TE OGH 1965/2/12 4Ob303/65

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Veröffentlicht am 12.02.1965
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Norm

Urheberrechtsgesetz §1 (1)
Urheberrechtsgesetz §44 (3)

Kopf

SZ 38/26

Spruch

Voraussetzungen des urheberrechtlichen Schutzes eines Interviews

Entscheidung vom 12. Februar 1965, 4 Ob 303/65

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien

Text

Der Kläger, ein holländischer Journalist, interviewte am 20. November 1963 S., der während des Zweiten Weltkrieges als Gestapobeamter in Holland F. verhaftet hatte. Den auf Grund des Interviews verfaßten Artikel verkaufte er am 21. November 1963 exklusiv für Österreich der Tageszeitung "K.", die ihn in der Ausgabe vom 22. November 1963, die schon in den Abendstunden des 21. November 1963 in Wien zum Verkauf gelangte, brachte. Der Kläger behauptet, daß der Erstbeklagte, ein Redakteur der Zweitbeklagten, den im K. erschienenen Artikel des Klägers abgeschrieben und im Betriebe der Zweitbeklagten, einer nordamerikanischen Nachrichtenagentur, für diese verwendet habe. Daraus leitet der Kläger Feststellungs-, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach den §§ 19, 81, 83 UrhRG., Ansprüche auf Ersatz des Vermögensschadens, eines immateriellen Schadens und des entgangenen Gewinnes sowie auf Urteilsveröffentlichung ab. Der Kläger stützt hilfsweise sein Klagebegehren auf § 1 UWG., ohne allerdings diesen Rechtsgrund näher zu konkretisieren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Dem Kläger sei es gelungen, mit Hilfe einer ihm vom K. zur Verfügung gestellten Zwischenadresse den Aufenthaltsort von S. ausfindig zu machen. Er habe mit diesem am 20. November 1963 das erste und letzte Interview durchgeführt und hievon zwei Fassungen, eine kürzere und eine längere, hergestellt. Noch am selben Tage habe er die kürzere in holländischer Sprache an die Zeitung "T." in Amsterdam telefonisch durchgegeben, diese habe den Artikel in ihrer Morgenausgabe am 21. November 1963 ohne Nennung eines Copyright vorgenommen. Am Vormittag des 21. November 1963 habe der Kläger das Interview zunächst dem Redakteur H. vom K. zum Kaufe angeboten, wobei er hinzufügte daß er den deutschen Text bis zum Nachmittag hergestellt haben werde. H. habe sich nicht entscheiden können, bevor er nicht den Text gelesen habe. Sodann habe sich der Kläger zur Wiener Agentur der Zweitbeklagten begeben und dem dort anwesenden Chefredakteur W. das Interview zum Kauf um 4000 S angeboten. W. habe erwidert, daß er zuerst bei der Zentrale in London rückfragen müsse, und habe ihm versprochen, sich im Falle einer zustimmenden Antwort mit ihm in Verbindung zu setzen. Die Zentrale der Zweitbeklagten in London habe W. verständigt, daß sie einen Ankauf des Interviews ablehne. W. habe um 17 Uhr seinen Dienst beendet, etwa um dieselbe Zeit habe sich der Kläger mit dem inzwischen fertiggestellten Text der kürzeren Fassung des Interviews zum K. begeben und wieder mit H. verhandelt. Dieser habe sich nach Rückfrage beim Chefredakteur P. mit dem Kläger über einen Ankauf des Interviews zum Preise von 1750 S geeinigt. Auf Verlangen des Klägers habe ihm H. ein Schreiben zur Verfügung gestellt, worin bestätigt wurde, daß das vom Kläger um 1750 S angekaufte Interview von diesem keiner anderen österreichischen Zeitung oder Zeitschrift übergeben werde, das Interview vom K. keiner anderen Zeitung oder Agentur weiterverkauft werde. In der Morgenausgabe des K. vom 22. November 1963 sei das Interview unter dem Titel: "Der Häscher F.s sagt aus" erschienen. Es habe den Untertitel: "Exklusivinterview mit dem Wiener Ex-Gestapomann". In einer vom K. stammenden Einleitung sei angeführt, daß es einem holländischen Journalisten gelungen sei, mit S. zu sprechen. Der K. habe dieses Interview exklusiv für Österreich erworben und übergebe es hiermit der Öffentlichkeit. Der Nachdruck dieses Berichtes oder auch nur von Auszügen sei verboten. Die Morgenausgabe des K. erscheine immer schon am Abend des vorangehenden Tages um etwa 20 Uhr. Der Erstbeklagte sei über die Verhandlungen zwischen dem Kläger und W. nicht unterrichtet gewesen. Er habe das Interview in der Ausgabe des K. am 21. November 1963 zwischen 20 und 21 Uhr zu Gesicht bekommen. Er habe den Artikel für interessant befunden und sich telefonisch mit P. in Verbindung gesetzt und ihn um die Bedeutung der in der Einleitung den Nachdruck des Interviews betreffenden Angaben befragt. P. habe erwidert, der K. habe mit dem Kläger eine Vereinbarung getroffen, wonach das Interview exklusiv für Österreich erworben worden sei. Der K. sei nicht in der Lage, es weiterzugeben. Der Erstbeklagte habe die Antwort in dem Sinn aufgefaßt, daß die Exklusivität nur für Österreich gelte, und habe die Nachricht an die Zentrale der Zweitbeklagten nach London gesandt, von wo sie über das Weltnetz jenes Unternehmens ausgestrahlt worden sei. In dem im K. abgedruckten Interview bemerke der Kläger einleitend, daß er gute 2 1/2 Stunden in einer kleinen Wohnstube in einem Wiener Siedlungshaus dem Manne gegenübergesessen sei, der am 4. August 1944 mit acht holländischen SD-Leuten in einem Versteck in Amsterdam die Familien. F., van D. und den Zahnarzt Dr. D., insgesamt acht untergetauchte Juden, ausgehoben habe. Es folgten die Personaldaten S.s. Dann führe der Kläger aus, es sei schwer zu sagen, wie einem Holländer zumute sei, dem ehemaligen Gestapobeamten gegenüberzusitzen, der ein Mädchen der Todesmaschine Eichmanns ausgeliefert habe, dessen Tagebuch von Millionen Menschen gelesen worden oder als Film und Theaterstück von Millionen Menschen gesehen worden sei. Sodann stelle der Kläger Betrachtungen darüber an, daß S. ein Mensch wie jeder andere sei und nicht den Eindruck erwecke, als habe er sich mit SS-Gold aus dem Staube gemacht. Er sei nicht unfreundlich, zeige aber genau die Härte, die ein geborener Kriminalist brauche, um sich in seinem Beruf nicht von menschlichen Gefühlen überrumpeln zu lassen. Der Kläger schildere ferner, daß ihn zuerst S.s Frau nicht habe einlassen wollen, daß dann aber S. selbst aus der Küche gekommen sei und ihn zum Eintritt in die Wohnung eingeladen habe. Hierauf komme der Kläger wieder auf den persönlichen Eindruck S.s zurück, er habe gezittert, er habe auf den Kläger wie ein seelisches Wrack gewirkt, eine Zigarette nach der anderen geraucht und sei besonders nervös gewesen, als der Kläger ihm Stellen aus einem Tatsachenbericht eines deutschen Journalisten, Sch., gezeigt habe. Auf dem Tische sei eine Ausgabe des Tagebuchs der F. gelegen. Darauf folge eine Wiedergabe der Erklärung S.s darüber, wann und warum er das Buch gekauft habe, schließlich die Darstellung S.s über die näheren Umstände der Verhaftung der F., eingeleitet von der Bemerkung des Klägers, daß S. mit der Genauigkeit eines Buchhalters erzählte, dabei seine Schachtel leergeraucht und sich größte Mühe gegeben habe, seine innerliche Aufgewühltheit zu verdecken. Nach Beendigung des Berichtes S.s seien eine Reihe von Fragen des Klägers und die von S. erteilten Antworten wiedergegeben. Dann schildere der Kläger das weitere Schicksal S.s teils mit eigenen Worten, teils durch Wiedergabe seiner Antworten auf die an ihn gerichteten Fragen. Das Interview schließe damit, daß der Kläger selbstverständlich um ein Lichtbild gebeten habe, dies habe jedoch Frau S. abgelehnt, weil es sonst in der Presse mit dem Titel: "Das ist der Henker von Holland" erscheinen könnte. Der Text des an den K. verkauften Interviews sei eine Übersetzung des vom Kläger am 20. November 1963 der niederländischen Zeitung "T." zur Verfügung gestellten Interviews in die deutsche Sprache. Der vom Erstbeklagten der zweitbeklagten Partei zur Verfügung gestellte Text des Interviews S.s durch den Kläger nehme in der Einleitung vorweg, daß jener, der NS-Fänger der F. und ihrer Familie, behaupte, die F.s seien von einem Holländer an die Gestapo verraten worden. Darauf folgten mit dem Hinweise, daß es sich um ein "Copyright-Interview" handle, welches der K. veröffentlichte, auszugsweise die im Interview des Klägers wiedergegebenen Äußerungen S.s, teils in direkter, teils in indirekter Rede. Die persönlichen Wahrnehmungen des Klägers und die Schilderung des Eindruckes, den S. in den verschiedenen Phasen des Interviews bei ihm hervorgerufen habe, seien weggelassen.

Das Erstgericht beurteilte das Interview als Mitteilung von Tatsachen, nicht aber als ein Sprachwerk im Sinne des § 2 Z. 1 UrhRG. Daraus folge die Unstichhaltigkeit der auf das Urheberrechtsgesetz, aber auch auf § 1 UWG. gestützten Klage.

Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil blieb erfolglos. Das Berufungsgericht erblickte in dem Interview des Klägers keine eigentümliche geistige Schöpfung. Darin würden nur beobachtete Tatsachen wiedergegeben und Mitteilungen, die S. dem Kläger gegenüber gemacht habe, sowie reine Beobachtungen der räumlichen Verhältnisse und der Reaktionen S.s. Für eine Verantwortlichkeit nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die allenfalls in einer planmäßigen und beharrlichen Ausbeutung der Tätigkeiten des Klägers durch die Beklagten gelegen sein könnte, fehle es an den erforderlichen Behauptungen und Beweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, gab dem Begehren, die Vervielfältigung und Verbreitung des Interviews zu unterlassen und alle Vervielfältigungsstücke und die ausschließlich zur widerrechtlichen Vervielfältigung bestimmten Mittel zu beseitigen, statt, hob die Urteile der Untergerichte im übrigen auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zunächst ist die Frage zu prüfen, ob ein Interview überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießen kann. Für die Bejahung dieser Frage sind Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht[2] S. 121, 236, wohl auch Mitteis, Grundriß des österreichischen Urheberrechts, S. 111, 147, Rintelen, Urheber- und Urhebervertragsrecht, S. 207, ferner Allfeld in DJZ. 21. Jahrgang (1916 Ü) S. 273 und Heyn, Der Rechtsschutz der Rundfunkreportage und des Rundfunkinterviews im Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht 1955 II S. 59 ff. Die beiden letztgenannten Autoren stehen auf dem Standpunkt, daß Interviews dann urheberrechtlichen Schutz genießen, wenn sie eigentümliche geistige Schöpfungen (im Sinne des § 1 (1) des österreichischen Urheberrechtsgesetzes) sind, daß sie aber keinen Schutz genießen, wenn sie nur einen nackten Tatsachenbericht geben (wie etwa im Fall einer Reportage in bildlicher Darstellung: SZ. XXIV 215). Dieser Rechtsansicht kann gefolgt werden. Es kommt also darauf an, ob die Interviews über das Niveau banaler Darstellung von Ereignissen hinausgehen und durch Formgestaltung und inhaltliche Gruppierung und Auswahl des Stoffmaterials zu persönlichen, charakteristischen geistigen Schöpfungen des Reporters geworden sind. Wenn der Befragte seinerseits maßgebenden Anteil an der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung des Interviews nimmt, kann auch oder nur er als der geistige Schöpfer angesehen werden. Wenn der sprachliche Ausdruck dagegen nichts anderes enthält, als was unbedingt nötig ist, um den Sinn der Äußerungen des Befragten richtig zu fassen, dann entsteht weder für den Befragten noch für den Fragesteller ein Urheberrecht.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann muß an dem Interview, das im K. veröffentlicht wurde, grundsätzlich die urheberrechtliche Schutzfähigkeit bejaht werden, weil es über einen bloßen Tatsachenbericht hinausgeht. Die Darstellung des Zusammentreffens des Klägers mit S. ist wirksam und spannend gruppiert, die Erzählung S.s von der Verhaftung der F., untermischt mit Beobachtungen des Klägers und Hinweisen auf das veröffentlichte Tagebuch der F., ist dramatisch wiedergegeben und die deutsche Fassung, abgesehen von geringen Unebenheiten im Ausdruck des holländischen Verfassers, stilistisch einwandfrei. Von einem bloßen Aufsatz über eine politische Tagesfrage (§ 44 (1) UrhRG.) oder gar von einem einfachen darstellenden Pressebericht (§ 44 (3) UrhRG.), die keinen oder nur einen beschränkten urheberrechtlichen Schutz genießen, kann inhaltlich, zeitlich und der Form nach nicht gesprochen werden. Die Reportage trägt die persönliche Note des Klägers und ist eine eigentümliche, auf gedanklicher Höhe stehende geistige Schöpfung.

Eine andere Frage ist, ob das Urheberrecht an dem Interview dem Kläger allein, S. allein zukommt oder ob ein Miturheberrecht beider besteht. Sowohl Heyn als auch Allfeld bejahen ein Miturheberrecht dann, wenn der gedankliche Einfluß auf die Formgebung und das Niveau auf Seite des Fragestellers und des Befragten gleich groß ist. Nach beiden ist aber in vielen Fällen die inhaltliche Ausgestaltung des Interviews, die Auswahl der in seinem Verlauf zu erörternden Probleme und die Verknüpfung der einzelnen Gedanken ausschließlich Sache des Fragestellers. Er prägt in solchen Fällen die äußere und innere Form des Wechselgespräches und erbringt somit die schutzwürdige urheberrechtliche Leistung. Dies trifft hier nach dem bereits Gesagten auf den Kläger zu. Ihm muß daher das Urheberrecht an dem ganzen Interview zugestanden werden. Im übrigen kann auch auf Bappert - Wagner, Internationales Urheberrecht, S 54, verwiesen werden, wonach bei einem Interview von der Annahme auszugehen sei, daß der Befragte dem Fragesteller auch das Recht zur ausschließlichen Verwertung des Interviews erteilt.

Dem Kläger kommt somit ein urheberrechtlicher Schutz an dem gesamten Inhalt des Zeitungsartikels zu. Solchen Schutz genießen nach § 95

(1) UrhRG. alle Werke, die - wie das vorliegende - im Inland erschienen sind. Die beklagte Partei war daher nicht befugt, einzelne Teile daraus, wie die Antworten S.s, zu verwerten, da auch diese für sich betrachtet eine eigentümliche geistige Schöpfung des Klägers darstellen und im Sinne der vorstehenden Ausführungen sowie des § 1 (2) UrhRG. schutzfähig sind. Als freie Werknutzung nach § 46 Z. 1 UrhRG. können die Beklagten ihren Eingriff in das Urheberrecht des Klägers nicht bezeichnen, da sie über das Anführen, also das bloße Zitieren, einzelner (weniger) Stellen ohne gedankliche Selbständigkeit (vgl. Peter, Kommentar zum Österreichischen Urheberrecht, S. 129) weit hinausgegangen sind.

Auf Grund des feststehenden Sachverhaltes kann allerdings sofort nur dem Klagebegehren unter 2 a und b des Spruches (Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren), letzterem modifiziert gemäß den Bestimmungen des § 82 (2) UrhRG., stattgegeben werden. Die Beklagten haben die Besorgnis des Klägers, es könnte eine Urheberrechtsverletzung von ihnen fortgesetzt oder wiederholt werden (§ 81 (1) UrhRG.) nicht zerstreut. Die übrigen Ansprüche sind noch nicht spruchreif, da die erforderlichen Feststellungen fehlen. Dies führt zur Aufhebung der Urteile der Untergerichte in diesem Umfange.

Anmerkung

Z38026

Schlagworte

Interview, urheberrechtlicher Schutz eines -, Schutz, urheberrechtlicher - eines Interviews

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0040OB00303.65.0212.000

Dokumentnummer

JJT_19650212_OGH0002_0040OB00303_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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