TE OGH 1965/4/29 2Ob134/65

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Veröffentlicht am 29.04.1965
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Norm

ZPO §472
ZPO §503 Z2
ZPO §513

Kopf

SZ 38/74

Spruch

Die Wirksamkeit des Verzichtes auf ein Rechtsmittel setzt die Kenntnis der Entscheidung voraus, auf deren Anfechtung verzichtet werden soll

Entscheidung vom 29. April 1965, 2 Ob 134/65

I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz

Text

Am 7. Oktober 1963 ist der vom Kläger gelenkte Personenkraftwagen mit dem Personenkraftwagen des Beklagten (von diesem gelenkt) auf der Eisenbundesstraße in der damaligen Überquerung des Laussagrabens im Begegnungsverkehr zusammengestoßen. Ein Strafverfahren ist im Zusammenhang mit diesem Verkehrsunfall nicht eingeleitet worden. Mit der Behauptung des Verschuldens des Beklagten am Zusammenstoß der Fahrzeuge verlangt der Kläger den Ersatz von Sachschaden in der Höhe von 2704.50 S samt Anhang (Kosten der Reparatur des Fahrzeuges von 1204.50 S und Ersatz des merkantilen Minderwertes von 1500 S. Der Beklagte hat jedweden Ersatz abgelehnt und - hilfsweise - compensando eine Schadenersatzforderung von 835 S eingewendet.

Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt und zu Recht erkannt, daß die eingeklagte Forderung von 2704.50 S dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe; die Gegenforderung des Beklagten von 835 S "bestehe dem Gründe nach im vollen Umfange zu Recht" (zutreffend hat die Berufungsinstanz dazu ausgeführt, daß bei Verneinung der Klagsforderung kein Raum für die Entscheidung über den Bestand der Gegenforderung sei).

Gegen das Ersturteil hat der Kläger mit dem Ziele berufen, vollständig zu obsiegen.

In der Berufungsverhandlung haben die Parteien ihr Einverständnis erklärt, daß "das Berufungsgericht die ihm etwa erforderlich erscheinende Ergänzung von Tatsachenfeststellungen ohne Beweiswiederholung auf Grund der Aktenlage vornehme" (sämtliche Beweise waren in erster Instanz unmittelbar aufgenommen worden; als Berufungsgrunde waren - u. a. - Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung geltend gemacht worden; der Beklagte als Berufungsgegner hatte seinerseits gegen Sachverhaltsfeststellungen der ersten Instanz in der Berufungsmitteilung Stellung genommen).

Das Berufungsgericht hat der Berufung des Klägers ohne Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteils mit Zwischenurteil entschieden, daß der Anspruch des Klägers dem Gründe nach mit zwei Dritteln zu Recht und mit einem Drittel nicht zu Recht bestehe; die Gegenforderung des Beklagten bestehe dem Gründe nach mit einem Drittel zu Recht und mit zwei Dritteln nicht zu Recht. Hinsichtlich seiner Entscheidungsgrundlagen hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die vom Erstgerichte festgestellten Beweisergebnisse "mit den vom Berufungsgerichte vorgenommenen Ergänzungen und Korrekturen" der rechtlichen Beurteilung der Sache zugrunde gelegt worden seien.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die rechtliche Beurteilung setzt endgültige Sachverhaltsfeststellungen voraus, so daß zunächst die von der beklagten Partei geltend gemachten Revisiongsrunde des § 503 Z. 2 und 3 ZPO. zu erörtern sind. Die Mängelrüge des Beklagten ist allerdings nicht gerechtfertigt, soweit er sich darin gegen die Fällung des Zwischenurteils gemäß § 393 (1) ZPO. an sich wendet. Denn schon vor dem Erstgerichte hatte der Beklagte "eine leichte Streifung der beiden Fahrzeuge" zugestanden, so daß schon unter diesem Gesichtspunkte der Eintritt eines Sachschadens, dessen Ersatz der Kläger begehrt, nicht auszuschließen ist. Der Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO. liegt aber in der Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit des Verfahrens seitens der Berufungsinstanz vor und schon aus diesem Gründe ist die Revision des Beklagten berechtigt. Wie bereits dargelegt, hatte nämlich das Erstgericht alle Beweise unmittelbar aufgenommen; den Beweiswürdigungsrügen in bezug auf das Ersturteil hat nun das Berufungsgericht bloß auf Grund der Akten in mehreren Punkten stattgegeben und selbst ausgeführt, "Ergänzungen und Korrekturen" der erstinstanzlichen Feststellungen vorgenommen zu haben. Dieser Vorgang ist nach ständiger Praxis des Revisionsgerichtes, an der auch diesfalls festgehalten wird, unzulässig. Zufolge des Grundsatzes der Unmittelbarkeit darf die zweite Instanz von jenen Feststellungen, welche das Erstgericht auf Grund unmittelbarer Beweisaufnahme - wie im vorliegenden Falle - getroffen hatte, nur nach Maßgabe der Beweiswiederholung abgehen und auch zusätzliche Feststellungen dürfen von der zweiten Instanz in einem derartigen Falle nur nach Beweiswiederholung und Beweisergänzung vorgenommen werden. Daß das Berufungsgericht gegen diesen Grundsatz verstoßen habe, rügt die beklagte Partei in der Revision gegen das Berufungsurteil mit Recht. Fraglich kann nur sein, ob die oben bezeichnete Einverständniserklärung (zur Vornahme der dem Berufungsgerichte etwa erforderlich erscheinenden Ergänzung von Tatsachenfeststellung ohne Beweiswiederholung auf Grund der Aktenlage) als wirksamer Verzicht des Beklagten auf Geltendmachung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 2 ZPO. in der bezeichneten Richtung zu werten ist. Das Revisionsgericht verneint diese Frage. Denn abgesehen davon, daß in der bezeichneten Erklärung der Parteien in der Berufungsverhandlung nur von "Ergänzung" der Tatsachenfeststellungen und nicht von Korrekturen der Sachverhaltsfeststellungen, welche die Berufungsinstanz auch vorgenommen hat, wie sie selbst darlegt, die Rede ist, setzt die Wirksamkeit des Verzichtes auf ein Rechtsmittel nach nunmehr ständiger Praxis (vgl. z. B. 2 Ob 751/51 vom 21 November 1951, SZ. XXIV 319, und die dortselbst bezogene Lehre Sperls) die Kenntnis der Entscheidung voraus, auf deren Anfechtung verzichtet werden soll. Nicht die Grundsätze des Privatrechtes sind auf eine solche Verzichtserklärung anzuwenden; die prozessualen Handlungsbefugnisse sind keine subjektiven Rechte oder Verfahrensansprüche wider die Gegenpartei; es handelt sich dabei nicht um privatrechtliche Beziehungen, über welche durch Vertrag verfügt werden kann (vgl. die oben zitierte Entscheidung 2 Ob 751/51 sowie die sonstige Rechtsprechung zu § 472 ZPO.). Bei diesen Umstände ist es also dem Beklagten nicht verwehrt, die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes seitens der Berufungsinstanz in dritter Instanz zu rügen.

Daraus ergeben sich für die Erledigung die nachstehenden Folgerungen:

Es mangelt an prozeßordnungsmäßig getroffenen Feststellungen des Unfallsherganges. Diese Feststellungen wird das Berufungsgericht entweder durch Ergänzung der Berufungsverhandlung in Wiederholung der vom Erstgerichte unmittelbar aufgenommenen Beweise vorzunehmen oder - soweit Feststellungsmängel im Ersturteile vorliegen und nicht bloß Probleme der Beweiswürdigung zur Erörterung stehen - durch Aufhebung des - im vollen Umfange angefochtenen - Ersturteils mit entsprechenden Ergänzungsaufträgen (§ 496 (1) Z. 2 und 3 ZPO.) zu veranlassen haben. Der Erfolg der Revision des Beklagten gemäß § 503 Z. 2 ZPO. bewirkt, daß auch der von der Revision des Klägers (bloß mit Rechtsrüge) angefochtene Teil der zwei instanzlichen Entscheidung zu beheben ist, weil nur bei endgültig festgestelltem Sachverhalte über die erhobenen Ansprüche und die hilfsweise compensando geltend gemachte Gegenforderung des Beklagten entschieden werden kann.

Anmerkung

Z38074

Schlagworte

Rechtsmittelverzicht, Wirksamkeit, Verzicht auf Rechtsmittel, Wirksamkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0020OB00134.65.0429.000

Dokumentnummer

JJT_19650429_OGH0002_0020OB00134_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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