TE OGH 1972/5/10 7Ob77/72

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Veröffentlicht am 10.05.1972
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Norm

Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung Art5 III Z4 lita
Versicherungsvertragsgesetz §62

Kopf

SZ 45/62

Spruch

Der Anspruch des nach § 62 VersVG zur Abwendung oder Minderung des Schadens verpflichteten Versicherungsnehmers auf Ersatz seines Rettungsaufwandes teilt das rechtliche Schicksal des Anspruches auf Ersatz des Grundschadens; er wird mit dem Hauptanspruch fällig, verjährt mit diesem und entfällt ganz, wenn der Versicherer infolge Risikoausschlusses oder Anspruchswirkung leistungsfrei ist

Auslegung der Ausschlußklausel des Art III Z 4 lit a AHVB

OGH 10. 5. 1972, 7 Ob 77/72 (OLG Wien 2 R 186/71; HG Wien 26 Cg 13/70)

Text

Die Klägerin beantragte die Feststellung, die Beklagte sei aus dem zur Polizze-Nr AH 7/1381 abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag schuldig, hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin aus der gesetzlichen Haftpflicht aus dem Durchdringen von aus atmosphärischen Niederschlägen stammendem Wasser durch die von ihr auf dem Tragwerk der "Agerbrücke" im Zuge der Westautobahn in Oberösterreich aufgebrachten Polyesterbeschichtung Versicherungsschutz zu gewähren. Sie habe zur Abdichtung des Tragwerks der im Zuge der Westautobahn errichteten "Agerbrücke" eine Polyesterbeschichtung aufzutragen gehabt. Auf diese Beschichtung sei die die Fahrbahn bildende Betondecke aufgetragen worden. Seit Jahresende 1968 dringe jedoch Regenwasser durch die Polyesterbeschichtung. Dieses Wasser drohe, die Abrostung der einbetonierten Spannkabel der Brücke herbeizuführen. Der Betrieb der Klägerin sei bei der Beklagten gegen Haftpflicht versichert. Die Beklagte habe es abgelehnt, der Klägerin Versicherungsschutz zu gewähren, so daß sich die Klägerin zur Klage genötigt sehe. Im Zuge des Verfahrens brachte die Klägerin ergänzend vor, streusalzhältiges Niederschlagswasser sei in die Brückenkonstruktion bis zu den Spannseilen eingedrungen und habe diese angegriffen. Da eine andere Sanierung der fehlerhaften Polyesterabdichtung nicht möglich gewesen sei, habe das Amt der OÖ LRg durch eine andere Firma die oberhalb der Polyesterabdichtung aufgebrachte Fahrbahndecke entfernen lassen, um eine Neuherstellung der Abdichtung zu ermöglichen. Nach Auftragung einer neuen Polyesterabdichtung habe das Amt der OÖ LRg von dritter Seite wieder eine Fahrbahndecke aufbringen lassen. Der der Klägerin angelastete Schaden liege darin, daß die Fahrbahndecke zerstört und dann wieder hergestellt werden mußte. Vor Schluß der Verhandlung ergänzte die Klägerin, die OÖ LRg habe den Schaden für die Entfernung und Wiederaufbringung der Betondecke der Agerbrücke mit S 196.916.83 bekanntgegeben und dessen Ersatz von der Klägerin begehrt. Die Klägerin stellte das Eventualbegehren, die Beklagte zur Zahlung dieses Betrages sA zu verurteilen.

Die Beklagte wendete Leistungsfreiheit ein, weil es sich um einen Schaden am Werk iS des P 3 Z 4 lit a EHVB 1963 handle, die für die Klägerin als Bauunternehmerin gelte, daß es sich weiters um einen Schaden an Sachen durch Einwirkung von Feuchtigkeit iS des Art 5 III Z 4 lit a AHVB 1963 handle und schließlich, daß die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Behebung von Mängeln nachgekommen sei, Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel gemäß Art 5 II lit c AHVB 1963 jedoch keinen Versicherungsschutz genießen.

Der Erstrichter wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Er traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die von der Klägerin im Auftrag des Amtes der OÖ LRg auf dem Tragwerk der "Agerbrücke" aufgetragene Polyesterbeschichtung habe sich gegen Ende des Jahres 1968 insofern als mangelhaft erwiesen, als streusalzhältiges Wasser in die Brückenkonstruktion einzudringen vermochte. Nach verschiedenen mißglückten Sanierungsversuchen sei eine "Generalsanierung" in der Form durchgeführt worden, daß nach Entfernen der Fahrbahndecke durch eine andere Firma der alte Belag abgetragen und eine völlig neue Polyesterbeschichtung aufgebracht wurde. Diese Sanierung sei mit anderen baulichen Tätigkeiten (wie Abstemmen, Herstellen eines Estrichs) verbunden gewesen, die über die bloße Aufbringung einer Isolierschicht hinausgingen und die zum Teil von der Klägerin selbst durchgeführt wurden. Danach sei die Fahrbahndecke von einer anderen Firma wieder neu aufgetragen worden. Die Klägerin habe sich bereit erklärt, die Kosten der Abtragung und der Neuherstellung der Fahrbahndecke zu begleichen. Das Begehren, ihr Versicherungsschutz zu gewähren, habe die Beklagte zutreffend abgelehnt. Nach der Eintragung in das Handelsregister sei die Klägerin eine Baugesellschaft, so daß auf das gegenständliche Versicherungsverhältnis die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (EHVB 1963) zur Anwendung gelangten. Nach P 3 Z 4 lit a dieser Ergänzenden Bedingungen sei die Haftpflicht aus Schäden am Werk, das der Versicherungsnehmer herzustellen oder woran er zu arbeiten hat oder hatte, von der Versicherung ausgeschlossen. Um einen derartigen Schaden am Werk handle es sich. Selbst wenn dieser Ausschließungsgrund nicht bestehen sollte, sei das Klagebegehren nicht berechtigt, weil die Arbeiten der Klägerin im Zuge einer Mängelbehebung durchgeführt wurden und Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel gemäß Art 5 II lit c AHVB 1963 nicht Versicherungsschutz genießen.

Infolge Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht dieses Urteil dahin ab, daß es dem Feststellungsbegehren stattgab. Es übernahm den vom Erstrichter festgestellten Sachverhalt als unbedenklich, erklärte jedoch die Rechtsrüge für begrundet. Die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die Klägerin bei Ausübung der ihr aufgetragenen Isolierung keine Arbeit iS des Pkt 3 Z 1 EHVB 1963 ausgeführt habe. Es liege auch kein Gewährleistungsanspruch iS des Art 5 II lit c AHVB 1963 vor, da die Klägerin aus diesem Titel wohl für den Mangel der Isolierung, jedoch nicht für die Kosten der Entfernung und Wiederauftragung der Fahrbahndecke verantwortlich sei. Diesbezüglich handle es sich um einen auf die mangelhafte Herstellung des Werks zurückzuführenden Schadenersatzanspruch. Ein Risikoausschluß nach Art 5 III Z 4 lit a AHVB sei zu verneinen, weil nicht eine durch das allmähliche Eindringen von salzhaltigem Wasser verursachte Beschädigung der Brückenkonstruktion behoben wurde, diese durch die Reparatur gerade vermieden werden sollte. Die Fahrbahndecke sei durch das eindringende Wasser nicht beschädigt worden. Da eine Leistungsklage mangels Fälligkeit (Art 8 AHVB; § 154 VersVG) noch nicht möglich sei, sei die Feststellungsklage nicht nur zulässig, sondern auch berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Für die Beurteilung der Berechtigung des Klagebegehrens ist entscheidend, daß nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Zusammenhang mit den unbekämpften Angaben der Klägerin der Straßenbelag der Agerbrücke entfernt werden mußte, um die Sanierung des von der Klägerin aufgetragenen Polyesterbelages zu ermöglichen. Diese Sanierung war dadurch erforderlich geworden, daß durch den undichten Polyesterbelag streusalzhältiges Niederschlagswasser in die Brückenkonstruktion einsickerte und die Spannkabel gefährdete. Die auf Antrag des Amtes der OÖ LRg und mit Zustimmung der Klägerin durchgeführte Arbeit diente daher der Abwehr eines drohenden Schadens. Die Kosten der Entfernung und des Wiederauftrages des Straßenbelages sind demnach - ebenso wie die Kosten der Beseitigung der alten und des Wiederauftragens der neuen Isolierschicht, zu deren Durchführung die Entfernung des Straßenbelages erforderlich war - Aufwendungen, die der Vermeidung eines Schadens zu dienen bestimmt waren.

Nach § 62 VersVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalles den Schaden möglichst abzuwenden oder zu mindern. Er hat unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Ersatz des Rettungsaufwandes durch den Versicherer. Mit dem Beginn eines Ereignisses, das in seiner Folge wahrscheinlich den Schaden herbeiführen wird, beginnt die Abwendungs- und Minderungspflicht (Prölss, VersVG[17], 287 Anm 1 und die dort bezogenen weiteren Belegstellen). Im vorliegenden Fall hat das Ereignis, das den Schaden, nämlich das Abrosten der Spannkabel, herbeizuführen geeignet war, dadurch bereits begonnen, daß das streusalzhältige Regenwasser in die Brückenkonstruktion einsickerte. Damit war auch die Rettungspflicht der Klägerin eingetreten.

Der Anspruch auf Ersatz des Aufwandes teilt das rechtliche Schicksal des Anspruches auf Ersatz des Grundschadens; der Anspruch auf Rettungsaufwand wird mit dem Hauptanspruch fällig, er verjährt mit diesem und er fehlt, wenn der Versicherer zufolge Risikoausschlusses oder Anspruchsverwirkung leistungsfrei ist (Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht 277). Es ist daher zu untersuchen, ob der Hauptanspruch Versicherungsschutz genießt, nämlich die Beklagte zur Deckung des durch das Einsickern von streusalzhältigem Niederschlagswasser in die Brückenkonstruktion entstandenen Schadens verpflichtet ist.

Die Beklagte hat ihre Leistungsfreiheit ua auf Art 5 III Z 4 lit a AHVB gestützt, nach dem Haftpflichtansprüche von der Versicherung ausgeschlossen sind "wegen Schäden an Sachen durch Einwirkung von ... Feuchtigkeit ... sofern diese Einwirkungen allmählich erfolgen ...". Für die Wirksamkeit dieser Ausschlußklausel ist demnach erforderlich, daß der Sachschaden auf ein allmähliches Einwirken von Feuchtigkeit zurückzuführen ist, wobei unter Feuchtigkeit das Einsickern oder Einwirken geringer Flüssigkeitsmengen zu verstehen ist (vgl Wussow, AHB[6], 323 bei Kommentierung des in dieser Beziehung vom Art 5 III Z 4 lit a AHVB inhaltlich nicht abweichenden § 4 I Z 4 AHB). Diese Voraussetzungen für einen Haftungsausschluß für die Kosten der Schadensbehebung, nämlich eines Schadens an der Brückenkonstruktion bzw an den Spannkabeln, liegen hier vor, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen der Schaden an der Brückenkonstruktion durch das durch die schadhafte Polyesterschicht eindringende salzhältige Wasser drohte. Die beklagte Partei hätte der Klägerin für einen derartigen Schaden nicht Versicherungsschutz zu gewähren. Daraus folgt aber, daß auch jene Ansprüche vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, die durch Aufwendungen zur Abwehr des Schadens entstanden sind. Zu diesen Aufwendungen gehört, wie bereits oben ausgeführt, nicht nur die Erneuerung der Polyesterschicht, sondern auch die zur Ermöglichung dieser Arbeit erforderliche Entfernung des Straßenbelages.

Schon aus diesen Erwägungen ist das Feststellungsbegehren der Klägerin nicht gerechtfertigt, so daß auf die weiteren Einwendungen, insbesondere auf die Frage der Anwendbarkeit der Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung, nicht einzugehen war.

Anmerkung

Z45062

Schlagworte

Ausschlußklausel, Art III Z 4 lit a AHVB, Fälligkeit, Rettungsaufwand (§ 62 VersVG), Leistungsfreiheit, Rettungsaufwand (§ 62 VersVG), Rettungsaufwand, Fälligkeit (§ 62 VersVG), Rettungsaufwand, Leistungsfreiheit (§ 62 VersVG), Rettungsaufwand, Risikoausschluß (§ 62 VersVG), Rettungsaufwand, Verhältnis zum Hauptanspruch (§ 62 VersVG), Rettungsaufwand, Verjährung (§ 62 VersVG), Rettungsaufwand, Verwirkung (§ 62 VersVG), Risikoausschluß, Rettungsaufwand (§ 62 VersVG), Verjährung, Rettungsaufwand (§ 62 VersVG), Verwirkung, Rettungsaufwand (§ 62 VersVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1972:0070OB00077.72.0510.000

Dokumentnummer

JJT_19720510_OGH0002_0070OB00077_7200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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