TE OGH 1969/6/12 2Ob152/69

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Veröffentlicht am 12.06.1969
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Norm

ABGB §1320

Kopf

SZ 42/91

Spruch

Ob der Tierhalter für die erforderliche Beaufsichtigung gesorgt hat, hängt nicht nur von der Verläßlichkeit des Aufsehers, sondern auch davon ab, ob letzterer nicht offensichtlich überfordert wurde.

Entscheidung vom 12. Juni 1969, 2 Ob 152/69.

I. Instanz: Bezirksgericht Villach; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.

Text

Der Kläger stieß mit seinem von ihm gelenkten PKW. am 12. September 1968 um zirka 19 Uhr in Villach - Judendorf auf der Westumfahrung mit einem Ochsen der Beklagten zusammen, der über die Straße lief. Der Kläger begehrt Ersatz seines Sachschadens von 11.171 S, weil das Tier nicht gehörig beaufsichtigt worden sei.

Die Beklagte bestritt, Halterin des Ochsen gewesen zu sein, da sich dieser auf einer Alm befunden habe und von einem verläßlichen Almhirten betreut worden sei, sie begehrte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgendes fest: Die Beklagte ist neben zahlreichen anderen Besitzern Mitglied der Almgenossenschaft K., deren Almgebiet 500 bis 600 ha umfaßt und gegen die Straße durch einen Drahtzaun abgesichert ist. Es gibt zehn bis zwölf Almgatter, die manchmal von durchgehenden Personen offengelassen werden. Die Almgemeinschaft verwendet immer nur einen Almhirten. Seit fünf Jahren übt der 62jährige Pensionist Georg K. diese Tätigkeit anstandslos aus. Es gab noch keinen Verkehrsunfall durch entlaufenes Vieh, obgleich schon einige Male Tiere über den Zaun gesprungen oder durch offengelassene Gatter auf die Straße gelaufen waren und auf die Alm zurückgebracht werden mußten. Georg K. hat hundert bis hundertfünfzig Stück Vieh allein zu betreuen. Aus dem Viehbestand der Beklagten waren im Sommer 1968 insgesamt sechs Rinder auf der Kaserin. Der in den Unfall verwickelte Ochse befand sich vom 2. Juni bis 15. September 1968 auf der Alm. Er wurde dem Almhirten von der Beklagten in Verwahrung gegeben. Die zirka 80 Jahre alte Beklagte war in den letzten Jahren nie auf der Alm. Ihr war vom Ausbrechen von Tieren nichts bekannt. Das gegen den Almhirten Georg K. eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren wurde eingestellt.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Beklagte wegen der Überlassung des Tieres an den Almhirten nicht mehr Halterin desselben gewesen sei. Selbst wenn dies aber anzunehmen wäre, käme eine Haftung der Beklagten für Verschulden des Almhirten nach § 1313a ABGB. nicht in Frage. Auf eine Haftung nach § 1315 ABGB. habe sich der Kläger jedoch nicht gestützt. Eine Haftung der Beklagten für allfälliges Verschulden des Almhirten könne auch nicht aus den allgemeinen Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB. abgeleitet werden, weil der Hirte die Tiere seit fünf Jahren anstandslos verwahrt und beaufsichtigt habe.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftsvorbehalt zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Nach seiner Ansicht kann die Eigenschaft der Beklagten als Tierhalterin nicht zweifelhaft sein. Sie habe sich der Einflußnahme auf Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres auch für den Zeitraum, während sie ihr Vieh auf der Alm hatte, nicht begeben. Der Tierhalter hafte zwar für den Verwahrer nicht nach § 1313a, sondern nach § 1315 ABGB., aber die bisherigen Feststellungen seien unzureichend, um die Frage beantworten zu können, ob das Vieh der Beklagten ordnungsgemäß verwahrt worden sei; insbesondere sei nicht geklärt worden, ob der Beklagten bekannt war oder bekannt sein mußte, daß wiederholt Tiere ausgebrochen und auf die Straße gelangt seien. Selbst wenn gegen die Person des Viehhüters keine Bedenken bestehen sollten, könne dem Tierhalter eine augenscheinliche Überforderung der Aufsichtsperson zur Last fallen. Es werde auch zu bedenken sein, daß es sich nicht um ein abgelegenes Weidegebiet, sondern um ein solches handle, das bis an die Stadtgrenze und an stark befahrene Straßen heranreiche, so daß die vom Vieh ausgehenden Gefahren besonders augenfällig seien.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rekurswerberin meint, sie sei nicht Halterin des Ochsen gewesen, weil sie ihn mit fünf weiteren Rindern über den Sommer dem Almhirten Georg K. überlassen habe, der somit die Herrschalt über die Tiere ausgeübt habe.

Hierin kann dem Rekurs nicht gefolgt werden. Georg K. war nichts weiter als der Verwahrer der Tiere auf der Alm. Diese sind aber in der Verfügungsgewalt der Beklagten geblieben, die sie jederzeit von der Alm zurückholen hätte können.

Wenn die Rekurswerberin zur Frage der ordnungsgemäßen Verwahrung ausführt, sie habe dem Georg K. nur sechs Rinder übergeben und daher annehmen können, daß er bei dieser Anzahl seinen Pflichten nachkommen werde können, so steht bereits fest, daß K. das ganze Almgebiet mit einer großen Anzahl von Tieren verschiedener Eigentümer zu überwachen hatte, sodaß die Beklagte keinesfalls annehmen konnte, K. werde sich nur um ihre Tiere kümmern. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es im vorliegenden Fall nicht nur auf die persönliche Verläßlichkeit K. an, sondern auch auf die Umstände, unter denen er die Beaufsichtigung einer großen Anzahl von Rindern auf einem weit ausgedehnten Almgebiet durchführen sollte, wobei die Absicherung des Almgeländes gegen stark befahrene Straßen von besonderer Bedeutung ist.

Da das Berufungsgericht, von richtigen rechtlichen Erwägungen ausgehend, den Sachverhalt für noch nicht genügend geklärt ansieht, kann der Rekurs an den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, keinen Erfolg haben.

Anmerkung

Z42091

Schlagworte

Almhirt, Überforderung und Verläßlichkeit, Aufseher, Verläßlichkeit und Überforderung, Beaufsichtigung von Weidevieh durch überforderten Almhirten, Hirt, Überforderung und Verläßlichkeit, Tierhalter, Verläßlichkeit und Überforderung des Aufsehers, Überforderung eines Almhirten, Verläßlichkeit eines Almhirten, Weidevieh, Überforderung des Aufsehers, Weidevieh, Verläßlichkeit und - - -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1969:0020OB00152.69.0612.000

Dokumentnummer

JJT_19690612_OGH0002_0020OB00152_6900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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