TE OGH 1966/3/18 2Ob62/66

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Veröffentlicht am 18.03.1966
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Norm

ABGB §1320

Kopf

SZ 39/52

Spruch

Zur Frage der Haftung des Halters eines in ländlicher Gegend ausgebrochenen Pferdes und desjenigen, dem es anvertraut war

Entscheidung vom 18. März 1966, 2 Ob 62/66

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz

Text

Am 30. Juli 1963 gegen 20.40 Uhr stieß auf der Packer Bundesstraße im Gemeindegebiet von P. der mit seinem Personenkraftwagen in südlicher Richtung fahrende Kläger gegen ein in der Gegenrichtung trabendes Pferd. Dabei wurde das Fahrzeug des Klägers beschädigt, der Kläger verletzt und das Pferd getötet.

Das Erstgericht wies das auf Zahlung von 20.000 S gerichtete Schadenersatzklagebegehren, mit dem der Kläger gemäß § 1320 ABGB. die Erstbeklagte als Tierhalterin, den Zweitbeklagten wegen Verletzung der Verwahrungspflicht in Anspruch nahm, ab.

Das Berufungsgericht bestätigte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision hält die schon in der Berufung im gleichen Sinn erhobene Mängelrüge aufrecht, es hätte ein Beamter der Gendarmerieposten S. und L. über die Maßnahmen vernommen werden müssen, die im Fall rechtzeitiger Erstattung einer Anzeige über das Entweichen des Pferdes aus dem von der Erstbeklagten bewirtschafteten Hof getroffen worden wären. Nun besteht aber - wie das Erstgericht unbekämpft feststellte - in der Landwirtschaft die Übung, daß bei Ausbruch eines Tieres der Halter oder Verwahrer zunächst allein oder mit Nachbarschaftshilfe das Tier einzufangen trachtet. Dies hat der Zweitbeklagte getan, indem er sofort die Verfolgung des Pferdes mit Hilfe eines Fahrrades aufnahm. Die Erstbeklagte wiederum konnte damit rechnen, daß der Zweitbeklagte innerhalb angemessener Zeit entweder mit dem Pferd oder ohne dieses zurückkehren werde. Vorher hatte auch sie im Sinn der festgestellten Übung keinen Anlaß, die Sicherheitsbehörde in Anspruch zu nehmen. Kurze Zeit nach der ergebnislosen Rückkehr des Zweitbeklagten erschienen aber bereits Gendarmen zur Vernehmung der Beklagten über den inzwischen stattgehabten Unfall. Bei diesen Umständen begrundet die unterbliebene Vernehmung der beantragten Zeugen keinen wesentlichen Verfahrensmangel.

In rechtlicher Beziehung ist auf Grundlage der vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen die Haltereigenschaft der Erstbeklagten ebenso unbestritten wie der Umstand, daß sich das Pferd im Zeitpunkt des Ausbrechens in der Verwahrung des Zweitbeklagten befand, desgleichen die sich hieraus nach Lehre und Rechtsprechung ergebende Verteilung der Beweislast in dem Sinn, daß dem Kläger der Beweis nicht nur für die Verursachung seines Schadens durch das Tier, sondern auch für eine Vernachlässigung der Verwahrung desselben durch den Zweitbeklagten obliegt, während die Erstbeklagte nur haftungsfrei ist, wenn sie beweist, daß sie für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt hat.

Die Revision macht der Erstbeklagten lediglich zum Vorwurf, daß sie sich nach dem Ausbrechen des Pferdes darauf verlassen habe, der Zweitbeklagte werde es schon wieder einfangen, selbst aber hiezu nichts beigetragen habe. Nun ist festgestellt, daß der Zweitbeklagte, nachdem das Pferd aus dem Stall durch das offenstehende Hoftor auf die St. Bundesstraße gelangt war und in nördlicher Richtung davongaloppierte, über Aufforderung der Erstbeklagten sofort die Verfolgung mittels eines Fahrrades aufnahm. Die Erstbeklagte sah auch noch das Pferd nach Osten in die P.-Straße einbiegen und den Zweitbeklagten in einem entsprechenden Abstand folgen. Dadurch, daß sie innerhalb des Zeitraumes bis zur Rückkehr des Zweitbeklagten - zu dieser Zeit hatte sich der Unfall bereits ereignet -, also während etwa 1 3/4 Stunden nicht die Hilfe der Sicherheitsbehörden in Anspruch genommen hat, hat sie nichts unterlassen, was ihre Halterhaftung im Sinne des § 1320 ABGB. begrunden könnte, zumal sie der - berechtigten - Überzeugung war, daß der Zweitbeklagte mit Pferden umzugehen verstehe, sodaß sie das Pferd ohne Bedenken dem Zweitbeklagten anvertrauen durfte. Es wäre aber auch nichts gewonnen gewesen, wenn sich die immerhin schon über 50 Jahre alte Erstbeklagte, die am Unfallstag an den Folgen eines Verkehrsunfalles, nämlich einem Bruch des rechten Oberarmes und einer Knieverletzung litt, etwa zu Fuß bei der hereinbrechenden Dunkelheit im waldigen Gelände an der Verfolgung des Pferdes beteiligt hätte. Vom Tierhalter kann nur ein im Einzelfall sinnvolles Verhalten verlangt werden.

Das haftungsbegrundende fehlerhafte Verhalten des Zweitbeklagten soll nach Ansicht der Revision darin gelegen sein, daß er Hoftor und Stalltür offen ließ, als er das Pferd in den Stall brachte, um es dort anzuhängen, daß er dessen Verfolgung allein aufnahm, es nicht einfangen konnte und die Verfolgung zu früh aufgab. Auch darin kann der Revision nicht gefolgt werden. Der Zweitbeklagte war im Umgang mit Pferden erfahren. Er hatte mit dem gegenständlichen, ihm wenn auch bis dahin nicht bekannten Pferd, am Nachmittag mehrere Stunden lang gearbeitet. Gegen 19 Uhr brachte er es auf den von der Erstbeklagten bewirtschafteten Hof zurück. Daß das Pferd während dieser Zeit irgendwelche Auffälligkeiten zeigte, ist nicht festgestellt. Bei einem als gutartig angesehenen Tier ist es nicht üblich, besondere Vorsichtsmaßnahmen, wie das Schließen der Hof- und Stalltür zu treffen, wenn das Tier in den Stall gebracht wird. Eine Hoffnung, das Pferd möglichst schnell wieder einzufangen, bestand selbstverständlich nur, wenn der Zweitbeklagte die Verfolgung aufnahm, solange er das Pferd noch sehen konnte. Es begrundet daher auch kein Verschulden, wenn er sich nicht vor Aufnahme der Verfolgung der Mithilfe weiterer Personen versicherte. Da inzwischen die Dunkelheit eingebrochen war, kann dem Zweitbeklagten auch nicht vorgeworfen werden, die Suche nach dem Pferd verfrüht eingestellt zu haben, zumal der Zweitbeklagte auch keinerlei Anhaltspunkte dafür hatte, in welcher Richtung das schließlich aus seiner Sicht geratene Pferd seinen Weg fortsetzen werde.

Zusammenfassend ergibt sich - ausgehend von den Revisionsausführungen - somit, daß unter den gegebenen Umständen, insbesondere auch bei Bedachtnahme auf die rein ländlichen Verhältnisse die Erstbeklagte nichts unterlassen hat, was dazu gedient hätte, den Schaden des Klägers zu verhüten, und daß auch der Nachweis eines als Verschuldens zu beurteilenden Verhaltens des Zweitbeklagten nicht erbracht wurde. Die das abweisende Urteil des Erstgerichtes bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichtes ist daher auch rechtlich unbedenklich.

Anmerkung

Z39052

Schlagworte

Pferd, ausgebrochenes, Tierhalterhaftung, Tierhalterhaftung, ausgebrochenes Pferd

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1966:0020OB00062.66.0318.000

Dokumentnummer

JJT_19660318_OGH0002_0020OB00062_6600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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