TE OGH 1963/6/20 5Ob172/63

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Veröffentlicht am 20.06.1963
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Norm

ABGB §914

Kopf

SZ 36/89

Spruch

Die Berücksichtigung der Verkehrsübung kann auch zu einer Ergänzung des Vertrages um dasjenige führen, was für den eingetretenen, nicht vorhergesehenen Fall zwischen den Parteien Rechtens sein soll.

Entscheidung vom 20. Juni 1963, 5 Ob 172/63.

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Mit notariellem Kaufvertrag vom 10. Februar 1954 verkaufte der Kläger die Liegenschaft EZ. 201 KG. Kl. den Beklagten und der inzwischen verstorbenen Mutter des Erstbeklagten. Im Punkt 3 des Vertrages wurde vereinbart, daß das auf dieser Liegenschaft stehende Holz im Eigentum des Verkäufers verbleibe; dieser verpflichtete sich jedoch, es bei sonstigem Verfall zugunsten der Käufer binnen einem Jahr auf seine Kosten wegzubringen. Das Eigentumsrecht der Beklagten wurde grundbücherlich einverleibt. Als der Kläger zeitgerecht mit den Schlägerungsarbeiten beginnen wollte, wurden sie ihm von der Forstbehörde untersagt. Erst nach wiederholtem Bemühen erlangte er im Sommer 1962 die Schlägerungsbewilligung, doch verweigern nun die Beklagten ihre Zustimmung.

Das Erstgericht wies das Begehren, die Beklagten seien schuldig, dem Kläger oder dessen Beauftragten die Schlägerung und den Abtransport des Holzes zu gestatten, mit folgender Begründung ab:

Dem Klagebegehren stehe der Verfall des Rechtes des Klägers laut Punkt 3 des Kaufvertrages entgegen. Der vom Kläger geltend gemachte beiderseitige Irrtum werde zwar im Gesetz nicht ausdrücklich als Anfechtungsgrund genannt, von Lehre und Rechtsprechung aber anerkannt. Er könne jedoch wegen der von den Beklagten mit Recht eingewendeten Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden. Gleichgültig, ob man die dreijährige Frist des § 1487 ABGB. vom Vertragsabschluß oder von der Entdeckung des Irrtums an rechne, sei sie spätestens mit Ende 1957 abgelaufen. Der Kläger habe aber seinen Anspruch erstmals im Jahre 1962 geltend gemacht.

Der weiters vom Kläger herangezogene Rechtsgrund der Bereicherung liege mangels eines der gesetzlichen Tatbestände nicht vor. Außerdem könne dieser Rechtsgrund bei einem verjährten Anspruch nicht durchdringen, da sonst niemals etwas verjähren könne.

Unbegrundet sei der Einwand, der Wille der Parteien sei niemals auf den Verkauf des Holzes gerichtet gewesen. Dem sei, da das rechtliche Schicksal des Holzes von dem des Grundstückes nicht getrennt werden konnte, eben in der Form des Punktes 3 des Kaufvertrages Rechnung getragen worden.

Unerörtert könne bleiben, ob die Verweigerung der Schlägerungsbewilligung einen Fall höherer Gewalt darstelle, da sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Vertrag ergebe, daß der vereinbarte Verfall bei Verhinderung der Schlägerung durch höhere Gewalt nicht wirksam werde.

Abgesehen von der Verjährung könne sich der Kläger auf den angeblichen Irrtum auch deswegen nicht berufen, weil er ihn selbst als wesentlichen qualifiziere und daher gemäß § 871 ABGB. nur Aufhebung des ganzen Kaufvertrages mit Rückübertragung des Eigentumsrechtes und Rückzahlung des Kaufpreises verlangen könnte. Würde man aber den Irrtum als unwesentlich qualifizieren, so könnte der Kläger nach § 872 ABGB. vom Urheber des Irrtums eine angemessene Vergütung verlangen, er habe aber weder behauptet, daß die Beklagten seinen Irrtum hervorgerufen haben, noch verlange er eine angemessene Vergütung, sondern eine Modifizierung des Vertrages.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil aus anderen rechtlichen Erwägungen. Durch den Verkauf der Liegenschaften seien auch die Bäume in das Eigentum der Beklagten übergegangen, doch habe der Kläger einen befristeten, obligatorischen Anspruch auf Wegnahme des auf einer bestimmten Grundfläche stehenden Holzes gehabt. Dieser Anspruch habe nur so lange bestanden, als das Holz das vertragsmäßige, durch Kalendertag bestimmte Ausmaß gehabt habe. Durch die Überschreitung der Frist um 7 1/2 Jahre habe sich das Holz sowohl mengenmäßig um den gemäß § 405 ABGB. den Eigentümern zustehenden Zuwachs vermehrt, als auch so verändert, daß eine Absonderung des ursprünglichen Bestandes nicht mehr möglich sei. Die durch das Schlägerungsverbot eingetretene zeitweise, von den Beklagten aber nicht verschuldete Unmöglichkeit der Vertragserfüllung habe also dazu geführt, daß die ursprünglich bedungene Leistung nicht mehr bewirkt werden könne. Was der Kläger begehre, sei ein durch den Vertrag nicht gedecktes aliud.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der Antragsgegnerin Folge und trug dem Rekursgericht eine neue Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Prozeßentscheidung hängt im wesentlichen von der Auslegung des Punktes 3 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages ab. Hiezu behauptet der Kläger in der Klage, die Verfallsvereinbarung sei auf Anregung des Vertragsverfassers Notar Dr. X. deswegen aufgenommen worden, damit nicht der Kläger das auf der Liegenschaft stockende Holz jahrzehntelang stehen und wachsen lasse, während die Beklagten die Steuern zu tragen hätten; beide Vertragspartner seien jedoch bei dieser Vereinbarung von der Annahme ausgegangen, daß der Kläger ohne Schwierigkeit die Schlägerungsbewilligung erlangen und daher in der Lage sein werde, das Holz, das nicht Gegenstand des Kaufvertrages sein sollte, fristgerecht zu schlägern. Die Beklagten haben dies bestritten und beide Parteien haben sich auf den Notar Dr. X. als Zeugen, auf ihre eigene Vernehmung als Partei sowie auf Urkunden berufen.

Zu Unrecht haben beide Untergerichte diese Beweise als entbehrlich erachtet und ohne deren Aufnahme auf Grund der Aktenlage entschieden. Gemäß § 914 ABGB. ist bei Auslegung von Verträgen die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Wie Gschnitzer in Klang[2], IV., S. 407 ff. ausführt, muß die Erforschung des Parteiwillens alle Umstände heranziehen, denn auch die genaueste Erklärung bedarf, selbst wenn man am Buchstaben festhält, ergänzender Deutung durch die Umstände. Ja eine ganze Vertragsklausel kann erst aus den Umständen die richtige Deutung erlangen. Wenn die Erforschung des Parteiwillens wegen Lückenhaftigkeit versagt, ist nach dem zweiten Satzteil des § 914 ABGB. die Verkehrsübung heranzuziehen. Dies besonders in Lagen, die die Parteien nicht voraussahen, vielleicht gar nicht voraussehen konnten. Dies führt allenfalls zur Ergänzung des Vertrages um dasjenige, was für den eingetretenen, nicht vorhergesehenen Fall nach Treu und Glauben sowie nach den Richtlinien des im Vertrag für die ins Auge gefaßten Verhältnisse ausgedrückten Willens zwischen den Parteien rechtens sein soll (Gschnitzer, a. a. O., S. 408, SZ. XXVI 194, JBl. 1948, S. 142, und 1928, S. 152).

Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erfordert eine Verfahrensergänzung durch Aufnahme der von den Parteien angebotenen Beweise. Erst hienach wird sich sodann beurteilen lassen, ob - wie das Berufungsgericht meint - durch die Überschreitung des vereinbarten Zeitraumes um 7 1/2 Jahre aus dem ursprünglich vertragsgegenständlichen Holz ein aliud geworden sei, dessen Herausgabe der Kläger nicht mehr verlangen kann.

Da die Urteile der Vorinstanzen somit an wesentlichen Feststellungsmängeln leiden, die eine abschließende Beurteilung der Rechtssache verhindern, mußten sie aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werden.

Anmerkung

Z36089

Schlagworte

Auslegung eines Vertrages, Verkehrsübung, Verkehrsübung, Ergänzung eines Vertrages durch Berücksichtigung der -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0050OB00172.63.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19630620_OGH0002_0050OB00172_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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