TE OGH 1970/7/8 7Ob78/70

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Veröffentlicht am 08.07.1970
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Norm

ABGB §810
Handelsgesetzbuch §25
Handelsgesetzbuch §27

Kopf

SZ 43/128

Spruch

Auch vor Einantwortung haften bedingt erbserklärte Erben gem § 27 HGB persönlich, wenn sie das Geschäft fortführen, ungeachtet auf wessen Rechnung. Allein die Übernahme und Weiterführung - eine Rechtsscheinwirkung - ist entscheidend

OGH 8. Juli 1970, 7 Ob 78/70 (OLG Linz 5 R 15/70; KG Wels 4 Cg 203/69)

Text

Margarethe St war Eigentümerin eines protokollierten Einzelhandelsunternehmens. Sie ist am 2. November 1966 gestorben, ihre Erben sind ihr Gatte Josef St und ihr Sohn Helmut St, die auf Grund des Gesetzes bedingte Erbserklärungen abgegeben haben und zwar der Witwer zu einem Viertel, der Sohn zu drei Vierteln des Nachlasses. Mit Beschluß vom 19. April 1967 wurde dem Witwer mit Zustimmung des damals für den noch mj Sohn bestellten Kollisionskurators die Verwaltung und Besorgung des Nachlasses überlassen. Der Sohn wurde am 6. Dezember 1967 aus der väterlichen Gewalt entlassen. Die Verlassenschaftsabhandlung ist noch nicht beendet, weil eine Bilanz des Unternehmens zum Todestag noch nicht aufgestellt werden konnte. Das Unternehmen wird von den Erben, den nunmehrigen Beklagten weitergeführt. Dem Witwer der Erblasserin und Vater des Zweitbeklagten wurde durch Vereinbarung beider Erben die Befugnis zur selbständigen Vertretung des Unternehmens übertragen und diese Vertretungsbefugnis im Handelsregister eingetragen.

Mit Anerkenntnisurteil vom 25. September 1968 wurde die Firma Margarethe St zur Zahlung eines Betrages von 375.007.50 S samt 5% Zinsen ab 1. April 1968 und von 8875.70 S an Prozeßkosten an die nunmehr klagende Partei verurteilt. Mit gerichtlichem Vergleich vom 20. November 1968 verpflichtete sich die gleiche Firma, vertreten durch den Prokuristen Josef St, der Klägerin einen Betrag von 243.071 S samt Zinsen in bestimmten Raten bei Terminsverlust zu bezahlen. Außerdem sind verschiedene Exekutionskosten aufgelaufen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Bezahlung dieser Beträge von den beiden Beklagten als Erben des Unternehmens zur ungeteilten Hand, weil sie das Unternehmen unter der bisherigen Firma weiterführen und daher gem § 27 HGB für die Geschäftsverbindlichkeiten unbeschränkt haften.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten i S des Klagebegehrens. Es stellte im wesentlichen außer dem bereits oben dargelegten Sachverhalt noch fest, es sei anläßlich der Entlassung des Zweitbeklagten aus der väterlichen Gewalt festgehalten worden, daß dieser im Geschäft des Vaters mitarbeite und daß durch diesen Akt bewirkt werden solle, daß er seinen Vater im Geschäft auch voll vertreten könne. Rechtlich führte das Erstgericht aus, da die beiden Beklagten das Unternehmen nach dem Tod der Erblasserin weiterführten, hafteten sie gem § 27 HGB für die Verbindlichkeiten des Unternehmens, u zw nicht nur für solche, die bereits beim Tod der Erblasserin vorhanden gewesen seien, sondern auch für die, die nachher bis zur Einantwortung entstanden seien und entstunden. Da dem Erstbeklagten die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses mit Zustimmung des Zweitbeklagten überlassen worden, und später der Erstbeklagte mit Zustimmung des aus der väterlichen Gewalt entlassenen Zweitbeklagten zum bevollmächtigten Vertreter des Unternehmens bestellt worden sei, hafte auch der Zweitbeklagte unbeschränkt für die Verbindlichkeiten des Unternehmens. Die Höhe der eingeklagten Forderungen ergebe sich eindeutig aus den Gerichtsakten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Hauptgewicht der Revision liegt in der Rechtsrüge. Darin wird die Meinung vertreten, die Bestimmungen des § 27 HGB kämen nur zur Anwendung, wenn den Erben gem § 810 ABGB die Besorgung und Benützung der Verlassenschaft überlassen wurde, sie könnten daher auf den Zweitbeklagten nicht angewendet werden. Im übrigen regelten die Bestimmungen der §§ 25 und 27 ABGB nur die Haftung für Verbindlichkeiten des verstorbenen Geschäftsinhabers, nicht aber für Verbindlichkeiten, die von den Erben eingegangen worden seien.

Gem § 27 HGB finden auf die Haftung des Erben für die früheren Geschäftsverbindlichkeiten die Vorschriften des § 25 HGB Anwendung, wenn ein zum Nachlaß gehöriges Nachlaßgeschäft vom Erben fortgeführt und nicht vor Ablauf von drei Monaten ab Einantwortung oder ab Überlassung der Verlassenschaft zur Besorgung und Benützung nach § 810 ABGB eingestellt wird. Gem § 25 HGB haftet der Übernehmer eines Handelsgeschäftes, der das Unternehmen unter der bisherigen Firma fortführt, für alle Geschäftsverbindlichkeiten des früheren Inhabers. Damit wird eine weitergehende Haftung des Geschäftsübernehmers statuiert, als ihm nach den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches bei Abgabe einer bedingten Erbserklärung trifft, denn eine Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß wäre, wie bereits das Berufungsgericht unter Hinweis auf Lehre (Schlegelberger, Komm zum HGB[4] I 197 f) und Rechtsprechung (HS 1134, 5064, SZ 31/17) zutreffend ausgeführt hat, für den Handelsverkehr dann untragbar, wenn das Handelsgeschäft vom Erben fortgeführt wird. Beim Übergang eines Unternehmens im Erbweg ist die Haftung unbeschränkt. Die im bürgerlichen Recht vorgesehenen Haftungsbeschränkungen bei bedingter Erbserklärung sind dem Handelsrecht unbekannt. Der Erbe kann dieser unbeschränkten Haftung nur dadurch entgehen, daß er die Fortführung des Unternehmens vor Ablauf von drei Monaten einstellt (vgl RZ 1967, 70). Wie in Schlegelberger[4], 187, ausgeführt wird, ist für den kaufmännischen Geschäftsverkehr die Firma wesentlicher als der jeweilige Inhaber und es ist das Vertrauen des Außenstehenden hauptsächlich mit dem Geschäft und der Firma verknüpft. Daher muß jedes Gesetz, das die Möglichkeit eines Wechsels in der Inhaberschaft eines Handelsgeschäftes unter Beibehaltung der bisherigen Firma bejaht, Vorsorge treffen, daß dieses Vertrauen nicht enttäuscht wird. Bei der Haftung nach den §§ 25 und 27 HGB handelt es sich um eine Rechtsscheinwirkung, die aus der Tatsache der Geschäftsübernahme und der Weiterführung des Geschäftes und der bisherigen Firma folgt. § 27 Abs 1 HGB normiert ausdrücklich die Haftung des ein Handelsgeschäft fortführenden Erben ohne zu unterscheiden, auf wessen Rechnung das Geschäft fortgeführt wird. Diese Bestimmung wurde zwar aus dem deutschen Rechtsbereich übernommen, für welches es entbehrlich war, eine Unterscheidung für die Zeit vor und nach Einantwortung zu treffen; der anläßlich der Einführung dieser Bestimmung in Österreich eingefügte Abs 2 trifft aber keine Unterscheidung in diesem Sinn, was zu erwarten gewesen wäre, falls man eine unterschiedliche Rechtslage hätte normieren wollen. Es wurde vielmehr hinsichtlich der Haftung des Erben der Einantwortung die Überlassung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses gem § 810 ABGB gleichgestellt und von beiden Zeitpunkten ab eine dreimonatige Überlegungsfrist eingeräumt. Mit Ablauf dieser Frist und damit gegebenenfalls vor Einantwortung des Nachlasses endet daher jener Zustand, der als "Abhandlungsprovisorium" bezeichnet wird (Hämmerle[1] I, 161 und 2 I, 122, 123). Mit Beendigung des "provisorischen" Zustandes i S dieser Ausführungen wird also die persönliche Haftung des Erben wirksam, gegebenenfalls also bereits vor der Einantwortung. Diese Bestimmung des § 27 HGB, die auf die Fortführung des Geschäftes durch den Erben abstellt und nicht unterscheidet, auf wessen Rechnung das Geschäft fortgeführt wird, wurde auch in der Entscheidung RZ 1967, 70 im dargelegten Sinne ausgelegt und eine Erbin schon vor Einantwortung zur Leistung verurteilt. Die Haftung der Beklagten für die Geschäftsverbindlichkeiten der Erblasserin muß daher bejaht werden.

Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um Verbindlichkeiten, die erst nach dem Tod der Erblasserin entstanden sind, sich aber auf das Unternehmen beziehen. Der von den Untergerichten gezogene Größenschluß, der Erbe müsse umsomehr für Geschäftsverbindlichkeiten haften, die während der Fortführung des Unternehmens von ihm selbst begrundet wurden, ist gerechtfertigt. Er findet allerdings keine Stütze in den vom Berufungsgericht angeführten Kommentaren. Im RGRKomm[2] I 313 = RGRKomm[3] I 377 wird vielmehr ausdrücklich gesagt, daß die Bestimmungen des § 27 HGB nur mit den "früheren" Verbindlichkeiten zu tun haben, nicht aber mit den vom Erben selbst eingegangenen Geschäftsverbindlichkeiten. Für die hafte er natürlich unbeschränkt. Diese Ausführungen entsprechen der deutschen Rechtslage, wonach das Eigentum am Nachlaß durch den Erbanfall erworben wird. Da der Erbe aber für Schulden des Erblassers nach Ablauf der Frist des § 27 Abs 2 HGB auch vor Einantwortung unbeschränkt und persönlich haftet, wie oben ausgeführt wurde, ist nicht einzusehen, warum er für Schulden, die er selbst nach Überlassung der Erbschaft zur Besorgung eingegangen ist, nicht persönlich haften sollte. Die Bestimmung des § 27 HGB kann nicht dahin verstanden werden, daß der Erbe, wenn er innerhalb der Dreimonatsfrist das Unternehmen nicht eingestellt hat, erst nach Einantwortung, also allenfalls zu einem viel späteren Zeitpunkt für die Schulden persönlich haften soll, bis dahin aber nur als Vertreter des Nachlasses mit diesem. Die Absicht des Gesetzgebers war es zweifellos, den Erben auf jeden Fall für die Schulden des Nachlasses, u zw für die vom Erblasser und vom Erben selbst eingegangene persönlich haften zu lassen, wem er das Unternehmen fortführt. Die Einantwortung sollte also nicht der maßgebende Stichtag für die persönliche Haftung des Erben sein, sondern der Ablauf der Frist von drei Monaten. Danach haftet der Erbe unbeschränkt und persönlich nicht nur für die Schulden des Erblassers, sondern für alle früheren, also auch von ihm selbst eingegangenen Verbindlichkeiten.

Der Erstbeklagte haftet also für die Verbindlichkeiten des von ihm übernommenen und fortgeführten Unternehmens, auch wenn sie erst nach dem Tod der Erblasserin eingegangen wurden. Der Zweitbeklagte hat der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses durch seinen Vater zugestimmt und hat auch nach Erlangung seiner Eigenberechtigung eingewilligt, daß sein Vater die Firma Margarethe St selbständig vertritt. Er hat dadurch der Weiterführung des gemeinsamen Unternehmens zugestimmt, weshalb auch er für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haftet.

Anmerkung

Z43128

Schlagworte

Bedingte Erbserklärung, Erbenhaftung bei Weiterführung eines, Handelsgeschäftes, Einantwortung Erbenhaftung vor - bei Weiterführung eines, Handelsgeschäftes, Erbe, Haftung bei Weiterführung eines Handelsgeschäftes, Erbserklärung, Erbenhaftung bei Weiterführung eines Handelsgeschäftes, Geschäftsübernahme, Erbenhaftung bei bedingter Erbserklärung, Handelsgeschäft, Erbenhaftung bei Weiterführung, Rechtsscheinwirkung, Erbenhaftung bei Weiterführung eines, Handelsgeschäftes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1970:0070OB00078.7.0708.000

Dokumentnummer

JJT_19700708_OGH0002_0070OB00078_7000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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