TE OGH 1966/3/22 4Ob15/66

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Veröffentlicht am 22.03.1966
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Norm

ABGB §152
ABGB §865

Kopf

SZ 39/53

Spruch

Auflösung eines Dienstvertrages durch eine außer der Verpflegung ihrer Eltern stehende mundige Minderjährige

Entscheidung vom 22. März 1966, 4 Ob 15/66

I. Instanz: Arbeitsgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz

Text

Die am 26. April 1950 geborene Klägerin war vom 26. Oktober 1964 bis 2. Dezember 1964 im Wäscheerzeugungsbetrieb der Beklagten als Hilfsarbeiterin beschäftigt und hatte einen Stundenlohn von 4.70 S. Von ihrem Gesamtverdienst von monatlich netto rund 900 bis 1000 S bezahlte sie ihren Eltern 345 S an Kostgeld, behielt ein Taschengeld von etwa 150 S monatlich und überließ den Rest ihres Verdienstes ihren Eltern, die daraus Anschaffungen von Kleidern usw. für die Klägerin tätigten. Am 2. Dezember 1964 hat die Klägerin ihr Dienstverhältnis einvernehmlich gelöst. Ihr Vater hat bei der Lösung des Dienstverhältnisses nicht mitgewirkt und die Lösung auch nachträglich nicht genehmigt.

Am 10. März 1965 brachte sie, vertreten durch ihren Vater eine Klage ein, mit der sie die Feststellung begehrte, daß das am 26. Oktober 1964 zwischen den Streitteilen begrundete Dienstverhältnis weiterhin aufrecht sei. Sie vertrat die Auffassung, daß sie ohne Mitwirkung ihres gesetzlichen Vertreters zufolge ihrer Minderjährigkeit das Dienstverhältnis nicht rechtswirksam einvernehmlich auflösen konnte.

Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe das Dienstverhältnis rechtswirksam lösen können. Dies ergebe sich aus § 865 ABGB., wonach die Klägerin als mundige Minderjährige dieses Rechtsgeschäft selbständig abschließen konnte, weil damit weder die Übernahme einer rechtlichen Last noch ein Rechtsverlust verbunden gewesen sei. Auch könne sich die Klägerin nach § 152 ABGB. selbständig zu Dienstleistungen verpflichten und daher auch selbständig ein eingegangenes Dienstverhältnis lösen. Sie sei nämlich als außerhalb der Verpflegung ihrer Eltern stehend anzusehen, weil sie infolge ausreichender Einkünfte selbsterhaltungsfähig sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 15.000 S übersteige. Voraussetzung für die Anwendung des § 865 ABGB. sei u. a., daß es sich nicht um ein Geschäft handle, das dem Minderjährigen nur rechtliche Vorteile bringe, oder ein Geschäft, welches ihn zwar belaste, dessen selbständigen Abschluß aber das Gesetz in den §§ 151, 152 zweiter Satz und 246 ff. ABGB. gestatte.

§ 152 zweiter Satz ABGB. sehe vor, daß sich ein außer der Verpflegung der Eltern stehendes Kind selbständig durch Vertrag zu Dienstleistungen verpflichten könne. Nur zum Abschluß eines Dienstvertrages brauche ein in der Verpflegung der Eltern stehendes Kind die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, nicht aber auch zur einvernehmlichen Lösung eines Dienstverhältnisses. Das Berufungsgericht verweist auf Bartsch in Klang[1] I 880 und Ehrenzweig II/2 S. 229 und billigt deren Rechtsansicht, daß das Recht, das Dienstverhältnis gemäß dem Vertrag oder den für den Vertrag geltenden Gesetzen zu kundigen, oder vorzeitig zu lösen, regelmäßig nicht dem Vater, sondern dem Kind zustehe. Dies müsse auch für eine Erklärung des Kindes gelten, ein Dienstverhältnis einverständlich aufzulösen. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes bedürfen die unter väterlicher Gewalt stehenden Minderjährigen, gleich ob sie sich in oder außerhalb der Verpflegung der Eltern befinden, für eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses überhaupt nicht der Mitwirkung ihres gesetzlichen Vertreters.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsansicht der Untergerichte, daß die Klägerin nicht als in Verpflegung der Eltern stehend anzusehen war, wird in der Revision nicht bekämpft. Strittig ist nur die Frage, ob der mundige Minderjährige sein Dienstverhältnis ohne Zustimmung seines Vaters einvernehmlich auflösen könne. Eine solche einvernehmliche Auflösung eines Dienstverhältnisses, meint die Revision, sei im Sinne des § 865 zweiter Satz ABGB. ein Rechtsgeschäft, das den Minderjährigen nicht nur von Lasten befreie, sondern für ihn auch mit dem Verluste von Rechten verbunden sei. Es sei daher davon auszugehen, daß ein mundiger Minderjähriger zur einvernehmlichen Auflösung eines Dienstverhältnisses gemäß § 865 zweiter Satz ABGB. die Zustimmung des Vaters brauche. Zu prüfen sei allerdings, ob nicht etwa § 152 ABGB. dem mundigen Minderjährigen das Recht gebe, das Dienstverhältnis ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters aufzulösen, zumindest für den Fall, daß der Minderjährige außerhalb der Verpflegung der Eltern stehe. Aus der Tatsache, daß ein solcher Minderjähriger zur Begründung eines Schuldverhältnisses der Zustimmung des Vaters nicht bedürfe, könne nicht abgeleitet werden, daß er auch zur Auflösung eines Schuldverhältnisses der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters nicht bedürfe. Die §§ 151, 152 und 246 ff. ABGB. dürften nur einschränkend ausgelegt werden, worauf § 865 zweiter Satz ABGB. mit den Worten "in der Regel" hinweise.

Diesen Ausführungen kann nicht zur Gänze gefolgt werden. Die einvernehmliche Auflösung eines Dienstvertrages befreit den Minderjährigen nicht nur von Pflichten, sondern nimmt ihm auch Rechte, sodaß die Zulässigkeit der einvernehmlichen Auflösung eines Dienstvertrages durch den Minderjährigen allein nicht aus § 865 zweiter Satz, erster Halbsatz ABGB. abgeleitet werden kann. § 865 zweiter Satz, zweiter Halbsatz ABGB. bestimmt aber, daß dann, wenn mit dem "Versprechen" (mit der Vereinbarung) eine Leistung verbunden ist, die der Minderjährige zu erbringen hat, die Gültigkeit der Vereinbarung von den im dritten und vierten Hauptstück des ersten Teiles gegebenen Vorschriften abhänge. § 865 zweiter Satz zweiter Halbsatz, ABGB. verweist somit u. a. auf die Bestimmung des § 152 ABGB. Der zweite Satz dieser Gesetzesstelle bestimmt, daß ein außer der Verpflegung der Eltern stehendes Kind sich selbständig durch Vertrag zu Dienstleistungen verpflichten kann. Die mj. Klägerin konnte daher, weil sie damals ihre Bedürfnisse überwiegend aus ihrem eigenen Verdienst befriedigte und deshalb als außer der Verpflegung der Eltern stehend zu beurteilen war (Erkenntnis des OGH. vom 19. Februar 1964, JBl. 1964, S. 516), Dienstverträge ohne Mitwirkung des Vaters schließen, somit auch befristete und auflösend bedingte Dienstverträge, soweit nicht gesetzliche Schranken, wie etwa § 3 SchauspielerG., dem entgegenstanden. Die Klägerin war daher am 2. Dezember 1964 hinsichtlich des Abschlusses von Dienstverträgen beschränkt geschäftsfähig. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes muß ihr aber zumindest im Umfang dieser beschränkten Geschäftsfähigkeit zum Abschluß von Dienstverträgen auch eine beschränkte Geschäftsfähigkeit zur Auflösung von Dienstverträgen zugebilligt werden, weil die Absicht des Gesetzgebers offensichtlich dahin geht, außer der Verpflegung ihrer Eltern stehenden Kindern eine größere wirtschaftliche Beweglichkeit und Selbständigkeit und zu diesem Zweck auch eine größere Geschäftsfähigkeit in bezug auf Dienstverträge zuzubilligen, als Minderjährigen, die noch in Verpflegung ihrer Eltern stehen (vgl. Gschnitzer, Familienrecht S. 85 unten; Ehrenzweig II 2[2] S. 256 unten; Bartsch in Klang[1] I/1 880, die dieselbe Meinung vertreten). Den Untergerichten ist daher im Ergebnis beizustimmen, daß die von der Klägerin am 2. Dezember 1964 ohne Zustimmung ihres Vaters vorgenommene einverständliche Auflösung ihres Dienstvertrages rechtswirksam erfolgte.

Anmerkung

Z39053

Schlagworte

Auflösung eines Dienstvertrages durch mundige Minderjährige Dienstvertrag, Auflösung durch mundige Minderjährige Geschäftsfähigkeit, Auflösung eines Dienstvertrages durch mundige Minderjährige Minderjährige, mundige, Auflösung eines Dienstvertrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1966:0040OB00015.66.0322.000

Dokumentnummer

JJT_19660322_OGH0002_0040OB00015_6600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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