TE OGH 1971/5/27 1Ob138/71

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Veröffentlicht am 27.05.1971
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Norm

Außerstreitgesetz §2 Abs2 Z7
Außerstreitgesetz §18
Außerstreitgesetz §20
JN §42
ZPO §411

Kopf

SZ 44/82

Spruch

Vor Einantwortung der Verlassenschaft steht es den Parteien nicht frei, den Rechtsweg zu beschreiten

OGH 27. 5. 1971, 1 Ob 138/71 (OLG Graz 3 R 11/71; KG Leoben 6 Cg 399/69)

Text

Franz Kl, der Vater der Streitteile, verstarb am 18. 6. 1965 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Zum Nachlaß gehören unter anderem die landwirtschaftlichen Liegenschaften EZ 7 KG N und EZ 98 KG D, bei denen es sich um einen Erbhof im Sinne der §§ 1, 2 Anerbengesetz, BGBl 1958/106, handelt. Das Verlassenschaftsverfahren ist zu A 242/65 des Bezirksgerichtes K anhängig. In dessen Durchführung fand am 15. 11. 1965 vor dem Notar Dr Kurt N als Gerichtskommissär eine Tagsatzung zur Verlassenschaftsabhandlung statt. Bei dieser wurden ein eidesstättiges Vermögensbekenntnis abgegeben und auch ein Erbübereinkommen protokolliert, wonach der Kläger die landwirtschaftlichen Liegenschaften als Anerbe übernimmt, wofür er sich zu verschiedenen Leistungen, so auch an den Beklagten, verpflichtet. Während die übrigen Erben das Protokoll unterfertigten, verweigerte der Beklagte unter Vorbehalt einer Bedenkzeit von acht Tagen dessen Unterfertigung und lehnte auch in der Folge die Anerkennung des Übereinkommens ab. Nach längeren ergebnislosen Vergleichsverhandlungen und Vernehmung von Auskunftspersonen durch das Verlassenschaftsgericht am 22. 11. 1966 legte dieses mit seinem Beschluß vom 15. 2. 1967 ua das eidesstättige Vermögensbekenntnis vom 15. 11. 1965 der Abhandlung zugrunde, wies die erblasserischen Liegenschaften dem Kläger zu, nahm die Berechnung der Erbteile zur Kenntnis und legte sie der Abhandlung zugrunde, nahm weiter zur Kenntnis, daß unter anderem auch der Beklagte auf eine pfandrechtliche Sicherstellung seiner Abfindungsansprüche verzichtet habe, bestätigte die Erbteilung hinsichtlich des Erbvermögens und nahm sie hinsichtlich des erbhoffreien Vermögens zur Kenntnis, genehmigte die Vereinbarungen hinsichtlich Anerbe und Übernahmspreis verlaßbehördlich, antwortete den Nachlaß ein und erklärte die Abhandlung für beendet. Über Rekurs des Beklagten hob das Kreisgericht den Beschluß des Bezirksgerichtes in den angeführten Punkten auf und trug diesem die Ergänzung des Verlassenschaftsverfahrens und die neuerliche Entscheidung auf. Es ging davon aus, es stehe fest, daß der Miterbe Konrad Kl das Abhandlungsprotokoll vom 15. 11. 1965 nicht unterfertigte. Es fehle demnach an einer Einigung der Miterben über die Bestimmung des Nacherben, über die Berechnung der Abfindungsansprüche und Feststellung des Übernahmspreises. Bei der Bestimmung des Anerben werde mangels Einigung nach § 3 Anerbengesetz vorzugehen und ein Anerbe vom Verlassenschaftsgericht zu bestimmen sein. Falls über den Übergabspreis keine Einigung erzielt werde, seien unter Bedachtnahme auf § 11 Anerbengesetz die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Dasselbe gelte für die Berechnung der Abfindungsansprüche nach § 10 des zitierten Gesetzes. Das Bezirksgericht setzte hierauf das Verlassenschaftsverfahren fort, faßte jedoch keine weiteren Beschlüsse, insbesondere nicht über eine Verweisung der Beteiligten auf den Rechtsweg.

Am 10. 10. 1969 überreichte der Kläger die gegenständliche Klage, in der er geltend machte, daß der Beklagte am 15. 11. 1965 vor dem Gerichtsabgeordneten Dr Kurt N in K das von ihm wörtlich aus dem Protokoll zitierte, für beide Streitteile rechtsverbindliche und unwiderrufliche Übereinkommen geschlossen habe und daher schuldig sei, binnen 14 Tagen bei Exekution nach Maßgabe und in Erfüllung des Übereinkommens sowie auf Grund des Ergebnisses der Verlassenschaftsabhandlung und des Protokolls zu dieser Verlassenschaft vom 15. 11. 1965 nach Vorliegen der sonstigen finanzrechtlichen Bedingungen in die Einverleibung des Eigentumsrechtes ob EZ 7 KG N und EZ 98 KG D für den Kläger Johann Kl sowie die Einverleibung der Dienstbarkeit der Wohnung sowie der Reallast des Ausgedinges für Katharina Kl zu willigen. Der Beklagte brachte vor, die Entscheidung des Rekursgerichtes im Verlassenschaftsverfahren sei richtunggebend und bindend, erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges und der Streitanhängigkeit und bestritt im übrigen das bindende Zustandekommen des protokollierten Übereinkommens. Mit Beschluß vom 13. 10. 1969 unterbrach das Bezirksgericht im Hinblick auf das beim Kreisgericht anhängige Verfahren das Verlassenschaftsverfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des Prozesses.

Das Erstgericht wies die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges und der Streitanhängigkeit unangefochten zurück und wies das Klagebegehren ab. Die Einreden hätten keine Grundlage, da für die Behandlung der gegenständlichen Streitfrage der Rechtsweg zuständig sei, auch wenn die Frage im Zusammenhang mit dem anhängigen Verlassenschaftsverfahren aufgetreten sei. Im übrigen stellte das Erstgericht fest, daß der Beklagte am 15. 1 1. 1965 zwar mehrfach erklärt habe, es solle weitergeschrieben werden, aber insbesondere deswegen, weil er eine zum Erbhof gehörende Wiese nicht erhalten konnte, mit dem Ergebnis der Verlassenschaftsabhandlung nicht einverstanden gewesen sei. Er habe somit der im Verlassenschaftsprotokoll aufscheinenden Regelung in ihrer Gesamtheit keine Zustimmung erteilt und aus diesem Gründe das Protokoll nicht unterfertigt. Gemäß § 292 ZPO begrunde zwar eine öffentliche Urkunde den vollen Beweis dessen, was darin vor der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wurde, dem als öffentliche Urkunde anzusehenden Verlassenschaftsprotokoll mangle es aber an den gemäß § 212 ZPO, § 2 AußStrG notwendigen Unterschriften aller Parteien. Der Beklagte habe auch den notwendigen endgültigen Willensentschluß nicht kundgetan. Eine Leistungsklage käme überhaupt nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, bestätigte dessen Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000.- übersteige. Das protokollierte Übereinkommen sei wie ein gerichtlicher Vergleich zu verstehen und wäre daher erst mit der Unterfertigung zustandegekommen. Das Leistungsbegehren sei überhaupt unverständlich, da der Beklagte ebensowenig wie der Kläger Eigentümer der erblasserischen Liegenschaften und darüber hinaus auch noch das Verlassenschaftsverfahren anhängig sei, in dem allein die grundbücherliche Eintragung des Eigentumsrechtes des Anerben (§ 10 Abs 3 Anerbengesetz) angeordnet werden könne.

Der Oberste Gerichtshof hob aus Anlaß der Revision des Klägers das angefochtene Urteil und das diesen vorangegangene Verfahren als nichtig auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Aus den §§ 20 ff AußStrG ergibt sich, daß die Verlassenschaftsabhandlung im außerstreitigen Verfahren durchzuführen ist. Nichts anderes gilt, wenn der Erblasser Alleineigentümer eines Erbhofes war und wegen Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen die Verlassenschaftsabhandlung, wie im vorliegenden Fall, nach den Grundsätzen des Anerbengesetzes durchzuführen ist. Das Verlassenschaftsgericht hat dann aber auch alle für die Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens notwendigen Entscheidungen grundsätzlich im außerstreitigen Verfahren zu treffen. Vor Einantwortung der Verlassenschaft steht es den Parteien also nicht frei, willkürlich den Rechtsweg zu beschreiten. Ein Rechtsstreit kann vielmehr nur erhoben werden, wenn das Verlassenschaftsgericht - von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen der §§ 67, 125, 126 AußStrG abgesehen - eine weitere rechtliche Erörterung vorbehalten (§ 18 Abs 1 Satz 1 AußStrG), also die Beteiligten beschlußmäßig auf den Rechtsweg verwiesen hat (§ 2 Abs 2 Z 7 AußStrG). Es obliegt dabei allein der Beurteilung des Verlassenschaftsgerichtes, ob es eine solche Verweisung auf den Rechtsweg anordnet oder aber die "rechtliche Verhandlung einleitet", das heißt über die strittige Frage selbst entscheidet. Wer dadurch, daß ihm der Rechtsweg nicht vorbehalten wurde, beschwert zu sein glaubt, muß die im § 9 AußStrG erwähnten Rechtsmittel ergreifen (§ 18 Abs 1 Satz 2 AußStrG). Tut er dies nicht, muß er die im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidung, soweit er sie nicht im Rechtsmittelwege außer Kraft setzen kann, gegen sich gelten lassen.

Im vorliegenden Falle war schon vom Verlassenschaftsgericht die Frage zu klären, ob der Kläger am 15. 11. 1965 mit den Miterben im Sinne des § 3 Abs 1 Anerbengesetz eine Einigung über seine Person als Anerben erzielte und sich mit ihnen darüber hinaus auch im Sinne der Bestimmungen der §§ 11 Abs 1, 12 Abs 1 Anerbengesetz über den Übernahmspreis und die Abfindungsansprüche einigte. Das Verlassenschaftsgericht verwies die Beteiligten zur Klärung dieser strittigen Frage nun keineswegs auf den Rechtsweg, sondern führte selbst Erhebungen durch. Bis heute hat auch keiner der Beteiligten die Verweisung der Klärung der Frage des gültigen Zustandekommens einer Einigung auf den Rechtsweg auch nur begehrt. Dem Kläger stand es dann aber keineswegs frei, von sich aus willkürlich den Rechtsweg zu beschreiten. Tat er dies dennoch, lag, wie der Beklagte zunächst richtig erkannte, Unzulässigkeit des Rechtsweges vor (§ 42 Abs 1 JN). Das Erstgericht hätte daher über die vom Beklagten erhobene Einrede seine Unzuständigkeit und die Nichtigkeit des vorangegangenen Verfahrens aussprechen und die Klage zurückweisen müssen. Das Erstgericht hat allerdings im Gegenteil die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges (und auch die der Streitanhängigkeit) rechtskräftig zurückgewiesen. Der Oberste Gerichtshof ist daher gemäß § 42 Abs 3 JN nicht mehr in der Lage, den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO von Amts wegen wahrzunehmen.

Das Verlassenschaftsgericht hat nicht nur keine Verweisung der Beteiligten auf den Rechtsweg angeordnet, sondern mit seinem Beschluß vom 15. 2. 1967, wenn auch ohne nähere Begründung, im Sinne des Klägers entschieden. Das Rekursgericht teilte diese Auffassung nicht und begrundete seinen Aufhebungsbeschluß und den Auftrag zur Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens ausdrücklich damit, daß Konrad Kl, der jetzige Beklagte, das Abhandlungsprotokoll vom 15. 11. 1965 nicht unterschrieben habe, sodaß es an einer Einigung der Miterben über die Bestimmung des Anerben, die Berechnung der Abfindungssumme und die Feststellung des Übernahmspreises fehle. Dieser Beschluß wurde auch dem Kläger zugestellt und blieb von ihm unangefochten. Damit wurde die zwischen dem Kläger und dem Beklagten strittige Frage, ob es am 15. 11. 1965 auch mit dem Beklagten zu einer Einigung im Sinne des Protokollinhaltes gekommen ist, rechtskräftig und abschließend zu Ungunsten des Klägers entschieden, ohne daß es notwendig geworden oder auch nur vom jetzigen Kläger verlangt worden wäre, daß diese Frage im streitigen Verfahren geklärt werde.

Zu den prozeßbehindernden Einreden, die in allen Instanzen auch von Amts wegen wahrzunehmen sind und deshalb schlechtweg als Prozeßhindernisse bezeichnet werden, gehört auch die Rechtskraft eines die Sache betreffenden Urteiles (JB 63 = SZ 28/265; SZ 41/184 uva). Nichts anderes gilt auch für einen im Außerstreitverfahren gefaßten Beschluß, da der § 18 Abs 1 AußStrG auch die materielle Rechtskraft der Verfügungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich anerkennt (EvBl 1968/32 ua). Dies gilt insbesondere auch für die im Verlassenschaftsverfahren ohne Vorbehalt einer weiteren rechtlichen Erörterung oder Einräumung eines eigenen Klagerechts durch das Gesetz getroffenen Entscheidungen (1 Ob 220/68). Wurde also im außerstreitigen Verfahren über widersprechende Interessen ein solcher in diesem Verfahren nicht mehr anfechtbarer Beschluß gefaßt, ist eine Nachprüfung im Prozeß ausgeschlossen (SZ 38/194 und die dort zitierte weitere Judikatur). Die Wahrnehmung der Rechtskraft einer im außerstreitigen Verfahren ergangenen Entscheidung im streitigen Verfahren kommt allerdings in der Regel nicht in Betracht, da die beiden Verfahrensarten miteinander im allgemeinen nicht konkurrieren. Wurde aber eine bürgerliche Rechtssache infolge Verletzung der Bestimmung des § 42 Abs 1 JN statt im außerstreitigen im streitigen Verfahren entschieden und kann dieser Nichtigkeitsgrund gemäß § 42 Abs 3 JN im streitigen Verfahren nicht mehr wahrgenommen werden, muß doch die Rechtskraft einer außerstreitigen Entscheidung, wäre sie im richtigen außerstreitigen Verfahren zu berücksichtigen gewesen, auch im streitigen Verfahren in gleicher Weise berücksichtigt werden, könnte es sonst doch zu zwei einander widersprechenden rechtskräftigen Erkenntnissen kommen. Das vorliegende Begehren des Klägers, der die Feststellung einer Einigung wünscht, deren Zustandekommen das Verlassenschaftsgericht zweiter Instanz bereits abschließend und rechtskräftig verneinte, verstößt gegen die Rechtskraft der genannten Entscheidung. Die Einrede der Rechtskraft wurde vom Beklagten nicht ausdrücklich erhoben; über sie wurde demnach auch noch nicht rechtskräftig abgesprochen; das Vorliegen der rechtskräftigen Vorentscheidung kann und muß daher auch vom Obersten Gerichtshof noch wahrgenommen werden. Aus Anlaß der Revision ist darum das vor den Untergerichten durchgeführte Verfahren als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.

Anmerkung

Z44082

Schlagworte

Einantwortung der Verlassenschaft, Unzulässigkeit des Rechtsweges vor -, ordentlicher, Zulässigkeit, Unzulässigkeit des - vor Einantwortung der, Verlassenschaft, Unzulässigkeit des Rechtsweges vor Einantwortung der Verlassenschaft, Verlassenschaft, Unzulässigkeit des Rechtsweges vor Einantwortung der -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0010OB00138.71.0527.000

Dokumentnummer

JJT_19710527_OGH0002_0010OB00138_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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