TE OGH 1963/9/26 2Ob170/63

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.1963
beobachten
merken

Norm

ABGB §1295
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
Versicherungsvertragsgesetz §67

Kopf

SZ 36/121

Spruch

Hat der aus einem Unfall Ersatzpflichtige nicht rechtzeitig Kenntnis von der Leistung des Kaskoversicherers an dessen Versicherungsnehmer (dem Geschädigten aus dem Unfalle) erlangt, dann ist er nicht verpflichtet, wenn er sich mit dem Geschädigten bereits abgefunden hat, neuerlich an den Kaskoversicherer als Legalzessionar nach § 67 VersVG. 1958 Zahlung zu leisten; bloßes Wissenmüssen kommt in dieser Hinsicht nicht in Betracht.

Entscheidung vom 26. September 1963, 2 Ob 170/63.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 10. Mai 1961 ist der der chemischen Fabrik Dr. E. H. gehörige Kraftwagen durch den Zusammenstoß mit einem der beklagten Partei gehörigen Kraftwagen beschädigt worden. Nach dem letzten Stande des Verfahrens ist das Alleinverschulden des Lenkers des Kraftwagens der beklagten Partei nicht mehr strittig. Durch den bezeichneten Unfall ist für das Fahrzeug des Unternehmens Dr. E. H. einschließlich der Abschleppkosten ein Reparaturaufwand von 13.435 S 60 g entstanden. Die Klägerin hatte dieses Fahrzeug kaskoversichert; aus diesem Versicherungsverhältnis verpflichtete sie sich am 13. Oktober 1961 gegenüber Dr. E. E. Rechtsanwalt in W. als Machthaber des Dr. E. H., zur Zahlung von 12.435 S 60 g, nämlich 13.435 S 60 g weniger 1000 S als Selbstbehalt; dieser Betrag ist am 17. Oktober 1961 an den Geschädigten bezahlt worden. Die beklagte Partei war bei der J.- Versicherungsgesellschaft (in der Folge als "JVG." bezeichnet) haftpflichtversichert. Auf Grund dieser Haftpflichtversicherung leistete die JVG. namens der beklagten Partei zufolge Vereinbarung mit dem Machthaber der Geschädigten Dr. E. E. an den Genannten zur Schadloshaltung am 17. Oktober 1961 den Betrag von 12.000 S und am 26. Oktober 1961 einen weiteren Pauschalbetrag von 5000 S, insgesamt also 17.000 S. Im Gründe der Legalzession nach § 67 Versicherungsvertragsgesetz 1958 verlangt nunmehr die Klägerin von der beklagten Partei die Zahlung von 12.435 S 60 g mit der in der Streitverhandlung formulierten ausdrücklichen Behauptung, daß der Haftpflichtversicherer der beklagten Partei bei der Leistung von 17.000 S in Kenntnis der Abfindung des Dr. E. H. durch die Klägerin aus der Kaskoversicherung gewesen sei und trotzdem an Dr. E. H. Zahlung geleistet habe. Die beklagte Partei hat im Hinblick auf den durch ihren Haftpflichtversicherer mit dem Machthaber der Geschädigten geschlossenen Vergleich und die darauf geleistete Zahlung Klagsabweisung beantragt.

Das Erstgericht hat die beklagte Partei zur Zahlung des Betrages von 12.435 S s. A. an die Klägerin verurteilt; die Zahlung des Haftpflichtversicherers der beklagten Partei an den Geschädigten sei ohne schuldbefreiende Wirkung gegenüber der Klägerin erfolgt, weil zur Zeit dieser Zahlung der Anspruch des Dr. E. H. bereits auf die Klägerin übergegangen gewesen sei und der JVG. bei dieser Zahlung der gute Glaube gemangelt habe.

Der Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der rechtlichen Beurteilung ist von der in § 67 des Versicherungsvertragsgesetzes 1958 normierten Legalzession auszugehen: steht dem Versicherungsnehmer (vorliegendenfalls der chemischen Fabrik Dr. E. H. im Verhältnisse zur Klägerin als Kaskoversicherungsgesellschaft) ein Schadenersatzanspruch gegen einen Dritten (nämlich gegen die beklagte Partei aus dem Verkehrsunfalle vom 10. Mai 1961) zu, so geht der Anspruch auf den Versicherer (die klagende Partei) über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Rechtsübergang hat also die Leistung des Versicherers an seinen Versicherungsnehmer zur Voraussetzung und der Zeitpunkt des Übergangs ist jener der Zahlung (vgl. Prölss, Versicherungsvertragsgesetz[13] S. 259, sowie Albert Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht, 1952, S. 286). Für die Frage des Rechtsüberganges kommt es nicht auf das Bestehen der Kaskoversicherung an sich an, da Fälle denkbar sind, in denen der vom Dritten geschädigte Kaskoversicherungsnehmer auf eine Leistung seines Kaskoversicherers keinen Wert legt, vielmehr den Schädiger direkt auf Ersatzleistung in Anspruch nimmt. Vorliegendenfalls hat nun die Klägerin als Kaskoversicherungsgesellschaft ihren Versicherungsnehmer Dr. E. H. aus seinem Schadensfalle vom 10. Mai 1961 am 17. Oktober 1961 in der Höhe von 12.435 S 60 g (der Klagsforderung) entschädigt, so daß die bezogene Legalzession eingetreten ist. Für die Rechtsbeziehungen der beklagten Partei (Debitor cessus) gegenüber der Klägerin als Zessionarin kommt es daher auf die Bestimmungen der §§ 1395 f. ABGB. an: der Schuldner ist berechtigt, den ersten Gläubiger (Dr. E. H.) zu bezahlen oder sich sonst mit ihm abzufinden, solange ihm der Übernehmer nicht bekannt wird, kann dieses aber nicht mehr, sobald ihm der Übernehmer bekannt gemacht worden ist (vgl. z. B. 7 Ob 39/63, ZVR. 1963, Spruchbeilage Nr. 182; Albert Ehrenzweig, a. a. O., S. 286, auch unter Hinweis auf § 407 BGB.). Nun haben die Vorinstanzen die Entscheidung auf den "guten Glauben" des debitor cessus bzw. seines Haftpflichtversicherers abgestellt und dem Zahlungsbegehren der Klägerin als Legalzessionarin deswegen stattgegeben, weil der JVG. bei der Entschädigungsleistung an Dr. E. E. als den Machthaber Drs. E. H. "der zur schuldbefreienden Wirkung erforderliche gute Glaube nicht beigemessen werden könne"; "der Haftpflichtversicherer habe nicht die nötige Sorgfalt angewendet, daß ihm Gutgläubigkeit zugebilligt werden könnte". Zutreffend nimmt die Revisionswerberin gegen diese Beurteilung der Vorinstanzen schon unter dem Gesichtspunkte Stellung, daß die Klägerin im maßgeblichen erstgerichtlichen Verfahren ihr Begehren selbst auf die ausdrückliche Behauptung der Kenntnis des Haftpflichtversicherers der beklagten Partei von der Zahlung der Klägerin an ihren Versicherungsnehmer (beim Vergleichsabschluß und der darauf folgenden Entschädigung) gegrundet hat. Eine derartige Kenntnis ist aber nach den maßgeblichen vorinstanzlichen Feststellungen nicht als erwiesen angenommen worden. Eine direkte Verständigung der Klägerin an den debitor cessus bzw. die JVG. vor der Leistung der Entschädigung an den Machthaber Drs. E. H. ist nicht einmal behauptet worden und Unklarheiten über den "Bestand einer Kaskoversicherung" anläßlich der Verhandlungen des Machthabers des Geschädigten mit dem Haftpflichtversicherer der beklagten Partei können im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen nicht zu Lasten des debitor cessus gewertet werden, zumal es nach den obigen Ausführungen auf die Zahlung aus der Kaskoversicherung und nicht bloß auf das Bestehen einer derartigen Versicherung bei der Legalzession ankommt (nach den vorinstanzlichen Feststellungen - hat Dr. E. E. dem Schadensreferenten der JVG. erklärt, nicht zu wissen, ob eine Kaskoversicherung bezüglich des Unfallsfahrzeuges bestehe, und dieser Schadensreferent hat auf telephonische Anfrage bei Dr. E. H. die Auskunft erhalten, daß eine Kaskoversicherung für dieses Fahrzeug nicht bestehe). Bei der Zession gewährt das Gesetz (§ 1395 ABGB.) dem Schuldner, damit er nicht zu Schaden komme, das Recht, den ersten Gläubiger zu bezahlen oder sich sonst mit ihm abzufinden, solange ihm der Zessionar nicht bekannt wird, und in dieser Hinsicht genügt jede von wem immer erlangte klare, zuverlässige Nachricht (vgl. Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, S. 263; Wolff in Klang Komm.[2], VI, S. 312); die Umstände, aus denen die Untergerichte die Annahme einer "Gutgläubigkeit" des Machthabers des debitor cessus abgelehnt haben, reichen aber nicht aus, die vom Gesetz geforderte Kenntnis (vgl. auch die bereits oben zitierte Entscheidung 7 Ob 39/63) zu begrunden.

Mit Rücksicht auf die Hinweise auf die Rechtsprechung zur Legalzession nach § 332 ASVG. (§ 1542 RVO.) und auf die deutsche Lehre und Judikatur ist noch folgendes zu bemerken:

Auch in § 407 BGB. ist ein Schuldnerschutz statuiert; der neue Gläubiger muß eine vom Schuldner nach der Abtretung an den bisherigen Gläubiger bewirkte Leistung gegen sich gelten lassen, es sei denn, daß der Schuldner die Abtretung bei der Leistung kennt. Nach Enneccerus - Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 14. Bearbeitung, S. 313, muß der neue Gläubiger beweisen, daß der Schuldner um die Abtretung wußte; es ist eine genügend sichere und glaubhafte Kenntnis erforderlich; bloßes Wissenmüssen kommt nicht in Betracht (ebenso Danckelmann im Beckschen Kurz-Kommentar zum BGB[22] S. 360 f. sowie die Entscheidung des BGH. vom 27. Februar 1962, VI ZR. 260/60, VersR. 1962, S. 515 ff., am Ende). Im Falle der Legalzession auf Grund der Sozialversicherung eines Unfallgeschädigten (§ 332 ASVG., § 1542 RVO.) obliegt grundsätzlich dem Sozialversicherungsträger der Nachweis, daß dem Ersatzpflichtigen, wenn sich dieser direkt mit dem Verletzten abgefunden hat, zur Zeit der Zahlung die Tatsache der Sozialversicherung bekannt gewesen sei (vgl. Geigel, Haftpflichtprozeß[11], S. 765, sowie die bezogene Entscheidung des BGH. vom 27. Februar 1962); in dieser Hinsicht genügt aber schon die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich der Forderungsübergang ergibt, also die Kenntnis des Ersatzpflichtigen von dem Umstande, daß der Verletzte ein gewerblicher oder landwirtschaftlicher Arbeiter oder dgl. ist und daher sozialversichert ist; in diesen Fällen geht ja der Anspruch auf den Versicherungsträger schon insoweit über, als dieser Leistungen an den Geschädigten zu erbringen hat. Die Legalzession nach § 67 Versicherungsvertragsgesetz 1958 dagegen stellt auf den erfolgten Ersatz des Versicherungsnehmers durch den Vertragsversicherer ab, wobei in den Fällen wie hier außerdem immer ungewiß ist, ob eine Kaskoversicherung besteht. Entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen können also auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres jene Grundsätze angewendet werden, die die Rechtsprechung entwickelt hat, wenn die Frage der Bedeutung der direkten Abfindung eines sozialversicherten Unfallgeschädigten durch den Schädiger im Prozesse des Sozialversicherungsträgers gegen diesen Ersatzpflichtigen auf Grund der Legalzession des § 332 ASVG. zur Erörterung steht. Vielmehr ist die beklagte Partei mangels rechtzeitiger Kenntnis der Leistung der Klägerin an ihren Kaskoversicherungsnehmer nicht verpflichtet, aus dem Unfalle vom 10. Mai 1961 neuerlich an die Klägerin Ersatz zu leisten.

Anmerkung

Z36121

Schlagworte

Kaskoversicherung, Legalzession, Kaskoversicherer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0020OB00170.63.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19630926_OGH0002_0020OB00170_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten