TE OGH 1964/10/15 6Ob141/64

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Veröffentlicht am 15.10.1964
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Norm

ABGB §1318
ABGB §1319

Kopf

SZ 37/145

Spruch

Das Herabfallen von Scherben eines Türflügels ist nicht nach § 1318 ABGB., sondern nach § 1319 ABGB. zu beurteilen.

Entscheidung vom 15. Oktober 1964, 6 Ob 141/64. I. Instanz:

Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.

Text

Der Beklagte ist Eigentümer einer im 10. Stockwerk des Hochhauses L., R.straße 20, gelegenen Eigentumswohnung, deren Türen und Fenster er beim Verlassen der Wohnung stets schließt, weil er sich bewußt ist, daß im 10. Stockwerk der Einfluß des Windes wesentlich stärker ist als in den unteren Stockwerken. Am 8. Mai 1962 öffnete etwas nach 17 Uhr die allein in der Wohnung befindliche Gattin des Beklagten den rechten Flügel der nach innen aufgehenden und in geöffnetem Zustand nicht fixierbaren verglasten Balkontür, der, während sich die Gattin des Beklagten kurze Zeit in einem anderen Raum aufhielt, von einer plötzlich auftretenden Sturmbö zugeschlagen wurde. Dadurch zerbrachen die 90 X 250 cm großen Doppelglasscheiben des Türflügels. Die Splitter fielen teils in das Zimmer, teils auf den Balkon und auf die Balkone der darunterliegenden Wohnungen, wobei ein Teil der Splitter vom Sturm in Form eines schmalen Streifens von Glassplittern quer über den Gehsteig, den angrenzenden Abstellstreifen für Autos, die Fahrbahn der R.straße und noch darüber hinaus getragen wurde. Dadurch wurde die Lackierung des dort abgestellten PKW. des Klägers zerkratzt und die Umrahmung der Windschutzscheibe beschädigt.

Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger wegen dieses Vorfalles Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten unter ausdrücklicher Berufung auf die Bestimmungen des § 1318 ABGB. und der allgemeinen Schadenersatznormen der §§ 1295 ff. ABGB. geltend.

Das Erstgericht verneinte zwar eine Haftung des Beklagten nach den allgemeinen Schadenersatzbestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB., vertrat aber die Auffassung, daß unter den gegebenen besonderen Verhältnissen eine offene, nicht weiter gesicherte Balkontür eine gefährlich aufgestellte Sache sei und erachtete daher die Voraussetzungen des § 1318 ABGB. für eine Haftung des Beklagten für gegeben.

Infolge Berufung des Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung ab, daß mangels einer objektiven Erkennbarkeit einer Gefährdung von auf der Straße befindlichen Sachen durch das Offenlassen einer Balkontür bei herannahendem Gewitter, eine offenstehende Balkontür keine gefährlich aufgestellte Sache im Sinne des § 1318 ABGB. sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit der Klage entnommen werden kann, daß der Kläger seinen Anspruch auch auf ein Anerkenntnis des Beklagten grundet, ist ihr die Grundlage durch die Feststellung des Erstgerichtes entzogen, daß der Beklagte weder den Kläger noch Dritten gegenüber jemals den Bestand der Ersatzansprüche des Klägers anerkannt hat. Der Kläger hat auch in der Revision das Anerkenntnis nicht mehr erwähnt, sondern lediglich die Auffassung des Berufungsgerichtes bekämpft, daß eine Haftung nach § 1318 ABGB. nicht gegeben sei.

Im übrigen ist bei der rechtlichen Beurteilung davon auszugehen, daß der Kläger ausdrücklich die Haftung des Beklagten auf § 1318 ABGB. und auf die allgemeinen Schadenersatznormen der §§ 1295 ff. ABGB. gegrundet hat. Mit Rücksicht auf den festgestellten Sachverhalt, wonach der Beklagte stets und auch am 8. Mai 1962 (Tag des Schadensfalles) vor dem Verlassen der Wohnung sämtliche Türen und Fenster geschlossen hat und am 8. Mai 1962 die Balkontür von der allein in der Wohnung befindlichen Gattin des Beklagten geöffnet und offen stehengelassen wurde, kommt eine Verschuldenshaftung des Beklagten nach den §§ 1295 ff. ABGB. nicht in Betracht. Die Revision enthält auch nach dieser Richtung keine Ausführungen.

Die Bestimmungen des § 1318 ABGB. sind aber auf den vorliegenden Fall deshalb nicht anwendbar, weil Fenster- und Türflügel keine gefährlich aufgehängten und aufgestellten Sachen im Sinne des § 1318 ABGB. sind, sondern Teile des Gebäudes. Für den durch das Herabfallen von Gebäudeteilen entstandenen Schaden wird aber nicht nach § 1318 ABGB., sondern nach § 1319 ABGB. gehaftet (Ehrenzweig[2] II/1 S. 681, 686, Wolff in Klang[2] VI S. 105 (1), S. 108 Punkt 2). Nach § 1319 ABGB. haftet nicht nur der Sachbesitzer, sondern auch derjenige, von dem die erforderlichen Vorkehrungen zur Abwendung der Gefahr erwartet werden können, da Besitz im Sinne des § 1319 ABGB. nicht im Sinne des § 309 ABGB. zu verstehen ist, vielmehr nur eine Beziehung zum Gebäude oder Werk voraussetzt, welche die Möglichkeit gibt, der Gefahr durch Vorkehrungen zu begegnen. Es macht daher keinen Unterschied, ob der Besitz des Werkes auf einem dinglichen oder einem obligatorischen Recht beruht (SZ. XVII 121, SZ. XXX 22). Auf jeden Fall ist der Beklagte als Wohnungseigentümer Besitzer im Sinne des § 1319 ABGB. Es kann aber auf die Frage nach einer Haftung des Beklagten nach § 1319 ABGB. schon deshalb nicht eingegangen werden, weil der Kläger seine Klage ausdrücklich nur auf § 1318 ABGB. und auf die allgemeinen Schadenersatznormen des § 1295 ff. ABGB. gegrundet und auch gar nicht behauptet hat, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der Haftung nach § 1319 ABGB. (Mangelhaftigkeit des Werkes) gegeben waren. Das Gericht hat daher nicht die Möglichkeit, den Sachverhalt in der Richtung der gar nicht geltend gemachten Haftung nach § 1319 ABGB. zu beurteilen, da das Gericht, wenn ein bestimmter Rechtsgrund ausdrücklich geltend gemacht wurde, daran gebunden ist und der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben kann (SZ. XXIII 74 und ständige Rechtsprechung). Da aber nach den beiden vom Kläger geltend gemachten Rechtsgrunden eine Haftung des Beklagten nicht gegeben ist, so erweist sich das Urteil des Berufungsgerichtes, mit welchem das erstgerichtliche Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abgeändert wurde, jedenfalls im Ergebnis als zutreffend.

Anmerkung

Z37145

Schlagworte

Herabfallen von Scherben einer Balkontür, Herabfallen von Scherben einer Balkontür

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0060OB00141.64.1015.000

Dokumentnummer

JJT_19641015_OGH0002_0060OB00141_6400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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