TE OGH 1967/11/23 2Ob303/67

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Veröffentlicht am 23.11.1967
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Norm

ABGB §6
ABGB §7
ABGB §914
ABGB §1325
ABGB §1393
Kollektivvertrag für die Papierindustrie §12 Punkt 98

Kopf

SZ 40/150

Spruch

Leistet der Dienstgeber auf Grund des Kollektivvertrages den Lohn nur vorschußweise für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit und muß der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Verdienstentgang dem Dienstgeber zedieren, so kann dieser den Schädiger belangen.

Entscheidung vom 23. November 1967, 2 Ob 303/67.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Partei hat in der Klage behauptet, daß ihr Dienstnehmer Horst S. bei einem Verkehrsunfall am 17. April 1964 so schwer verletzt werben sei, daß er vom 18. April 1964 bis 9. November 1964 arbeitsunfähig gewesen sei. Den Unfall habe der Beklagte verschuldet, der deshalb auch vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden sei. Sie habe die Dienstbezüge an S. während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit weiterbezahlt, sich jedoch alle Ansprüche aus seinem Verdienstentgang gegen den Beklagten zedieren lassen. Dieser Vorgang sei auf Grund des Punktes 98 des Kollektivvertrages, abgeschlossen zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Industrie, Fachverband der Papier-, Zellulose- Holzstoff- und Pappenindustrie Österreichs, einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Arbeiter der chemischen Industrie, andererseits, zwischen ihr und ihrem Dienstnehmer vereinbart worden. Sie habe die Bezüge vorschußweise an S. bezahlt. Dieser habe zwar keine Haftung für die Richtigkeit und Einbringlichkeit der Forderung übernommen, sich jedoch verpflichtet, hinsichtlich dieses Schadenersatzanspruches keinen Verzicht abzugeben und keinen Vergleich zu schließen. Bezüglich der übrigen Schadenersatzansprüche habe sich S. mit dem Beklagten und dessen Haftpflichtversicherer verglichen. Der Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges sei ausdrücklich ausgenommen worden. Sie habe 16.060.51 S an S. vorschußweise bezahlt. Der Beklagte habe ihr zufolge seines Verschuldens an dem Verkehrsunfall und auf Grund der Zession diesen Betrag zu ersetzen. Hilfsweise stütze sie ihren Anspruch auch auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes.

Der Beklagte hat den Anspruch dem Gründe und der Höhe nach bestritten. Er hat eingewendet, daß sämtliche Schadenersatzforderungen, also auch der Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges, verglichen worden seien. Ein Schaden, wie er von der klagenden Partei geltend gemacht werde, sei überhaupt nicht eingetreten. S. habe auf Grund des Kollektivvertrages Anspruch auf Bezahlung des vollen Entgeltes auch für den Fall seiner unverschuldeten Dienstverhinderung gehabt. S. habe daher keinen Verdienstentgang gehabt und konnte eine solche Ersatzforderung nicht an die klagende Partei zedieren. S. habe durch die Abgabe der Zessionserklärung seine Schadensminderungspflicht verletzt. Er sei zu einer solchen Abtretungserklärung auch nicht auf Grund des Kollektivvertrages verpflichtet gewesen. Bei der Vereinbarung nach Punkt 98 des Kollektivvertrages handle es sich nicht um eine Regelung nach § 2 KollektivvertragsG. Die klagende Partei könne keinen Anspruch aus dem Titel des Schadenersatzes erheben, weil es sich dabei um einen mittelbaren Schaden handle.

Das Erstgericht hat den Beklagten schuldig erkannt, der klagenden Partei 12.780.63 S zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 3279.88 S hat es abgewiesen. Es ist auf Grund der Außerstreitstellung der Parteien davon ausgegangen, daß S. bezüglich seines Anspruches 06auge Ersatz seines Verdienstentganges mit dem Beklagten bzw. mit dessen Haftpflichtversicherer keinen Vergleich abgeschlossen habe. Es hat aber als erwiesen angenommen, daß S. seinen nicht verglichenen Anspruch aus dem Titel des Verdienstentganges auf die ihm vom Sozialversicherungsträger ausbezahlten Beträge und bezüglich der klagenden Partei auf den Betrag von 12.780.63 S eingeschränkt habe, welcher Betrag im Schreiben der klagenden Partei vom 8. Juni 1965 aufscheine. Schadenersatzansprüche könne die klagende Partei gegen den Beklagten nicht stellen, da es sich um einen mittelbaren Schaden handle. Sie habe aber Anspruch auf Grund der Zession.

Das Erstgericht hat einen tatsächlichen Verdienstentgang des S. in der Zeit vom 1. April 1964 bis 30. November 1964 von 37.763 S, die Leistungen des Sozialversicherungsträgers mit 22.129.60 S und seinen Schaden daher mit 15.633.40 S angenommen. Mit Rücksicht darauf, daß aus dem Vergleich nur ein Verdienstentgang von 12.780.63 S ausgenommen worden sei, könne der klagenden Partei nur dieser Betrag auf Grund der Zession zugesprochen werden.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der klagenden Partei nicht Folge, der Berufung der beklagten Partei hingegen Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß es das gesamte Klagebegehren abgewiesen hat. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß als Verdienstentgang die Differenz zwischen den Beträgen anzusehen sei, die S. nach dem Unfall erhalten habe und die er ohne Unfall verdient hätte. Hinsichtlich jener Beträge, die S. erhalten habe, sei zu unterscheiden, ob er diese auf Grund des Kollektivvertrages trotz des Unfalles zu erhalten hatte oder ob es sich um freiwillige Zuwendungen des Dienstgebers gehandelt habe, die vorschußweise oder zur Linderung von Notständen und nicht zur Entlastung des Schädigers geleistet worden seien. Es sei außer Streit gestellt worden, daß die klagende Partei für S. während seiner durch den Unfall verursachten Arbeitsunfähigkeit 16.060.51 S aufwenden mußte, also daß die Leistungen von der klagenden Partei auf Grund des Kollektivvertrages erbracht werden mußten. Hatte aber S. als Dienstnehmer gegen die klagende Partei einen kollektivvertraglichen Anspruch auf diese Leistung, dann habe er keinen Verdienstentgang gehabt, S. habe daher auch der klagenden Partei einen Schadenersatzanspruch aus diesem Titel nicht zedieren können, weil ihm ein solcher Anspruch nicht entstanden sei. Auch sei bei Vergleichsabschluß der Verdienstentgangsanspruch des S. nicht ausgenommen worden. Es sei daher die Zession nicht wirksam. Aus dem Titel des Schadenersatzes könne die klagende Partei diesen Betrag nicht begehren, da darin ein mittelbarer Schaden zu erblicken sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei teilweise Folge und stellte das erstgerichtliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wenn auch die Formulierung der Außerstreitstellung den Schluß zulassen könnte, daß sie sich auf den Grund des Anspruches bezogen habe, so ist doch die vom Berufungsgericht daraus gezogene Schlußfolgerung in der Richtung nicht gerechtfertigt, die Parteien hätten damit außer Streit gestellt, die klagende Partei sei auf Grund des Kollektivvertrages ohne Rückersatzanspruch verpflichtet gewesen, ihrem durch den Unfall dienstunfähig gewordenen Dienstnehmer S. Lohnzuwendungen in der Höhe von 16.060.52 S zu machen. Die Parteien haben auch in der Folge ihre verschiedenen Rechtsstandpunkte immer aufrechterhalten. Nicht einmal das Erstgericht, das die Außerstreitstellung zu Protokoll genommen hat, hat diesen Schluß daraus gezogen. Ihm mußte am ehesten gegenwärtig sein, was die Parteien mit der Außerstreitstellung wollten. Das Erstgericht war der Meinung, daß die Parteien damit den Anspruch der klagenden Partei nur der Höhe nach außer Streit stellen wollten. Die unglückliche Fassung der Außerstreitstellung kann der klagenden Partei nicht zum Nachteil gereichen. Es ist daher davon auszugehen, daß mit der Außerstreitstellung nur die Höhe des Anspruches umfaßt sein sollte. Die Frage, ob die klagende Partei auf Grund des Kollektivvertrages zu den Leistungen an S. verpflichtet war und ob dieser einen Verdienstentgang hatte oder nicht, sind Rechtsfragen. Die Parteien haben im übrigen auch noch im Rechtsmittelverfahren Entscheidungen im Sinne ihrer verschiedenen Rechtsauffassungen angestrebt, sodaß sich auch daraus die Berechtigung des Schlusses ergibt, daß sie mit der Außerstreitstellung nur die Höhe des Anspruches der klagenden Partei treffen wollten. Es ist demnach die Frage offen, ob S. trotz der Leistungen der klagenden Partei als seiner Dienstgeberin doch einen Verdienstentgang hatte und ob er berechtigt oder verpflichtet war, diese Schadenersatzansprüche an die klagende Partei zu zedieren. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß diese Rechtsfragen bereits durch die Außerstreitstellung der Parteien entschieden seien, kann nicht beigepflichtet werden.

In rechtlicher Hinsicht ist der klagenden Partei beizupflichten, daß sie auf Grund des Kollektivvertrages nicht verpflichtet gewesen ist, ihrem durch den Unfall verletzten und für eine bestimmte Zeit arbeitsunfähig gewordenen Dienstnehmer S. den vollen Lohn ohne Rückersatzanspruch weiterzubezahlen, daß sie vielmehr diese Leistungen nur vorschußweise an S. erbracht hat. Dies ergibt sich aus der Beurteilung des Kollektivvertrages, dessen Auslegung gemäß §§ 6 und 7 ABGB. zulässig ist (EvBl. 1967 Nr. 286), ganz eindeutig. In keiner Bestimmung ist eine Verpflichtung der klagenden Partei als Dienstgeberin festgelegt, einem durch das Verschulden eines Dritten arbeitsunfähig gewordenen Dienstnehmer den vollen Lohn zur Entlastung des Schädigers ohne Rückersatzanspruch weiterzubezahlen. Die Anführung eines "Unfalles" als Dienstverhinderung und die Verpflichtung des Dienstgebers in einem solchen Fall im Sinne des § 12 Punkte 90 - 97 des Kollektivvertrages läßt umso weniger eine Schlußfolgerung im Sinne der Auffassung des Beklagten zu, als im Punkt 98 der genannten Bestimmung ausdrücklich vorgesehen ist, daß der Dienstnehmer einen ihm Dritten gegenüber entstandenen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges entweder an den Dienstgeber abzutreten hat oder verpflichtet ist, sich die ihm vom Drittschuldner als Ersatz des Verdienstentganges gewährte Entschädigung bis zur vollen Höhe des nach dem Kollektivvertrag bestehenden Unterhaltsanspruches vom Dienstgeber anrechnen zu lassen. Diese Bestimmung ist, wie die klagende Partei mit Recht aufzeigt, überhaupt nur dann sinnvoll, wenn die Leistungen des Dienstgebers an den Dienstnehmer in einem solchen Fall der Arbeitsverhinderung lediglich als Vorschüsse gewertet werden. Es kann dahingestellt bleiben, welche Erwägungen für die vertragschließenden Parteien zur Aufnahme dieser Bestimmung ausschlaggebend waren. Naheliegend wäre der Gedanke, daß dadurch dem Dienstnehmer die Möglichkeit gegeben sein sollte, auch während dieser Zeit der Arbeitsbehinderung seinen Lebensstandard beizubehalten.

Geht man von dieser Auslegung des Kollektivvertrages aus, dann hatte S. tatsächlich einen Verdienstentgang, der ihm nur vorschußweise von der klagenden Partei als seiner Dienstgeberin vergütet wurde. Er hat unbestrittenermaßen einen Anspruch auf Ersatz dieses Verdienstentganges gegen den Beklagten, der den Unfall und damit auch die Arbeitsverhinderung des S. verschuldet hat. Er war nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der zitierten Bestimmung des Kollektivvertrages auch verpflichtet, seinen Anspruch gegenüber dem Beklagten an die klagende Partei abzutreten. Die klagende Partei war berechtigt, diese Zession anzunehmen. Sie ist daher auch legitimiert, diese Forderung gegen den Beklagten geltend zu machen. Die Zession dieser Schadenersatzforderung an die klagende Partei ist an sich nicht bestritten. Der Anspruch der klagenden Partei besteht daher aus diesem Gründe zu Recht.

Zur Höhe des Klagsanspruches ist außer Streit gestellt worden, daß die klagende Partei für S. 16.060.51 S in der Zeit seiner Arbeitsbehinderung, also vom 18. April 1964 bis 9. November 1964, aufgewendet hat. Das Erstgericht hat festgestellt, daß S. tatsächlich einen Verdienstentgang von 15.633.40 S erlitten hat. Es war jedoch der Meinung, daß S. aus dem Vergleich mit dem Beklagten bzw. mit dessen Haftpflichtversicherer nicht seinen vollen Verdienstentgang, sondern nur 12.780.63 S zuzüglich der ihm vom Sozialversicherungsträger ausbezahlten Beträge ausgenommen habe. Es hat daher auch den Beklagten nur zur Leistung dieses Betrages an die klagende Partei verurteilt. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß laut Beilage 2 zwar der Anspruch des S. auf Ersatz seines Verdienstentganges vom Vergleich mit dem Beklagten umfaßt gewesen sei, daß jedoch die Leistungen des Sozialversicherungsträgers und die Leistungen der klagenden Partei in der Höhe von 12.780.63 S ausgenommen worden seien.

Soweit die klagende Partei diese Auffassung des Berufungsgerichtes bekämpft, kam ihr nicht beigepflichtet werden. Sie gibt in ihrer Revision selbst zu, daß die Schadensabfindungserklärung Beilage 2 an den Beklagten gerichtet war und auf ihrem eigenen Schreiben vom 8. Juni 1965 beruhte. Nach dem klaren Wortlaut dieser Abfindungserklärung sind in der Abfindungssumme von 60.000 S die Leistungen der Sozialversicherungsanstalt sowie der von der klagenden Partei dem Beklagten mit Schreiben vom 8. Juni 1965 bekanntgegebene Betrag von insgesamt 12.780.63 S nicht enthalten. Es kann daher die klagende Partei auf Grund der Zession des S. nur diesen von ihr selbst genannten und vom Vergleich ausgenommenen Betrag in Anspruch nehmen. Der darüber hinausgehende Verdienstentgang des S. muß als vom Vergleich umfaßt angesehen werden.

Aus den angeführten Gründen ist daher das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Anmerkung

Z40150

Schlagworte

Kollektivvertrag für die Papierindustrie, Auslegung des § 12 Punkt 98, Lohnzahlung, vorschußweise während der Dienstunfähigkeit des, Dienstnehmers, Zession des Schadenersatzanspruches an den Dienstgeber, Schadenersatzanspruch des Dienstnehmers, Zession an Dienstgeber nach, vorschußweiser Lohnzahlung, Vorschußweise Lohnzahlung an Dienstnehmer während der, Dienstunfähigkeit, Zession des Schadenersatzanspruches an den, Dienstgeber, Zession des Schadenersatzanspruches des Dienstnehmers an den, Dienstgeber nach vorschußweiser Lohnzahlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1967:0020OB00303.67.1123.000

Dokumentnummer

JJT_19671123_OGH0002_0020OB00303_6700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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