TE OGH 1972/9/7 2Ob7/72 (2Ob8/72)

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Veröffentlicht am 07.09.1972
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pichler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager, Dr. Fedra, Dr. Reithofer und Dr. Benisch als Richter in Rechtssachen der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Wien 5., Blechturmgasse 11, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Alfred T*****, Direktor einer Wanderbühne, *****, vertreten durch Dr. Richard Steinpach, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufwandersatzes und Feststellung infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 1. Oktober 1971, GZ 9 R 179/71-39, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Mai 1971, GZ 33 Cg 273/69-34, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die bei der Klägerin pflichtversicherten Johann B***** und Walter M***** erlitten am 4. 12. 1966 als Insassen eines vom Beklagten gelenkten Kombinationskraftwagens Mercedes auf der Fahrt zu einem Gastspiel der vom Beklagten geleiteten Wanderbühne, der sie als Schauspieler angehörten, einen Verkehrsunfall. Der Beklagte fuhr bei Dunkelheit auf der Bundesstraße 10 zwischen Schwechat und Schwadorf auf einen von Karl J***** am rechten Fahrbahnrand abgestellten, unbeleuchteten LKW auf. Wegen dieses Unfalls wurden Karl J***** und der Beklagten strafgerichtlich verurteilt. Die Klägerin erbringt Johann B***** und Walter M***** wegen unfallbedingter Berufsunfähigkeit Leistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung.

In den vorliegenden, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Prozessen nimmt die Klägerin den Beklagten mit der Behauptung, daß dieser den Unfall grob fahrlässig verschuldet habe, gemäß § 334 ASVG auf Ersatz ihrer unbestrittenen Pflichtaufwendungen von S 106.016,60 für Johann B***** und von S 128.906,80 für Walter M***** in Anspruch und begehrt die Feststellung der Haftung des Beklagten für die Pflichtaufwendungen, die sie den beiden Verletzten bis zu jenem Zeitpunkt zu erbringen habe, an dem Johann B***** und Walter M***** als Angestellte auch ohne den Unfall in Pension gegangen wären.

Der Beklagte bestreitet, grob fahrlässig gehandelt zu haben, und beantragt, die Klagen abzuweisen.

Das Erstgericht verurteile den Beklagten zur Zahlung von S 106.016,80 und S 128.906,70 je samt Stufenzinsen und gab dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt.

Infolge Berufung des Beklagten hob das Berufungsgericht das Urteil der ersten Instanz unter Rechtskraftvorbehalt auf.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Urteil der ersten Instanz wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Das Erstgericht hat festgestellt:

Der Beklagte mußte wegen des starken Gegenverkehrs meist mit abgeblendeten Scheinwerfern fahren. Als er sich dem von Karl J***** am rechten Fahrbahnrand unbeleuchtet abgestellten LKW näherte, betrug die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges bei Abblendlicht ca. 66 km/h. Der Beklagte fuhr nicht auf Sicht. Er bemerkte den LKW zu spät, faßte erst 22 m vor der Unfallstelle den Bremsentschluß, verriß das Fahrzeug nach links und bremste, konnte aber nicht mehr verhindern, daß sein Kraftfahrzeug mit der rechten Frontseite mit ca. 60 km/h gegen die linke Heckseite des LKWs stieß.

Das Erstgericht beurteilte das Fahren bei Dunkelheit mit einer Geschwindigkeit von ca. 66 km/h und Abblendlicht als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 ASVG, da ein Kraftfahrzeuglenker bei Dunkelheit mit dem plötzlichen Auftauchen unbeleuchtete Hindernisse auf der Fahrbahn stets rechnen müsse.

Das Berufungsgericht war hingegen der Ansicht, daß es zur Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades des Beklagten weiterer Feststellungen bedürfe. Grobe Fahrlässigkeit sei anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliege und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar sei. Der Beklagte habe sicher damit rechnen müssen, daß sich Verkehrsteilnehmer, seien es Radfahrer oder Fußgänger am rechten Fahrbahnrand bewegen, dagegen könne es nicht als wahrscheinlich "angesehen" werden, daß ein unbeleuchtetes Hindernis so weit in die Fahrbahn hineinrage, daß auch ein Verreißen des eigenen Fahrzeuges nach links einen Zusammenstoß nicht mehr verhindern könne. Das Erstgericht werde daher festzustellen haben, welchen Teil der Fahrbahn der LKW versperrt habe, ob und wie weit dieser weiter rechts hätte abgestellt werden können und wie weit das Fahrzeug des Beklagten beim Zusammenstoß vom Straßenrand entfernt gewesen sei.

Die Klägerin macht mit Recht geltend, daß das festgestellte Verhalten des Beklagten für sich allein den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit rechtfertigt und es daher der vom Berufungsgericht geforderten weiteren Feststellungen nicht bedarf. Als grobe Fahrlässigkeit ist ein Handeln oder Unterlassen zu werten, bei dem unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle hätte einleuchten müssen, und bei dem somit die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist. Ein Verstoß gegen die Grundregeln des Fahrens auf Sicht wird zwar nicht in jedem Fall als grobe Fahrlässigkeit zu qualifizieren sein. Wenn aber ein Kraftfahrer, wie der Beklagte, auf einer Bundesstraße bei starkem Gegenverkehr mit einer für die Verhältnisse ganz übermäßigen Geschwindigkeit fährt und dadurch jede Möglichkeit aus der Hand gibt, vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis anzuhalten oder wenigstens einen schweren Auffahrunfall zu vermeiden, dann verantwortet er grobe Fahrlässigkeit (SZ 38/42). Nach den Feststellungen des Strafgerichtes in den Gründen des gegen den Beklagten und Karl J***** ergangenen verurteilenden Erkenntnisses wäre eine Geschwindigkeit von 40 km/h zulässig gewesen. Es handelt sich hiebei um eine den Schuldspruch tragende Feststellung, an die der Zivilrichter gebunden ist. Von der Vorinstanz unterlassene, jedoch gemäß § 268 ZPO bindende Feststellungen kann das Rechtsmittelgericht seiner Entscheidung zugrundelegen (vgl 2 Ob 312/69). Es ist demnach davon auszugehen, daß der Beklagte die zulässige Geschwindigkeit um mehr als die Hälfte überschritten hat, also mit einer für seine Verhältnisse ganz übermäßigen Geschwindigkeit gefahren ist. Bei dieser Fahrweise des Beklagten war der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich vorhersehbar, weshalb dem Beklagten, wie der Oberste Gerichtshof bereits in einem ähnlich gelagerten Fall ausgesprochen hat (SZ 38/42), grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Es ist daher unerheblich, daß nach den Behauptungen des Beklagten der 2,40 m breite LKW mit seiner rechten Begrenzung knappest außerhalb der Fahrbahn abgestellt war und auf dem anschließenden 2 m breiten Rassenstreifen hätte abgestellt werden können. Den Einwand des Beklagten in der Berufung, daß er erst unmittelbar vor dem Auftauchen des LKWs die Scheinwerfer abgeblendet habe und daher nicht mit einer unzulässigen Geschwindigkeit gefahren sei, hat bereits das Berufungsgericht, auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, widerlegt. Dem Rekurs ist daher beizupflichten, daß die vom Berufungsgericht angenommenen Feststellungsmängel nicht vorliegen und die Rechtssachen im Sinne des Klagebegehrens spruchreif sind.

Der angefochtene Beschluß war somit aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung im Sinne der vorstehenden Rechtsausführungen aufzutragen. Der Rekursantrag auf Wiederherstellung des Urteiles erster Instanz ist verfehlt, da der Oberste Gerichtshof bei Erledigung eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluß der zweiten Instanz nicht in der Sache selbst entscheiden kann.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E73518 2Ob7.72

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1972:0020OB00007.72.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19720907_OGH0002_0020OB00007_7200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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