TE OGH 1970/6/18 2Ob144/70

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Veröffentlicht am 18.06.1970
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Norm

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §11 Z4
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §123
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332

Kopf

SZ 43/108

Spruch

Zum Rückgriff des Sozialversicherungsträgers gegen einen Familienangehörigen des selbst sozialversicherten Geschädigten

OGH 18. Juni 1970, 2 Ob 144/70 (LGZ Wien 42 R 712/69; BG Fünfhaus 8 C 540/69)

Text

Die Klägerin, die Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, behauptet, daß die Gattin des Beklagten bei ihr sozialversichert gewesen und bei einem vom Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall verletzt worden sei. Der Beklagte habe der Klägerin den unfallskausalen Heilungsaufwand zu ersetzen, weil dieser in den gem § 232 ASVG auf die Klägerin übergegangenen Ersatzansprüchen der Verletzten gegen den Beklagten Deckung fände.

Die Klägerin beschränkte ihr Klagebegehren in der Folge dahin, daß der Beklagte den geforderten Betrag bei Exekution in den ihm gegen seinen Autohaftpflichtversicherer zustehenden Deckungsanspruch zu bezahlen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß die Verletzte bereits im Unfallszeitpunkt in aufrechter Ehe mit dem Beklagten lebte. Durch den Regreß des Sozialversicherungsträgers gegen den Ehemann der Verletzten würde eine Schmälerung des Familieneinkommens bewirkt. Daran ändere auch die Beschränkung des Klagebegehrens auf die ausschließende Exekution in den Deckungsanspruch gegen den Autohaftpflichtversicherer nichts.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und dem Klagebegehren statt. Ein Regreß des Sozialversicherungsträgers gegen den Ehemann der Verletzten sei unzulassig, wenn dadurch eine Schmälerung des Familieneinkommens bewirkt werde. Dies gelte unabhängig davon, ob die verletzte Ehefrau selbst sozialversichert oder nur mitversichert i S des § 123 ASVG sei. Bleibe aber der Regreß auf den Zugriff auf den Deckungsanspruch des ersatzpflichtigen Ehemannes gegen seinen Autohaftpflichtversicherer beschränkt, trete eine Schmälerung des Familieneinkommens nicht ein. Es sei daher der Regreß zulässig. Daß der Autohaftpflichtversicherer gegenüber dem Beklagten etwa wegen der Bestimmung des § 11 Z 4 AKB nicht deckungspflichtig sei, hätte der Beklagte zu behaupten und zu beweisen gehabt. Da er dies unterlassen habe, sei von einer Leistungspflicht des Autohaftpflichtversicherers gegenüber dem Beklagten auszugehen.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Beklagten Folge gegeben, die Urteile der Untergerichte aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit der Frage, ob ein Sozialversicherungsträger wegen Leistungen anläßlich eines Unfalles an Angehörige des Ersatzpflichtigen, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, unter Berufung auf § 332 ASVG Rückgriff nehmen könne, war der Oberste Gerichtshof zunächst nur am Rande befaßt (vgl SZ 40/164). Diese Frage entstand deswegen, weil § 332 ASVG eine dem § 67 Abs 2 VersVG entsprechende, den Rechtsübergang beschränkende Bestimmung nicht enthält.

In 2 Ob 133/70, EvBl 1971/108 = ZVG 1971/144 war die Frage der Rückgriffsmöglichkeit des Sozialversicherungsträgers für den Fall zu entscheiden, daß der verletzte Familienangehörige selbst sozialversichert ist. Es wurde entschieden, daß der Rückgriff dann möglich sei, wenn dadurch der "Familienunterhalt" nicht geschmälert werde. Dies sei anzunehmen, wenn der Rückgriff ausschließlich durch einen Zugriff auf den Deckungsanspruch des Ersatzpflichtigen gegen seinen Autohaftpflichtversicherer zu befriedigen sei. Maßgeblich war die Überlegung, daß § 332 ASVG grundsätzlich den Übergang des Ersatzanspruches eines Verletzten, dem Leistungen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz zu gewähren sind, gegen den für den zugefügten Schaden Ersatzpflichtigen auf den Sozialversicherungsträger festlegt. Eine Verneinung des Rückgriffes für den Fall, daß die verletzte und die ersatzpflichtige Person miteinander in häuslicher Gemeinschaft leben, könne nicht durch analoge Anwendung des § 67 VersVG, sondern nur durch eine aus dem Sinn und Zweck des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes abgeleitete einschränkende Auslegung begrundet werden. Eine solche sei dann nicht berechtigt, wenn der Ersatzpflichtige einen Deckungsanspruch gegen seinen Autohaftpflichtversicherer habe und nur auf diesen gegriffen werde. Der gegenteiligen Auffassung des Bundesgerichtshofes (siehe NJW 1964, 860 und NJW 1968, 649) könne wegen der unterschiedlichen Rechtslage (siehe § 637 RVO gegenüber § 332 Abs 5 ASVG) nicht gefolgt werden. Die Frage, ob der Autohaftpflichtversicherer dem Schädiger gegenüber leistungspflichtig sei, sei endgültig erst im Deckungsprozeß zu beantworten. Im Regreßprozeß des Sozialversicherers, der sich auf einen Zugriff auf diesen Deckungsanspruch beschränke, sei diese Frage nur soweit zu prüfen, als es zur Feststellung des Rechtsschutzinteresses nötig sei. Dieses sei nur dann zu verneinen, wenn eindeutig feststehe, daß der Deckungsanspruch und damit das einzige Exekutionsobjekt, das in Anspruch zu nehmen sei, z B wegen der Bestimmung des § 11 Z 4 AKB nicht bestehe. Wenn dieser Anspruch gegeben oder auch nur zweifelhaft sei, müsse das Rechtsschutzinteresse bejaht werden. Mit Krejci VersRdsch 1967 224 ff sei die Meinung abzulehnen, daß bei Verletzung eines Ehegatten durch den anderen der Bestand von Ersatzforderungen allgemein zu verneinen sei.

An dieser Rechtsansicht wird auch diesfalls festgehalten.

Ist aber die verletzte Ehefrau nicht selbst sozialversichert, sondern nur mitversichert i S des § 123 ASVG, dann steht der Anspruch auf die Leistungen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz nicht ihr, sondern dem Sozialversicherungsnehmer, also dem Ehemann, der auch der Schädiger ist, zu (FN 1 zu § 123 ASVG, Ausgabe Fehrmann - Rudolph - Teschner). Der Rückgriff des Sozialversicherungsträgers gegen ihn wegen Leistungen an seine Ehefrau richtet sich daher in diesem Fall gegen den nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz Anspruchsberechtigten selbst. Ein solcher Rückgriff ist unzulässig, weil die Leistung des Sozialversicherungsträgers ihren Sinn verlöre, könnte sie durch den Rückgriff rückgefordert werden. Der Rückgriff ist in diesem Fall ganz allgemein, also auch bei Beschränkung auf den Deckungsanspruch gegen den Autohaftpflichtversicherer des Schädigers, unzulässig (vgl Krejci, VersRdsch 1967, 230 ff, 244).

Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß das modifizierte Klagebegehren i S der obigen Ausführungen berechtigt sein kann, wenn die Verletzte selbst sozialversichert war, es aber abzuweisen ist, wenn sie nur Mitversicherte des Beklagten i S des § 123 ASVG war. Zur Erledigung bedarf es daher der Feststellung, ob die verletzte Ehefrau selbst sozialversichert oder nur Mitversicherte des Beklagten war. Die getroffene Feststellung, daß die Verletzte mit dem Beklagten in aufrechter Ehe lebte, läßt beide Möglichkeiten offen und ist daher nicht ausreichend.

Anmerkung

Z43108

Schlagworte

Deckungsanspruch, Familienregreß, Deckungsprozeß, Familienregreß, Familienangehöriger, Familienregreß, Familienangehöriger, selbst sozialversicherter Geschädigter, Haftpflichtversicherer, Familienregreß, Rechtsschutzbedürfnis, Familienregreß, Regreß, Familienregreß, Rückgriff Familienregreß, Sozialversicherungsträger, Familienregreß, Unterhalt, Familienregreß

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1970:0020OB00144.7.0618.000

Dokumentnummer

JJT_19700618_OGH0002_0020OB00144_7000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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