TE OGH 1965/7/1 2Ob178/65

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Veröffentlicht am 01.07.1965
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Norm

ABGB §863
ABGB §1295
ABGB §1304
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §2
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19 (2)

Kopf

SZ 38/112

Spruch

Voraussetzungen eines stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses

Entscheidung vom 1. Juli 1965, 2 Ob 178/65

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte betreiben die Beklagten als Personenvereinigung auf Grund einer dem Zweitbeklagten am 4. Aprll 1960 erteilten eisenbahnrechtlichen Konzession einen Einseilschwebelift (Doppelsessellift) zur Personenbeförderung. Nach dem Inhalt der Konzessionsurkunde hat der Zweitbeklagte eine Betriebsvorschrift zu erstellen und der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen. Eine Genehmigung ist bisher nicht erfolgt, vielmehr wurde die vom Erstbeklagten verfaßte Betriebsvorschrift vom 25. November 1953 weiter angewendet. Am 14. Juni 1960 wurde die eisenbahnrechtliche Bewilligung zum Betrieb des Sesselliftes erteilt. Der Zweitbeklagte fungierte auch als verantwortlicher Betriebsleiter, während als Maschinist jeweils einer der Beklagten tätig war.

Der Doppelsessellift wird im Pendelbetrieb auf- und abwärts bewegt, die Sesselgehänge sind mit dem Förderseil unlösbar verbunden, das zugleich Trag- und Zugseil ist und durch einen Drehstrommotor mit einer Höchstgeschwindigkeit von 4 m/sec. angetrieben wird. In der Bergstation ist das Seil um eine Umlenkrolle geführt. Die Länge der Anlage beträgt 213.67 m, es wird ein Höhenunterschied von 71.73 m überwunden.

In der am Fuß des Heumahdgupfes befindlichen Talstation sind die Maschinen in einer Holzhütte untergebracht. In dieser befindet sich ein Fenster, das völlig freie Sicht zur Bergstation gewährt. Diese besteht aus einer Holzplattform, die an drei Seiten durch ein Geländer gesichert ist. In der Plattformmitte befand sich ein Holzmast, der als T-Stütze diente.

Die beiden Doppelsessel sind je 1.50 m breit, 43 cm tief und haben beiderseits eine Armstütze, die einen Ring aufweist, in dem die Sicherungskette zu befestigen ist; diese ist - auf den ersten Blick erkennbar - an der Innenseite fix befestigt, während sie an der Außenseite in einen Ring der Armstütze eingehängt werden kann. Die Sitzfläche der Sessel ist von der Holzplattform 56 cm entfernt. Die Sessel sind gefedert und um 180 Grad drehbar. Vom Standpunkt des Maschinisten aus kann bei klarer Sicht wahrgenommen werden, daß die Fahrgäste in dem Sessel Platz genommen haben. Der Maschinist kann auch eine Handbewegung des Fahrgastes am Sessellift und T-Mast sehen, nicht jedoch feststellen, daß die Kette um den Mast gewickelt wird.

Nach dem Inhalt der Betriebsvorschrift darf der Antriebsmotor erst eingeschaltet werden, wenn die Gegenstation ihre Zustimmung und das Funktionieren der Sicherheitseinrichtungen gemeldet hat. Die Bedienungsleute an den Auf- und Absteigrampen haben für den reibungslosen Verkehr zu sorgen und allen Fahrgästen beim Auf- und Absteigen behilflich zu sein. Sie dürfen ihren Standplatz während der Betriebsdauer nicht verlassen. Die Liftanlage ist in der Regel 30 Minuten nach der ersten Fahrt und 30 Minuten vor der letzten Fahrt der F.-Seilbahn in Betrieb.

Nach der Dienstvorschrift obliegt die Betriebsleitung dem von der Bezirkshauptmannschaft bestätigten Betriebsleiter. Als Bedienstete werden ein Fahrdienstmaschinist sowie eine Hilfskraft zum Ein- und Aussteigen in der Bergstation verwendet. Die Bediensteten sind verpflichtet, die Dienstvorschriften genau zu beobachten. Die tägliche Dienstzeit richtet sich nach der Betriebszeit der F.- Seilbahn, die letzte Fahrt wird jeweils gut sichtbar für die Fahrgäste in der Talstation angeschlagen. Der Betriebsleiter ist für den gesamten Betrieb und die Betriebsführung verantwortlich. Bei seiner Abwesenheit gehen sämtliche Befugnisse und Pflichten an den Fahrdienstmaschinisten über. Eine Fahrt darf nur nach Ertönen des "Fertig"-Zeichens (zweimaliges kurzes Läuten am Telefon) von der Bergstation begonnen werden.

Nach der Dienstvorschrift muß der Bedienstete der Bergstation mit der Signalordnung vollkommen vertraut sein. Er hat den Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen behilflich zu sein und die Sicherheitsketten zu schließen. Er darf das Zeichen "fertig" erst nach Drehung des Fahrsessels in die Fahrtrichtung geben. Er hat die mechanischen Teile der Bergstation genauest zu beobachten und etwaige Mängel unverzüglich dem Fahrtmaschinisten zu melden. Bei drohender Gefahr hat er die Anlage durch langes Läuten stillzulegen.

Am 29. September 1961 fuhr die am 1. November 1894 geborene, 1.55 m große Klägerin um 14 Uhr mit der Seilbahn auf den F. Die Abfahrt der letzten Gondel der F.-Seilbahn war für 16.50 Uhr vorgesehen. Die Klägerin begab sich von der Bergstation der Seilbahn zum Sessellift und löste dort eine Karte für die Berg- und Talfahrt. In der Bergstation stieg sie aus und verweilte einige Zeit auf dem Heumahdgupf. Als die Klägerin gegen 16 Uhr wieder zur Bergstation kam, war sie ganz allein. Eine Einstieghilfe war nicht vorhanden, doch befand sich dort ein bergwärts gerichteter Sessel. In der Annahme, die Talstation sei besetzt, wollte sie diesen besteigen. Dies gelang ihr jedoch nicht, weil der Sessel, von niemand gehalten, dauernd hin- und herschwankte. Nun wickelte die Klägerin die Sicherheitskette des Sessels um den in unmittelbarer Nähe befindlichen Mast der T-Stütze, um den Sessel zu fixieren, sie hakte dabei den Haken der Sicherheitskette, der sonst an der Armstütze befestigt wird, in ein Glied der Kette ein. Trotzdem gelang es ihr nur, sich auf die Kante des Sessels zu setzen, weshalb sie beabsichtigte, die Sicherheitskette wieder zu lösen und zu Fuß zur Talstation zu gehen.

An diesem Tag fungierte der Erstbeklagte als Maschinist, Ferdinand D. in der Bergstation als Einsteighilfe. Wegen des sehr schwachen Betriebes zog der Erstbeklagte um 15.30 Uhr Ferdinand D. von der Bergstation ab, während er selbst noch in der Talstation verblieb und Eintragungen in das Betriebsbuch vornahm, jedoch keine Personen mehr bergwärts beförderte. Der Erstbeklagte sah, wie die Klägerin um zirka 16 Uhr zur Bergstation kam und auf dem dort befindlichen Sessel Platz nahm. Er trat aus der Maschinenhütte ins Freie und sah, daß die Klägerin Platz genommen hatte. Die Manipulationen der Klägerin an dem T-Mast und der Sicherungskette faßte er als Abfahrtszeichen auf und setzte den Sessellift in Bewegung, als die Klägerin noch damit beschäftigt war, die Sicherungskette wieder vom Mast zu lösen. Als der Erstbeklagte die erste Betriebsstufe eingeschaltet hatte, sah er sofort, daß der Sessel mit der Sitzfläche zurückblieb und schaltete sofort wieder aus. Trotzdem wurde die linke Armstütze des Sessels abgerissen und dieser schwankte stark aus, wodurch die Klägerin aus dem Sessel rutschte und auf die Lifttrasse stürzte. Dort wurde sie vom Erstbeklagten mit einigen Leuten geborgen. Der Unfall ereignete sich während der Betriebszeit.

Der Erstbeklagte wurde rechtskräftig wegen Übertretung nach § 335 StG. verurteilt, weil er den gegenständlichen Unfall durch Inbetriebsetzen des Sesselliftes ohne die erforderliche Einsteighilfe verursacht habe.

Mit der Behauptung, der Erstbeklagte habe ihren Unfall allein verschuldet, begehrte die Klägerin die Zahlung von 98.200.99 S. Mit dem Leistungsverband sie ein Feststellungsbegehren.

Die Beklagten wendeten überwiegendes Eigenverschulden der Klägerin ein und beantragten Klagsabweisung.

Das Erstgericht stellte die Solidarhaftung der Beklagten für künftige unfallskausale Schäden der Klägerin zu 2/3 fest und sprach ihr 45.951.80 S zu. Das weitergehende Feststellungsbegehren sowie das Begehren auf Zahlung weiterer 52.249.19 S wies es ab. Ausgehend von der Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des Erstbeklagten und von der Beurteilung des Sesselliftes als Kleinseilbahn im Sinne der §§ 1 und 6 des Eisenbahngesetzes 1956 kam es rechtlich zu dem Ergebnis, daß der Zweit- und Drittbeklagte gemäß § 19 (2) EKHG., aber auch auf Grund des Beförderungsvertrages bei dessen Abschluß der Erstbeklagte als Erfüllungsgehilfe des Zweit- und Drittbeklagten fungierte, gemäß § 1313a ABGB. zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten haften. Dem Erstbeklagten sei über das strafgerichtlich festgestellte Verschulden hinaus noch anzulasten, daß er die Einsteighilfe noch vor Betriebsschluß abgezogen habe. Das Mitverschulden der Klägerin bestehe darin, daß sie die Sicherungskette des Liftsessels bestimmungswidrig verwendet habe.

Das Berufungsgericht nahm gleichteiliges Verschulden des Erstbeklagten und der Klägerin an. Demgemäß sprach es aus, daß die Beklagten der Klägerin für künftige Schäden zur Hälfte zu haften haben und verurteilte sie zur Zahlung von 32.129.57 S. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Beide Teile erhoben Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, soweit nicht eine Verschuldensteilung im Verhältnis 4 :

1 jeweils zu ihren Gunsten angenommen wurde.

Der Oberste Gerichtshof erachtete die Revisionen in der Verschuldensfrage nicht für begrundet.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur grundsätzlichen Haftung und zur Frage der Verschuldensteilung machen die Beklagten geltend, daß die Klägerin durch das Platznehmen auf dem Liftsessel auf die Sicherungen (Einsteigehilfe und Klingelzeichen vor dem Ingangsetzen des Liftes) verzichtet habe. Es widerspreche den guten Sitten, das Fehlverhalten eines anderen in Kauf zu nehmen und aus diesem später Schadenersatzansprüche abzuleiten. Aber auch bei Annahme einer grundsätzlichen Ersatzpflicht der Beklagten sei zu bedenken, daß der Erstbeklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer unfallfreien Beförderung der Klägerin habe rechnen können, während der Klägerin bei ihrem Verhalten mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit habe bewußt sein müssen, da sie einen Unfall herbeiführen werde. Die Klägerin wiederum meint, die Untergerichte hätten den Umstand, daß die Sesselliftanlage ein öffentliches Beförderungsunternehmen mit Kontrahierungszwang sei, sowie die Schwere der Verstöße des Erstbeklagten gegen die Sicherheitsvorschriften zu wenig berücksichtigt. Der Erstbeklagte habe, als er den Sessellift in Bewegung setzte, ohne volle Sicherheit für die Gefahrlosigkeit der Beförderung zu haben, besonders leichtfertig und fahrlässig gehandelt.

Das beiderseitige Vorbringen ist nicht stichhältig.

Im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Erstbeklagten kann das fehlerhafte Verhalten der Klägerin, selbst wenn man es als "Handeln auf eigene Gefahr", als "Übernahme der Gefahr" beurteilen wollte, nicht zum grundsätzlichen Haftungsausschluß führen, sondern aus dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens nur zur Abwägung nach § 1304 ABGB. Denn auch ein stillschweigend vereinbarter Haftungsausschuß - nur ein solcher käme nach der Sachlage in Betracht - ist ein durch Anbot und Annahme zustandekommender Vertrag. Er setzt ein Verhalten des (später) Verletzten voraus, das nach den Umständen unter Berücksichtigung der im Verkehr zwischen denkenden Menschen herrschenden Anschauungen vom anderen Teil so aufgefaßt werden muß und darf, daß der (später) Verletzte auf die Haftung verzichten will. Dabei muß dieses Verhalten so sein, daß es einen Schluß auf die Abgabe einer solchen Willenserklärung wirklich zuläßt (Geigel, Der Haftpflichtprozeß[12] S. 219 ff.; vergl, auch BGH. 366). Davon kann hier nicht gesprochen werden. Die Klägerin hat eine Rückfahrkarte für den Sessellift gelöst und in der Folge - wenn auch auf recht unglückliche Weise - versucht, ihren damit erworbenen Anspruch auf Rückbeförderung einzulösen. Ihr gesamtes Verhalten rechtfertigte keinen Schluß im oben dargestellten Sinn. Es geht aber auch nicht an, das Fehlverhalten des Erstbeklagten derart zu bagatellisieren, wie dies die Revision der Beklagten versucht. Wenn der Erstbeklagte einerseits die Einsteigehilfe von der Bergstation vorzeitig abzog, andererseits aber bereit war, unter Verzicht auf alle für die Talfahrt vorgesehenen Sicherungen weiterhin Fahrgäste bergab zu befördern, dann hat er bis zu einem gewissen Grad auch ein fehlerhaftes Verhalten dieser Fahrgäste in Kauf genommen. Dies ist aber mit den Sorgfaltspflichten des für den Betrieb einer Seilbahn Verantwortlichen nicht vereinbar. Es besteht kein Anlaß, das Verschulden des Erstbeklagten weniger schwer zu beurteilen als das Berufungsgericht dies tat. Was aber die Klägerin tat, kann nur als äußerst unklug bezeichnet werden. Ohne auch nur einen Versuch, mit dem Fahrdienstmaschinisten, von dessen Anwesenheit in der Talstation sie doch ausging, sei es durch Zuruf oder durch Winken Kontakt aufzunehmen, unternahm sie es, in den Schwankenden und für ihre Körpermaße schwer erreichbaren Sessel zu gelangen, in welchem sie dann die an diesem angebrachten Sicherungskette, deren Verwendungszweck für jedermann bei auch nur durchschnittlichen Geistesfähigkeiten ohne weiteres erkennbar war, dazu benützte, um den Sessel zu fixieren. Es bedurfte keinerlei technischer Erfahrungen, um zu erkennen, daß eine derartige Handlung geeignet ist, eine außergewöhnliche Gefahrensituation auszulosen.

Das Revisionsgericht billigt daher die Verschuldensteilung der Vorinstanz.

Anmerkung

Z38112

Schlagworte

Haftungsausschluß, stillschweigend vereinbarter, Sesselliftunternehmer, Haftung, Stillschweigend vereinbarter Haftungsausschluß

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0020OB00178.65.0701.000

Dokumentnummer

JJT_19650701_OGH0002_0020OB00178_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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