TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/12 2003/01/0061

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Veröffentlicht am 12.04.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des KK in J, vertreten durch Dr. Nikolaus Vogler, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Viktor-Keldofer-Straße 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Oktober 2002, Zl. 223.664/0- V/13/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, stammt aus dem Kosovo und gehört der Volksgruppe der Ashkali an. Er reiste am 29. Mai 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er in seinem Heimatdorf Prekale (Gemeinde Istog) mehrmals von albanischen Zivilisten geschlagen worden sei. Alle Ashkali - im Folgenden der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt wörtlich - "waren gleichermaßen gefährdet und wurden auch in der gleichen Weise bedroht. Die Albaner wollen uns nicht einmal sehen." Bei einer Rückkehr würde man "mich umbringen, weil ich Ashkali bin. Ich meine damit, ich weiß nicht was passiert. Ich bin mir nicht sicher."

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 25. Oktober 2002 wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach der unter internationaler Verwaltung stehenden, vormalig autonomen Provinz Kosovo (Bundesrepublik Jugoslawien)" zulässig sei (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde ging - unter Hinweis auf das Aussageverhalten des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt einerseits und in der mündlichen Berufungsverhandlung andererseits - davon aus, dass den Angaben des Beschwerdeführers, er sei in seinem Heimatort Prekale von Seiten ethnischer Albaner belästigt bzw. verfolgt worden, die Glaubwürdigkeit zu versagen sei. Zur Situation im Kosovo stellte sie fest, dass sich die Sicherheitslage seit der Einrichtung eines behördlichen Sicherheitsapparates durch die vor Ort tätige UNMIK größtenteils stabilisiert habe. Bezüglich "Roma/Ashkali/Ägypter etc." sei auszuführen, dass es nach dem NATO-Einsatz im Jahre 1999 eine Mehrzahl von Verfolgungshandlungen bzw. Racheakten gegen Minderheitenangehörige ausgehend von Albanern gegeben habe. Die Situation habe sich jedoch seit dem Jahre 2001 weitgehend stabilisiert, die Übergriffe bzw. deren Intensität sei seit Juli 1999 stetig geringer geworden. Vereinzelte Übergriffe auf Roma, Ashkali und "Ägypter" könnten allerdings nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Solche Vorkommnisse seien nicht der staatlichen Hoheitsmacht oder der internationalen Verwaltung zurechenbar und würden auch nicht geduldet. Die Bewegungsfreiheit insbesondere der Ashkali und der "Ägypter" habe sich in jüngster Zeit erheblich verbessert; gleichwohl bleibe sie weiterhin eingeschränkt. Die allgemein stabile Sicherheitslage werde durch massive Präsenz der KFOR-Truppen gewährleistet. Die soziale und wirtschaftliche Situation der Roma sei allgemein als schwierig zu bezeichnen. Angehörige der Roma, Ashkali und "Ägypter" seien derzeit immer noch in erheblichem Maße auf Nahrungsmittelhilfe und humanitäre Unterstützung angewiesen. Diese Hilfe werde insbesondere von internationalen Organisationen wahrgenommen.

Da den Angeben des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde rechtlich - nicht habe gefolgt werden können, sei sein Asylantrag abzuweisen gewesen. Mangels Glaubwürdigkeit und in Anbetracht der Feststellungen über die Situation der Minderheiten im Kosovo komme auch die Gewährung von Refoulement-Schutz nicht in Betracht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ist bei ihren Feststellungen zur Situation im Kosovo und im Besonderen zur Lage der Ashkali ausdrücklich von folgenden "Länderdokumentationsunterlagen" ausgegangen: Auskunft des Kosovo Information Project vom 10. September 2001, "Einzelentscheiderbrief der deutschen Verwaltungsgerichte" vom 1. April 2002, "Protokoll Workshop BR Jugoslawien Halberstadt" vom 23./24. April 2002, Note der Österreichischen Botschaft Bern vom 8. Mai 2002 und Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 4. Juni 2002 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo). Nur der letztgenannte Bericht, der zudem der datumsmäßig jüngste ist, enthält eine in sich geschlossene Beurteilung.

Auszugsweise heißt es darin:

"II. 2. Nachdem die Phase bis zur Etablierung der internationalen Präsenz im Kosovo von schwersten Menschenrechtsverletzungen durch die Serben an der mehrheitlich kosovo-albanischen Bevölkerung geprägt gewesen war, kam es im Spätsommer/Herbst 1999 zu massiven Übergriffen von Zivilisten gegenüber Mitgliedern der Minderheitsethnien. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen der Staatengemeinschaft zwar wesentlich verbessert, muss jedoch weiter als schwierig bezeichnet werden. Angehörige von Minderheiten erfahren weiterhin in unterschiedlicher Stärke Diskriminierungen bis hin zu Bedrohungen ihres Lebens und ihrer körperlichen Unversehrtheit (s. dazu mit Einzelfällen Gemeinsamer Bericht von UNHCR und OSZE vom Mai 2002). Über verlässliche Informationen zur zahlenmäßigen Bedeutung der verschiedenen Gruppen verfügt das Auswärtige Amt nicht, jedoch bilden Serben und Roma bei weitem die größten Gruppen.

Die Situation ethnisch-nationaler Minderheiten ist nicht einheitlich für den Kosovo insgesamt zu erfassen und kann nur von Ort zu Ort und in Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten beurteilt werden.

...

b.) Die Minderheitengruppe der Roma, deren Geschichte stets durch mangelnde Akzeptanz und Diskriminierung geprägt war, sieht sich im Kosovo nach 1999 gezielten Diskriminierungen und Einschüchterungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und Brandstiftung durch Kosovo-Albaner ausgesetzt. Die Gruppe der Roma weist unterschiedliche Loyalitäten sowie sprachliche und religiöse Traditionen auf. Einer Volkszählung von 1991 zufolge betrug der Bevölkerungsanteil der Roma 42.000. Eigenen Angaben zufolge liegt die Zahl weit höher. Die noch verbliebene Zahl der Roma und anderer Minderheiten wird von UNMIK/KFOR auf ca. 65.000 geschätzt. Im Gegensatz zu anderen Gegenden Europas pflegen die Roma im Kosovo keinen nomadisierenden Lebensstil. Zu unterscheiden sind sog. "ethnische Roma" (Sprache Romany, aber auch Albanisch und Serbo-kroatisch, stark ausgeprägtes Bewusstsein der Eigenständigkeit), ashkaelische Roma (albanische Sprache und Identität) und die "Ägypter" genannte Bevölkerungsgruppe (Sprache albanisch), die von der albanischen Bevölkerung ebenfalls den Roma zugerechnet wird. Während die ashkaelischen Roma und die sog. "Ägypter" muslimischen Glaubens sind, bekennen sich die sog. Cergari Roma zum orthodoxen Glauben und waren traditionell der serbischen Verwaltung im Kosovo verbunden. An eine Teilgruppe gerichtete Vorwürfe der Kollaboration mit den Serben werden häufig auch auf andere Romagruppen übertragen, die dann Opfer von Gewalttaten werden. Nach den zugänglichen Informationen gab es unter den Roma zwar weniger Todesopfer (in absoluten Zahlen) als unter dem serbischen Bevölkerungsteil, jedoch ist diese Gruppe im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil stärker betroffen. Es wird über zahlreiche Entführungen, Einschüchterungen, Plünderungen und über das Abbrennen von Häusern berichtet. Brennpunkte waren Obilic (nördlich Pristina), Lipljan, Mitrovica, Gnjinale, Urosevac, Prizren und Pec. Roma-Gemeinden im Kosovo weisen weniger als die Hälfte des Bevölkerungsstandes vor dem Beginn der Kampfhandlungen auf. Nach Einschätzung der Hochkommissarin für Menschenrechte haben mehr als die Hälfte der Roma seit Mitte Juni 1999 den Kosovo verlassen."

Der bekämpfte Bescheid zeichnet ein gegenüber den eben wiedergegebenen Ausführungen deutlich positiveres Bild der aktuellen Verhältnisse für Ashkali im Kosovo (siehe oben). Die belangte Behörde hat allerdings nicht näher dargelegt, wie sie zu ihrer optimistischeren Einschätzung gelangte. Zwar ist ihr einzuräumen, dass die von ihr neben dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes zugrunde gelegten "Länderdokumentationsunterlagen" zum Teil Anhaltspunkte für eine bessere Situation der Ashkali erkennen lassen, warum diesen Anhaltspunkten jedoch ein solches Gewicht beizumessen sei, dass sich abweichend von der Situationsbeschreibung im - wie erwähnt aktuellsten - Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 4. Juni 2002 die im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen ergeben, wäre näher zu begründen gewesen. Da eine solche Begründung fehlt, ist der bekämpfte Bescheid mit einem Verfahrensmangel behaftet. Ihm ist überdies anzulasten, dass er sich nicht mit der spezifischen Situation für Ashkali in der unmittelbaren Herkunftsregion des Beschwerdeführers auseinander gesetzt hat, obwohl nicht nur dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes, sondern auch anderen von der belangten Behörde zugrunde gelegten "Länderdokumentationsunterlagen" zu entnehmen ist, dass die Situation für Angehörige ethnischer Minderheiten (und damit auch für Ashkali) nur "von Ort zu Ort" beurteilt werden kann.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einer anderen Beurteilung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers oder schon im Hinblick auf die allgemeine Situation für Ashkali in der unmittelbaren Heimatregion des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 12. April 2005

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003010061.X00

Im RIS seit

25.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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