheidung über Gegenforderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0020OB00338.62.0328.000

Dokumentnummer

JJT_19630328_OGH0002_0020OB00338_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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