TE OGH 1971/11/25 1Ob308/71

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Veröffentlicht am 25.11.1971
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Norm

ABGB §7
ABGB §16
ABGB §1295
ABGB §1297
Strafgesetz §335
Straßenverkehrsordnung §3
Straßenverkehrsordnung §20

Kopf

SZ 44/178

Spruch

Jeder Schifahrer muß sich so verhalten, daß er keinen anderen gefährdet; doch darf diese Forderung nicht überspitzt werden, soll das Schifahren nicht unmöglich gemacht werden

Der Schifahrer darf aber andererseits auch darauf vertrauen, daß die übrigen Pistenbenützer die natürlichen Verhaltensmaßregeln beim Schilauf einhalten und so vorsichtig fahren, daß es zu keinen Kollisionen kommt

OGH 25. 11. 1971, 1 Ob 308/71 (OLG Graz 4 R 14/71; LG Klagenfurt 21 Cg 38/70)

Text

Der Kläger, ein sehr guter Schifahrer, der früher als Rennläufer aktiv tätig gewesen war, benützte am 15. 2. 1968 gegen 14 Uhr als Schifahrer die S-Abfahrt in H. Etwa 150 bis 200 m vor jenem Teil der Abfahrtstrecke, wo sich die präparierte Piste zu einer Fahrrinne verengte, hielt er an und wartete ab, bis die Abfahrt weiter unten frei war; er konnte von hier in die Rinne und noch etwas weiter sehen. Als der Kläger erkannte, daß nur auf der etwa 6.5 bis 7 m über der Rinne gelegenen Kuppe links der Einfahrtstelle in die Rinne einige Personen standen, fuhr er die präparierte Strecke ungefähr der Markierung nach in langen Schwüngen mit einer Geschwindigkeit von etwa 55 km/h hinunter, rechts an der Personengruppe vorbei und mit einem Rechtsschwung in die Rinne hinein.

Der Beklagte, ebenfalls ein sehr guter Schifahrer, benützte zunächst die gleiche Abfahrtsstrecke und hielt etwa an derselben Stelle wie der Kläger oberhalb der Rinne an. Von da an fuhr er jedoch am linken Pistenrand, weil die Piste hier nicht so abgefahren und daher griffiger war; er erreichte ebenfalls eine Geschwindigkeit von etwa 55 km/h. Er hatte zunächst die Absicht, an der Personengruppe vorbei mit einem Rechtsschwung in die Mulde einzufahren, riskierte eine solche Fahrweise dann aber nicht, weit der Schnee vor der Kuppe ziemlich glatt war, sodaß für ihn Sturzgefahr bestand. Er fuhr daher etwa 1 m hinter der Personengruppe vorbei und sodann in einem weiten Rechtsbogen über die Kuppenkante hinweg in die Mulde. Er kam, in einem Winkel von etwa 80[0] zur Abfahrtsrichtung (der präparierten Piste) fahrend, hier gerade in jenem Augenblick an, als der Kläger auf der Hauptpiste von rechts herunterfuhr. Beide Streitteile hatten einander bis zum letzten Moment nicht bemerkt. Es kam zu einem Zusammenstoß, bei dem der Beklagte unverletzt blieb, wogegen sich der Kläger schwere Verletzungen zuzog. Er machte mit der Behauptung des Alleinverschuldens des Beklagten Schadenersatzansprüche in der Höhe von S 101.814.60 sA geltend und begehrte darüber hinaus die Feststellung, daß der Beklagte ihm für jeden in Zukunft auftretenden Schaden aus dem Schiunfall hafte.

Das Erstgericht stellt mit Teil-Zwischenurteil fest, daß der Beklagte dem Kläger gegenüber für alle Schäden aus dem Schiunfall im Ausmaß von vier Fünfteln zu haften habe.

Gegen dieses Urteil erhoben beide Streitteile Berufung. Das Berufungsgericht, das eine teilweise Beweiswiederholung durchführte, stellte mit Zwischenurteil fest, daß der Anspruch des Klägers aus dem Schiunfall mit vier Fünfteln zu Recht und mit einem Fünftel nicht zu Recht bestehe, hob im übrigen das Ersturteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf und führte im wesentlichen aus: Etwa 30 m vor der späteren Unfallsstelle und etwa zwei Sekunden vor dem Unfall hätte der Kläger den ganzen östlichen Kuppenbereich überblicken und eine Sekunde vor dem Unfall (15.2 m vor der Unfallsstelle) die Fahrlinie des Beklagten, der bereits die Personengruppe passiert hatte, sehen können, obwohl er gerade einen Rechtsschwung gemacht habe. Etwa 20 m, jedenfalls aber 15.2 m, vor dem späteren Unfallspunkt hätte er aus der Fahrweise und der Körperhaltung des Beklagten auch wahrnehmen können, daß dieser in die Rinne einbiege und damit einen Kollisionskurs einschlage. Da er den Seitenbereich der Piste jedoch nicht beobachtet habe, habe er den Beklagten nicht wahrgenommen, obwohl er nach seiner Fahrlinie, seiner Geschwindigkeit und den Geländeverhältnissen in der Lage und auch verpflichtet gewesen wäre, den Seitenbereich zu beobachten. Hätte er dies getan und den Beklagten wahrgenommen, dann hätte er bei einer zumutbaren Reaktionszeit von 0.7 Sekunden durch ein Ausweichmanöver noch unfallverhindernd reagieren können. Der Beklagte wiederum sei unkontrolliert gefahren, denn er habe, nachdem er von seinem Vorhaben, mit einem Rechtsschwung an der Personengruppe auf der Kuppe vorbeizufahren, abgekommen sei, korrigiert, sei in zu knappem Abstand von nur 1 m an der Personengruppe vorbeigefahren und damit von der nach der Geländegestaltung üblichen Fahrweise abgewichen. Er habe dabei den ziemlich klar begrenzten Pisteninnenbereich verlassen und sei erst dann wieder durch den Rechtsbogen hinter der Personengruppe in die Rinne eingefahren. Er hätte bei seiner Fahrweise unter allen Umständen auf die in der Rinne abfahrenden Schifahrer beim Versuch, die Rinne zu überqueren, Rücksicht nehmen müssen. Er hätte seine Geschwindigkeit so wählen müssen, daß er beim Wiedereinfahren in die Rinne und bei deren Queren auf die die Piste befahrenden Schifahrer Rücksicht nehmen, das heißt unter Umständen anhalten oder ausweichen konnte. Dadurch, daß er die Hauptabfahrtsstrecke verlassen und dann erst wieder in diese in einem nahezu rechten Winkel mit einer hohen Geschwindigkeit eingefahren sei, ohne darauf zu achten, ob nicht Schifahrer in der Hauptabfahrtsstrecke unterwegs seien, treffe ihn am Unfall ein überwiegendes Verschulden, gegen das das Verschulden des Klägers, dem lediglich ein Beobachtungsfehler unterlaufen sei, gering wiege. Eine Verschuldensteilung im Verhältnis 4:1 sei daher gerechtfertigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie das Berufungsgericht bereits richtig darlegte, gibt es derzeit noch keine Vorschrift über das Verhalten beim Schifahren, die etwa der StVO entspräche. Die von verschiedenen Institutionen und Autoren ausgearbeiteten Verhaltensvorschriften für Schifahrer sind, wie der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen hat (RZ 1970, 220 = JBl 1971, 252), keine gültigen Rechtsnormen und können auch noch nicht als Gewohnheitsrecht angesprochen werden. Auch für das Schifahren muß aber selbstverständlich der allgemeine Grundsatz gelten, daß jeder sich so verhalten muß, daß er keinen anderen gefährdet (§§ 1295, 1297, 16 ABGB; § 335 StG; s auch Anm d Schriftltg in JBl 1971 255); diese Forderung darf nur nicht überspitzt werden, soll das Schifahren nicht praktisch unmöglich gemacht werden (ZVR 1972/100). Auch der Schifahrer, der an einem Pistenbetrieb teilnimmt, willigt jedoch nicht schlechthin in jede mögliche Verletzung durch andere ein. Er nimmt vielmehr nur die Gefährlichkeit des Schilaufes an sich, die Gefahren des winterlichen Gebirges, die Tücken des Wetters und des Schnees, das Sturzrisiko und auch die damit verbundene Gefahr der Verletzung und gesundheitlichen Schädigung in Kauf, nicht aber eine Verletzung infolge unvorsichtigen oder gar rücksichtslosen Verhaltens eines anderen Schifahrers; insbesondere setzt er sich nicht bewußt der Kollisionsgefahr aus. Er darf vielmehr darauf vertrauen, daß die übrigen Pistenbenützer die natürlichen Verhaltensregeln beim Schilauf einhalten und so vorsichtig fahren, daß Kollisionen nicht geschehen (Pichler, Pisten, Paragraphen, Skiunfälle 28 f.). Soweit die aufgestellten Regeln nur die Sorgfaltsgrundsätze zusammenfassen, die bei Ausübung des Schisportes im Interesse aller Beteiligten schon nach den allgemeinen Verschuldensregeln einzuhalten sind, kommt ihnen selbstverständlich erhebliche Bedeutung zu. Eine solche Regel ist, wie das Berufungsgericht bereits richtig darlegte, die FIS-Regel 5, deren erster Satz lautet: "Jeder Skifahrer, der in eine Abfahrtsstrecke einfahren oder ein Skigelände queren will, muß sich nach oben und unten vergewissern, daß er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann." Wurde nämlich eine Schiabfahrtspiste präpariert und markiert, wird sie den Schifahrern als Hauptabfahrtsstrecke angekundigt und empfohlen. Jeder Schifahrer muß daher damit rechnen, daß die meisten Schifahrer diese Piste benützen und auf ihr auch höchstzulässige Geschwindigkeiten entwickeln werden. Es ist daher selbstverständlich, daß derjenige, der in eine Schipiste neu einfährt oder sie quert, aber auch derjenige, der die markierte Piste gerade erst verlassen hat und dann wiederum in sie zurückfährt, den Vorrang der die markierte und ausgefahrene Abfahrtspiste benützenden Schifahrer respektiert, aber auch, daß der die Piste benützende Schifahrer sich darauf verlassen kann. Auch beim Schifahren muß nämlich, wie im Straßenverkehr, der Vertrauensgrundsatz gelten. Die natürlichen Verhaltensgrundsätze, auf deren Einhaltung sich jeder Schifahrer verlassen kann, besagen aber beim Schilauf insbesondere, daß jeder Schifahrer kontrolliert fahren, das vor ihm liegende Gelände genau beobachten und seine Geschwindigkeit auf die Geländeverhältnisse einrichten muß; wer vom Rand in eine Abfahrtsstrecke einfährt, muß sich dann, wie der Oberste Gerichtshof bereits dargelegt hat (ZVR 1972/100), nach allen Richtungen davon überzeugen, ob er in diese Strecke gefahrlos einfahren kann.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes benützte nun der Kläger die markierte und ausgefahrene Abfahrtspiste, wogegen der Beklagte durch unkontrolliertes Fahren von dieser abgekommen war und dann erst späterhin in einem fast rechten Winkel in diese zurückkehren bzw sie queren wollte. Mag nun ein Fehler des Klägers auch darin liegen, daß er den Beklagten überhaupt nicht bemerkte und daher außerstande war, im letzten Augenblick unfallsverhütend zu reagieren, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß das weit überwiegende Verschulden beim Beklagten liegt, der die Vorfahrt des Klägers zu respektieren hatte. Wenn die Revision dartun will, der Beklagte habe die Hauptabfahrtsstrecke nicht verlassen, weicht sie von den Feststellungen des Berufungsgerichtes ab und ist daher nicht dem Gesetze gemäß ausgeführt. Es kann auch kein Zweifel bestehen, daß von einem Verlassen der Piste gesprochen werden muß, wenn der Beklagte sogar hinter einer nicht mehr auf der Piste stehenden Personengruppe vorbeigefahren und dann erst in einem Winkel von 80[0] auf den die Abfahrtsstrecke benützenden Kläger zugekommen ist. Eine solche Fahrweise ist einem Einfahren auf die Piste vom freien Gelände aus gleichzuhalten. Mit vollem Recht haben daher die Untergerichte festgestellt, daß den Beklagten das überwiegende Verschulden am Unfall trifft, das mit vier Fünfteln nicht zu hoch angenommen worden ist.

Anmerkung

Z44178

Schlagworte

Gefährdungsverbot, allgemeines, Gefährdungsverbot, Schifahren, Natürliche Verhaltensmaßregeln, Schifahren, Schifahren, allgemeines Gefährdungsverbot, Schifahren, Gefährdungsverbot, Schifahren, natürliche Verhaltensmaßregeln, Schifahren, Sorgfalt, Schifahren, Vertrauensgrundsatz, Sorgfalt, Schifahren, Vertrauensgrundsatz, Schifahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0010OB00308.71.1125.000

Dokumentnummer

JJT_19711125_OGH0002_0010OB00308_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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