TE OGH 1965/6/16 7Ob183/65

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.06.1965
beobachten
merken

Norm

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §2 (2) litb

Kopf

SZ 38/101

Spruch

Das Unterlassen des Begehrens, einen Führerschein vorzulegen, kann nicht unter, allen Umständen als Verschulden angelastet werden (§ 2

(2) lit. b AKB.)

Entscheidung vom 16. Juni 1965, 7 Ob 183/65

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien

Text

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zu verurteilen, ihm für den mit seinem bei der beklagten Partei versicherten PKW. am 24. April 1964 verursachten Unfall Versicherungsschutz zu gewähren. Er brachte vor, er habe als Rekrut seinem Ausbildner, dem Gefreiten Peter K., seinen PKW. geliehen, nachdem ihm K. vor Zeugen ausdrücklich erklärt hatte, er besitze einen Führerschein. Diese Behauptung sei dem Kläger umso glaubwürdiger erschienen, als er gewußt habe, daß Peter K. schon früher mit einem ausgeborgten Wagen gefahren sei und erklärt habe, sein eigener Wagen sei in Reparatur. Er habe daher ohne Verschulden annehmen können, daß Peter K. eine Fahrerlaubnis habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen schon auf Grund des Klagevorbringens ab. Es führte aus, an den vom Versicherungsnehmer zu erbringenden Beweis des fehlenden Verschuldens seien im Interesse der Verkehrssicherheit strenge Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich müsse daher derjenige, der seinen Wagen einem Dritten zum Fahren überlasse, sich dessen Führerschein vorlegen lassen. Entschuldbar sei die Annahme, der Dritte habe einen Führerschein nur, sofern der Halter des Wagens aus einer sicheren Erkenntnisquelle zu dieser Annahme gelangt sei. Aus der, wenn auch vor Zeugen einmal abgegebenen Erklärung Peter K.s, er besitze einen Führerschein, habe der Kläger nicht den sicheren Schluß ziehen können, daß dies auch tatsächlich zutreffe. Diesen Schluß habe er auch nicht aus der Erklärung K.s ziehen können, dessen Wagen sei in Reparatur, denn das Eigentum an einem Kraftfahrzeug setze noch nicht notwendig den Besitz eines Führerscheines voraus. Aus der Klagserzählung ergebe sich, daß sich der Kläger mit der Erklärung K.s, er besitze einen Führerschein, zufriedengegeben habe, ohne ihn ausdrücklich zu befragen, ob das auch tatsächlich richtig sei. Bei dem Gefreiten K. handle es sich nicht um einen vertrauenswürdigen älteren Mann, sondern um einen jungen Menschen, dem eine Unüberlegtheit ohne weiteres zugetraut werden kann. Die Obliegenheitsverletzung des Klägers sei daher nicht unverschuldet.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Es führte aus, die Einsicht in den Führerschein sei nicht die einzige Möglichkeit, ohne Verschulden zur Annahme einer Fahrerlaubnis zu gelangen, andernfalls müßte dies ausdrücklich zur Vertragsbedingung gemacht werden. Das Schwergewicht für die Beurteilung der Leistungsfreiheit liege vielmehr in den Umständen des einzelnen Falles, die zu einer verläßlichen Annahme des Vorliegens einer Fahrerlaubnis notwendig seien und noch hinzutreten müßten, um zur erfolgreichen Beweisführung einer Annahme ohne Verschulden im Sinne des § 2 (2) lit. b AKB, zu gelangen. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Annahme, eine Fahrerlaubnis liege vor, ohne Verschulden erfolgte, müsse überhaupt eine im bejahenden Sinn abgegebene Erklärung sein, die auch ungefragt abgegeben werden könne. Jedoch müsse geprüft werden, ob dem Empfänger der Erklärung der unwahre und lügenhafte Gehalt erkennbar sein mußte. Im vorliegenden Fall sei nach den Klagsbehauptungen eine ausdrückliche Erklärung, ein Führerschein sei vorhanden, die Voraussetzung für die Überlassung des Fahrzeuges gewesen. Dazu komme, daß Peter K. der Ausbildner des Kläger gewesen sei, also eine ihm wohlbekannte Person, die sich nach den Klagsbehauptungen schon früher einen PKW. ausgeborgt habe und damit gefahren sei und die behauptet habe, der eigene Wagen sei in Reparatur. Gerade weil Peter K. noch jung sei, habe der Kläger nicht annehmen können, daß er zwar einen eigenen PKW. besitze, nicht aber selbst damit fahren dürfe. Alle diese Umstände mußten den Kläger in der Annahme, K. habe einen Führerschein, bestärken. Die vom Kläger aufgestellten Klagebehauptungen reichten für den Fall ihrer Erhärtung für die unverschuldete Annahme, K. habe eine Fahrerlaubnis besessen, aus. Das Erstgericht müsse die angebotenen Beweise daher aufnehmen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da das Erstgericht das Klagebegehren allein auf Grund des Klagsvorbringens abgewiesen hat, ist der rechtlichen Beurteilung die Annahme zugrunde zu legen, dieses Vorbringen sei richtig. Danach hat der Kläger dem Peter K., den er nur kurze Zeit als seinen Rekrutenausbildner und Gefreiten des Bundesheeres gekannt hatte und von dem er nur wußte, daß er sich schon früher einmal einen anderen Wagen ausgeborgt und dabei erklärt habe, daß sein eigener Wagen in Reparatur sei, den Wagen geborgt, nachdem ihm Peter K. vor Zeugen ausdrücklich erklärt hatte, er besitze einen Führerschein. Aus der Klagserzählung geht entgegen der Meinung der beklagten Partei in der Berufungsmitteilung also nicht hervor, der Kläger habe K. vor Übergabe des Wagens nicht ausdrücklich nach dem Führerschein gefragt, vielmehr muß eine solche Frage angenommen werden. Aber selbst wenn der Kläger nicht ausdrücklich gefragt hätte, sondern K. ihm ungefragt beim Ersuchen, ihm den Wagen zu leihen, versichert hätte, er besitze einen entsprechenden Führerschein, wäre davon auszugehen, daß sich der Kläger mit der Zusicherung K.s, einen Führerschein zu besitzen begnügt hat. Es ist also die Frage zu erörtern, ob im Zusammenhang mit den anderen in der Klage geschilderten Umständen diese mündliche Erklärung genügt, um eine schuldhafte Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 2 (2) lit. b AKB. zu verneinen.

Es ist dem Berufungsgericht beizustimmen, daß es sich bei den Bestimmungen des § 2 (2) AKB. um Bestimmungen eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages handelt, die in erster Linie dem Interesse des Versicherers dienen, nicht aber der allgemeinen Verkehrssicherheit. Dieser dienen die Bestimmungen des § 57 KFG. Da der Versicherer grundsätzlich von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, wenn der Fahrer nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis hatte, und nur ausnahmsweise die Verpflichtung zur Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer oder dem Halter bestehen bleibt, wenn dieser das Vorliegen der Fahrerlaubnis ohne Verschulden annehmen durfte, muß der sich hierauf berufende Versicherungsnehmer das Fehlen eines Verschuldens beweisen. Wenn es sich also auch in erster Linie um privatrechtliche Angelegenheiten zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer handelt, sind doch die Interessen der Verkehrssicherheit zu wahren und an den geforderten Beweis der Schuldlosigkeit strenge Anforderungen zu stellen. Es wird daher in Lehre und Rechtsprechung grundsätzlich verlangt, daß sich derjenige, der seinen Wagen einem anderen zum Lenken überläßt, dessen Führerschein vorlegen lassen muß (VersR. 1962 S. 945, VersR. 1961, S 113). Die von den Untergerichten zitierte Entscheidung EvBl. 1956 Nr. 353 = ZVR. 1957 Nr. 81 läßt die Frage, ob die Vorlage des Führerscheines verlangt werden muß, oder ob bei einem Beamten oder einer sonstigen Person öffentlichen Vertrauens die Bejahung der Frage nach dem Besitz eines entsprechenden Führerscheines genüge, offen, weil dies in dem zur Entscheidung stehenden Fall ohne Bedeutung war.

Wie in der Entscheidung 1 Ob 781/52 = Vers. Slg. Nr. 52 ausgeführt wurde, kann aber das Unterlassen des Begehrens, einen Führerschein vorzulegen, nicht unter allen Umständen als Verschulden angelastet werden, weil das andernfalls im § 2 (2) lit. b AKB. zum Ausdruck gebracht worden wäre. Es müssen auch andere Erkenntnisquellen genügen, aus denen der Versicherungsnehmer die Überzeugung von der Berechtigung, ein entsprechendes Kraftfahrzeug zu führen, erlangen konnte. Bei der Frage der Entschuldbarkeit ist nicht wie im Strafrecht die subjektive Seite zu betonen, sondern mehr auf die Verkehrsüblichkeit Bedacht zu nehmen. Es ist also das Maß an Sorgfalt maßgebend, das nach der Lebenserfahrung unter den gegebenen Umständen von vernünftigen, praktischen Leuten aufgewendet zu werden pflegt und das man von solchen Leuten verlangen kann. Es ist dem Berufungsgericht beizustimmen, daß es auf die Umstände des einzelnen Falles ankommt, ob eine ausdrücklich abgegebene Erklärung, einen Führerschein zu besitzen, genügt, um ein Verschulden des Versicherungsnehmers auszuschließen. Es kann dem Berufungsgericht aber nicht beigestimmt werden, daß die in der Klage vorgebrachten Tatsachen allein im Falle ihrer Erhärtung schon hinreichen, um dem Klagebegehren stattzugeben. Der Kläger hat aber in einer knappen Darstellung Umstände behauptet, die, wenn sie noch näher ausgeführt und hiefür entsprechend weitere Beweise angeboten werden, eine Glaubwürdigkeit des Gefreiten K. in einem solchen Maß dartun können, daß dessen mündliche Erklärung, einen Führerschein zu besitzen, unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen sie abgegeben wurde, als hinreichend angesehen werden könnte. Es wird also zu klären sein, um welche Persönlichkeit es sich bei dem Gefreiten K. handelte, welchen Beruf er hat, wie alt er ist und ob ihn der Kläger bereits so gut kannte, um sich über seine Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit ein Bild machen zu können. Alle Ausführungen der Untergerichte in dieser Richtung stützen sich bisher nur auf Vermutungen, nicht aber auf Tatsachenfeststellungen. Dem Kläger, der bisher nur eine knappe Darstellung gegeben hat, und der noch nicht wußte, welche Umstände von entscheidender Bedeutung sind, muß Gelegenheit gegeben werden, sein Vorbringen entsprechend auszuführen, es kann sein Klagebegehren aber nicht schon auf Grund seines bisherigen Vorbringens, das naturgemäß vorerst nur knapp gehalten wurde, aus dem aber immerhin hervorgeht, daß er den Gefreiten K. als durchaus vertrauenswürdig angesehen hat, ohne irgendwelche Tatsachenfeststellungen abgewiesen werden.

Die Aufhebung des Ersturteiles erfolgte daher im Ergebnis zu Recht, weshalb dem Rekurs nicht Folge zu geben war.

Anmerkung

Z38101

Schlagworte

Führerscheinvorlage, Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 2 (2), lit. b AKB., Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 2 (2) lit. b AKB.„ Führerscheinvorlage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0070OB00183.65.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19650616_OGH0002_0070OB00183_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten