TE OGH 1971/9/28 8Ob243/71

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Veröffentlicht am 28.09.1971
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Norm

ZPO §64 Z3

Kopf

SZ 44/147

Spruch

Durch den erst im Laufe des Prozesses eintretenden Verlust der Prozeßfähigkeit einer Partei wird die auf § 64 Z 3 ZPO beruhende Vertretungsmacht des vor Verlust der Prozeßfähigkeit der Partei bestellten Armenanwaltes nicht berührt

OGH 28. 9. 1971, 8 Ob 243/71

Text

Im Verfahren 7 Cg ... des LGZ Graz begehrte der durch den am 26. 1. 1965 bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr J vertretene Kläger aus der behaupteten Beteiligung am Gewinn und Verlust des Sand- und Schotterwerks W von den Beklagten zunächst die Zahlung von S

505.467.91 sA; dieses Begehren schränkte er nach zwischenzeitiger Klagsausdehnung am 16. 7. 1969 auf S 417.943.41 sA ein. Mit Beschluß vom 18. 2. 1965 war dem Kläger das Armenrecht bewilligt worden. Infolge seines Antrages vom 17. 10. 1967 wurde ihm mit Beschluß vom 20. 10. 1967 als Armenvertreter Rechtsanwalt Dr P bestellt. Dessen ungeachtet schritt für den Kläger zunächst noch dessen freigewählter Vertreter Rechtsanwalt Dr J ein. Mit Schriftsatz vom 29. 8. 1969 widerrief der Kläger die dem Rechtsanwalt Dr J erteilte Prozeßvollmacht und beantragte, zur nächsten Tagsatzung den bereits bestellten Armenvertreter Rechtsanwalt Dr P zu laden. Seither schritt Rechtsanwalt Dr P als bestellter Armenvertreter für den Kläger ein. Mit Urteil vom 30. 10. 1969 sprach das Erstgericht dem Kläger S 96.176.45 zu und wies das Mehrbegehren von S 321.766.96 ab. Infolge Berufung beider Teile bestätigte das Berufungsgericht die Teilabweisung von S 250.000.- und hob das Ersturteil im restlichen Umfang, somit hinsichtlich des Zuspruchs eines Betrages von S

96.176.45 und hinsichtlich der Abweisung eines weiteren Betrages von S 71.766.96 unter Rechtskraftvorbehalt auf. Der Oberste Gerichtshof gab weder der Revision des Klägers gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes noch den Rekursen beider Teile gegen dessen Aufhebungsbeschluß Folge. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. 2. 1971, 8 Ob 285, 286/70-119, wurde dem Armenvertreter des Klägers Rechtsanwalt Dr P am 17. 5. 1971 zugestellt.

Der Kläger wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 21. 12. 1970 wegen Geisteskrankheit voll entmundigt. Infolge Antrages der mit Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 4. 1. 1971, bestellten Kuratorin des Entmundigten stellte das Erstgericht die oben angeführten Entscheidungen dem von dieser bevollmächtigten Rechtsanwälten am 14. 8. 1971 neuerlich zu.

Mit der vorliegenden, am 1. 9. 1971 beim Obersten Gerichtshof eingelangten, auf § 529 Abs 1 Z 2 ZPO gestützten Nichtigkeitsklage begehrte der durch seine Kuratorin vertretene Kläger, die oben angeführten Entscheidungen und das vorausgegangene Verfahren ab 3. 10. 1969 insoweit für nichtig zu erklären, als sie die Abweisung von S 250.000.- sA betrafen. Er brachte im wesentlichen vor, daß er nicht erst mit der Entmündigung, sondern schon seit Mitte September 1969 prozeßunfähig gewesen sei. Er habe seither eines gesetzlichen Vertreters bedurft, sei aber durch einen solchen in diesem Verfahren nicht vertreten gewesen. An der geltend gemachten Nichtigkeit könne auch die seinerzeitige Bestellung und das Einschreiten seines Armenvertreters nichts ändern, zumal insbesondere Zustellungen an diesen seit Eintritt der Prozeßunfähigkeit des Klägers wirkungslos seien.

Der Oberste Gerichtshof wies die Nichtigkeitsklage zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage beruht auf § 532 Abs 1 ZPO.

Gemäß § 538 ZPO hat das zur Entscheidung berufene Gericht zunächst zu prüfen, ob die Nichtigkeitsklage auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben wurde. Die amtswegige Prüfung der Frage, ob die Nichtigkeitsklage auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt wird, hat sich nicht nur darauf zu erstrecken, ob der Kläger in der Klage einen Anfechtungsgrund gemäß § 529 ZPO behauptet, sondern auch darauf, ob die in der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Umstände, deren Wahrheit vorausgesetzt, einen Nichtigkeitsgrund im Sinne der oben bezeichneten Gesetzesstelle begrunden können (vgl Fasching zu § 538 Anm 2). Dies ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

Der Kläger geht selbst davon aus, daß seine behauptete Prozeßunfähigkeit erst im Laufe des oben angeführten Rechtsstreites (uzw nicht erst mit der am 21. 12. 1970 erfolgten Entmündigung, sondern schon Mitte September 1969) eingetreten sei, weshalb er die Nichtigerklärung des Verfahrens ab 3. 10. 1969 anstrebt. Daß der Kläger etwa schon im Zeitpunkt der Einleitung des Rechtsstreites prozeßunfähig gewesen wäre und die Bestellung des Armenvertreters am 20. 10. 1967 in einem hiedurch nichtigen Verfahren erfolgt sei, wurde nicht behauptet. Geht man aber davon aus, daß der behauptete Verlust der Prozeßfähigkeit nicht schon vor Einleitung des Rechtsstreites, sondern erst in dessen Verlauf eingetreten ist und daß der Kläger zunächst durch seinen frei gewählten Vertreter Rechtsanwalt Dr J und dann durch den am 20. 10. 1967 bestellten Armenvertreter Rechtsanwalt Dr P anwaltlich vertreten war, dann folgt hieraus, daß der behauptete Verlust der Prozeßfähigkeit im Verlauf des Rechtsstreites für das Prozeßgericht nicht beachtlich war und daß der Mangel der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters des Klägers die von dessen rite bestellten Armenvertreter vorgenommenen Prozeßhandlungen und die an diesen erfolgten Zustellungen entgegen den Klagsausführungen keineswegs nichtig macht. Ob der Kläger im vorliegenden Anwaltsprozeß iS des § 27 Abs 1 ZPO durch einen frei gewählten oder durch einen als Armenvertreter bestellten Rechtsanwalt vertreten war, ist für die Beurteilung der behaupteten Nichtigkeit gleichgültig (vgl 1 Ob 40/62, SZ 19/328). In keinem Fall bedurfte der einschreitende Rechtsanwalt wegen des behaupteten Wegfalls der Prozeßfähigkeit des Klägers im geltend gemachten Zeitraum der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters. Nach § 35 ZPO wird die Prozeßvollmacht weder durch den Tod des Machtgebers noch durch eine Veränderung in betreff seiner Prozeßfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertretung aufgehoben. Bis zu der durch die 6. GEN erfolgte Änderung des § 64 Z 3 ZPO bedurfte der als Armenvertreter bestellte Rechtsanwalt der Prozeßvollmacht der armen Partei (vgl SZ 5/312); der nachträgliche Wegfall ihrer Prozeßfähigkeit blieb damit nach § 35 ZPO ohne Einfluß auf die Vertretungsmacht des Armenanwaltes. Seit der Änderung des § 64 Z 3 ZPO durch die 6. GEN bedarf der bestellte Rechtsanwalt nicht mehr einer von der armen Partei ausgestellten Prozeßvollmacht, sondern er ist schon kraft seiner Bestellung als Bevollmächtigter iS des § 31 ZPO - mit den hier außer Betracht bleibenden Beschränkungen durch § 64 Z 3 ZPO - anzusehen. Es ist daher nicht einzusehen, welchen Einfluß der nachträgliche Verlust der Prozeßfähigkeit des Vertretenen auf die durch die Bestellung als Armenanwalt begrundete Vertretungsmacht des Armenanwalts haben sollte. Wird doch selbst für den Fall des Todes der armen Partei, durch den nach § 68 Abs 1 ZPO das Armenrecht erlischt, die Bestellung als Armenanwalt und dessen Vertretungsmacht nach § 64 Z 3 ZPO nicht berührt, wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach, wie etwa in seinen Entscheidungen SZ 19/328 und zuletzt in der nicht veröffentlichten Entscheidung 6 Ob 109/68 aus den angeführten Erwägungen zum Ausdruck gebracht hat. Umsoweniger kann die behauptete Änderung der Prozeßfähigkeit, die den Bestand des Armenrechts überhaupt nicht berührt (Fasching II 441), die Vertretungsmacht des Armenanwalts nach § 64 Z 3 ZPO beschränken. Die von dem zum Armenvertreter bestellten Rechtsanwalt Dr P gesetzten Prozeßhandlungen und die an ihn bewirkten Zustellungen sind somit ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters des Klägers voll wirksam. Es kann daher keine Rede davon sein, daß der nach den Klagsbehauptungen im Laufe des Rechtsstreits prozeßunfähig gewordene Kläger in dem von der Nichtigkeitsklage erfaßten Zeitraum des Rechtsstreits zu dessen Führung der Mitwirkung eines gesetzlichen Vertreters bedurft hätte.

Da sich somit schon aus dem Vorbringen in der Nichtigkeitsklage ergibt, daß das Verfahren nicht mit der geltend gemachten Nichtigkeit behaftet ist, fehlt es an einem gesetzlichen Anfechtungsgrund. Die Nichtigkeitsklage war daher nach § 538 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Anmerkung

Z44147

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0080OB00243.71.0928.000

Dokumentnummer

JJT_19710928_OGH0002_0080OB00243_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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