TE OGH 1970/11/25 7Ob214/70

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Veröffentlicht am 25.11.1970
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Norm

ABGB §480
ABGB §863
ABGB §867
Tiroler Landesstraßengesetz §1 Abs2
Tiroler Landesstraßengesetz §42 Abs1
Tiroler Landesstraßengesetz §43
Tiroler Landesstraßengesetz §44
Tiroler Landesstraßengesetz §46
Tiroler Landesstraßengesetz §48

Kopf

SZ 43/213

Spruch

Zum Begriff des öffentlichen Interessentenweges

Auch bei Gemeinden sind konkludente Vereinbarungen möglich. Hiebei muß jedoch das zur Vereinbarung berufene Organ der Gemeinde jenes Verhalten setzen, welches den Voraussetzungen des § 863 ABGB entspricht

OGH 25. November 1970, 7 Ob 214/70 (LG Innsbruck 2 R 66/70; BG Landeck C 177/69)

Text

Die Klägerin ist seit 1967 Eigentümerin der Liegenschaft EZ 185 II KG St, zu der u a das Grundstück 761 gehört. Der Beklagte ist Eigentümer der EZ 119 II KG St, zu der die Grundstücke 150 und 151 gehören. Um zu diesen Grundstücken zu gelangen, benützt der Beklagte einen Weg, der auch über das Grundstück 761 der Klägerin führt.

Die Klägerin behauptet, dieser Weg sei ein Privatweg und stehe in ihrem Eigentum, der Beklagte habe kein Recht, den Weg über den landwirtschaftlichen Gebrauch hinaus zu benützen. Sie beantragt daher, den Beklagten zu verurteilen, die Benützung des Weges als Zufahrtsweg zu seinen Grundstücken zu unterlassen, soweit die Zufahrt nicht landwirtschaftlichen Zwecken dient.

Der Beklagte wendete ein, von der Vorbesitzerin des Grundstückes 761, der Gemeinde St, sei anläßlich der ihm erteilten Bewilligung zum Bau eines Wohnhauses auf seinem Grundstück die Zufahrt über den strittigen Weg uneingeschränkt als gegeben erklärt worden. Damit sei eine Verpflichtung gegenüber dem Beklagten übernommen worden, an die die Klägerin gebunden sei. Im übrigen bestehe hinsichtlich dieses Weges zugunsten der Allgemeinheit eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden weiteren Sachverhalt fest:

Im Jahr 1857 wurde auf dem Grundstück des Beklagten ein Vogelhaus errichtet. Der Beklagte erwarb im Jahr 1946 dieses Vogelhaus mit etwas Grund und suchte am 2. November 1964 bei der Gemeinde St um die Bewilligung zum Bau eines Ferienhauses an. Am 1. März 1965 wurde ihm dies bewilligt. Im Bewilligungsbescheid wird eine Zufahrt nicht erwähnt. Am 17. Mai 1967 suchte der Beklagte um Verlängerung der Baubewilligung an, die er bewilligt erhielt. Der Beklagte hat nicht nur das Vorhaben, an Stelle des früheren Hauses ein Wochenendhaus zu errichten, sondern er hat auf dem Grundstück 180 Zwetschkenbäume gepflanzt und einen Kartoffelacker angelegt. Der heute bestehende strittige Weg wurde in den Jahren 1961 bis 1964 aus Bundes-Landes- und Gemeindemitteln errichtet, vorher war nur eine Art Karrenweg vorhanden, der den Bauern zur Bringung forstwirtschaftlicher Produkte diente. Noch zur Zeit des alten Zustandes führte der Beklagte Baumaterial mit zweirädrigen Fuhrwerken zu seinem Wochenendhaus und kümmerte sich selbst um die Verbesserung der Wegverhältnisse. Bei der Bauverhandlung im Jahre 1964 gab es keinen Zweifel darüber, daß der Beklagte uneingeschränkt über den Weg fahren dürfe. Dies war den Gemeinderäten so klar, daß darüber kein Wort verloren wurde. Bei der Übernahme der Grundparzelle 761 durch die Klägerin im Jahre 1967 wußte diese, daß der Beklagte uneingeschränkt auf dem Weg fährt.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, von der Vorgängerin der Klägerin, der Gemeinde St, sei dem Beklagten stillschweigend das uneingeschränkte Fahrrecht über die Parzelle 761 eingeräumt worden, dafür spreche auch die Dauer der unwidersprochenen Ausübung dieses Rechtes. Die Klägerin sei über die tatsächlichen Verhältnisse bei Erwerb des Grundstücks genau im Bilde gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung, daß zwischen dem Beklagten und der Gemeinde St stillschweigend eine Dienstbarkeit über die Benützung des Weges vereinbart worden sei und daß die Klägerin bei Erwerb des Grundstücks von dieser Dienstbarkeit Kenntnis gehabt habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die rechtliche Grundlage der Klagsabweisung durch beide Instanzen ist die angeblich durch das Verhalten der Gemeinde im Jahre 1965 gemäß § 863 ABGB zustandegekommene Vereinbarung einer (erweiterten) Dienstbarkeit, also einer Veränderung der vorher bestandenen Rechtsituation, weil vorher ein bloß für landwirtschaftliche Zwecke eingeräumtes, nachher aber ein unbeschränktes Zufahrtsrecht bestanden habe. Das Berufungsgericht führt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aus, in der Erteilung der Baubewilligung, der Duldung der Bauführung und des damit verbundenen häufigen Befahrens des Weges mit Baumaterialien liege die stillschweigende Einräumung einer unbeschränkten Wegdienstbarkeit durch die Gemeinde. Diese Ausführungen sind dahin zu verstehen, daß nach Auffassung des Berufungsgerichts die mit Bescheid vom 1. März 1965 bewilligte Bauführung samt der damit verbundenen Wegebenützung durch die Gemeinde geduldet wurde. Tatsächlich findet sich hiefür weder in den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts noch im Akt eine taugliche Grundlage. Das vom Berufungsgericht, abgesehen von der Erteilung der Baubewilligung, für die Annahme der konkludenten Einräumung bzw Erweiterung der Dienstbarkeit herangezogenen Verhalten der Gemeinde müßte sich in der Zeit zwischen 1. März 1965 (Baubewilligung) und 2. Februar 1970 (Übergang des Grundstückes an die Klägerin) ereignet haben. Daß während dieser Zeit mit dem Bau begonnen und Baumaterial geführt worden wäre, wurde vom Erstgericht nicht festgestellt, dessen Feststellung bezog sich vielmehr auf die Zeit vor 1961. Auch aus der Parteienaussage des Beklagten geht nicht hervor, daß er nach 1961 mit Baumaterial über diesen Weg gefahren ist. Vielmehr ist aus der Tatsache, daß er am 17. Mai 1967 selbst die Baubewilligung als abgelaufen bezeichnete und sie daher gemäß § 52 der Tiroler Landesbauordnung verlängert erhielt, der Schluß zu ziehen, daß bis zum Erwerb des Grundstückes 761 durch die Klägerin mit dem Bau noch nicht begonnen wurde (§ 52 Abs 1 Tiroler Landesbauordnung).

Zur Frage der von den Vorinstanzen angenommenen konkludenten Vereinbarung ist festzuhalten, daß auch bei Gemeinden derartige Vereinbarungen zwar möglich sind, daß hiezu jedoch das zur Vereinbarung berufene Organ der Gemeinde jenes Verhalten setzen muß, welches den Voraussetzungen des § 863 ABGB entspricht (EvBl 1959/71). Das Verhalten des Bürgermeisters in seiner Eigenschaft als Baubehörde erster Instanz (§ 63 der Tiroler Bauordnung in der bis zur Novellierung durch das LGBl 1969/21 geltenden Fassung) kann hiefür somit nicht herangezogen werden (vgl JBl 1958, 206). Außer dem Bürgermeister war aber bei der Bauverhandlung vom 27. Februar 1965 offenbar niemand für die Gemeinde St anwesend. Im Protokoll ist keine andere Person angeführt und es hat auch keine andere Person unterschrieben, da die vier Unterschriften vom Bürgermeister, dem Beklagten, dem Anrainer S und dem Bausachverständigen H stammen. Der für den Abschluß der angenommenen Vereinbarung zuständige Gemeinderat hat sich nach der Aktenlage völlig passiv verhalten, es wurde bisher nicht geklärt, ob er von der vom Beklagten beabsichtigten Bauführung überhaupt Kenntnis erhielt und damit befaßt wurde.

Gegen die Annahme, daß der Gemeinderat ein Verhalten gesetzt hat, das der Beklagte mit Grund als Einräumung oder Erweiterung einer ihm bis dahin nicht zustehenden Dienstbarkeit auffassen konnte, spricht vor allem die Bestimmung des § 115 Abs 2 der Tiroler Gemeindeordnung, wonach zur Belastung eines Grundstücks die Genehmigung der Bezirksverwaltungsbehörde erforderlich ist. Die Einräumung oder auch nur die Erweiterung einer Dienstbarkeit ist aber als Belastung eines Grundstückes anzusehen.

Gegen die angeführte Annahme einer stillschweigenden Dienstbarkeitseinräumung spricht aber auch die Parteiaussage des Beklagten, wonach bei der Bauverhandlung über das Zufahren kein Wort gesprochen wurde, weil es selbstverständlich gewesen sei, daß er zufahren kann. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß sich der Beklagte schon vor der Bauverhandlung als zum Zufahren zu seinem Wochenendhaus berechtigt ansah, also (allerdings teilweise abweichend von seinem prozessualen Vorbringen) selbst auf dem Standpunkt steht, daß sich die Rechtslage, betreffend das schon seit dem Erwerb des Grundstücks durch ihn auf dem alten Karrenweg ausgeübte Zufahren nicht geändert habe. Offenbar nahm der Beklagte schon vor 1964 an, kraft Gemeingebrauches bzw infolge Bestehens eines Interessentenweges zum uneingeschränkten Zufahren zu seinem Wochenendhaus auch für private Zwecke berechtigt zu sein. Diese Möglichkeit läßt vor allem auch die Zeugenaussage des früheren Bürgermeisters F und die darauf gestützte Feststellung des Erstgerichtes offen. Für die Annahme, dem Beklagten sei anläßlich der Erteilung der Baubewilligung stillschweigend eine Dienstbarkeit eingeräumt oder erweitert worden, reichen die Feststellungen der Untergerichte daher nicht hin.

Der Beklagte stützt sich aber auch darauf, daß entweder eine solche Dienstbarkeit schon früher bestanden hat, wobei er allerdings offen läßt, wie sie entstanden ist, und vor allem auf Gemeingebrauch.

Nach § 42 Abs 1 des Tiroler Landesstraßengesetzes, LGBl 1951/1 sind Wege, die vorwiegend einem bestimmbaren, mit der Gesamtheit der Gemeindebewohner nicht zusammenfallenden Kreis von Benützern dienen "öffentliche Interessentenwege". Diese Definition kann durchaus bereits auf den früheren Karrenweg zugetroffen haben. Bei einem schon im Jahre 1951 bestandenen Interessentenweg war auch keine Erklärung im Sinne des § 43 Tiroler Straßengesetz (zum öffentlichen Interessentenweg) erforderlich. Ein solcher Interessentenweg kann von den Interessenten auch für private Zwecke benützt werden (vgl § 44, in welchem diese Art von Benützung ausdrücklich erwähnt und sogar als Grundlage für die Einbeziehung in die Erhaltungspflicht normiert ist), wobei die Erhaltungskosten je nach dem Nutzen aufzuteilen sind (§ 46) und der Gemeinderat als Aufsichtsorgan u a auch über den Umfang der Erhaltungspflicht entscheidet (§ 48).

Da der Beklagte sich neben der Behauptung der Einräumung einer Dienstbarkeit auch auf das Vorliegen einer Dienstbarkeit zugunsten der Allgemeinheit, richtig Gemeingebrauch, bzw auf das Vorliegen eines öffentlichen Weges im Sinn des § 1 Abs 2 des Tiroler Landesstraßengesetzes (wozu auch die öffentliche Interessentenwege gehören) berufen hat und bei Richtigkeit dieses Vorbringens die Klage nicht zurückzuweisen, sondern das Begehren abzuweisen ist (vgl Fasching I 86), sind zu diesen Prozeßbehauptungen des Beklagten entsprechende Feststellungen erforderlich.

Anmerkung

Z43213

Schlagworte

Gemeinde, konkludente Vereinbarung, öffentlicher Interessentenweg, Interessentenweg, öffentlicher in Tirol, konkludente Vereinbarung durch, Gemeinde, Konkludente Vereinbarung durch Gemeinde, öffentlicher Interessentenweg, Öffentlicher Interessentenweg, Tirol, konkludente Vereinbarung durch, Gemeinde, Schlüssige Vereinbarung, Gemeinde, öffentlicher Interessentenweg, Stillschweigende Vereinbarung, Gemeinde, öffentlicher Interessentenweg, Tirol, öffentlicher Interessentenweg, konkludente Vereinbarung durch, Gemeinde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1970:0070OB00214.7.1125.000

Dokumentnummer

JJT_19701125_OGH0002_0070OB00214_7000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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