TE OGH 1968/9/3 1Ob176/68

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Veröffentlicht am 03.09.1968
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Norm

ZPO §6
ZPO §35
ZPO §156
ZPO §157

Kopf

SZ 41/101

Spruch

Zur Sanierbarkeit eines Verfahrens nach dem Tod der prozeßunfähigen Partei.

Entscheidung vom 3. September 1968, 1 Ob 176/68.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hauses, in dem Lina M. sen. (geboren am 26. September 1884) eine Wohnung gemietet hatte. Diese teilte der Klägerin mit einem Schreiben vom 29. Dezember 1966 mit, daß ab diesem Tag ihr Enkel Fritz M., der seit dreieinhalb Jahren mit ihr in gemeinsamen Haushalt gelebt habe, als Hauptmieter anzusehen sei und daß sie die Wohnung verlassen habe. Die Klägerin brachte darauf am 21. März 1967 gegen Lina M. sen. eine auf § 19 (2) Z. 10 MietG. gestützte Kündigung ein, in der hilfsweise auch behauptet wurde, die Überlassung der Mietrechte an Fritz M. sei nichtig, weil Lina M. sen. nach einem im Sommer 1966 erlittenen Schlaganfall nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen sei. Die Kündigung wurde Lina M. sen. am 28. März 1967 zugestellt. Unter Vorlage einer mit 31. März 1967 datierten Vollmacht für Rechtsanwalt Dr. Hugo T. erhob Lina M. sen. am 3. April 1967 Einwendungen; Dr. T. ist auch in der Folgezeit für sie eingeschritten. Sie ist am 30. Mai 1967 gestorben.

Nach Aufnahme von Beweisen, insbesondere nach Einholung eines Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen Dr. L., kam der Erstrichter zur Auffassung, daß Lina M. sen. im Dezember 1966 nicht mehr handlungsfähig gewesen sei. Er forderte deshalb die Klägerin mit Beschluß vom 5. Februar 1968 auf, durch Bestellung eines Kurators "für die beklagte Partei" oder durch Namhaftmachung der erbserklärten Erben den Mangel der gesetzlichen Vertretung binnen drei Wochen zu beheben. Die Klägerin zeigte daraufhin mit Schriftsatz vom 19. Februar 1968 dem Gericht an, daß der Nachlaß nach Lina M. sen. bereits am 13. Juli 1967 der erblasserischen Tochter Lina M. jun. und dem erblasserischen Sohn Friedrich M. auf Grund unbedingter Erbserklärungen je zur Hälfte eingeantwortet worden sei. Zugleich machte er die Erben als gesetzliche Vertreter der beklagten Partei namhaft, deren Bezeichnung er auf "Verlaß nach der am 30. Mai 1967 verstorbenen Lina M." berichtigte.

Kurz vorher hatte Rechtsanwalt Dr. T. namens der beklagten Partei "Verlaß nach der am 30. Mai 1967 verstorbenen Lina M." den Sachverständigen Dr. L. mit der Begründung abgelehnt, dessen Gutachten könne nicht richtig sein.

Der Erstrichter ordnete daraufhin eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung an, zu der er auch die beiden Erben nach Lina M. sen. mit einer dem § 156 ZPO. entsprechenden Belehrung lud. Bei dieser Tagsatzung trug Dr. T. den Ablehnungsschriftsatz vor, legte Vollmachten der beiden Erben vor und gab die Erklärung ab, daß diese in den Rechtsstreit nicht einträten. Über Aufforderung im Sinn des § 157 ZPO. begrundete er letzteres damit, daß gegen Lina M., die im Zeitpunkt ihres Todes handlungsfähig gewesen sei, ein einwandfreies Kündigungsverfahren möglich gewesen sei; das Verfahren sei durch ihren Tod überhaupt nicht unterbrochen worden; für den Fall, daß die Verpflichtung der Erben zum Eintritt ausgesprochen werden sollte, genehmigten sie das bisherige Verfahren nicht.

Der Erstrichter faßte daraufhin den Beschluß, daß 1. die Ablehnung des Sachverständigen verworfen werde und 2. die beiden Erben nach Lina M. sen. verpflichtet seien, in den Prozeß einzutreten, wobei er davon ausging, daß Lina M. sen. bereits im Dezember 1966 nicht mehr handlungsfähig gewesen sei; das Verfahren in der Hauptsache werde nach Rechtskraft fortgesetzt werden.

Das Rekursgericht bestätigte Punkt 1 dieses Beschlusses, hob aber Punkt 2 unter Rechtskraftvorbehalt zur Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. In letzterem Belang führte es aus, daß begrundete Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Lina M. bestunden, sodaß diese Frage zunächst zu klären sei; dabei komme es auf den Zeitraum von der Vollmachtserteilung (31. März 1967) bis zum Tod der Lina M. sen. (30. Mai 1967) an; der Erstrichter habe zu Unrecht auf den 29. Dezember 1966 abgestellt, mit welchem Tag das Schreiben der Lina M. sen. an die Klägerin, betreffend Mietrechtsüberlassung, datiert sei; eine Prüfung des Geisteszustandes der Lina M. sen. während der Folgezeit sei umso nötiger, als auch der Sachverständige Dr. L. auf den 29. Dezember 1966 abgestellt, aber ausgeführt habe, daß nach Schlaganfällen eine gewisse Besserung der Kranken eintrete; wegen der besonderen Schwierigkeiten des Falles werde ein zweiter Sachverständiger, und zwar ein Psychiater, zuzuziehen sein; sollte die Verfahrensergänzung das Ergebnis zeitigen, daß Lina M. sen. vom Zeitpunkt der Vollmachtserteilung bis zu ihrem Tod geschäftsunfähig und prozeßunfähig war, werde das Sanierungsverfahren im Sinn des § 6 ZPO. durchzuführen sein; Erben, denen die Verlassenschaft eingeantwortet wurde, seien im Sinn des § 6 (2) ZPO. berechtigt, den Mangel der Prozeßfähigkeit zu beseitigen oder nicht zu beseitigen, indem sie Vollmachtserteilung und Prozeßführung genehmigen oder diesen Handlungen des Prozeßunfähigen die Genehmigung versagen; im Fall der Genehmigung wäre die Nichtigkeit rückwirkend saniert und das Verfahren nicht gemäß §§ 155 ff. ZPO. unterbrochen, weil Lina M. während des Prozesses durch einen Anwalt vertreten gewesen sei; bei Versagung der Genehmigung sei das ganze bisherige Verfahren als nichtig aufzuheben; keinesfalls könne es aber zu einem Vorgehen des Gerichtes nach § 157 ZPO. kommen; sollte die Verfahrensergänzung das Ergebnis haben, daß Lina M. sen. zur Zeit der Vollmachtserteilung nicht geschäftsunfähig war und auch in weiterer Folge nicht prozeßunfähig war, sei der Prozeß ebenfalls ohne Unterbrechung und ohne Verpflichtung der Erben zum Eintritt fortzusetzen, weil er zufolge der anwaltlichen Vertretung durch den Tod der Lina M. sen. gar nicht unterbrochen worden wäre.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Klägerin gegen die Aufhebung des Punktes 2 des erstrichterlichen Beschlusses nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem Revisionsrekurs ist aus folgenden Erwägungen ein Erfolg zu versagen:

Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß zunächst die Frage der Prozeßfähigkeit der Lina M. sen. geklärt werden muß und daß dabei nicht auf den 29. Dezember 1966 abgestellt werden darf, der für die Prüfung der Rechtswirksamkeit der Mietrechtsabtretungserklärung von Bedeutung ist. Aus der Formulierung des Erstrichters, Lina M. sen. sei "bereits im Dezember 1966 nicht mehr handlungsfähig" gewesen, könnte allerdings abgeleitet werden, daß er eine seit mindestens Dezember 1966 dauernde Handlungs- und Prozeßunfähigkeit annehmen wollte, dies umsomehr, als er abschließend auch die Meinung vertrat, Lina M. sen. habe auch einen Rechtsanwalt nicht wirksam mit ihrer Vertretung betrauen können. Wenn das Rekursgericht aber eine weitere Klärung des Sachverhaltes unter Zuziehung eines Sachverständigen aus dem Fache der Psychiatrie und eindeutige Feststellungen verlangte, kann der Oberste Gerichtshof als reine Rechtsinstanz dem nicht entgegentreten.

Es kommt zunächst auf den Zeitpunkt der Kündigungszustellung an, denn der Rechtsstreit über eine Kündigung wird, wie der Oberste Gerichtshof in RiZ. 1967 S. 203 unter Heranziehung von Judikatur und Literatur klargestellt hat, in diesem Zeitpunkt anhängig. Ein Zustellungsmangel wäre durch die Erhebung der Einwendungen wohl saniert worden, wenn Lina M. sen. Rechtsanwalt Dr. T. gültig Vollmacht erteilen konnte, doch handelt es sich dabei wohl kaum um mehr als eine theoretische Überlegung, da zwischen Kündigungszustellung und Vollmachtunterschrift ganz wenige Tage lagen (28. März bis 31. März 1967) und nach den Erfahrungen des Lebens kaum mit der Möglichkeit einer differenzierten Beurteilung der Prozeßfähigkeitsfrage für diese beiden Tage zu rechnen ist. Vorbehaltlich einer Prüfung der verfahrensrechtlichen Lage, wenn sich dergleichen wider alles Erwarten herausstellen sollte, ist daher praktisch nur auf die Möglichkeiten abzustellen: entweder war Lina M. sen. bei Kündigungszustellung und Vollmachtserteilung, wie immer ihr Geisteszustand Ende Dezember 1966 gewesen sein mag, noch bzw. wieder prozeßfähig, oder sie war damals prozeßunfähig.

War Lina M. sen. Ende März 1967 prozeßfähig, ist es bei ihrem Tod nicht zur Unterbrechung des Verfahrens gekommen, da sie dann auf Grund gültiger Vollmachtserteilung durch einen Anwalt vertreten war (§ 155 (1) ZPO.). Prozeßpartei war seit ihrem Tod dann die Verlassenschaft; seit der Einantwortung des Nachlasses sind dann Lina M. jun. und Friedrich M. zufolge der Universalsukzession Prozeßparteien, und zwar schon vor Vorlage der von ihnen unterfertigten Vollmacht vertreten durch Rechtsanwalt Dr. T. auf Grund der Vollmachtserteilung seitens der Lina M. sen., was sich aus § 35 ZPO. ergibt. Die Bezeichnung der beklagten Partei - zuletzt Verlassenschaft nach Lina M. sen. - wird dann auf die Namen der beiden Erben weiter richtigzustellen sein.

War Lina M. sen. bei Kündigungszustellung und Vollmachtserteilung handlungs- und prozeßunfähig, kommt - wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat - nur ein Sanierungsversuch im Sinn des § 6 ZPO. in Frage, bei dem freilich unter Bedachtnahme auf die besonderen, durch den Tod der Lina M. sen. gekennzeichneten Umstände des Falles vorzugehen ist (vgl. dazu Fasching, Komm. II. Bd. S. 152

f. zu § 6 ZPO. unter Anm. 7 und S. 771 f. zu § 158 ZPO. unter Anm. 1). Die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters für Lina M. sen. kommt zufolge ihres Todes, die eines gesetzlichen Vertreters für die Verlassenschaft zufolge Einantwortung des Nachlasses nicht mehr in Betracht. Lina M. jun. und Friedrich M. sind als Universalrechtsnachfolger der Lina M. sen. - ebenfalls persönlich - zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, das in einem solchen Fall bisher nichtige Verfahren zu ratihabieren. Daß sie als Zeugen ausgesagt haben, zwischen Lina M. sen. und deren Enkel Fritz M. habe ein gemeinsamer Haushalt bestanden, läßt sich - entgegen der Meinung der Revisionsrekurswerberin - nicht in dem Sinn deuten, sie hätten die Einwendungen und damit die Prozeßführung der Verstorbenen verfahrensrechtlich genehmigt. Ihre bisherige prozessuale Haltung ist, vielleicht ausgelöst durch die Meinung des Erstrichters, es handle sich um einen Anwendungsfall des § 157 ZPO., unklar, weil sie einerseits geltend zu machen suchten, Lina M. sen. sei stets handlungs- und prozeßfähig gewesen, anderseits aber einen Eintritt in den Rechtsstreit ablehnten. Daß sie Dr. T. auch selbst Vollmacht erteilten, vermag unter diesen Umständen die erst nach eindeutiger Klarstellung der Nichtigkeit des mit Lina M. sen. durchgeführten Verfahrens erforderliche Beantwortung der Frage, ob sie dieses Verfahren zu sanieren bereit sind, nicht zu ersetzen.

Anmerkung

Z41101

Schlagworte

Partei, Sanierung eines Verfahrens nach Tod einer prozeßunfähigen -, Prozeßfähigkeit, Sanierung eines Verfahrens nach Tod einer Partei, Prozeßunfähigkeit, Sanierung eines Verfahrens nach Tod einer Partei, Sanierung eines Verfahrens nach Tod einer prozeßunfähigen Partei, Tod, Sanierung eines Verfahrens nach - einer prozeßunfähigen Partei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1968:0010OB00176.68.0903.000

Dokumentnummer

JJT_19680903_OGH0002_0010OB00176_6800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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